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Alfred Adler – mit etwas wenig Distanz aus der Nähe porträtiert

Bottome, Phyllis (1939):

Alfred Adler – Aus der Nähe porträtiert



VTA – Verlag für Tiefenpsychologie und Anthropologie (Berlin) 2013 (nach der 3. Aufl. 1957); 337 Seiten; 34,80 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 30.06.2013

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Eine zeitgenössische Biographie des Begründers der Individualpsychologie Alfred Adler, aus der Feder einer Schriftstellerin, die ihn in seinen letzten Jahren aus der Nähe erlebt hat – sehr authentisch, aber mit etwas wenig Distanz.

Warum – oder, individualpsychologisch gefragt, wozu, zu welchem Zweck – liest man eigentlich Biographien? Und wozu gar die von Wissenschaftlern, Forschern, Denkern? Sensationslust kann kaum das Motiv sein, denn solch ein spektakuläres Leben haben wohl die wenigsten geführt. Schon eher offenbart unser Interesse an Biographien, wie sehr wir Menschen soziale Wesen sind: Wenn uns jemand wichtige Gedanken hinterlassen und uns damit berührt und bewegt hat, wollen wir auch wissen, was für ein Mensch er war, wie er gelebt hat und wie er auf seine Ideen gekommen ist. Eigentlich seltsam: Zum Verständnis der Relativitätstheorie trägt es nicht das Geringste bei, zu wissen – oder zu wissen zu glauben –, was für ein Mensch Albert Einstein war. Und trotzdem interessiert es uns: Eigentlich völlig unerheblich, weil es nicht das Geringste zum Verständnis oder der Überprüfung seiner Theorien beiträgt, aber dennoch von eigentümlicher Faszination. Alfred Adler, den Begründer der Individualpsychologie, hätte das kaum überrascht: Weit mehr als alle Psychologen vor ihm und nach ihm hat er den alten Gedanken, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, zum Dreh- und Angelpunkt seines Werks gemacht.

Bei Philosophen und Psychologen kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Da wollen wir auch wissen, wie ihr eigenes Leben mit ihren Theorien übereinstimmt und wie sie selbst ihre Lehren umgesetzt haben. Auch das ist erkenntnistheoretisch eigentlich ohne Belang: Eine Theorie kann falsch sein, obwohl ihr Urheber sie perfekt verkörpert und vielleicht sogar eindrucksvolle Erfolge mit ihr – oder trotz ihr – erzielt hat, und sie kann richtig sein, obwohl ihr Schöpfer sie nicht wirklich in der Praxis umgesetzt hat und vielleicht sogar in grotesker Weise gegen seine eigenen Lehren verstieß. Doch als soziale Wesen "fühlen" wir so nicht: Wenn ein Denker in perfekter Übereinstimmung mit seinen Lehren lebt, gibt das nicht nur ihm, sondern auch seiner Lehre in unserer Wahrnehmung hohe Glaubwürdigkeit; umgekehrt unterminiert nichts so sehr die Glaubwürdigkeit wie der Nachweis – oder die Behauptung –, dass ein Lehrer selbst nicht in Übereinstimmung mit seinen Lehren gelebt habe.

Um ein authentisches Bild von dem Menschen Alfred Adler (1870 – 1937) zu bekommen, ist es ein Glücksfall, dass über den Begründer der Individualpsychologie eine zeitgenössische Biographie vorliegt, die durchaus zu Recht für sich in Anspruch nimmt, ihn "aus der Nähe" zu porträtieren. Phyllis Bottome (1882 – 1963) war eine englische Schriftstellerin; sie lernte Adler und seine Lehren über ihren Mann Ernan Forbes Dennis wohl um 1930 kennen; die beiden besuchten ihn in Wien und halfen, sein überaus produktives Exil in England und den USA zu organisieren. Adler selbst wünschte, wie sie im Vorwort zur Erstausgabe 1939 schreibt, "dass ich die Geschichte seines Lebens zusammen mit ihm schreibe. Nach seinem Tod bekräftigte seine Familie diese seine Absicht und unterstützte mich in großzügigster Weise." (S. 3)

