"Wien wartet auf Dich" – ein kryptischer Titel, und der Untertitel wirft das nächste Rätsel auf, was die österreischische Hauptstadt mit dem "Faktor Mensch im DV-Management" zu tun hat. Trotzdem ein lohnendes Buch - englischer Titel: "Peopleware".
Irgendwann im dritten Kapitel stellt sich dann heraus, dass der Titel als die deutsche Übersetzung einer Songzeile von Billy Joel ist, die zu allem Überfluss mit dem Thema nur lose zu tun hat – weiß der Teufel, was den Verlag bei dieser Titelwahl geritten hat. Dabei war der amerikanische Originaltitel "Peopleware – Productive Projects and Teams" von großer Prägnanz und Aussagekraft – und ließ auch erkennen, dass es nicht um DV-Management geht, sondern um Softwareentwicklung und Projekt-Management. So schützt man ein Buch vor seiner Zielgruppe – was im konkreten Fall durchaus zu bedauern ist.
Zentrales Thema des Buches ist, dass die Mitarbeiter in der Softwareentwicklung auf eine grundlegend andere Weise geführt werden müssen als Produktionsmitarbeiter, weil es sich um eine grundlegend andere Tätigkeit handelt. Gleich im ersten Satz des ersten Teils geißeln DeMarco und Lister den Management-Fehler, "Menschen so zu führen, als hätten wir es mit austauschbaren Bausteinen zu tun." (S. 1) Bei Routineprozessen wie der Massenproduktion gehe es darum, sie zu standardisieren und zu optimieren, um damit Kosten zu senken und Fehlerquellen auszumerzen. Doch "um kreative, geistig arbeitende Mitarbeiter effektiv anzuleiten, müssen Sie Maßnahmen ergreifen, die fast diametral den oben genannten gegenüberstehen" (S. 8) – beispielsweise zu einem iterativen Lernen aus Fehlern ermuntern, individuelle Besonderheiten akzeptieren, nicht nur die Einzelleistung, sondern auch den Teambeitrag von Mitarbeitern wahrnehmen, trotz allen Zeitdrucks Freiräume für Kreativität, zum Ausprobieren, zur Weiterbildung und zum Nachdenken lassen.
Einem auf den ersten Blick banalen, aber auf den zweiten durchaus brisanten Thema wenden sich DeMarco in Lister im zweiten Teil (Kapitel 7 – 13) zu: "Die Büroumgebung". Ihre Kernaussage ist, dass hier oft am falschen Platz gespart wird, mit der Folge, dass es in vielen Büros kaum möglich ist, während der normalen Geschäftszeiten konzentriert zu arbeiten. Treffend und im Grunde schockierend formulieren sie in der Einführung: "Es gibt Tausende von Möglichkeiten, einen Arbeitstag zu verlieren, aber keine einzige, um einen Tag zurückzubekommen." (S. 40)
In der Tat wird in vielen Firmen die Produktivität (und damit auch die Motivation!) geistig arbeitender Menschen dadurch verstümmelt, dass man sie durch "effiziente Flächennutzung", hohe Geräuschpegel und unzählige Störungen immer wieder in ihrer Arbeit unterbricht und sie aus jeder entstehenden Konzentration sofort wieder herausreißt. DeMarco und Lister berichten über eigene Untersuchungen, wonach es in der Softwareentwicklung einen engen Zusammenhang zwischen der Möglichkeit, ungestört zu arbeiten, und der Arbeitsqualität gibt – eigentlich nahe liegend, aber angesichts von Großraumbüros und beengten Viererzimmern vielleicht doch erwähnenswert. Sie tadeln Manager für ihre Gleichgültigkeit gegenüber der auf Standardisierung versessenen "Möbelpolizei" und ihren mangelnden Mut, förderliche Arbeitsbedingungen für ihre Teams durchzusetzen.
Um "Die richtigen Personen" geht es im dritten Teil (Kap. 14 – 17); er propagiert "einen Ansatz, der auf folgender Erfolgsformel beruht: Gute Leute einstellen / diese glücklich machen, damit sie bleiben / sie möglichst frei arbeiten lassen" (S. 103). Was zunächst nach Verwöhnung klingt, entpuppt sich als bemerkenswert "unamerikanische" Einsicht, dass eine hohe Fluktuation eine Produktivitätsbremse und damit ein Kostentreiber erster Ordnung ist. Sie stellen fest: "Die besten Organisation bemühen sich ständig, die Besten zu sein. Das ist ein gemeinsames Ziel, das allen eine gemeinsame Stoßrichtung vorgibt, gemeinsame Zufriedenheit vermittelt und eine starke Bindung an die Firma zur Folge hat. In solchen Unternehmen entsteht ein Gefühl der Stabilität und Dauerhaftigkeit, ein Gefühl, dass man dumm wäre, wenn man sich woanders umsehen würde." (S. 124) Nur in solch einem Umfeld lohnt es sich, in Weiterbildung zu investieren – dort, wo die Hälfte der Mitarbeiter nach ein oder zwei Jahren weg ist, rechnet sich Qualifizierung nicht.
