Ein verdienstvoller, aber auch beschwerlicher Versuch, sich auf das gedankliche Neuland einer Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum vorzutasten, mit Beiträgen von recht unterschiedlichem Erleuchtungsgrad, leider beschränkt auf die Industriestaaten.
Es ist schwer, sich eine Welt ohne Wachstum vorzustellen – nicht, weil es das noch nie gegeben hätte, im Gegenteil: Fast die gesamten ersten 2,5 Millionen Jahre ihrer Existenz hat die Menschheit ohne nennenswertes Wachstum zugebracht. Erst in den letzten 200 Jahren ist das Wirtschaftswachstum – und mit ihm die Zahl der Menschen auf der Erde – steil nach oben gegangen, in den letzten 50 Jahren geradezu explodiert. Aber die Erinnerungen an die Zeiten davor sind verloren gegangen, und sie würden uns auch nicht viel helfen, denn ein Weg zurück ist mit 7 Milliarden Menschen unmöglich. "Weiter so" geht es aber ebenfalls nicht mehr, jedenfalls nicht mehr lange. Man kann darüber streiten, ob der kritische Punkt bereits überschritten ist oder ob wir noch ein paar Jahre Zeit haben; letztlich wird sich das erst im Nachhinein feststellen lassen. So oder so wird ein Ende des Wachstums massive Auswirkungen auf buchstäblich alle Teile unserer Gesellschaft haben. Es ist daher an der Zeit, einmal mit dem Nachdenken anzufangen, wie eine "Postwachstumsgesellschaft" konkret aussehen könnte.
Eine gravierende Einschränkung machen die Herausgeberinnen allerdings, indem sie ihre Diskussion der Postwachstumsgesellschaft auf die (ökonomisch) hoch entwickelten Industriestaaten beschränken: "Wirtschaftswachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern bleibt in diesem Buch ausgeklammert. Dafür wären andere Fachkenntnisse nötig, als wir sie hier versammeln." (S. 18) Das ist einerseits plausibel, weil das Thema auch so schon groß genug ist, andererseits eine durchaus problematische Verengung – nicht nur, weil damit die größten Wachstumsfelder der Weltwirtschaft ausgeblendet werden, sondern auch, weil es für die Großindustrie ein Leichtes ist, ihre Wertschöpfung dorthin zu verlagern, wo sie erwünscht ist und möglicherweise sogar subventioniert wird. Wegen der Mobilität des Kapitals und seiner Einsatzorte kommt man um eine weltweite Betrachtung daher kaum herum, auch wenn die Thematik dadurch eine atemberaubende Komplexität bekommt. Zumal die größte Brisanz genau in der Frage liegt, was die Schwellenländer davon abhalten sollte, uns, den reichen Ländern, in unserem materiellen Wohlstand nachzueifern. Das Argument, dass wir diesen Weg nicht mehr ganz so intensiv weiterverfolgen, ja sogar darüber diskutieren, auf dem heutigen Niveau stehenzubleiben, wird kaum reichen, sie zu überzeugen.
Wie bei einem Sammelband nicht anders zu erwarten, sind die Beiträge von unterschiedlicher Qualität. Nach einer mäßig erhellenden Betrachtung "Wachstum oder Niedergang: Ein Grundgesetz der Geschichte?" von Joachim Radkau stellt sich François Höpfinger der ersten harten Herausforderung einer Postwachstumsgesellschaft, nämlich den Alterssicherungssystemen. Sie kommen durch zwei Entwicklungen in Schwierigkeiten, die mit der Wachstumsfrage eigentlich gar nichts zu tun haben, nämlich zum einen durch den Bevölkerungsrückgang in den Industriestaaten, zum anderen dadurch, dass die Menschen immer älter werden, sodass immer mehr Auszahlungsjahre auf eine kurze Einzahlungsphase folgen. Ein starkes Wirtschaftswachstum würde dieses Problem nicht lösen, ohne Zweifel aber entspannen. Ohne Wachstum werden die Konflikte sichtbarer – und härter.
