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Mit dem finanziellen Ausnahmezustand zurechtkommen

Mauldin, John; Tepper, Jonathan (2014):

Code Red

How to Protect Your Savings from the Coming Crisis

Wiley (Hoboken NJ); 354 Seiten; 21,70 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 04.04.2014

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Die Notenbanken haben sich mit exzessiver Geldmengenausweitung und negativen Realzinsen in eine Falle manövriert, aus der sie nicht mehr herauskommen – mit hohen gesellschaftlichen Risiken, und zu Lasten der Anleger und Alterssicherungssysteme.

Seit ich vor ein paar Jahren auf seinen wöchentlichen Newsletter „Thoughts from the Frontline“ gestoßen bin, gehört John Mauldin für mich zu den interessantesten und klügsten Autoren, was die Analyse der makroökonomischen Entwicklung betrifft. Mit „Code Red“ knüpft er an das 2011 erschienene Buch Endgame an, das er ebenfalls zusammen mit Jonathan Tepper verfasst hat. Während es dort um das sich abzeichnende Ende des „Debt Supercycle“ ging, handelt „Code Red“ – „Alarmstufe Rot“ – vor allem von den unkalkulierbaren und bedrohlichen Auswirkungen des billigen Geldes, mit dem die Zentralbanken seit nunmehr fünf Jahren die Märkte überschwemmen. Entgegen verbreiteten Erwartungen schlägt es sich (noch) nicht in Inflation nieder, weil die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ähnlich schnell gefallen ist wie die Geldmenge gestiegen, sondern in „Asset Bubbles“, also in Vermögensblasen.

„Savers and investors in the developed world are the guinea pigs in an unprecedented monetary experiment“, schreiben Mauldin und Tepper in ihrer Einführung (S. 3).

Um das Finanzsystem vor einem Kollaps zu retten, haben die Notenbanken zunächst wohl das Richtige getan, indem sie die Geldmenge rasant erhöhten und zur Rettung der schwankenden Banken eine gewaltige Staatsverschuldung ermöglichten. Doch nun sitzen die Industriestaaten auf einer ungeheuren Geldmenge, die sich kaum mehr reduzieren lässt, weil ein Zinsanstieg eine Welle von Privat-, Firmen-, Banken- und Staatsinsolvenzen nach sich ziehen würde, sowie auf einem Schuldenberg, der nicht mehr abbezahlbar ist – außer bei einem anhaltenden starken Wirtschaftswachstum, wie es angesichts einer rückläufigen (Erwerbs-)Bevölkerung [und der inzwischen erreichten Grenzen unseres Ökosystems] äußerst unrealistisch ist.

Im fünften Jahr eines unkontrollierten Experiments

Im umfangreichen ersten Teil des Buchs (240 Seiten) analysieren Mauldin und Tepper die derzeitige Weltfinanzlage nach fünf Jahren des „Great Experiment“ (Kap. 1), das die Notenbanken mit einer Buchstabensuppe aus QE (Quantitative Easing),  ZIRP (Zero-Interest-Rate Policy) und LSAP (Large Scale Asset Purchase) begonnen haben.

Um die aufgehäuften Schulden ohne Zahlungsausfall loszuwerden, versuchen inzwischen viele Staaten, ihre Währung durch Aufblähung der Geldmenge nach unten zu drücken. Deshalb sehen die Autoren die Welt, wie sie im zweiten und dritten Kapitel ausführlich darlegen, „in the early stage of currency wars“ (S. 54). Sie rechnen mit Protektionismus und Schutzzöllen, die den Welthandel beeinträchtigen werden. Die sichtbarsten Schritte in dieser Richtung hat bislang Japan unternommen, in der offenkundigen Absicht, seine Deflation zu exportieren. Doch es ist nur eine Frage der Zeit und des Leidensdrucks, bis andere Länder dagegenhalten werden:

„The rest of the world, especially Japan’s direct competitors (Korea, China, Germany, and others) will not sit idly by as Japan takes export market share through QE.“ (S. 89)

„A World of Financial Repression“ ist das vierte Kapitel überschrieben. Negative Realzinsen wirken wie eine verdeckte Steuer, die vor allem die Sparer und Alterssicherungssysteme wie Pension Funds und Lebens-/Rentenversicherungen trifft: „The biggest losers are savers and older people who rely on their savings.“ (S. 109) Für sie hat das zur Folge, dass es keinen „risk-free return“ mehr gibt, sondern stattdessen „return-free risk“. Zugleich verzerren die niedrigen Zinsen sämtliche Vermögens­preise:

„The distortion of the risk-free rate is forcing investors into chasing investment that will compensate them with a higher yield (…) This is leading towards bubbles in emerging-markets debt, emerging-markets stocks, high-yield debt, real estate investment trusts (REITs), farmland, and defensive stocks that have high dividends.” (S. 113)

Scharfe Kritik an den Notenbanken

Heftig schießen sich Mauldin und Tepper auf die Notenbanken ein: “Arsonists Running the Fire Brigade” (Kap. 5): „Central bankers have a dismal record at managing monetary policy even in good times. It is hard to imagine they will do better in the difficult times just ahead.” (S. 132) Zugleich haben sie mehr Macht als jemals zuvor. Die tiefere Ursache für dieses Versagen sehen sie darin, dass der ökonomische Mainstream sich hartnäckig auf ungeeignete Methoden und ungeeignete Daten stützt: „Economists Are Clueless“ (Kap. 6): „Dozens of studies show that economists are completely incapable of forecasting recessions.“ (S. 134)

Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Ökonomen für ihre Prognosen bevorzugt nachlaufende Indikatoren verwenden, wie zum Beispiel auf Arbeitslosen- und Inflationzahlen, die zudem zunächst meist falsche Werte ausweisen sind und später oft erheblich korrigiert werden. Sehr viel besser geeignet wären vorauslaufende Indikatoren „like building permits, growth in the money supply, average hours worked, and the yield curve.“ (S. 155f.) Das Verrückte ist, dass diese Zahlen regelmäßig veröffentlicht, aber nicht für die offiziellen Prognosen genutzt werden.

Derzeit geht es nach ihrer Einschätzung darum, die „Escape Velocity“ (Kap. 7) aus der Liquiditätsfalle zu finden, in der sich die Weltwirtschaft derzeit befindet. Diese Liquiditätsfalle wirkt wie ein Schwarzes Loch in der Astronomie und macht die sonst geltenden Gesetze hinfällig: Die Konjunktur springt nicht an, obwohl unbegrenzt Geld zu Verfügung steht; die Banken vergeben keine Kredite, sondern kassieren lieber risikofreie Zinsen von den Notenbanken; die Unternehmen investieren nicht in Innovationen, sondern senken lieber Kosten und stärken ihre Eigenkapitaldecke. Deshalb entsteht auch kein Wachstum:

„There are two contradictory forces battling in a debt black hole: expanding debt and collapsing growth. Raising taxes or cutting spending to reduce debt will have an almost immediate impact on economic growth.” (S. 178)

Die Erklärung dafür ist sehr erhellend, und sie erklärt zugleich auch, weshalb aus der explodierenden Geldmenge (vorerst) keine galoppierende Inflation entsteht: „The monetary base is potential money.“ (S. 183) Zu realem Geld wird die bereitgestellte Geldmenge erst, wenn sie durch die Banken in Umlauf gebracht wird, und inflationäre Tendenzen entstehen erst, wenn die Umlaufgeschwindigkeit ansteigt. Das ist aber in Rezessionen nicht der Fall: „Whenever a recession happens, velocity slows down.“ (S. 188)

Die niedrigen Zinsen tragen maßgeblich zur Trägheit des Geldumlaufs bei: „Paradoxically, the best policy to forestall falling velocity and the hoarding of cash would be to raise interest rates.“ (S. 190) Allerdings ist das potenzielle Geld auch potenzielle Inflation: Wenn die Umlaufgeschwindigkeit in Schwung kommt, kann die Inflation schneller ansteigen als es die Notenbanken – aus dem Rückspiegel ihrer nachlaufenden Indikatoren – erkennen können.

Ballon voller Nitroglyzerin erhofft weiche Landung

Die Überschrift von Kapitel 8 lässt ahnen, dass Mauldin und Tepper nicht mit einem guten Ende rechnen: „What Will Happen When It All Goes Wrong“. In ihren Augen sind die Notenbanken mit einem „Red Balloon Full of Nitroglycerin“ unterwegs (S. 205) und haben wenig Chancen auf eine unfallfreie Landung. Denn alle theoretischen Möglichkeiten, ihre „Code Red“-Politik zu beenden, führen in massive Probleme: Sie ziehen unweigerlich einen deutlichen Zinsanstieg nach sich, und der würde die hochverschuldeten Staaten in größte Probleme stoßen. Und auch die Notenbanken selbst, denen eine technische Insolvenz droht, wenn sie ihre – zum Teil recht zweifelhaften – „Sicherheiten“ liquidieren.