"Produktive Teams formen" ist der vierte Teil (Kap. 18 – 23) überschrieben – aber in Kapitel 20 gestehen DeMarco und Lister ein: "Man kann Teams nicht einschwören. Man kann hoffen, dass eine Gruppe zu einem eingeschworenen Team zusammenwächst; man kann die Daumen drücken; man kann die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert, vergrößern; aber man kann es nicht herbeiführen. Der ganze Prozess ist zu gebrechlich, als dass man ihn kontrollieren könnte." (S. 147) Umso wichtiger, dass die verantwortlichen Manager zumindest jede Art von "Teammord" unterlassen, also alle Maßnahmen, "die todsicher die Teambildung verhindern und die Projektsoziologie stören." (S. 148) [Nicht zufällig machen die Zitate immer wieder Schwächen von Übersetzung und Lektorat deutlich – so hätte es sich gelohnt, über den Unterschied zwischen "gebrechlich" und "zerbrechlich" nachzudenken.]
Als Teammord charakterisieren De Marco und Lister unter anderem Bürokratie, defensives Management (d.h. ständiges Hineinregieren in die Teams aus Angst vor Fehlern), Qualitätsreduktion der Produkte und sinnlose Terminvorgaben. Umgekehrt formulieren sie in Kapitel 23 einige "Zutaten zur Teambildung", nämlich "Qualität als Kult" (S. 167), Anerkennung ("Ich habe ihr doch bei der Hochzeit gesagt, dass ich sie liebe"), das Pflegen eines Elitegefühls, Heterogenität, Kontinuität und eine lange Leine. Die Frage, wie man ein teamförderndes Klima gestalten kann, setzt sich im fünften Teil fort: "Die Arbeit soll Spaß machen."
Der sechste Teil "Wien wartet noch immer" ist neueren Datums: Er entstand anlässlich der Neuauflage im Jahr 1999 anstelle einer tief greifenden Überarbeitung des gesamten Buchs. Was die Autoren so kommentieren: "Die ersten fünf Teile wurden von zwei aufstrebenden jungen Beratern geschrieben, die die meiste Zeit in Softwareprojekten arbeiteten; Teil VI wurde von zwei in Ehren ergrauten und weise gewordenen Beratern geschrieben, die nun die meiste Zeit auf dem Niveau ganzer Firmen und Organisationen arbeiten. (...) Teil VI befasst sich (daher) mit der Struktur ganzer Organisationen, was natürlich auch Entwicklungsarbeiten einschließt." (S. 195)
Die neuen Kapitel 27 – 34 zeigen, wie sehr sich das Denken der beiden Autoren in den 12 Jahren seit der Ersterscheinung weiterentwickelt hat - etwa zum Thema Prozessverbesserungsprogramme, wo sie allen Effizienzfetischisten ins Stammbuch schreiben: "Es geht (bei Entwicklungsprojekten) um den Nutzen, nicht um die Produktivität" (S. 210). Wie weit sich die einstmaligen Softwareleute von technokratischem Denken gelöst haben, sieht man auch daran, dass sie ausführlich einen Gedanken der Familientherapeutin Virginia Satir referieren, wonach Veränderungen niemals auf dem direkten Weg von Ist nach Soll verlaufen. Vielmehr lösen sie immer erst einmal eine Phase des Chaos aus; erst durch diese Auseinandersetzung wird die "Umformungsidee" in die Praxis integriert und wird so zum neuen Status Quo. Über die viel beschworene "lernende Organisation" schreiben sie den bemerkenswerten Satz: "Eine Organisation kann nur in dem Maß lernen, wie sie in der Lage ist, gute Mitarbeiter zu halten." (S. 223)
Trotz vieler positiver Aspekte fällt meine Begeisterung für dieses Buch gedämpfter aus als bei DeMarcos späteren Werken "Der Termin" und "Spielräume". Weshalb? Auch dieser Text ist angenehm zu lesen, in 34 S-Bahn-freundliche Kapitel gegliedert, und schon für dieses Erstlingswerk gilt, was ich an DeMarcos Buch "Spielräume" so gelobt habe: "Unbeeindruckt von allen Managementtrends, Moden und Mythen und in bemerkenswerter Unabhängigkeit von zur Selbstverständlichkeit erstarrten Glaubenssätzen analysiert Tom DeMarco, was (...) der Effizienzwahn und seine Nebenwirkungen bereits heute an Unheil angerichtet haben."
Woran liegt es dann, dass mich das Buch dennoch nicht in gleicher Weise anspricht wie seine beiden späteren Werke? Drei Gründe sind es vor allem, die den kleinen Rückstand ausmachen: Erstens gelingt es DeMarco und Lister nicht immer, die von ihnen aufgespießten kritischen Themen zu überzeugenden Schlussfolgerungen zu führen. Zweitens stehen die Themen zum Teil etwas zufällig nebeneinander; zuweilen verlieren sich die Autoren auch auf Nebenschauplätzen. Drittens und vor allem ist bietet es (noch) nicht jene Durchdringungstiefe, die insbesondere DeMarcos "Spielräume" vor diesem durchaus lesens- und bemerkenswerten Werk abhebt.
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