Das Kapitaldeckungssystem individualisiert das Problem und entzieht es damit wenigstens teilweise der Kontrolle einer von unzufriedenen Alten erpressbaren Politik. Zugleich macht es das System aber, wie Höpfinger zu Recht feststellt, auch intransparenter. Denn die Kapitalerträge müssen ja von irgendwoher kommen, sodass man ziemlich schnell wieder beim Thema Wachstum ist – auch wenn man es aus dem Ausland borgt, wenn "die Pensionskassen gezielt in demografisch verjüngte Länder (Schwellenländer u.a.) investieren." (S. 58) Womit man das Wachstumsproblem natürlich nicht gelöst, sondern nur delegiert hat. Ein Wunderrezept dafür hat auch Höpfinger nicht. Am Ende bleibt mit oder ohne Wachstum nur die Abwägung zwischen den zwei Alternativen, die auch heute schon die politische Diskussion bestimmen: Verlängerung der Lebensarbeitszeit und/oder Reduzierung der Auszahlungen, also Senkung des (materiellen) Lebensstandards im Alter.
Es folgt einer der mutigsten Beiträge. Der Schweizer Gesundheitsökonom Hans-Peter Studer will das "Gesundheitswesen als kosteneffizientes Solidarsystem mit Eigenverantwortung" (S. 65) umgestalten und es dabei keineswegs als eines der letzten unhinterfragten Wachstumsfelder durchgehen lassen. Vielmehr hält er erhebliche Einsparungen bei verbesserten Leistungen sowohl für nötig als auch für möglich, zum Beispiel durch "monetäre Anreize für Versicherte und Leistungserbringer" (S. 68), aber auch durch einen "bewussten Umgang mit Gesundheit, Krankheit und Tod" (S. 70) und eine "Integrative Medizin" (S. 72), die sich neben der Schulmedizin gleichrangig auch auf die "Komplementärmedizin" stützt. Doch so erfrischend das tönt, damit vermengt sich die Wachstums- mit der Gesundheitsreformdebatte – ein Vorgeschmack darauf, dass die Diskussion über die Postwachstumsgesellschaft sich ein praktisch jeden gesellschaftlichen Großkonflikt zu verstricken droht, der am Wegesrand liegt. Viel Feind, viel Ehr', viel blaue Flecken.
Recht abgehoben und "bildungsmoralisch" kommt das Kapitel "Bildung für Leben" von Christine Ax daher. Ja, wir alle müssen umlernen – und dafür sind zusätzliche Mittel erforderlich, die über eine spezielle Steuer aufgebracht werden sollen. Mit anderen Worten, sie fordert zusätzliches Wachstum, um die Abkehr vom Wachstum an der Bildungsfront zu unterstützen. Dagegen bleibt recht vage, worin der konkrete Beitrag der Bildung denn liegen könne oder solle.
Aus einer dezidiert gewerkschaftlichen Position kommt der Beitrag "Der Arbeitsmarkt im Spannungsfeld von Wachstum, Ökologie und Verteilung" von Norbert Reuter. Er sieht die Umverteilung von Arbeit und Einkommen als den Königsweg zu einer Wirtschaft ohne Wachstum, womit er nebenbei auch noch das Problem der Arbeitslosigkeit lösen möchte: "Rein rechnerisch wäre 2009 zur Herbeiführung von Vollbeschäftigung in Deutschland eine Reduktion der durchschnittlichen Arbeitszeit um knapp 12 Prozent notwendig gewesen. Mit einer auf diese Weise für alle von aktuell 26,7 Stunden auf 23,6 Stunden reduzierten Arbeitszeit würde das gegenwärtige Arbeitsvolumen in Höhe von 56 Milliarden Stunden für alle Erwerbstätigen einschließlich der 5,4 Millionen Arbeitslosen 'reichen'." (S. 93) Dazu müssten dann allerdings auch die Löhne und Gehälter entsprechend reduziert werden, denn bei einem vollen oder teilweisen Lohnausgleich entstünde zusätzlicher Konsum, also Wachstum.
Große Hoffnungen setzt Reuter auch in einen staatlich forcierten Ausbau des Dienstleistungssektors, der mit einer Erhöhung der Staatsquote einherginge, was wiederum durch höhere Steuern auf Vermögen und nicht regenerative Energien finanziert werden solle. Offen bleibt, ob der Umbau zu einer Dienstleistungsgesellschaft wirklich so wünschenswert ist wie Reuter unterstellt – und wer die ganzen Dienstleistungen eigentlich abnehmen soll. In jedem Fall vermittelt auch dieser Beitrag einen Vorgeschmack, welche Konflikte auf dem Weg zu einer Postwachstumsgesellschaft liegen. Offenkundig führen die gesellschaftlichen Interessengruppen unter dieser Flagge keine grundlegend neuen Diskussionen, sondern reichern nur die altbekannten Diskussionen um einige (relativ) neue Argumente an. Aber klar – hätte man etwas anderes erwarten sollen?