Die Autoren gehen deshalb davon aus, dass dies nicht geschehen wird: „The dirty secret of central banks is that they will likely not shrink their balance sheets at all.“ (S. 218) In ihren Augen wird das zu noch größerer Volatilität in den Märkten und Volkswirtschaften und schließlich zu einem großen Crash führen: “You need to understand that there is no playbook for what is coming.” (S. 219) Ihre Erwartung ist daher, dass es kommen wird, wie Reinhart und Rogoff in This Time Is Different vorhergesagt haben: „Things go along fine until the Bang! moment.“ (S. 219)

Mit dem neunten Kapitel bereiten Mauldin und Tepper den Übergang zum zweiten Teil vor: „Easy Money Will Lead to Bubbles and How to Profit from Them“. Sie orten Blasen allerorten und fragen: „Why are we seeing so many bubbles right now? One reason is that the economy is weak and inflation is low. The growth in the money supply doesn’t go to driving up prices for goods like toothpaste, haircuts, or cars. It goes to drive up prices of real estate, bonds, and stocks.” (S. 225)

Was das Problem noch verschärfen wird, ist, dass das überschüssige Kapital auch in Schwellenländer fließt, die von den Problemen der Industriestaaten nicht direkt betroffen sind: „Code Red-type monetary policies are designed to produce investment and growth, and they are! Just not in the countries that central banks indended to help.“ (S. 240) Wenn dieses Geld aufgrund steigender Zinsen schnell abgezogen wird, kommen die zuvor damit unfreiwillig überschwemmten Volkswirtschaften in größte Not.

Wenig Optionen außer Crash abwarten

Was kann man als Investor in solchen „Blasenzeiten“ tun? Im Grunde nicht viel: „Avoid participating in investments when values are no longer cheap” und “If you are patient and do your homework, you can often find the best bargains of your life in the revulsion phase of a bubble.” (S. 249) Mit anderen Worten: Warten bis die Blase platzt, das heißt, bis die Leute richtiggehende Abscheu vor den vormaligen heißen Tipps empfinden, und (erst) dann kaufen.

Recht ernüchternd ist, was Mauldin und Tepper im zweiten Teil als praktische Empfehlungen aus ihren Analysen ableiten: „Grand investors understand that they can’t predict the future“, stellen sie im zehnten Kapitel fest (S. 256), und raten daher zu einem breit diversifizierten „All-Weather-Portfolio“, einem „globally diversified basket of assets that thrives in each of the four economic seasons.“ (S. 258) Wobei mit den „Seasons“ unter Bezug auf die Fondsmanager Ray Dalio und Bob Prince (Bridgewater) steigende und fallende Inflation sowie steigendes und rückläufiges Wachstum gemeint sind. Richtig innovativ klingt das nicht – und es wird zusätzlich in Frage gestellt durch die Erkenntnis der letzten Jahre, dass die Korrelation der Vermögensklassen vor allem in Krisen ziemlich hoch ist.

„Avoid Making Mistakes“, lautet eine weitere Empfehlung, für die man auch nicht unbedingt renommierte Fachleute gebraucht hätte (S. 259). Allerdings muss man fairerweise sagen, dass Mauldin und Tepper unter dieser Überschrift fünf besonders häufige Fehler anprangern und erläutern, nämlich „Trying to Time the Market“, „Home Bias in Investing“, „Overpaying of Fees“, „Overexposure to Stocks“ und „Borrowing Money (Leverage) to Improve Your Returns“ (S. 259ff.).

„How to Protect Yourself Against Inflation“, ist das elfte Kapitel überschrieben. Darin machen Mauldin und Tepper zunächst deutlich, dass es nicht viel Inflation braucht, um substanzielle Vermögensverluste auszulösen: „Even at a mere 2 percent, buying power is eroded by 25 percent every 10 years.“ (S. 273) Sie sind „reasonably confident that we are entering a period where stocks will outperform bonds at the long term“ (S. 280). Das Vertrauen in diese Prognose überrascht etwas angesichts des erst 23 Seiten zurückliegenden Eingeständnisses „that the future is always uncertain“ (S. 257).