Wie die Kapitel über Adlers frühe Lebensjahre und seinen Werdegang erkennen lassen, hat Adler in Vorbereitung der Biographie viel mit Bottome über seine Erinnerungen und seine Sicht auf die Welt gesprochen. Sowohl in seinen letzten Lebensjahren als auch nach seinem Tod, wo sie bis zum deutschen Einmarsch in Wien lebte, führte Bottome viele Gespräche mit seiner Familie und seinem Freundes- und Bekanntenkreis.  Daraus ist eine Biographie entstanden, die sehr authentisch wirkt, aber Distanz vermissen lässt und phasenweise von einer geradezu glorifizierenden Bewunderung geprägt ist. Der Originaltitel bringt dies geradezu beispielhaft zum Ausdruck: "Alfred Adler – Apostle of Freedom". Diese Glorifizierung wirkt nicht liebedienerisch, sondern scheint Bottomes tiefstes Empfinden zu spiegeln und ist wohl auch noch vom Schmerz über den plötzlichen Tod des verehrten Freundes geprägt. Sie wirkt deshalb nicht peinlich, legt aber doch die Vermutung nahe, kein objektives, sondern ein tendenziöses Bild gezeichnet zu bekommen.

Das Buch folgt Adlers Lebensweg von seiner Kindheit und, wie es sich für Individualpsychologen gehört, seinen frühesten Erinnerungen über die Jugendjahre und den Berufseinstieg über sein Wirken als Praktiker und Theoretiker bis hin zu seinem plötzlichen Tod. Sehr kurz kommen dabei die Jahre der Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Sigmund Freud – mag sein, dass Adler sich an diese unschön zu Ende gegangene Lebensphase nicht gerne erinnerte und seiner Biographin deshalb nicht so viel darüber erzählt hat. Glücklicherweise ist diese Phase in Bernhard Handlbauers Buch "Die-Freud-Adler-Kontroverse" sehr umfassend und aussagekräftig dokumentiert (siehe Rezension). Äußerst plastisch wird Adler dagegen als "soziales Wesen": Als ein ausgesprochen geselliger Mensch, der nicht im Mittelpunkt stehen musste, aber die Fähigkeit besaß, zu den unterschiedlichsten Menschen, Gesunden wie Kranken, einfachen wie hochgebildeten, Kindern wie Erwachsenen, sehr rasch eine vertrauensvolle Beziehung auf der Basis von Respekt und Gleichwertigkeit aufzubauen; ein glänzender Redner, der Welt- und Menschenbilder zu verändern vermochte, aber nur ein widerwilliger Schreiber: Jammerschade, dass es von ihm keine YouTube-Videos gibt.

Die Biographie liest sich gut und unterhaltsam, auch wenn sie vom sprachlichen Ausdruck her für eine renommierte Schriftstellerin zuweilen etwas pauschal und stereotypenhaft wirkt. Das kann nicht nur an der Übersetzung liegen; mehr als einmal hätte ich mir gewünscht, dass persönliche Erlebnisse und Eindrücke mit etwas mehr Genauigkeit der Beobachtung und Präzision im Detail geschildert werden. Trotzdem legt man das Buch mit einem umfassenderen, detailreicheren Bild von Alfred Adler aus der Hand. Obwohl dessen Werk heute selbst vielen Psychologen nicht mehr bekannt ist, hat er unser psychologisches Denken weit mehr geprägt als sein, wenigstens was den Namen betrifft, sehr viel präsenterer und prominenterer Zeitgenosse und Konkurrent Sigmund Freud. Das scheint die alte Anekdote zu bestätigen, nach der Adler einmal einen Freund fragte: "Was wird bleiben von meinem Werk?" Der Freund soll darauf geantwortet haben: "Alles, aber nicht unter deinem Namen." Bottomes Biographie macht Lust darauf, sich mit dem Werk Alfred Adlers wieder einmal in Originaltexten zu befassen. Und das ist, bei aller Kritik, das Maximale, was eine Biographie überhaupt erreichen kann.

Schlagworte:
Alfred Adler, Biographie, Individualpsychologie

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