Es folgt einer der gescheitesten Beiträge "Konsum: Der Kern des Wachstumsmotors". (Auch wenn fraglich bleibt, ob Motoren einen Kern haben.) Die dänische Forscherin Inge Roepke versucht darin, die Systemdynamik des Wirtschaftswachstums abzubilden und dessen wesentliche Steuergrößen herauszuarbeiten. Beispielsweise macht sie deutlich, wie sehr die zu billige Energie, die wir der rücksichtslosen Ausbeutung fossiler Energieträger verdanken, die Welt verändert hat: Sie hat zu einer relativen Verteuerung von Arbeit gegenüber maschineller Produktion geführt und so Dienstleistungen gegenüber Produkten verteuert. Die Folge sind Verzerrungen wie etwa, dass sich in vielen Fällen "Reparaturen nicht mehr lohnen" – und der Müllberg wächst.
Ein spannender Gedanke ist auch die Gewöhnung an Standards, die zu einem sogenannten Lock-In-Effekt führt: Wir können und wollen nicht mehr zurück zu dem, was noch ein oder zwei Generationen vor uns für einen luxuriösen Lebensstandard gehalten hätte. Einen Faktor scheint mir Roepke indes in seiner Bedeutung zu unterschätzen, nämlich die Bedeutung von Status und Prestige als Konsumtreiber. Denn viele Güter werden nicht primär wegen ihres Gebrauchsnutzens gekauft, sondern wegen des mit ihrem Besitz verbundenen Prestigegewinns – und das macht fatalerweise sogar biologisch Sinn, denn Status beeinflusst die Lebenschancen. Abschließend überlegt Roepke, wie man "den Wachstumsmotor stoppen" könnte. Manche Vorschläge bleiben recht abstrakt ("Die Beziehungen des globalen Systems verändern"), unterschätzen den Rebound-Effekt ("Die Nutzung von Gütern ändern") oder sind hochregulativ ("Verkaufsförderung einschränken"), bei anderen scheint sie mir deren Durchschlagskraft zu unterschätzen ("Ressourcenpreise erhöhen"). Aber in jedem Fall eröffnet ihr Modell die Chance zu einer geordneteren Diskussion sowohl der Systemdynamik als auch der Ansatzpunkte für Veränderungen.
"Warum die Verteilung Gerechtigkeit, nicht aber Wachstum braucht", beansprucht Matthias Möhring-Hesse zu erläutern. Nach seiner Auffassung bestärken sich traditionell das "liberale" und das "sozialdemokratische" Lager in gesellschaftlichen Verteilungskonflikten wechselseitig in dem Dogma, dass Wachstum die Lösung ist, die eine Umverteilung ohne allzu schmerzhafte Eingriffe ermöglicht. Doch ansonsten hat sein Beitrag mit dem Thema Wachstum nicht viel zu tun. Die Titelthese bleibt unbewiesen, die Darlegungen sehr abstrakt und mit großem Sicherheitsabstand vor den Realitäten gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Es entsteht der Eindruck, dass den Autor die "Theorie der Gerechtigkeit" wesentlich mehr interessiert als die Postwachstumsgesellschaft.