„Buy Companies That Benefit from Inflation“ (S. 282), empfehlen sie weiter – und meinen damit solche, die Preissetzungsmacht haben, also die Macht, gestiegene Kosten an ihre Kunden weiterzugeben – von denen es aber leider gar nicht so viele gibt. “Build a Moat around Your Stocks“,lautet in Anlehnung an Warren Buffett ihr nächster Rat (S. 285). Dazu erläutern sie verschiedene Formen von Wettbewerbsvorteilen und nennen Unternehmen, die nach ihrer Auffassung Preissetzungsmacht besitzen, nicht ohne abschließend zu warnen: „Beware of False Moats“. Denn nicht alles, was wie ein verteidigungsfähiger Vorteil aussieht, ist auch einer: „If a company doesn’t have a moat, now matter how popular a product is, it will eventually face competition and disappear.“ (S. 294) Ein valider Punkt: Bei Modeaktien wie Apple beispielsweise muss man sich fragen, ob die Firma einen Vorteil hat, der über ihre derzeit sehr attraktiven Produkte hinausreicht – bei Ebay oder Amazon hingegen kann man sich relativ sicher sein, dass ihr Wettbewerbsvorteil kaum angreifbar ist.

„Buy at the Right Time“, lautet ein weiterer Ratschlag, der ziemlich banal klingt – und nur dadurch zu rechtfertigen ist, dass sich in der Realität kaum ein Anleger danach richtet. Tatsächlich scheint es eine der wichtigsten Fähigkeiten erfolgreicher Investoren die zu sein, mit grenzenloser Geduld abzuwarten, solange Märkte zu teuer sind – und nach einem deutlichen Preisrückgang, also nach einem Crash, zuzuschlagen. In diesem Zusammenhang geben sie den Tipp, die eigene Sichtweise auf „überschüssige“ Liquidität zu verändern: „Think of cash as a call option waiting for good valuations.“ (S. 298) Noch dazu eine Call-Option (fast) ohne Aufgeld und Verfallsdatum.

Commodities und Gold

Im abschließenden zwölften Kapitel werfen die Autoren „A Look at Commodities, Gold, and Other Real Assests“. Darin zitieren sie zunächst einen Forschungsbefund, wonach „commodity futures are positively correlated with inflation, unexpected inflation, and changes in expected inflation.“ (S. 302) Doch aus vielerlei nachvollziehbaren Gründen glauben Mauldin und Tepper nicht (mehr) an einen „Commodity Supercycle“ – mit Ausnahme von Gold, das für sie „effectively a central bank insurance“ ist (S. 314).

Nach ihrer Überzeugung folgt Gold „Gibson’s Paradox“, wonach Investoren eine risikofreie Realverzinsung von 2 Prozent erwarten und Gold für jeden Prozentpunkt, den die tatsächliche Verzinsung von diesen 2 Prozent abweicht, um 8 Punkte steigt bzw. fällt. In einer Zeit der „Financial Repression“, in der die Realzinsen systematisch negativ gehalten werden, wäre das ein starkes Argument für Gold. Das gilt erst recht für den Fall einer Hyperinflation, wenn es den Notenbanken, wie zu erwarten, nicht gelingt, eine Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit mit einer raschen Reduzierung der Geldmenge aufzufangen.

Insgesamt schwanke ich am Ende der 350 Seiten zwischen Begeisterung und Enttäuschung: Die Analysen, die Mauldin und Tepper im ersten Teil ihres Buchs präsentieren, sind das Schlüssigste, was ich bislang zu der Thematik gelesen habe. Auf den ersten Blick enttäuschend ist, was sie daraus im zweiten Teil an Empfehlungen ableiten. Sie sind überraschend – nein, banal wäre das falsche Wort – begrenzt: Diversifikation, Qualitätsaktien, Liquidität, Gold – fertig. Aber wenn diese Profis, die Mauldin und Tepper unzweifelhaft sind, nach intensiven Analysen und unzähligen Diskussionen mit der Crème de la Crème ihrere Branche zu diesem Ergebnis gekommen sind, dann ist es wohl tatsächlich so – und es wäre geradezu anmaßend, sie da als halbgebildeter Laie übertrumpfen zu wollen.

Auf den zweiten Blick hat ihr ernüchterndes Spektrum daher sogar etwas Beruhigendes: Das, was sie empfehlen, kann man mit etwas Fleiß und Disziplin auch als Laie schaffen. Und es ist dann wohl sogar klüger, es selber zu machen, als auf „Finanzberater“ zu vertrauen, die selbst an Margen und Benchmarks gemessen werden – und damit letztlich ganz andere Interessen haben.

Schlagworte:
Weltwirtschaft, Notenbanken, Überschuldung, Inflation, Deflation, Financial Repression, Weltfinanzkrise, Geldanlage

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