Eine wunderschöne und zugleich traurige Sammlung von Schwarz-Weiß-Fotographien einer großartigen Wildflusslandschaft, die der Stromerzeugung geopfert wurde: Eine wertvolle Erinnerung daran, dass der Lech einmal ein lebendiger, wilder Alpenfluss war.
Das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit ging mit einem gewaltigen Energiehunger einher. Und da sich schon damals niemand dafür interessierte, wo der Strom herkam, fand in diesen Jahren ein gewaltiger Raubbau an unseren Flüssen statt, vor allem an denen, die mit viel Gefälle – und damit viel kinetischer Energie – aus den Alpen kommen. Keinen deutschen Fluss hat es dabei härter erwischt als den Lech. 26 Kraftwerke waren allein an den 135 Flusskilometern zwischen Roßhaupten und Rain am Lech vorgesehen: alle 5 Kilometer ein Kraftwerk. 21 davon wurden gebaut, ohne Rücksicht auf bestehende Naturschutzgebiete und gegen den erbitterten Widerstand von Naturschützern. Aus dem einstmals wilden Alpenfluss ist so eine lange, langweilige und ökologisch minderwertige Kette von Stauseen geworden, die nur noch in der eindrucksvollen Litzauer Schleife bei Schongau und bei Augsburg von einigen Kilometern Fließsstrecke unterbrochen sind.
Der promovierte Augsburger Biologe Heinz Fischer (1911 - 1991) muss ein großer Kenner und Liebhaber des wilden, ungebändigten Lechs gewesen sein, jedenfalls hat er eine umfangreiche Sammlung großformatiger (6 x 6) und großartiger Schwarz-Weiß-Fotographien hinterlassen, die sich heute im Besitz des Naturmuseums Königsbrunn befinden. Offenbar hat er viele dieser sorgfältig datierten und dokumentierten Aufnahmen buchstäblich im letzten Moment gemacht: Im Angesicht der bevorstehenden Zerstörung der jeweiligen Flussabschnitte. Vermutlich wollte er der Nachwelt auf diese Weise wenigstens eine Erinnerung daran erhalten, was sie für immer verloren hat.
Und so ist dieser Bildband, von dem renommierten Lechkenner Dr. Eberhard Pfeuffer überaus sorgfältig und einfühlsam editiert, zugleich eine große Freude und ein großer Schmerz: Eine Freude darüber, obwohl zu spät geboren, noch einmal einige Eindrücke davon zu bekommen, wie dieser große, wilde Alpenfluss vor seiner gewaltsamen Domestizierung ausgesehen hat; ein Schmerz, weil man diese Aufnahmen betrachtet im traurigen Bewusstsein, dass all das unwiederbringlich verloren ist und dass weder die berückende Schönheit dieser Flusslandschaften noch ihre biologische Vielfalt jemals wieder restauriert werden können.
Die Dokumentation der alten Fotografien folgt zunächst dem Flusslauf: Sie beginnt mit dem "Lech in den Alpen" und reicht bis zu "Der Lech und die Wildflussaue vor Augsburg". In diesem Kapitel dokumentiert der Band auch einige Fotografien des alten Lechs kurz vor Augsburg, die Heinz Fischer selbst nur als Kind unverbaut erlebt hat. Diese Aufnahmen datieren um 1915 und stammen von Fischers Vater Anton. Überaus eindrucksvoll sind Heinz Fischers Aufnahmen der berühmten Illasschlucht. Das war einmal ein Naturschutzgebiet, dessen rücksichtslose Zerstörung durch den Kraftwerksbau schon der erste oberste bayerische Naturschützer Prof. Dr. Otto Kraus in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts beklagt hat.
Den Abschluss bilden ein Kapitel "Der Wildfluss" mit geradezu künstlerischen Aufnahmen sowie ein Kapitel über "die Brutvögel auf den Lechkiesbänken", das auf einem gleichnamigen Artikel von Anton Fischer von 1926 aufbaut und mit dem traurigen Zitat endet: "Da Anfang dieses Jahres auch an dieser Stelle mit den Korrektionsarbeiten begonnen wurde, ist den Lechbrütern ihr letztes Asyl genommen, die einst so reiche und einzigartige Lechvogelfauna vernichtet. Einzelne Paare mögen dieses Frühjahr wiederkommen und nochmals Brutversuche wagen, aber die Zeit, in der es eine für die Lechkiesbänke charakteristische Vogelfauna gab, ist vorbei – für immer." (S. 153)
Unausgesprochen ist dieser einzigartige Bildband denn auch eine bittere Anklage gegen den maßlosen Energiehunger unserer Gesellschaft: Um Einkaufszentren und andere Kathedralen dauerzubeleuchten, um Straßencafés zu beheizen und Shopping Center zu klimatisieren, um Erdbeeren und Spargel schon vor der Saison kaufen zu können, zerstören wir Ökosysteme. Mit unseren schönsten Landschaften bezahlen wir den Preis für unsere Unwilligkeit, konsequent auf Energieeffizienz zu achten, den Preis dafür, dass bei uns Energie so billig ist, dass es sich nach wie vor lohnt, jeden Mist zu elektrifizieren. "There is no free lunch", sagen die Amerikaner. Wie dieser Bildband dokumentiert, haben wir leider weite Teile unserer Heimat verfrühstückt.
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