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Einer großartigen Karriere droht ein unrühmliches Ende

Schneider, Wolf (2008):

Der Mensch

Eine Karriere

rororo (Reinbek); 496 Seiten; 9,95 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 10.01.2011

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Der bekannte Journalist und Autor legt im hohen Alter eine kritische Menschheitsgeschichte vor, die zeigt, welch großartige Karriere diese Spezies hingelegt hat, aber auch, was dabei auf der Strecke geblieben ist und wie düster die Perspektiven sind.

Von Zeit zu Zeit les ich den Alten gern: Wolf Schneider, Jahrgang 1925, ist mehr als ein Urgestein des deutschen Journalismus', er ist eine Institution. Er war Washington-Korrespondent der Süddeutschen, Verlagsleiter des stern, Chefredakteur der Welt, Moderator der NDR-Talk-Show, weiter 16 Jahre lang Leiter der Hamburger Journalistenschule. Und als ob das nicht reichen würde, um einen Mann auszulasten, verfasste er zahlreiche Bücher zur deutschen Sprache und Stilistik, wie "Wörter machen Leute", "Deutsch fürs Leben" (siehe Rezension), "Speak German" und "Gewönne doch der Konjunktiv". Doch seine Ambitionen reichen weit über journalistische Formulierungskunst und Kompositionslehre hinaus; immer wieder wagte er sich auch an die großen Themen und erklärte uns über die Jahre nicht nur, was Glück ist und wie man sich ihm annähern sollte, sondern mit dem vorliegenden Werk (und seinen Vorläufern) auch, was der Mensch wohl für ein Vogel sei und auf was für einen Zweig er es gebracht hat.

Aber was ist das eigentlich für ein Buch? Der Titel beschränkt sich darauf, das grobe Thema anzudeuten; er vertraut offenkundig darauf, dass nicht er das Buch verkaufen muss, sondern der Name des Autors. Eines ist dieses 500-Seiten-Werk ganz sicher nicht, nämlich der auf der Umschlagrückseite mit großen Lettern annoncierte "Roman der Menschheit". Für einen Roman fehlt eine durchgängige Handlung ebenso wie Charaktere, die sie verkörpern. Immerhin deutet dieser auf die Rückseite verbannte Untertitel an, was das Buch nicht ist. Ein klassisches Sachbuch nämlich ist es durchaus auch nicht. Aber was ist es dann?

Um das zu beantworten, muss man wohl die Stellung dieses Werks in der Lebensgeschichte des Autors sehen. Er hat im Laufe eines langen Lebens viel gelesen, nachgedacht und 28 Sachbücher geschrieben. Da er nun in der Mitte seines neunten Lebensjahrzehnts steht, drängen all diese Gedanken und Erkenntnisse nach einem Resümee. Wohl deshalb verweigert sich Schneider gängigen journalistischen Regeln wie der Trennung von Nachricht und Kommentar ebenso wie den Rastern des Literaturbetriebs: Als alter Mann, der er inzwischen ist, will er ganz einfach seine mühsam errungenen Einsichten an die Nachfolgenden weitergeben. Deshalb erzählt er, wo es etwas zu erzählen gibt, argumentiert, wo es etwas zu begründen gilt, klagt, wo Dinge zu bedauern sind, und mahnt, wo er etwas ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken möchte.

Ungefähr dieser gedanklichen Linie folgt auch die Struktur des Buches – was deutlicher wird, wenn man nicht auf die einzelnen Überschriften der (insgesamt 50) Kapitel schaut, sondern auf die der sieben Hauptteile. Die ersten drei großen Blöcke – "Die Unterwerfung der Natur", "Die Unterwerfung der Menschheit durch die Europäer" und "Die Herrschaft über den Planeten" – machen gut die Hälfte des Buchs aus und sind überwiegend erzählerische Wiedergaben der Vor-, Früh- und neueren Geschichte der Menschheit. Dabei lassen die gewählten Überschriften bereits einen schmerzlichen Unterton anklingen: Die Geschichte der Menschheit ist halt nicht nur eine des Aufbaus, sondern auch eine der Zerstörung, und da ist ein Stück Trauer um alles und alle, die dabei auf der Strecke geblieben sind, einem sensiblen Chronisten nicht unangemessen.

Noch mehr zur (An-)Klage werden die nächsten drei Hauptteile. Sie heißen "Unser Hang zum Übermut" (mit den Kapiteln "Viel Spaß und 1,2 Millionen Tote", "Viel Spaß und noch mehr Gedränge" und "Viel Spaß und Fleisch im Überfluss"), "So weit haben wir's gebracht" (mit Kapitelüberschriften wie "Wer fällt den letzten Baum?" und "Wer wandert warum wohin?") und schließlich "Was uns droht" (mit Kapiteln wie "Der Endkampf ums Wasser und ums Öl", "Die Kriege von heute" und "Die Kriege von morgen"). Sie enthalten einen sehr kritischen Blick auf jüngere Vergangenheit, Gegenwart und absehbare Zukunft. Und ich wollte, Schneiders spätestens hier nicht mehr skeptische, sondern pessimistische Sichtweise wäre leichter zu widerlegen.

