Einer der dramatischsten Wendepunkte der Menschheitsgeschichte liegt vor uns: Die billige Energie, auf der unsere Gesellschaft gebaut ist, geht unwiderruflich zu Ende, und unser Schicksal hängt davon ab, wie wir diesen Übergang aktiv gestalten.
Auf dem Titelbild hält sich jemand einen Zapfhahn an den Kopf, als ob er sich die Kugel geben wollte. Doch anders als es dieses reißerische Bild und auch der Titel selbst vermuten lassen, handelt es sich bei "The Party's Over" nicht um ein eine Katastrophenbeschwörung, sondern um ein zutiefst seriöses, sachliches, unaufgeregtes Buch. Mit großer Akribie und wissenschaftlicher Sorgfalt analysiert Richard Heinberg darin die globale Energiesituation. Nicht die Art seiner Darstellung, sondern seine Befunde und Analysen sind es, die unsere Lage äußerst beunruhigend erscheinen lassen: Unsere gesamte Lebensweise, unsere Wirtschafts-, Gesellschafts- und Siedelungsstruktur, unsere privaten Lebensgewohnheiten einschließlich des uns zur Selbstverständlichkeit gewordenen Komfortniveaus sind in viel größerem Umfang, als uns das bewusst ist, auf die Verfügbarkeit billiger Energie angewiesen.
Kaum mehr als 200 Jahre ist es her, dass die Menschheit gelernt hat, sich nicht nur aus Holz und Wasserkraft mit Energie zu versorgen, sondern auch aus Kohle. Die Kohle wurde alsbald in den Schatten gestellt durch das Erdöl und später durch das – zunächst als nutzlos abgefackelte – Erdgas. Das Problem ist nur, dass diese fossilen Energieträger, wie alle irdischen Ressourcen, begrenzt sind. Und dass wir ihren Höhepunkt ("Peak Oil" / "Peak Gas") bereits erreicht und vermutlich schon überschritten haben.
Nicht so schlimm, könnte man glauben, wenn wir schon die Hälfte verbraucht haben, bleibt uns ja noch die zweite Hälfte. Das Problem ist nur, dass sich die verbliebenen fossilen Energievorräte nicht so mühelos aus dem Boden holen lassen wie die bisherigen: Da man zunächst die einfach erschließbaren Reserven ausgebeutet hat, stand der Menschheit 200 Jahre lang billige Energie im Überfluss zu Verfügung. Doch mittlerweile wird es zunehmend schwieriger, der Erde ihre verbliebenen Schätze zu entreißen. Und das heißt vor allem: Es wird teurer. Tiefseebohrungen und Hydraulic Fracturing ("Fracking") sind um ein Vielfaches aufwendiger und riskanter als das Anstechen eines großen Ölfelds in Saudi-Arabien (oder weiland in Texas).
Das ist nicht nur eine Frage des Preises, sondern auch und vor allem eine der Energieausbeute: Wie viel Energie muss man investieren, um eine bestimmte Menge an Energie zu gewinnen? Die sogenannte Netto-Energie (EROEI = Energy Return on Energy Invested) sinkt seit Jahren, und das zur Lösung aller Energieprobleme hochgejubelte Fracking macht dabei keine Ausnahme: Lag das Verhältnis bei den großen, oberflächennahen Ölfeldern noch bei oberhalb von 1:100, so liegt sie heute bei zwischen 20:1 und 10:1, bei weiter sinkender Tendenz. Die Dramatik, die in dieser Erkenntnis liegt, erschließt sich nicht auf Anhieb – es bedeutet, dass zwar noch genauso viel Öl und Gas unter der Erde liegen wie wir bereits verbraucht haben, dass dessen Nutzwert aber nur noch ein Bruchteil – vielleicht noch ein Zehntel – der bereits verbrauchten Energie ist.
