Eine vertane Chance: Das attraktiv aufgemachte Büchlein verfehlt über einen oft unnötig komplizierten, eigenwilligen Jargon das Ziel, seine Leser von einem Lebensstil zu überzeugen, der auf freiwilliger Einfachheit beruht. Umsetzungshilfen fehlen.
Niko Paech, außerplanmäßige Professor für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg, ist in der Umweltszene ein gefragter Vortragsredner, wenn es um Wachstumskritik und die Forderung nach einem nachhaltigen Lebensstil geht. Und er vertritt, wie man sich etwa auf YouTube überzeugen kann, eine ebenso schlüssige wie eindringliche Position, wenn er darlegt, dass unser heutiger Lebensstil erstens von Nachhaltigkeit weit entfernt und dass er zweitens auch durch "Begrünung" nicht zu retten ist. Insofern ist es erfreulich, dass er seine Position nun auch in einem kleinen Buch darlegt: Das gibt Interessenten die Möglichkeit, sich mit seinen Argumenten detaillierter zu beschäftigen als dies in der begrenzten Dauer eines Vortrags möglich ist. Umso bedauerlicher, dass Paech in dem Büchlein über weite Strecken einen Jargon verwendet, der seinem – mutmaßlichen – Anliegen, Menschen für eine freiwillige "Befreiung von Überfluss" zu begeistern, einen Bärendienst erweist.
Ich bekenne, dieses Buch trotz seiner Kürze nicht vollständig gelesen zu haben. Obwohl ich mit der Materie einigermaßen vertraut bin, war es mit einfach zu mühsam, mich durch Formulierungen zu quälen wie: "Das wären erste Schritte zur Rückbindung maßlos entgrenzter Bedarfe, nämlich an die eigenen Leistungen und an ein nicht beliebig vermehrbares Quantum gegenwärtig verfügbarer Ressourcen. Natürlich wären weitere Vorkehrungen notwendig, um die Ausdehnung leistungsloser Ansprüche und Einkommen zu regulieren." (S. 61) Oder: "Die perfekte Synthese von zeitlicher, räumlicher und körperlicher Entgrenzung besteht darin, sich ausschließlich konsumptiv zu versorgen." (S. 63)
Mit einem solchen Schreibstil sabotiert Paech, was er doch wohl eigentlich erreichen will, nämlich, den Kreis derer zu vergrößern, die ihren Lebensstil in Richtung freiwilliger Einfachheit verändern oder darüber zumindest ernsthaft nachdenken. Für Einsteiger ist diese selbstgefällige Privatsprache schwer verständlich und abschreckend, Kundigen macht sie es unnötig schwer, seine Argumente analytisch nachzuvollziehen. Obwohl ich bereits einen Stapel einschlägiger Literatur durchgearbeitet (und zum Großteil ausführlich rezensiert) habe, hatte ich stellenweise größte Mühe, Paechs Jargon zu entschlüsseln – und es irgendwann auch ganz einfach satt. Wie muss es da Lesern gehen, die mit diesem Buch einen Einstieg in die komplexe Materie zu finden suchen? Was ist gewonnen, wenn viele von diesen Leuten die Lektüre resigniert abbrechen und sich für "zu doof für diese Themen" halten?
Gerade weil ich Paechs Position über weite Strecken teile, ärgert es mich, dass er und sein Verlag die Chance dieses kompakten, attraktiv aufgemachten Büchleins durch einen ausgrenzenden Jargon vertun. Was doppelt unverständlich ist angesichts von Paechs Kritik an der zunehmenden Akademisierung unserer Gesellschaft(en). Nach seiner Auffassung ziehen wir immer mehr junge Menschen heran, die zwar alles analysieren und argumentieren, aber nichts mehr herstellen oder reparieren können. Doch sein Schreibstil lässt die Praktiker links liegen und erschließt sich noch am ehesten denen, die sich einige akademische Analyse- und Leidensfähigkeit antrainiert haben. Allerdings trifft diese Kritik auch den engagierten oekom Verlag: Hat er denn keine besseren Lektoren – oder ist Paech so beratungsresistent, dass dieser streckenweise ziemlich kaum verdauliche Text in Druck ging? Dabei kann Paech auch anders – man sehe sich seine YouTube-Vorträge an!
