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Allzu viele Bäume verstellen den Blick auf den Wald

Senge, Peter M.; Smith, Bryan; Kruschwitz, Nina; Laur, Joe; Schley, Sara (2011):

Die notwendige Revolution

Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen

Carl Auer (Heidelberg); 464 Seiten; 49 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 7 / 7

Rezensent: Change Management, 06.10.2015

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Etwas enttäuschend. Die erhoffte Anleitung zu einer Neuausrichtung von Unternehmen und Gesellschaft auf nachhaltiges Wirtschaften hinterlässt trotz vieler Worte und Seiten keine bahnbrechenden Erkenntnisse, sondern Enttäuschung und Ratlosigkeit.

Ein dickes Buch, aber eines, das sich schnell lesen lässt – ideal, um halbvergessene Fähigkeiten im Schnelllesen wiederzubeleben. Denn die Informationsdichte pro Seite ist gering; ein diszipliniertes Überfliegen genügt, um das Wesentliche mitzubekommen und die wenigen Passagen zu entdecken, bei denen sich ein vertiefter Einstieg lohnt. Wie Tom Peters und andere Gurus neigen auch Peter Senge und Kollegen dazu, seine Gedanken episch und mit vielen Wiederholungen auszubreiten. Und die eher lustlos-routinierte als inspirierte Übersetzung von Maren Klostermann, die meist allzu nah am amerikanischen Originaltext klebt, trägt auch nicht dazu bei, die vielen Seiten zum Lesevergnügen zu machen.

Ihre Übersetzung bewirkt im Gegenteil, dass man beim Lesen immer wieder hängenbleibt und Schwierigkeiten hat zu verstehen, was einem der Dichter eigentlich sagen will. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel: "Das Katalysieren von sich selbst verstärkenden Veränderungen erweist sich als verbreitete Nachhaltigkeitsstrategie bei Erneuerern, die nicht nur die derzeit operierenden Systeme sehen, sondern auch jene, die möglicherweise in der Zukunft entstehen." (S. 233) – Was, bitte, heißt das auf Deutsch? Vergleicht man die Stelle mit dem Original, stellt sich heraus, dass sie korrekt, wenn auch ohne übertriebene Rücksicht auf Verständlichkeit übersetzt ist: "Catalyzing self-reinforcing change turns out to be a common strategy for innovators …" Auf Englisch klingt das auch ein wenig nach Bullshit-Bingo, aber es hat zumindest einen erkennbaren Sinn.

Immer wieder habe ich mich gefragt, ob die Übersetzerin einfach nur keine Lust hatte oder ob sie durch die Art ihrer Übersetzung das Wortgeklingel des Originals bloßstellen wollte. Wie auch immer: Nachdem ich immer wieder Schwierigkeiten hatte, die deutsche Übersetzung zu verstehen, habe ich mir nach den ersten Kapiteln die Kindle-Ausgabe des englischen Originals gekauft und dort weitergelesen. Optimal ist aber auch das nicht, denn in der Kindle-Ausgabe sind die Grafiken so klein (und nicht vergrößerbar), dass man die Beschriftungen kaum lesen kann. Und stehen auch nicht immer an der richtigen Stelle. Also muss man im Buch nachschauen, um die Grafiken nachvollziehen zu können. Das ist Murks.

Dabei wäre Peter Senge als Protagonist der "Lernenden Organisation" eigentlich der ideale Mann, um das Lernen von Organisationen und das für unsere Zukunft so entscheidende Thema einer nachhaltigen Unternehmensführung zusammenzubringen. Aber auch in diesem Fall entpuppen sich Begeisterung und Engagement als unzureichender Ersatz für eine klare Gedankenführung und analytische Sorgfalt. Das beginnt damit, dass die Autoren die Folgen des beginnenden Klimawandels in den ersten Kapiteln zwar sehr eindringlich suggestiv darstellen, aber die absolute Schlüsselfrage für jeden Top Manager weiträumig umfahren: Was sollte angesichts der Tatsache, dass Vorstände primär an der kurz- bis mittelfristigen Geschäftsentwicklung gemessen werden, der Grund für sie sein, ihr Handeln an langfristigen Überlegungen auszurichten? Und was vor allem sollte der Grund für sie sein, an diesen langfristigen Schwerpunkten auch dann festzuhalten, wenn sie kurzfristig unter Druck kommen?

Klar, die fossilen Energieträger werden nicht ewig reichen – auch wenn man trefflich darüber streiten kann, ob sie noch 3, 10, 30 oder 50 Jahre lang bezahlbar bleiben werden. Auch die Veränderungen des Klimas sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern haben begonnen. Aber die nächste Hauptversammlung ist im Durchschnitt ein halbes Jahr entfernt, die nächste Analystenkonferenz ein Vierteljahr, die nächste Aufsichtsratssitzung sechs Wochen. Und die eigene Amtsperiode könnte ein abruptes Ende nehmen, wenn die aktuellen Zahlen nicht stimmen, wogegen es kaum eine Rolle spielt, Themen auszublenden, die vielleicht in ein paar Jahren oder Jahrzehnten dringend werden.