Eher skeptisch und verzagt als hoffnungsfroh ist auch sein Ausblick, wie bereit die Überschrift des letzten Teils erkennen lässt: "Was könnte uns helfen?" Der Konjunktiv lässt schon ahnen, dass darin nicht ein unfehlbares Rezept zur Lösung aller Probleme zu erwarten ist, sondern eher eine tastende Überprüfung fraglicher Hoffnungen, von denen es bei realistischer Betrachtung die meisten zu verwerfen gilt – und so kommt es auch: Die sieben letzten Kapitel des Buches diskutieren Pazifismus, angeborene Friedfertigkeit, Brüderlichkeit, freiwillige Selbstbeschränkung ("Können wir weniger verschwenden?"). Und sie kommen teils zu klaren Absagen, teils lassen sie eine eher schwache Hoffnung. "Wer erklärt uns die Zukunft?" und "Wie lange noch?" sind die beiden letzten Kapitel überschrieben, und allein diese Überschriften machen klar, dass Schneider nicht gerade vor Optimismus strotzt, was unsere Chancen zur Bewältigung der Krisen betrifft, die sich die Menschheit als direkte Folge ihrer Erfolgsgeschichte eingebrockt hat.

"Auszusterben ist normal", lautet seine lakonische Eröffnung des letzten Kapitels, "nur wann, da bleibt die Frage." (S. 450) Darauf immerhin hätten wir mehr Einfluss als die meisten Arten, die vor uns ausgestorben sind. Als erste Art in der Erdgeschichte ist unser Problem nicht, dass wir dem Wettbewerbsdruck konkurrierender Arten nicht gewachsen wären, sondern im Gegenteil, dass wir den totalen Sieg errungen haben – und damit die Grenzen des Gesamtsystems erreicht haben und dabei sind, sie zu sprengen. Was, rein analytisch betrachtet, weniger die Zukunft dieses Planeten bedroht als unsere eigene. Schneider fordert deshalb die Aufgabe der "Unendlichkeits-Illusion", das heißt der über Jahrtausende berechtigten, heute aber falschen Annahme, dass alle lebensnotwendigen Ressourcen in ausreichendem Maße vorhanden wären, gleich wie wir leben und wirtschaften. Er appelliert deshalb, die Erde unseren Nachfahren zumindest bewohnbar zu hinterlassen: "Hören wir also auf, die Zukunft auszuplündern, damit wir die Gegenwart genießen können!" (a.a.O.)

Leider geht er nicht auf die Frage ein, wie dies erreicht werden könnte. Denn das erfordert ja nicht nur eine Erkenntnisleistung (mit der wir schon ziemlich weit sind), sondern auch und vor allem eine gewaltige, die Menschheit umspannende politische Leistung (von der wir noch ziemlich weit entfernt sind). Dummerweise ist der Mensch aber darauf trainiert, sich zu Lasten anderer Vorteile zu verschaffen, hat hingegen ziemlich wenig biologische oder kulturelle Disposition dafür, länderübergreifende Solidaritätsleistungen nicht nur zu verabreden, sondern auch ein- und durchzuhalten. Es wäre daher ebenso wichtig wie lohnend, darüber nachzudenken, wie man dorthin kommen könnte, ohne dass der Wendekreis des Tankers die Breite des Weltmeers übersteigt.

Insgesamt ist das Bild bedrückend, das Wolf Schneider als sein Resümee einer lebenslangen und intensiven Beschäftigung mit Geschichte, Gegenwart und vor allem der Zukunft der Menschheit zeichnet. Oder ist hier nur eine Altersdepression mit der weitläufigen Belesenheit, dem scharfen Verstand und der geschulten Eloquenz eines Top-Journalisten eine unheilvolle Verbindung eingegangen? Das wäre wohl leider eine falsche Hoffnung. Bedauerlicherweise liegt Schneider mit seinem Fazit in großer Nähe zu dem, was auch etliche andere nachdenkliche Fachleute sagen. Der Zufall will es, dass ich parallel Meinhard Miegels "Exit" lese. Und trotz ganz anderer Perspektive und Lebensgeschichte kommt er, der konservative und zeitlebens unionsnahe Ökonom in vielen zentralen Punkten zu so ähnlichen Aussagen wie Schneider, dass ich vor allem in den letzten Kapiteln beider Werke teilweise nicht mehr sicher war, welches ich gerade vor mir hatte.

Klar können wir trotzdem hoffen, dass all das nur Modeströmungen unserer Zeit ohne reale Grundlage sind – Stichwort "spätrömische Dekadenz". Aber eine solche Hoffnung setzt schon viel Tapferkeit gegenüber den Fakten voraus. Das Problem ist aber: Eine hoffnungsarme Langfrist-Perspektive ist für alte Menschen leichter zu ertragen als für die jüngere und mittlere Generation, erst recht, wenn sie Kinder haben. Welche Botschaft haben wir für sie? Sie kann wohl nur lauten: Engagiert euch, denn die Weichen sind falsch gestellt. Wenn ihr es nicht schafft, diese Weichenstellungen grundlegend zu korrigieren und dabei auch den Mut zu schmerzhaften Eingriffen habt, dürfte es knapp werden.

Schlagworte:
Mensch, Menschheit, Zukunft, Ökologie, Ökosystem

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