Inhaltlich spricht Paech die richtigen Themen an: Die ersten drei Kapitel machen deutlich, dass unser heutiger (materieller) Wohlstand keineswegs "ehrlich erarbeitet", sondern Resultat einer rücksichtslosen Plünderung unseres Planeten ist. Zwar gab es natürlich Effizienzfortschritte durch Wissenschaft und Technik, vor allem aber haben die Industriegesellschaften die Erde ausgebeutet, als ob es kein Morgen gäbe: Nicht nur Rohstoffe, für deren "Produktion" (welch irreführendes Wort!) beinahe jede Zerstörung in Kauf genommen wird, sondern auch und vor allem fossile Energieträger, mit denen wir wider besseres Wissen so umgehen als seien sie unerschöpflich. Erstaunlich vorsichtig regt Paech hier in Analogie zu Kants kategorischem Imperativ ein Kriterium für einen angemessenen Lebensstil an: "Demnach dürfte jeder Mensch durchschnittlich ein Quantum an ökologischen Ressourcen verbrauchen, von dem sich sagen lässt, dass dann, wenn alle anderen Erdbewohner [gemeint sind vermutlich Menschen; der Rezensent] sich ähnlich verhalten, die irdische Tragekapazität dauerhaft erhalten werden kann." (S. 57f.)
Das vierte Kapitel "Mythos Entkoppelung – die Mär vom 'grünen Wachstum'" macht klar, dass das vielbeschworene qualitative Wachstum eine falsche Hoffnung ist: Soweit die Steigerung der Ressourceneffizienz etwa durch eingesparte Heizkosten das verfügbare Einkommen erhöht, fließt das eingesparte Geld alsbald in neuen Konsum. Mit dem sparsameren Auto fährt man mehr Kilometer und betreibt zudem eine Klimaanlage und einen Bordcomputer. Die angebliche Entkoppelung des Wachstums vom Energieverbrauch ist, wie Tim Jackson gezeigt hat, nichts als eine Chimäre: Die Industriestaaten verbrauchen etwas weniger Energie, weil viele der energieintensiven Wertschöpfungsschritte in Schwellenländer verlagert wurden. Rechnet man die dazu, wird aus dem vermeintlich rückläufigen Verbrauch ein Anstieg.
Eine zentrale Rolle in Paechs Jargon verdient der Begriff "Entgrenzung", den er gern und mit vorwurfsvollem Unterton verwendet. Einer "dreifachen Entgrenzung materieller Ansprüche" hat sich die Menschheit nach seiner Auffassung schuldig gemacht, "nämlich zum einen von den eigenen körperlichen Fähigkeiten (mit Hilfe ganzer Heerscharen von Energiesklaven), von den in unmittelbarer Reichweite liegenden Ressourcen (mit Hilfe globaler Wertschöpfungsketten) und von den Möglichkeiten der Gegenwart (mit Hilfe von Verschuldung)." (S. 57) Auch wenn er den Begriff "Schuld" nicht verwendet, liest sich das, als ob wir, die Menschheit", mit dieser dreifachen Entgrenzung etwas ganz Furchtbares getan hätten.
Aber was ist das wirkliche Problem? Es ist doch nicht, dass wir Werkzeuge und Energie nutzen, um die Begrenzungen unserer kläglichen körperlichen Fähigkeiten zu überwinden, und es ist auch nicht, dass wir überregionalen Handel treiben – was beides schon die Menschen in der Steinzeit getan haben. Es ist nicht einmal, dass Menschen Schulden machen, solange dies mit verantwortlichem Blick auf die eigene Rückzahlungsfähigkeit geschieht. Das eigentliche Problem ist doch, dass wir all diese prinzipiell sinnvollen und nützlichen "Entgrenzungen" so weit getrieben haben, dass sie erstens die Belastbarkeit unserer Erde sprengen und zweitens unseren nachfolgenden Generationen ein grausiges Erbe hinterlassen.
Der Begriff "Entgrenzung" ist charakteristisch für eine Vermengung von analytischer und latent moralisierender Argumentation, die eine eingeschworene Fangemeinde ansprechen mag, aber eher hinderlich ist, um das wirkliche Problem sauber herauszuarbeiten. "Entgrenzt" handelt auch, wer ein Fahrrad mit Gummischläuchen fährt und seinen Subsistenzgarten nicht ausschließlich barfuß und mit bloßen Händen bearbeitet. Aber natürlich ist das eigentliche Problem nicht diese Entgrenzung, sondern der permanente Verstoß gegen den erwähnten "nachhaltigen Imperativ".