Praktisch läuft das auf eine Vollbremsung aus voller Fahrt hinaus: Nicht ein sanftes Ausgleiten, sondern eine zunehmend ruppige Verlangsamung, die abrupt dann endet, wenn der Energieaufwand für die Bereitstellung sich dem erzielten Energiegewinn annähert und ihn schließlich übertrifft.
Die sechs wichtigsten – und erschreckendsten – Erkenntnisse, die ich diesem Buch verdanke, sind (1) die Einsicht in die totale und "alternativlose" Abhängigkeit unserer Industriegesellschaften von billiger Energie und dementsprechend (2) unsere Verletzlichkeit für deren Versiegen; (3) die Unausweichlichkeit und (4) die unmittelbare Nähe dieses Versiegens; (5) die dramatischen Auswirkungen, die dies für unseren gesamten Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise hat, und (6) die immensen Schwierigkeiten, die dieser wohl ziemlich abrupte Übergang mit sich bringen wird. All diese Punkte sowie manche andere – wie etwa, mit welch rabiaten Methoden die US-Außenpolitik ihre Energieinteressen sichert – belegt Heinberg detailliert mit so vielen Fakten, dass eine zusammenfassende Rezension sich auf einige Kernaussagen beschränken muss.
Das erste der sechs Kapitel "Energy, Nature, and Society" ist eine sehr grundlegende Betrachtung, welche Rolle Energie für die (belebte) Natur und speziell für uns Menschen spielt. Dass Lebewesen darauf angewiesen sind, Energie – vor allem über die Nahrung – aufzunehmen, und dass es dafür unterschiedliche Strategien gibt. Dass es der Menschheit gelungen ist, durch das Anzapfen der fossilen Energievorräte ein ungeheures Leistungspotenzial in ihren Dienst zu stellen – es ist, als ob für jeden Amerikaner 150 "Energiesklaven" arbeiten würden. Und dass Gesellschaften, denen es nicht (mehr) gelingt, ihren Energiebedarf zu decken, unweigerlich dem Niedergang geweiht sind.
In welchem Ausmaß unsere gesamte Gesellschaft auf billige Energie gebaut ist, zeigt das zweite Kapitel "Party Time: The Historic Interval of Cheap, Abundant Energy". Der Wohlstand der Moderne brach nicht etwa deshalb aus, weil Wissenschaft und Technik seit der Aufklärung so große Fortschritte gemacht haben, sondern weil es der (westlichen) Menschheit gelungen war, mit Kohle, Öl und daraus gewonnener Elektrizität Energie im Überfluss bereitzustellen und sich in vielfältiger Form nutzbar zu machen. Statt im Schweiße unseres Angesichtes mit eigener Muskelkraft zu arbeiten, nutzen wir strombetriebene Maschinen; statt mit Ochsenkarren, Postkutschen oder zu Fuß zu reisen, fahren wir Auto, Zug oder fliegen. Eine einzige Autofahrt verbraucht die Energie von mehreren Tagen körperlicher Arbeit – so billig ist fossile Energie. Das sich abzeichnende Ende dieser billigen Energie ignorieren, verleugnen und verdrängen wir. Geradezu beängstigend in dieses Bild passt, dass Politiker im gerade laufenden Wahlkampf eine Senkung der Energiepreise fordern – als ob die Politik darüber entscheiden könnte!
