Systematisch aufgebaute, stringente und gut verständliche Einführung in die Analyse von Unternehmenskennzahlen und die Wertbestimmung von Unternehmen, mit zahlreichen Beispielen veranschaulicht. Empfehlenswert!
Kennzahlenanalyse und Unternehmensbewertung sind ein eher trockenes Thema, dem sich die meisten Menschen, wenn überhaupt, wohl eher aus Einsicht in die Notwendigkeit denn aus Begeisterung widmen. Doch wer sich eine fundierte Meinung darüber bilden will, ob der Kaufpreis für ein Unternehmen – und sei es auch nur eine Arztpraxis oder eine kleine Beratungsfirma – fair ist, muss sich damit auseinandersetzen; desgleichen, wer für seine Alterssicherung (auch) auf Aktien zurückgreifen und sich dabei nicht allein auf die Meinung sogenannter Experten verlassen möchte, die im Nachhinein immer so wunderbar erklären können, warum es ganz anders gekommen ist als sie vorhergesagt haben.
Wer sich dazu entschließt, sich mit dieser Thematik vertraut zu machen, kann es mit diesem Buch zumindest ohne unnötige Quälerei tun, und weitgehend ohne den Frust, manche Methoden und Konzepte hinter sich zu lassen, ohne sie so richtig verstanden zu haben, geschweige denn, anwenden zu können. Zu einer aufregenden, mitreißenden Lektüre wird das Thema natürlich auch dann nicht – jedenfalls nicht, wenn man nicht zum Controller geboren ist. Aber man erzielt jedenfalls, um gleich in der Sprache der Kennzahlen zu bleiben, einen guten Return on Investment in Gestalt eines hohen Lernnnutzens pro aufgewendeter Lesezeit. Und das ist ja schon so ziemlich das Beste, was man einem Lehrbuch bescheinigen kann.
Ein Grund dafür ist sicherlich, dass der jugendliche Autor – bei Erscheinen der Erstauflage war er gerade mal 23 Jahre alt – ziemlich klar und schnörkellos schreibt. Das macht es leicht, die Konzepte und die dahinter stehenden Ideen nachzuvollziehen, und die Beispiele kommen meist im richtigen Moment, um etwas Fleisch an die Knochen zu bringen. Doch der noch wichtigere Grund dürfte sein, dass das Buch sehr logisch und stringent aufgebaut ist.
Nach etwas vielen Vorworten und Einleitungen erläutert Schmidlin im 1. Kapitel, wie Unternehmensabschlüsse aufgebaut sind und was sich hinter den dort verwendeten Begriffen verbirgt. Die Unterschiede zwischen Abschlüssen nach HGB (dt. Handelsgesetzbuch), IFRS (International Financial Reporting Standards) und US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principles) werden ebenso dargestellt wie erste basale Kennzahlen wie Material- und Personalaufwandsquoten. Im 2. Kapitel geht es dann um Kennzahlen zu Ertrag und Rendite (wie Eigenkapitalrendite, Umsatzrendite, EBIT / EBITDA, Kapitalumschlag, Gesamtkapitalrendite, Return on Capital Employed), im 3. um Kennzahlen zur finanziellen Stabilität (wie Eigenkapitalquote, Gearing, Dynamischer Verschuldungsgrad, Sachinvestitionsquote, Cash-Burn-Ratio, Anlagendeckungsgrad etc.), und im 4. um Working-Capital-Management, also im Debitoren- und Kreditoren-Laufzeiten, Liquidität, Vorräte, Geldumschlag und Auftragsbestand.
Nach diesen vielen Zahlen konzentriert sich das 5. Kapitel auf ein qualitatives Thema, nämlich die Analyse des Geschäftsmodells. Sie ist in gewisser Weise der Dreh- und Angelpunkt der Unternehmensanalyse, denn am Ende geht es ja sowohl beim Kauf ganzer Unternehmen als auch bei dem einiger Aktien nicht um die Historie, sondern um ihre künftigen Erlöse. Was nützen glänzende Zahlen, die ja notwendigerweise aus der Vergangenheit stammen, wenn sich das Geschäftsmodell überlebt hat und/oder das Management wesentliche Marktveränderungen verschlafen hat? Wie die Beispiele Opel, Praktiker oder Nokia zeigen, ist eine eindrucksvolle Vergangenheit durchaus keine Garantie dafür, dass eine Investition in diese Firmen in Zukunft ähnliche Erträge abwerfen wird. Vergangenheitsdaten sind daher für Investoren nur insoweit interessant, als sie Rückschlüsse auf künftige Erträge zulassen. Das 5. Kapitel liefert etliche Instrumente und Methoden, wie man solche Analysen anstellen kann, und macht zugleich deutlich, dass man hier hinter die Zahlen schauen muss, um der prinzipiellen Ungewissheit der Zukunft wenigstens einige belastbare Prognosen abzutrotzen.