"Genug ist nie genug", ist das fünfte Kapitel überschrieben, in dem es um Wachstumszwänge und Wachstumstreiber geht. Unter Bezug auf Hans Christoph Binswanger versucht Paech hier darzulegen, dass ein Wirtschaftssystem, das Gewinne erwirtschaften soll, auf Wachstum angewiesen ist – aber das ist nicht so gut erklärt, dass man nach dem Durchlesen sagen würde: Alles klar – eine nachvollziebare, logisch zwingende Beweisführung. Insofern ist seine Darlegung eher ein Impuls, einmal bei Binswanger im Original nachzulesen, als eine Erklärung, die keine Fragen offen lässt.
Ergiebiger ist, was er danach über "kulturelle Wachstumstreiber" schreibt: Dass wir über den Konsum, oder genauer, über den Besitz, einen Wettlauf um Status und Geltung austragen, der uns, um nicht zurückzufallen, zu immer neuen Käufen zwingt. Wenn das so wäre, wäre es keine gute Nachricht, denn es ist wohl so, dass die Konkurrenz um sozialen Status sehr tief in uns Menschen (und vor allem wohl in uns Männchen) drin steckt. Unverständlicherweise lässt Paech diesen Gedanken, kaum dass er ihn ins Spiel gebracht hat, wieder fallen. Denn wenn man ihn ernst nimmt, ist er von größter Tragweite: Er stellt er alle Bemühungen um freiwillige Einfachheit in Frage, jedenfalls für all die Altersgruppen, die noch "in der Konkurrenz stehen", die es ja nicht bloß im Beruf gibt, sondern etwa auch auf dem Heiratsmarkt. Um den Punkt zuzuspitzen: Wenn die Mädchen den Jungs große Hochachtung bezeugen, die sich "freiwillig vom Überfluss befreit" haben, sich anschließend aber denen zuwenden, die ein schickes Auto und andere Statussymbole vorweisen können, dann ist sehr fraglich, ob freiwillige Einfachheit in der jüngeren Generation mehr ist als eine Außenseiter-Positionierung. Und es würde verständlich, wenn sich für dieses Thema vorwiegend Angehörige der mittleren und höheren Altersgruppen begeisterten, die nicht mehr im Wettbewerb stehen und ihren Frieden mit dem Erreichten gemacht haben.
"Weniger ist mehr – Umrisse einer Postwachstumsökonomie" heißt das sechste und letzte Kapitel, und die Überschrift darf man wörtlich nehmen, denn mehr als "Umrisse" liefert Paech hier in der Tat nicht. Was keineswegs heißen soll, dass es keine interessanten Gedanken enthielte. Analytisch-konzeptionell ist Paech stark, wenn auch zuweilen in ärgerlicher Weise nachlässig (Beispiel folgt), aber die Umsetzung ist seine Sache nicht. Wo amerikanische Autoren ein Fallbeispiel an das andere reihen würden, beschränkt er sich darauf, Konzepte zu skizzieren. Ja, natürlich, es geht um eine "Reduktion des Fremdversorgungsgrades" (S. 113), um eine "Ökonomie der Nähe" (S. 114) und um "De-Globalisierung" (S. 116), und dafür könnten "Regionale Komplementärwährungen" (S. 117), "Gemeinschaftsnutzung" (S. 120), "Verlängerung der Nutzungsdauer" und "Eigenproduktion" (S. 121) hilfreich sein. Aber warum, verdammt noch mal, berichtet er hier nicht über Beispiele, die es dazu auch in Europa längst gibt? Es wäre doch so ermutigend, zu sehen, dass das nicht nur spinnerte Ideen sind, sondern real existierende und (teilweise) funktionierende Erfahrungen!
