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Unsere Zivilisation – unweigerlich dem Untergang geweiht

Ophuls, William (2012):

Immoderate Greatness

Why Civilizations Fail

CreateSpace (North Charleston SC); 106 Seiten; 12,31 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 03.08.2013

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Kurz, aber wuchtig: Auf 75 Seiten macht der Ex-Diplomat William Ophuls klar, dass er den Untergang unserer Zivilisation für ebenso unausweichlich hält wie den anderer Hochkulturen vor uns. So leicht von der Hand zu weisen sind seine Argumente nicht.

Der Titel lässt schon die Blickrichtung erkennen: "Immoderate Greatness" – maßlose Größe, oder auch nicht moderierte, nicht "gemäßigte" Größe. Das Problem mit dem Größen- und Komplexitätswachstum von Zivilisationen ist, so Ophuls, dass es einen abnehmenden Grenznutzen hat: Am Anfang geht es mit großem Nutzen einher, doch der Zusatznutzen weiteren Wachstums geht kontinuierlich zurück und verkehrt sich schließlich in sein Gegenteil. Die Kosten, die geschaffenen Strukturen aufrechtzuerhalten, steigen immer mehr zehren die überreife Zivilisation aus, bis sie schließlich entweder implodiert oder, wie die Inkas und Mayas, zur leichten Beute für Agressoren wird.

Wie unerbittlich Ophuls in seinem Impetus ist, machen schon die ersten Sätze des Vorworts klar: "This book weaves together many strands of thought to explain why civilizations decline and fall. None of the strands in this short, synoptic overview is original. However, my synthesis of biophysical, moral, and practical factors is, I believe, original and points toward a conclusion that most will find both novel and unpalatable: civilization is effectively hardwired for self-destruction."

Um diese These zu untermauern, arbeitet Ophuls sechs zentrale Faktoren heraus, die Zivilisationen unvermeidlich ins Verderben führen, und erläutert sie mit, wie er es selbst nennt, eklektischen Beispielen. Vier davon fallen nach seiner Einteilung unter "Biophysical Limits", zwei unter "Human Error". Die erste biophysikalische Begrenzung ist – wenig überraschend, aber dennoch unabweisbar – "Ecological Exhaustion", also die Erschöpfung der Tragfähigkeit der Erde. Sie kommt nach Ophuls' Analyse vor allem deshalb zustande, weil "ecological costs are not reflected in economic transactions" (S. 11).

Der zweite kritische Faktor ist "Exponential Growth". Hier zitiert Ophuls einleitend Albert Bartlett: "The greatest shortcoming of the human race is our inability to understand the exponential function." (S. 13) Wer die eindrucksvollen Vortragsreihe von Bartlett aus dem Internet kennt, entdeckt hier viele von Bartletts Gedanken und Beispielen wieder, ohne dass immer ihre Quelle genannt wird. Ähnlich wie Bartlett lässt aber auch Ophuls unerwähnt, dass reine Exponentialfunktionen in der Realität kaum vorkommen: Die vielzitierten Seerosen bedecken eben doch nicht am letzten Tag die gesamte Teichfläche; ihre tägliche Verdoppelung ist nur eine mathematische Näherung, die für die Phase des stärksten Wachstums gilt, aber weder für den letzten Tag noch für die Tage danach. In den meisten Fällen ändert das allerdings nicht viel an dem Ergebnis.

"Bescheunigte Entropie" nennt Ophuls den dritten Engpass, gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Zivilisation trägt unvermeidlich dazu bei, hohe in niedrige Enegiedichte zu verwandeln, also etwa Erdöl in warme Luft. Dabei geht zwar keine Energie verloren, aber sie wird für praktische Zwecke unbrauchbar. Das Gleiche gilt für viele Rohstoffe, die zwar nicht verschwinden, aber durch Abgase in die Landschaft geweht oder mit dem Abwasser ins Meer gespült werden. Auch wenn der "Wärmetod" der Erde noch unendlich weit in der Zukunft liegt, entstehen daraus bereits heute Engpässe, die sich in kommenden Jahrzehnten zuspitzen werden: Bei der Energiegewinnung ist die gewonnene Nettoenergie, der "Energy Return on Energy Investment" (EROEI) bereits heute stark rückläufig, und auch bei der Förderung vieler Rohstoffe muss ungleich mehr Masse bewegt und entsprechend mehr Energie aufgewendet werden als noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten.