"If something cannot go on forever, it will end", hat die Baseball-Legende Yogi Berra konstatiert. Kapitel 3 "Lights Out: Approaching the Historic Interval's End" befasst sich detailliert mit Peak-Oil-Szenarien und ihrer historischen Entwicklung. Nach sorgfältiger Betrachtung der Datenlage kommt Heinberg zu einem "likely peak date window of 2005 to 2013" (S. 114) Die derzeit hoch bejubelten Schiefergas- und Teersandfunde werden daran wenig ändern: Wie Heinberg in einer neueren Veröffentlichung gezeigt hat, verschieben sie den Peak allenfalls um einige wenige Jahre, ändern aber wenig am Gesamtbild, weil Fracking und ähnliche Techniken sehr energieaufwendig sind und letztlich nur die gewonnene Nettoenergie zählt, nicht die im Boden liegenden Bruttoenergiereserven. Wir täten also gut daran, uns wenigstens vorsorglich mit der Heinbergs abschließender Frage zu beschäftigen: "What if the Cassandras are right?" (S. 136)
"Non-Petroleum Energy Sources: Can the Party Continue?" untersucht Heinberg im 4. Kapitel. Detailliert befasst er sich dabei mit Erdgas, Kohle (beides endliche fossile Energiequellen), Wind, Solarenergie, Wasserkraft, Geothermie, Gezeiten und Wellen, Biomasse, Biodiesel und Ethanol, Kernenergie und Kernfusion – und kommt im Resümee zu dem Ergebnis, dass keine dieser Energiequellen das Potenzial hat, die Lücke zu schließen, die das versiegende Öl und Gas hinterlässt. Hier spätestens weht spürbar ein bedrückender Hauch von Endzeitstimmung durch das Buch – oder durch die Gedanken des Lesers: Selbst wenn Windkraft, Solarenergie und Energieeinsparung wichtige Beiträge leisten können und müssen, wird es wohl kaum so weitergehen wie bisher. Wir müssen uns auf empfindliche Einschnitte gefasst machen.
"A Banquet of Consequences" breitet Heinberg im 5. Kapitel aus. Trocken stellt er fest: "Efforts to improve efficiency are subject to diminishing returns, and so eventually a point will be reached where reduced energy availability will translate into reduced economic activity." (S. 187f.) Nach Heinbergs Ansicht ist damit auch unser gesamtes Finanzsystem in Frage gestellt, weil es auf Kredite und Zinsen gebaut ist, deren (Rück-)Zahlung auf eine wachsende Wirtschaft angewiesen ist.
Noch offensichtlicher ist, wie massiv sich die knapper und damit teurer werdende Energie auf Transport und Logistik – und damit auf die globale Arbeitsteilung – auswirken werden, aber auch auf unsere enorm energieintensive Landwirtschaft. Das führt unweigerlich zu der beunruhigenden Frage: "How many people will post-industrial agriculture be able to support?" (S. 196) Eine belastbare Antwort darauf lässt sich kaum geben; es ist aber zumindest fraglich, ob es reichen wird, um eine Weltbevölkerung in heutiger Größe zu ernähren. Ähnliches gilt auch für das Gesundheitswesen und die Informationstechnik, die ja auf funktionierende Server und Netze angewiesen ist.
Eine fortschreitende Energieverknappung dürfte zu massiven Verteilungskonflikten sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene führen. Sie werden auch an der Umwelt nicht spurlos vorübergehen, sondern könnten zum Beispiel zu Entwaldung sowie zur Desertifikation (Ver-Wüstung) übernutzter Flächen führen, zumal wenn sie aus Wasser- oder Energiemangel nicht mehr künstlich bewässert werden können.
Nach diesem bedrückenden Ausblick erläutert Heinberg im 6. Kapitel "Managing the Collapse: Strategies and Recommendations", was wir noch tun können und tun sollten. Dabei lässt er es nicht an Deutlichkeit mangeln: "If collapse cannot be avoided altogether, the best alternative clearly is a managed collapse, in which society would undertake a deliberate, systematic process of simplifying its structures and reducing its reliance on nonrenewable energy sources." (S. 226)
Leider müssen wir aber wohl davon ausgehen, dass sich die nationale wie internationale Politik dieser Themen erst dann ernsthaft annehmen wird, wenn es lichterloh brennt. Es ist daher nicht kindischer Individualismus, sondern die logische Konsequenz, dass Heinberg im Abschnitt "You, Your Home, and Your Family" intensiv auf individuelle Vorsorgemöglichkeiten eingeht. Da wir Menschen aber nicht als Einzelne (über)leben können, ist es ebenso folgerichtig, an die private Vorsorge die Erweiterung auf "Your Community", "The Nation" und "The World" anzuschließen. Während sich die individuellen Einflussmöglichkeiten auf der Makroebene in Grenzen halten, liegt es nahe, sich auf die mittlere Ebene zu konzentrieren und sich den sich ausbreitenden Bewegungen anzuschließen, die danach streben, "Resilient Communities" aufzubauen, also lokale und regionale Gemeinschaften, die dank eines angepassten Lebensstils und kleinräumiger Wirtschaftsweisen eine erhöhte Krisenfestigkeit aufweisen.