Um die Ausschüttungspolitik dreht sich das 6. Kapitel, also um Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe, um Bewertungskennzahlen das 7., etwa um das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das Kurs-Buchwert-Verhältnis und etliche andere. Erfreulicherweise erläutert Schmidlin hier – wie auch anderswo – nicht nur die technischen Formeln, um die jeweiligen Kennzahlen zu berechnen, sondern stellt auch Zusammenhänge zwischen verschiedenen Kennzahlen her und tritt verbreiteten Irrtümern entgegen, wie etwa dem, dass ein niedriges KGV oder KBV automatisch ein Kaufsignal wäre: Es kann gute Gründe haben, wenn ein Unternehmen bzw. eine Aktie niedrig gehandelt wird, etwa wenn die Prognose seiner Eigenkapitalverzinsung schlecht ist. Umgekehrt kann es auch gute Gründe geben, bei einem profitabel wachsenden Unternehmen erhöhte Kennzahlen zu akzeptieren.
Das mit Abstand umfangreichste und anspruchsvollste Kapitel ist mit 76 Seiten das achte: Unternehmensbewertung. Schmidlin stellt hier zunächst diverse "Discounted-Cash-Flow-Modelle" vor, die indes alle an dem gleichen Problem kranken, nämlich, dass man für die eleganten Formeln die kommenden Erträge bis in die ferne Zukunft kennen müsste. Was so viel heißt wie, dass die exakten Berechnungen auf ziemlich spekulativen Annahmen über künftige Cashflows basieren. Wie Schmidlins Beispiele zeigen, macht die sogenannte "Ewige Rente", die ab dem 10. Jahr linear in die Zukunft extrapoliert wird, in vielen Fällen mehr als die Hälfte des prognostizierten Cashflows aus. Aber wie soll ein Mensch wissen, wie die Erträge irgendeines Unternehmens in 10, 20 oder 30 Jahren aussehen? Schon kleine Unterschiede in den zugrunde gelegten Annahmen verändern das Bild dramatisch, sodass man hier eigentlich nur von mathematisch unterlegter Spekulation sprechen kann.
Nach dem Warren-Buffett-Grundsatz "Lieber ungefähr richtig als exakt falsch" stellt Schmidlin als Alternative verschiedene "Multiplikationsmethode(n)" vor, die gegenüber den finanzmathematisch eleganten DCF-Modellen geradezu rustikal wirken, aber auf Pseudo-Exaktheit verzichten und sich stattdessen an Praktiker-Faustregeln halten. So sympathisch dieser Ansatz ist, hier kommt unvermeidlich das Lebensalter des Autors ins Spiel: Wie soll ein 22-jähriger Autor die Erfahrung haben, Erfahrungswerte zu benennen, die ja notwendigerweise über Versuch und Irrtum entstehen müssen? Die Auf- und Abschläge, die er hier für die finanzielle Stabilität eines Unternehmens, seine Marktposition und Rentabilität, sein Wachstum und seine "Individualität" vorschlägt, lesen sich zwar plausibel, aber das ist kein Wahrheitsbeweis – und bei genauerem Nachdenken fehlt hier zum Beispiel ein Faktor wie Marktstabilität: Mit ziemlicher Sicherheit werden Menschen auch in 30 Jahren noch Reis, Nudeln und Kartoffeln essen, aber ob sie noch Autos mit Verbrennungsmotoren fahren und Smartphones benutzen, kann heute niemand wissen. Letztlich endet jede Unternehmensbewertung wie das Volkslied: "Die Zukunft, die ist ungewiss / und macht das Herz uns schwer."
Recht kurz und etwas enttäuschend ist das abschließende 9. Kapitel Value Investing. Nach der Wiedergabe einiger Kerngedanken der Value-Heroen Benjamin Graham und Warren Buffett scheint Schmidlin die Lust verloren zu haben, und er erklärt abrupt: "Die Grundsätze Grahams sind auch heute noch uneingeschränkt gültig. Da das Ziel dieses Buches nicht im Wiedergeben bereits geschriebener Texte besteht, fällt dieses Kapitel entsprechend kurz aus." (S. 234) Meint Schmidlin wirklich, dass Grahams vor mehr als 60 Jahren erschienenen Werken nichts mehr hinzuzufügen wäre? Oder hält er die vorausgegangenen Kapitel, für so ausnehmend originell, obwohl sie ja ebenfalls gängige Konzepte und Kennzahlen wiedergeben? Oder hatte er einfach keine Lust mehr, noch ein zusätzliches Fass aufzumachen?
Trotz des seltsamen Schlusses ist Schmidlins "Unternehmensbewertung und Kennzahlenanalyse" eine sehr empfehlenswerte Einführung, die durch einen systematischen Aufbau und eine klare Sprache überzeugt. Dennoch hätte das Buch ein sorgfältigeres Lektorat verdient, denn es sind doch einige Rechtschreibfehler, sprachliche Marotten und einzelne holprige Formulierungen stehen geblieben. Das passiert beim Schreiben, wie ich aus eigener Erfahrung weiß; genau deshalb hätte auch dieses Buch gewonnen, wenn es ein in Grammatik und Stilstik sicherer Lektor gegengelesen hätte.
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