Ich habe beim Lesen wirklich den Eindruck, dass Paech mehr Freude daran hat, von einer ökologischen Zukunft zu träumen, als sich mit den Ansätzen zu ihrer Realisierung auseinanderzusetzen. Wobei er stillschweigend davon auszugehen scheint, dass die Menschen aus einem selbstverständlichen freiwilligen Altruismus alles Nötige tun werden, wenn sie die Zeichen der Zeit erkannt haben. Unternehmerische Gewinnerzielungsabsicht ist ihm suspekt: "Überhaupt sind veränderte Unternehmensformen, etwa Genossenschaften, Stiftungen, Non-Profit-Firmen oder Ansätze des solidarischen Wirtschaftens von Bedeutung, die strukturell Gewinnerwartungen dämpfen können." (S. 135) An der Hoffung, dass die Menschen aus sozialer Gesinnung ihr Bestes geben und dabei auch die unangenehmen Teile der Arbeit verrichten werden, sind freilich schon etliche Versuche gescheitert, neue Gesellschaften aufzubauen.
Wenn es der guten Sache dient, rechnet sich Paech auch in die Tasche: Durch eine "Durchforstung" von Subventionen würden, so behauptet er, "zudem finanzielle Mittel frei, welche die infolge des Industrierückbaus entfallenden Staatseinnahmen kompensieren könnten, sodass im Saldo genug Mittel für staatliche Aufgaben insbesondere in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Bildung verbleiben." (S. 136) Klingt wunderbar und wird sicherlich gerne geglaubt, ist aber bei näherer Prüfung äußerst zweifelhaft.
Paech will ja, wie wir zuvor gelesen haben, durch mehr Selbstversorgung, gemeinsame Produktnutzung und die Verlängerung der Nutzungsdauer große Teile der produzierenden Wirtschaft überflüssig machen – und das ist wohl in der Tat erforderlich, wenn wir nicht mehr produzieren und verbrauchen wollen als uns zusteht. Nehmen wir einmal an, auf diese Weise würde der Konsum auf die Hälfte oder gar auf ein Viertel des heutigen reduziert. Dann würden etliche Unternehmen aus dem Markt ausscheiden; andere müssten sich durch verlustreiche Umstrukturierungen auf die veränderte Nachfrage einstellen, was natürlich dramatische Steuerausfälle nach sich zöge. Diese Ausfälle möchten Sie, Herr Professor der Ökonomie, durch eine bloße "Durchforstung" der Subventionen nicht nur kompensieren, sondern dadurch auch noch "genügend Mittel" für staatliche Aufgaben frei machen?! Die Modellrechnung, mit der Sie das belegen, möchte ich sehen!
Mit solchen Behauptungen trägt Paech zu der Illusion bei, dass der Umbau unserer Gesellschaft zu einer Postwachstumsökonomie ohne größere Schmerzen möglich sei. Aber das ist zumindest eine fahrlässige Verheißung: Auch wenn erste Schritte in der Tat ziemlich schmerzfrei und teilweise sogar mit einem Zugewinn an Lebensqualität möglich sind, wissen wir nicht, wie steinig der Weg werden und was er uns abverlangen wird – wir wissen oder ahnen nur, dass die Alternative, ihn nicht zu gehen, uns schon auf mittlere Sicht in eine Katastrophe führen dürfte. Aber die Details der Umsetzung sind Paechs Sache nicht, ebenso wenig wie die Frage nach der gesellschaftlichen und politischen Durchsetzung, auf die er in dem gesamten Buch kein Wort verwendet. Er handelt lieber mit schönen Träumen.
Deshalb ist es nur konsequent, dass er sein Büchlein zwar mit dem vagen Appell "Also worauf warten wir noch?" schließt, aber den von ihm Bekehrten keinerlei Unterstützung etwa in Form von Kontakt- und Vernetzungsadressen anbietet. "Um diese weltlichen Dinge müsst ihr euch schon selbst kümmern", scheint er zu sagen: "Das ist unter meiner Flughöhe!" Welch ein Kontrast zu den in ihrem Denken nicht weniger konsequenten, aber ungleich pragmatischeren Amis! Eine der wichtigsten Einsichten, die ich diesem Buch verdanke, ist denn auch, dass ich zum Beispiel Chris Martensens "Crash Course" samt seiner ultra-pragmatischen Website www.peakprosperity.com jetzt noch ungleich höher zu schätzen weiß. Zumal er auf Englisch ungleich leichter zu lesen ist als Paech auf Deutsch.
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