Ausgesprochen verheißungsvoll beginnt der Artikel "Unternehmen ohne Wachstumszwang: Zur Ökonomie der Gemeingüter" von Gerhard Scherhorn: "Damit eine Entwicklung nachhaltig ist, müssen die naturgegebenen Gemeingüter so bewirtschaftet werden, dass eine vorerst noch wachsende Weltbevölkerung sich in den Lebens- und Produktionsbedingungen des Planeten Erde auf Dauer einrichten kann." (S. 129) Wie er darlegt, kam das Wachstum der letzten Jahrzehnte zum Großteil dadurch zustande, dass dessen ökologische und gesellschaftliche Kosten nicht ausgewiesen, sondern "externalisiert" wurden. Das heißt, der Preis für die Belastung von Böden und Atmosphäre, Vermüllung und Überfischung der Meere, für die Erwärmung des Klimas und die Plünderung der Ressourcen wurde nicht erfasst und dokumentiert, sondern stillschweigend vergesellschaftet, etwa in Form von Schadstoff- und Lärmemissionen, Artenschwund und Naturzerstörung. Die Folge ist: "Wir verzichten auf Rationierung und Ersatzinvestitionen, weil die Gemeingüter vor Substanzverzehr nicht durch hinreichend wirksame Regeln geschützt sind." (S. 131)
Doch nach dieser präzisen Analyse verläuft sich Scherhorn in einen regulatorischen Alptraum: Er schlägt vor, die Bilanzierung so umzustellen, dass nicht nur Gewinne und Wertsteigerungen als Geschäftserfolg ausgewiesen werden, sondern auch die Einkünfte der Arbeitnehmer sowie die "Werterhöhung des Natur- und Sozialkapitals" (S. 135). Ganz abgesehen davon, dass es schwierig werden dürfte, etwa den ökonomischen Wert dessen zu bestimmen, dass eine gefährdete Art durch das Handeln (oder Unterlassen) eines Unternehmens etwas weniger bedroht wird: Es ist kaum eine Idee vorstellbar, die mehr Widerstand auslösen würde als der Versuch, die weltweiten Bilanzierungsrichtlinien gegen alle ökonomischen Gepflogenheiten und kurzfristigen Interessen zu verändern. Wahrhaft eine "Professoren-Idee", zumal Scherhorn im letzten Satz dieses Abschnitts zu erkennen gibt, dass sein Ziel durch diese Umstellung nicht erreicht würde: "Da die Interessen von Kapital und Arbeit nicht von vornherein auf die Erhaltung des Natur- und Sozialkapitals gerichtet sind, muss durch sanktionsbewehrte Vorschriften gesichert sein, dass in solchen Verhandlungen die werterhaltenden Kosten respektiert werden." (S. 135f.)
Zum Glück kriegt er danach die Kurve und kommt zu einem Vorschlag, der mir sehr überzeugend, weil erstens praktikabel und zweitens wirksam erscheint: Nämlich, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb so zu ändern, dass auch die Externalisierung von ökologischen und sozialen Kosten verboten und unter Strafe gestellt wird: "Ein durch Schädigung von Gemeingütern erreichter Preis- oder Qualitätsvorsprung ist in diesem Sinne nicht weniger unlauter als z.B. Täuschung durch irreführende Werbung oder Ausnutzung von Unzufriedenheit." (S. 138) Dafür lohnte es sich in der Tat zu kämpfen, denn eine solche Regelung hätte den großen Charme, dass nicht primär staatliche Behörden das Handeln der Unternehmen überwachen würden, sondern deren Wettbewerber. Schließlich sind sie die ersten Leidtragenden, wenn sich ein Konkurrent auf unfaire Weise Wettbewerbsvorteile verschafft, und haben daher einen starken Anreiz, sich dagegen zur Wehr zu setzen.Der Artikel endet mit einer einschüchternd langen Liste von Forderungen, was noch alles vorgeschrieben oder verboten werden müsste – geeignet, allen Ängsten vor ökologischen Regelungsbürokraten reichlich Nahrung zu geben.
Handfester als viele seiner Koautoren geht Thomas Jorberg, der Vorstandssprecher der GLS-Bank, sein Thema "Finanzmärkte und Aufgabe der Banken" an – einschließlich eines geschickt eingeflochtenen Werbesports für seine Bank. Zu Recht stellt er fest, dass Geld nicht so funktioniert wie andere Güter: "In den meisten Märkten bringt ein steigendes Angebot einen sinkenden Preis mit sich. Dieser Marktmechanismus ist bei einem Überangebot von Geld regelmäßig ausgehebelt, denn Geld ist in der Lage, sich seine Nachfrage selbst zu generieren." (S. 147) Mehr Geld führt vielmehr, wie wir es ja gerade auf den Kapitalmärkten erleben, zu steigenden Preisen und erhöht so den Wachstumsdruck. Das müsste eigentlich zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Funktionsweise und Systemdynamik des Geldes führen, doch Jorberg hat Pragmatischeres im Sinne.