Im Nachwort zur Neuauflage stellt Heinberg einige neuere Untersuchungen vor, die die Kernaussage der Erstauflage bestätigen und präzisieren. Außerdem setzt er sich mit einigen häufigen Einwänden auseinander, mit denen er nach Erscheinen des Buches konfrontiert wurde, insbesondere dem, dass die menschliche Erfindungskraft schon rechtzeitig neue technische Erfindungen hervorbringen werde, welche die von ihm beschworene Energieverknappung hinfällig machen würden.
Heinberg hält das für eine gefährliche Illusion, in der ein quasi-religiöser Glaube an einen Erfinder-Erlöser ("cult of a inventor-savior", S. 271f.) zum Ausdruck komme. Denn Technik verbraucht Energie, sie kann keine Energie erzeugen, sondern allenfalls vorhandene Quellen erschließen. Doch dass der Menschheit bislang eine Energiequelle von vergleichbarer Energiedichte wie Öl, Gas und Kohle entgangen sein sollte, ist äußerst unwahrscheinlich.
Nach seinen Worten gibt es Probleme, die sich lösen lassen, und solche, für die es keine wirkliche Lösung gibt, sondern mit denen man nur besser oder schlechter umzugehen lernen kann, wie zum Beispiel das Älterwerden. Realistische Anpassung ist hier die weitaus klügere Antwort, als sich an unrealistische Hoffnungen zu klammern. Wenn beispielsweise jemand im Lotto gewonnen und daraufhin das Geld mit vollen Händen verprasst hat, dann kann er natürlich, wenn ihm das Geld ausgeht, statt seinen Lebensstil an sein noch verbliebenes Vermögen anzupassen, wieder anfangen, Lotto zu spielen. Er müsste aber unwahrscheinliches Glück haben, um abermals einen Hauptgewinn zu ziehen. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass diese von Wunschdenken geprägte Strategie mit einem bösen Erwachen endet. Die wirkliche Hoffnung liegt nach Heinbergs Überzeugung nicht in einem erneuten Lottogewinn, sondern in einer intelligenten – und verdammt schnellen – Anpassung an die geänderten Verhältnisse.
Alles in allem gewiss kein erbauliches Buch, aber ein wichtiges, ja sogar ein unverzichtbares. Denn so unerfreulich seine Botschaften sind, so wenig nützt es, die zu erwartende Verknappung und Verteuerung der Energie zu ignorieren und zu hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen wird. Schließlich ist der Aufbau von Alternativen eine Mammutaufgabe, die eine gewaltige Kraftanstrengung und einen erheblichen zeitlichen Vorlauf erfordert. Wenn wir sie nicht bald angehen, verschenken wir die letzten Meter Bremsweg, die uns noch zu Verfügung stehen. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist Deutschland hier trotz mancher Irrwege besser aufgestellt als viele andere Länder, aber das wahre Ausmaß des Handlungsbedarfs haben auch wir noch lange nicht erkannt. Dementsprechend fehlt auch bei uns der "Sense of Urgency", der Politik, Wirtschaft und Privatleute dazu veranlassen würde, umzusteuern, solange wir noch die Zeit dazu haben.
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