Das vierte biophysikalische Limit ist "Exzessive Complexity": Unsere Gesellschaft, aber auch unsere Technik hat nicht zuletzt durch die weltweite Vernetzung eine Komplexität erreicht, die nicht mehr beherrschbar ist, aber dennoch eigendynamisch zunimmt. Der Grenznutzen immer weiter steigender Komplexität ist marginal, ihre Gefahren jedoch unermesslich, weil alles mit allem zusammenhängt und deshalb jede Katastrophe in einem Teilsystem alles andere mitreißen kann: "The very fact that complex systems have key links and nodes connected by multiple feedback loops means that they are vulnerable to a cascade of failure." (S. 39) Ein Beispiel, das Ophuls nicht nennt, sind die Finanzmärkte, wo es kaum noch unkorrelierte Assetklassen gibt: Während beispielsweise die Aktienmärkte verschiedener Weltregionen früher nur mäßig korreliert waren, schwingen sie heute fast synchron – mit der Folge, dass es kaum noch die Möglichkeit zur Risikostreuung durch Diversifizierung gibt. Was so viel heißt wie, dass das systemische Risiko dramatisch gestiegen ist.

Der zweite Teil "Human Error" umfasst die Kapitel "Moral Decay" und "Practical Failure". Nach Auffassung vieler Kulturpessimisten durchlaufen Zivilisationen mit hoher Regelmäßigkeit drei Phasen: Einem "Age of the Pioneers", das von Idealismus, hohen Werten und starkem Zusammenhalt geprägt ist, folgt ein "Age of Commerce", das vor allem im Zeichen von Wohlstand, materiellem Konsum und Werteverfall steht und schließlich in ein "Age of Decadence" übergeht, in dem die Zivilisation verweichlicht und zerfällt. Ophuls spricht hier von "moral entropy: The original vigor and virtue of a civilization is morality in a highly concentrated form. As such, it has only one direction to travel: toward a less concentrated state." (S. 51)

Falls diese quasi naturgesetzliche Schicksalhaftigkeit noch nicht reicht, um eine Zivilisation zugrundezurichten, hat Ophuls noch "Practical Failure" zu bieten, das heißt, "a structural incapability to respond to altered circumstances." (S. 56) Bevor man über so viel Pessimismus spottet, könnte man noch schnell an die Unfähigkeit oder Unwilligkeit unserer Politik denken, beispielsweise die Finanzkrise zu bewältigen, geschweige denn, vorausschauend auf den Klimawandel oder das sich abzeichnende Zur-Neige-Gehen der fossilen Brennstoffe zu antworten. Es ist in der Tat zu befürchten, dass dahinter nicht nur intellektuelle Überforderung angesichts "exzessiver Komplexität" steht, sondern, noch schlimmer, ein Anreizsystem, das es für die Akteure aus ihrer subjektiven Sicht weitaus sinnvoller macht, Probleme mit oberflächlichen Ad-hoc-Lösungen zu verschleppen, statt grundlegende – und damit schmerzhafte – Reformen einzuleite: "Not surprisingly, fundamental reform is undertaken only as a last resort, when conditions are already so dire that there is nothing left to lose." (S. 64)

Es kann kaum überraschen, dass Ophuls nach dieser Analyse keinen positiven Ausblick zu bieten hat: "Reducing the process to its essence, a civilization declines when it has exhausted its physical and moral capital." (S. 65) Aber noch schlimmer: "All these societies are now interconnected in a vast and complex world system far beyond anyones's ken or control." (S. 66) Mit anderen Worten, während der Zusammenbruch von Zivilisationen bislang in der Menschheitsgeschichte ein lokales oder regionales Drama war, während das Leben anderswo weiterging und neue Kulturen entstanden, haben wir nach seiner Auffassung wenigstens in einer Hinsicht eine neue Qualität erreicht: "Now that a highly interdependent, global, industrial civilization extends its monopoly to the ends of the earth, there are no others to pick up the baton, nor any barbarian reservoirs to replenish its élan. 'Collapse, if and when it comes again, will this time be gobal' says Tainter." (S. 66)

Das ist harter Tobak, in der Tat. Man kann sich über so viel Kulturpessimismus lustig machen, oder man kann Ophuls' Argumentation als "fundamental negatives Denken" diskreditieren. Aber das sind Taktiken der Verleugnung, die nicht die Lage verbessern, sondern allenfalls die Befindlichkeit. Auch wenn seine Argumentation zuweilen etwas kursorisch und ungenau ist, ist es schwer, sie überzeugend zu entkräften. Zumal die Widerlegung einzelner Argumente das Gesamtbild gar nicht ändern würde: Wie er durchaus zu Recht schreibt, sind "decline and fall (…) 'overdetermined'." (S. 65)

Einem kurz gefassten Buch kann man natürlich immer den Vorwurf machen, dass es die Zusammenhänge verkürzt darstellt und viele wichtige Aspekte außer Acht lässt – genau wie man einem dicken Wälzer den Vorwurf machen kann, dass es die Leser mit Fakten erschlägt. Beides ist billig. Seien wir dem Autor dankbar, dass er seine unerfreulichen Thesen klar, knapp und zugespitzt auf den Punkt bringt, sodass wir sie gut erfassen und uns mit ihnen auseinandersetzen können. Vielleicht reichen unser Mut und unsere Kraft trotzdem noch, einige Apfelbäumchen zu pflanzen.

Schlagworte:
Zivilisation, Untergang, Ökologie, Komplexität, Exponentielles Wachstum, Kulturpessimismus

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