Bei seinen Überlegungen zu einer "Neuordnung der Finanzmärkte" macht er die meines Erachtens sehr sinnvolle Unterscheidung in Finanzprodukte, die (1) unmittelbar oder (2) mittelbar der Realwirtschaft dienen, und solchen, die (3) nicht der Realwirtschaft dienen. Vor allem letztere sind das Problem, denn sie "verursachen mittelbar kaum kalkulierbare soziale, ökologische und (…) ökonomische Schäden. Sie haben (…) die größten monetären und möglicherweise auch realwirtschaftlichen Verluste der Geschichte verursacht." (S. 150) Und sie sind, so könnte man hinzufügen, dank "Quantitative Easing" 1 - n bereits dabei, sich zu neuen Schaumgebirgen aufzutürmen. Jorberg spricht sich für eine strenge Regulierung dieser dritten Gruppe aus, die auch vor Totalverboten mancher Geschäfte nicht zurückschreckt. Seine Vorschläge sind recht konkret, und sie erfordern eine Richtungsentscheidung der Politik, die, würde sie getroffen, einen frontalen Machtkampf mit der Wall Street auslösen würde. Der, so fürchte ich, ist erst nach dem nächsten Crash zu gewinnen, wenn etliche "Big Player" untergegangen sind, weil sie sich als "too big to save" erwiesen haben – eine Entwicklung, die schneller eintreten könnte als viele glauben.
In dem Beitrag "Faire und effiziente Steuerpolitik" erweckt Lorenz Jarass den Eindruck, wirklich etwas von seinem Thema zu verstehen, aber er schafft (bzw. versucht) es kaum, es nachvollziehbar darzustellen. Zentrale Aussagen stellt er als unbewiesene Behauptung in den Raum; wer es genauer wissen möchte, möge sich in anderen Werken des Autors kundig machen. Das jedoch wird kaum ein Leser tun, zumal der Stil des Beitrags alles andere als eine anregende Lektüre erwarten lässt. Also tut man, was man bei solchen Gelegenheiten eben tut: Man lässt den Experten samt seinem Beitrag ratlos stehen und wendet sich dem nächsten Thema zu. Was einerseits fair ist, weil eine solch unkommunikative Haltung mehr Aufmerksamkeit auch nicht verdient hat, andererseits ausgesprochen schade, weil die Steuerpolitik ja eine der wirksamsten politischen Steuerungsmöglichkeiten überhaupt ist. Aber vielleicht kommt ja mal ein anderer Experte, der es uns nicht ganz so schwer macht.
Erfrischend pragmatisch kommt der Beitrag "Ressourceneffiziente Wirtschaftsentwicklung unter dem Primat ökologischer Ziele" von Bernd Meyer daher. Einen ersten Aha-Effekt vermittelte er mir bereits mit der Feststellung, dass Wirtschaftswachstum per se gar nicht das Problem ist, sondern der damit verbundene Ressourcenverbrauch. Wenn es also gelänge, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, verlöre es viel von seiner Bedrohlichkeit. Aber wie könnte solch eine Entkoppelung erreicht werden? Meyer zeigt zunächst am Beispiel CO2, dass eine emissionsorientierte Steuerung nicht die Lösung ist: "Wenn wir bestimmte Emissionen verhindern, werden nicht notwendig die Entnahmen aus der Natur reduziert, sondern es entstehen nur andere Emissionen. Die Politik hat dann möglicherweise ein Problem gelöst, aber neue Probleme geschaffen. Eine solche Politik ist nicht nachhaltig." (S. 169f.)
Die Alternative besteht, wie Meyer überzeugend darlegt, in einer deutlichen Steigerung der Ressourcenproduktivität. Dieses Thema sei bislang vernachlässigt worden, weil der Anteil der Rohstoffe an den Gesamtkosten von Produkten in der Regel relativ gering sei. Deshalb hätten sie keine großen Rationalisierungsanstrengungen auf sich gezogen. Gerade deshalb sei aber das Potenzial für Effizienzsteigerungen noch erheblich. Sie könne mit einer Kombination aus Beratung und Besteuerung (nach Volumen oder Wert) erheblich beschleunigt werden. Wie er berichtet, liefern erste Modellrechnungen ein vielversprechendes Bild, und zwar bereits auf relativ kurze Sicht, etwa in einem Zehn-Jahres-Zeitraum. Auch wenn hier noch weitere Forschungsarbeit zu leisten ist, empfinde ich diesen Ansatz als echten Lichtblick in einer teilweise blutleeren Diskussion.
