Der größte Nutzen des Artikels liegt in der Vorstellung eines wenig bekannten, aber nützlichen Instruments zur Karriereberatung von Mark L. Savickas, das einen praktikablen Ansatz bietet, im Coaching die beruflichen Antriebskräfte herauszuarbeiten.
Hinter der "Karrierestilberatung" nach Mark L. Savickas stehen einige individualpsychologische Konzepte und Theorien, ohne die sein Ansatz nur vordergründlich verstanden werden kann: Vor allem das Konzept der Finalität, also der Zielgerichtetheit allen menschlichen Handeln (siehe Stichwort "Finalität" im "Lexikon der Veränderung) sowie das des "Lebensstils" und der "Lebenslinie". Damit sind die Persönlichkeitsmuster und die (in der Regel unbewussten) Lebensziele eines Menschen gemeint sowie die ihnen zugrundeliegenden Überzeugungen über die eigene Person und andere Menschen. Der auf den ersten Blick eigenartige Begriff des "Karrierestils" nimmt Bezug auf den Lebensstil; es ist sozusagen die individuelle Art, das eigene Berufsleben zu gestalten.
Was ich an dem Konzept von Savickas sehr ansprechend finde, ist, dass es mit acht einfachen Fragen dabei hilft, im Gespräch mit dem Klienten die teilweise unbewussten Antriebskräfte hinter dessen Karriereweg und Karrierezielen zu verstehen. Damit liefert es eine weitaus bessere Basis für Karriereentscheidungen und eine eventuelle berufliche Neuorientierung als reine Interessenabfragen oder kurzfristig-karrieretaktische Überlegungen. Denn letzten Endes geht es ja bei vielen Karriere-Coachings um die Frage: Was will ich wirklich in meinem Berufsleben? Da kann es sehr wertvoll sein, zu verstehen, was einen eigentlich antreibt, was man erreichen oder vermeiden möchte, welchen Modellen und Vorgaben man mehr oder weniger unbewusst folgt und welchen Platz im Leben man mit seinem Karriereweg anstrebt.
Diagnostischer Ausgangspunkt der Karrierestilberatung ist das Karrierestil-Assessment, das aus den erwähnten acht Fragen besteht; die Antworten bilden die Grundlage für ein "Gutachten", das heißt ein zusammenfassendes Feedback des Beraters an den Klienten, wie er dessen Karrierestil verstanden hat. Darauf setzt die eigentliche Karrierestilberatung an, in der regelmäßig drei Themenkreise bearbeitet werden: "1. Karrierestil und -weg, 2. Interessen und 3. berufliche Perspektiven. Darüber hinaus können die folgenden Themen eine Rolle spielen: 4. Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen und 5. Hürden bei der Entscheidungsumsetzung." (S. 157)
Da die Leitfragen des Career Style Assessment nur schwer greifbar sind, gebe ich Sie hier in gekürzter Fassung wieder:
- Wen haben Sie bewundert, als Sie ein Kind waren? (Warum?)
- Was ist Ihr Lieblingsbuch bzw. sind Ihre Lieblingsbücher? (Warum?)
- Welche Zeitschriften lesen Sie gerne? Was darin interessiert Sie besonders? (Warum?)
- Welche Freizeitaktivitäten mögen Sie? (Warum?)
- Was waren in der Schule Ihre Lieblingsfächer? (Warum?) Noten? Welche Fächer möchten Sie nicht? (Warum?) Noten?
- Gibt es einen Spruch / ein Motto / eine Redensart, die Sie schon Ihr Leben lang begleitet?
- Welche Ziele hatten Ihre Eltern für Sie, als Sie noch ein Kind waren?
- An welche wichtigen Entscheidungen, die Sie getroffen haben, erinnern Sie sich, und wie sind Sie zu der Entscheidung gekommen?"
Wie aus dem wiederkehrenden "Warum?" ersichtlich, geht es dabei nicht so sehr um die Fakten als über die Gedanken und Bewertungen, die ihren Hintergrund bilden. Das macht die Beratung anspruchsvoller als sie auf den ersten Blick erscheint. Es ist also nicht viel damit gewonnen, die Fragen von Savickas brav abzuarbeiten und die Antworten buchhalterisch zu dokumentieren; der entscheidende Wertbeitrag des Beraters ist, die innere Logik dieser Datenpunkte aus der Weltsicht des Klienten zu verstehen bzw. sie gemeinsam mit dem Klienten herauszuarbeiten. Es bringt nicht viel, dem Klienten Dinge wiederzuspiegeln, die er ohnehin schon weiß – etwa, was seine Interessen, Fähigkeiten und Abneigungen sind. Ein Mehrwert entsteht erst, wenn er beginnt, sich selbst und seinen beruflichen Lebensweg besser zu verstehen, und sich das Ganze zu einem integrierten Bild fügt.
Bei jungen Menschen ist das vermutlich schwieriger, weil ihre berufliche "Lebenslinie" erst dabei ist, sich herauszubilden – aber genau deshalb kann es ihnen helfen, Orientierung zu finden und Schwierigkeiten, Irrwege und Fehlschläge zu vermeiden. Je weiter der Berufsweg eines Menschen fortgeschritten ist, desto mehr valide Datenpunkte liegen natürlich vor und desto leichter ist es daher auch, die Linie zu erkennen, die sie verbindet – aber desto mehr wird sie auch zu einer rückblickenden Erklärung des bereits durchlaufenden Berufswegs. In erster Linie ist Savickas' Karrierestilanalyse daher für die Beratung von Berufseinsteigern gedacht. Sie scheint mir aber mit geringen Modifikationen auch für das Karriere-Coaching von Führungskräften nützlich – ganz besonders dann, wenn sie an einem beruflichen Scheideweg stehen.
Weniger ergiebig als die Informationen über das Savickas-Konzept ist dagegen die Fallstudie, mit der Claßen-Brinkmann diese Form der Karrierestilberatung zu illustrieren versucht. Sie handelt von einer jungen Frau, die gegen Ende ihres Studiums vor der Entscheidung für einen Berufsweg steht, parallel dazu aber wegen anderer Probleme in psychotherapeutischer Behandlung ist. Sie endet mit der ernüchternden Feststellung: "Leider ist es nicht möglich gewesen, den Beratungsprozess bewusst abzuschließen, denn G.'s Gesundheitszustand verschlechterte sich dermaßen, dass das nächste verabredete Treffen nicht zustande kam und der Kontakt in der Folge abgebrochen ist." (S. 164)
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