Gemischte Gefühle hinterlässt der Beitrag "Staatsfinanzen und Wirtschaftswachstum" der Herausgeberinnen. Sie stellen das oft vorgetragene Argument in Frage, dass Wirtschaftswachstum die Lösung für das Problem der Staatsverschuldung sei, und sie haben damit, wenigstens was die Vergangenheit betrifft, empirisch unbezweifelbar Recht. (Was allerdings streng genommen nur beweist, dass diese Möglichkeit bislang kaum je genutzt wurde, nicht, dass sie nicht bestanden hätte.) Recht haben sie auch mit ihrer Forderung, es "sollten endlich die Kosten der Wachstumsförderung und die sozialen und ökologischen Folgekosten des Wachstums berücksichtigt werden" (S. 179). Aber die Behauptung, von dem so ersparten Geld könne man mühelos die Schulden abbezahlen, klingt mir doch allzu sehr nach Wunschdenken. Zwar zitieren Seidl und Zahrnt eindrucksvolle Zahlen – aber ersparte ökologische und soziale Schäden sind ja keine Liquidität, die man zur Rückzahlung von Schulden einsetzen könnte. Außerdem ist zu befürchten, dass genau die gleichen Gründe, die zu Wachstumszeiten einer Rückführung der Staatsschulden im Wege standen, diesen Effekt auch im Wunschszenario der Autorinnen hätten: Selbst wenn durch den Verzicht auf staatliche Wachstumsförderung Mittel frei würden, wäre noch lange nicht gewährleistet, dass sie zur Rückzahlung der Staatsschulden eingesetzt würden.
Über "Demokratie, gleichberechtigte Bürgerschaft und Partizipation" schreibt schließlich Claudia von Braunmühl – aber was schreibt sie da eigentlich? Ich kann ihre Sätze lesen, aber ich bin außerstande anzugeben, was sie bedeuten: "Eine positiv gewendete Debatte, die Phantasieräume eröffnet, in denen wir neu vermessene Lebenssphären abschreiten, im Weniger an Gütern und Geschwindigkeit ein Mehr an Ermöglichung von Selbstentfaltung erkennen und Lust auf aktives Mitgestalten gewinnen können, steckt noch in den Anfängen." (S. 190) Sie schreibt von "de-growth resp. décroissance", von "demokratischer Deliberation" und "deliberativer Demokratie", davon, dass "die demokratische Gestaltung dieses Pfades integral mitgedacht werden" müsse, wobei "aus einem reichen Fundus langjähriger demokratietheoretischer Debatten (…) Markierungen gewonnen werden" können (S. 191). Das weckt ärgerliche Erinnerungen an soziologische Seminare aus den 70-er Jahren, wo ich mich nach stundenlangen Vorträgen und Debatten fragte: "Und was habe ich nun eigentlich gelernt?" Da ich darauf keine Antwort fand, habe ich mich verabschiedet. Und so halte ich es auch hier, zumal die Autorin den Eindruck vermittelt, dass es ihr ohnehin weniger um die "Postwachstumsgesellschaft geht als darum, ihre Lieblingsideen auch an diese Debatte zu kleben.
Kurz vor Schluss noch ein Blick über den Zaun: Vier Interviews mit führenden Fachleuten aus Frankreich, Großbritannien, Österreich und den USA werfen ein Schlaglicht auf den dortigen Stand der Diskussion. (Der in den USA ziemlich trostlos ist, bei unseren europäischen Nachbarn dagegen ebenfalls im Gange.) Danach versuchen die Herausgeberinnen, "Verbindungslinien" zwischen den Beiträgen des Buchs zu ziehen und "inhaltliche Zusammenhänge zwischen den Themen" herauszuarbeiten. Sie tun das auf so "staatsmännische" Weise, dass das Buch im Rückblick weit homogener wirkt als es beim Lesen erschien – allerdings um den Preis, dass auf diese Weise nicht nur die Schwächen, sondern die Stärken eingeebnet werden. Was dabei herauskommt, ist weniger ein Gesamtbild als eine Aneinanderreihung von Themen und Aussagen. Eine Verdichtung zu übergreifenden Erkenntnissen erfolgt nicht, deshalb bringt das Resümee auch keine neuen Einsichten mehr.
Den Abschluss bildet eine "Forschungslandkarte für eine Postwachstumsgesellschaft". Sie hinterlässt den Eindruck, als würde auch hier, wie bei so vielen Themen, die Zahl der offenen Fragen mit dem vertieften Eindringen in die Materie nicht weniger, sondern mehr. Bei mir weckt diese Liste altbekannte, aber durch die jüngste Reaktorkatastrophe aktualisierte Zweifel, in welchem Ausmaß wir Menschen dazu in der Lage sind, die Zukunft im Detail vorauszudenken. Eine einzige nicht bedachte Einflussgröße ist offensichtlich dazu in der Lage, das gesamte ausgefeilte Risikomanagement einer "großtechnischen Anlage" auszuhebeln und die Verantwortlichen in das Niemandsland wilden Improvisierens zu stoßen – und sie ist vermutlich auch dazu in der Lage, Regalwände von Zukunftsszenarien gegenstandslos zu machen. Insofern hielte ich es für wichtiger, die entscheidenden Hebel für eine Veränderung ausfindig zu machen und sie zu betätigen, statt Detailarbeit an Zukunftsbildern zu machen, die so vermutlich nie Realität werden.
Einige generelle Bemerkungen zum Schluss. Erstens, viele Beiträge in diesem Buch sind ausgesprochen mühsam zu lesen, und für die, die sich diese Mühe machen, wird sie nicht immer gut entlohnt. Das liegt nicht allein daran, dass die Materie kompliziert ist – sie ist es, aber das entschuldigt nicht alles: Warum sind deutsche Texte zu solchen Themen fast ausnahmslos schwerer zu lesen als englische?! Viele der Autoren leiden offenbar unter dem "Dornröschen-Syndrom": Sie verbergen ihre Einsichten hinter einem dichten Dornengestrüpp und wollen unter Mühen und Strapazen erschlossen werden. Leider ist nicht überliefert, wie viele Dornröschen gealtert und vertrocknet sind, weil sich kein Prinz fand, dem es die Mühe wert war, sich zu ihrer durchaus ungewissen Schönheit vorzukämpfen.
Zweitens: Die meisten Beiträge halten einen enormen Sicherheitsabstand zur praktischen Umsetzung. Sie erläutern, was nach Ansicht der Autoren geschehen müsste und was getan werden sollte, verweigern aber fast durchgängig die Antwort auf die Frage, was eigentlich das Subjekt ihrer Sätze ist: Wer ist es denn, der da tun sollte, was angeblich geschehen muss, und aus welchen Gründen sollte er/sie/es es tun? Viele der Forderungen haben die logische Struktur von "Es müsste mehr regnen". Selbst wenn das in der Sache richtig ist, ist es doch eine ziemlich "körperlose" Forderung. Falls sie nicht zufällig von alleine in Erfüllung geht, ist eine Umsetzung kaum zu befürchten. Nur wenige der Autoren scheinen sich ernsthaft für die in meinen Augen entscheidende Frage interessieren, nämlich: Wo liegen die entscheidenden Hebel zur Veränderung?
Drittens: Am Ende des Buches angelangt, fühle ich mich eher entmutigt als inspiriert, was die Postwachstumsgesellschaft anbelangt. Das ist vielleicht auch mein Fehler, weil ich es mir nicht so kompliziert vorgestellt habe – und nach wie vor nicht davon überzeugt bin, dass man es so kompliziert machen muss. Aber statt eines Aufbruchs in eine Richtung, über die man sich wenigstens im Groben einig ist, finde ich hier eine Professorendebatte vor – oder, fast noch schlimmer, eine Ansammlung von isolierten Statements, die durch das Thema des Buches nur lose verbunden sind, kaum je Bezug aufeinander nehmen und durch die Herausgeberinnen nur mühsam zusammengehalten werden. Am Ende neige ich dazu, die meisten dieser Dam- und Herrschaften einfach stehen zu lassen und mit denen, die wirklich etwas verändern wollen, alleine loszumarschieren. Einige wenige aus dem Kreis dieser Vor- und Nachdenker würden vielleicht sogar mitgehen und etwas Brauchbares beitragen.
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