Ich will damit ausdrücklich nicht unterstellen, dass Top Managern solche Zukunftsfragen gleichgültig sind – meine eigene Erfahrung legt vielmehr die Vermutung nahe, dass sich viele von ihnen (wenn auch nicht alle) darüber sehr wohl Gedanken machen, was das für ihr Unternehmen bedeutet. Aber aktuell – heute, morgen und übermorgen – haben sie meist drängendere Probleme. Was also sollte sie dazu veranlassen, substanziellen Aufwand in die Vorbereitung auf ferne Probleme zu investieren, deren Lösung im Zweifelsfall eher dem Nachfolger ihres Nachfolgers zugute gehalten wird als ihnen selbst?

Trotzdem scheint solche Fälle zu geben, und zwar sogar in größerer Zahl, wie die vielen Fallbeispiele des Buches zeigen. Darunter nicht nur ausgewiesene Öko-Unternehmen und ambitionierte Start-Ups, sondern auch zahlreiche etablierte Platzhirsche wie DuPont, Alcoa oder Coca-Cola, oder auch BP, IBM und Royal Dutch Shell. Doch bei allem Respekt für die ambitionierten Ziele – wie zum Beispiel bei Alcoa Reduzierung des Wasserverbrauchs auf Null – wirft dies auch Fragen und Zweifel auf: Wie "nachhaltig" sind diese guten Absichten sowie die guten Taten, die ihnen in der Tat zu folgen scheinen: Haben sie auf Dauer Bestand oder wechseln sie mit dem nächsten CEO bzw. dem nächsten Modetrend? Und vor allem: Ist eine nachhaltige Weltwirtschaft mit einem gleichbleibenden oder wachsenden Aluminiumverbrauch überhaupt möglich? Oder ist nicht nur der Wasser- und Energieverbrauch der Aluminium-Produktion das eigentliche Problem, sondern die viel zu große Menge des Aluminiumverbrauchs?

Das Muster, dem diese Fallbeispiele folgen, scheint immer wieder das gleiche zu sein: Ein engagiertes Individuum oder auch mehrere, meist aus den mittleren oder oberen Führungsebenen, starten eine Diskussion, scharen Gesinnungsgenossen um sich, gewinnen den CEO für ihr Vorhaben und/oder fangen einfach mal an. Das Vorhaben zieht Kreise, es gelingt früher oder später, auch die Kritiker und Skeptiker einzubeziehen, und irgendwann wird die eingeschlagene Richtung zum Bestandteil der offiziellen Unternehmensstrategie. Oftmals hilft dabei, dass weitsichtig denkende CEOs die Bedeutung des Themas erkennen und die mutige Entscheidung treffen, es zum zentralen Element ihrer Geschäftspolitik zu erklären und die operativen Linienmanager in die Pflicht zu nehmen.

Trotzdem gibt es auch Passagen, wo es sich lohnt hängenzubleiben. Dazu zählt zum Beispiel das Modell "Die vier Elemente des Shareholder Value" von Stuart Hall und Mark Milstein, das Senge & Co. im neunten Kapitel vorstellen. Es unterscheidet zwei Dimensionen, wie durch Veränderungen ein Mehrwert für die Eigentümer (!) geschaffen werden soll: "intern" vs. "extern" und "heute vs. "morgen". Daraus ergeben sich vier Felder, auch die Nachhaltigkeitsinitiativen im weitesten Sinne zielen können: Kurzfristig und intern sind Kostensenkung und Risikominimierung; kurzfristig und extern die Verbesserung von Reputation und Legitimität. Längerfristig und intern sind Innovation und Neupositionierung; längerfristig und extern ist, was die Autoren "Wachstumskurve" nennen.

Ihre Beobachtungen ist nun, dass die meisten Nachhaltigkeitsinitiativen "unten links" beginnen, also kurzfristig und intern, während Aktivitäten "unten rechts" (kurzfristig und extern) meist Reaktionen auf äußeren Druck sind. Aber die wenigsten Unternehmen schaffen den Sprung von der Kurz- zur Langfristigkeit, also dazu, Nachhaltigkeit zur Grundlage von Innovationen und einer strategischen Neupositionierung zu machen und daraus neues Wachstum zu generieren.

Dies und vieles andere leuchtet ein, macht Eindruck und irgendwie auch Sinn – aber so richtig überraschend ist es auch wieder nicht. Vor allem aber ist der Ansatz von Senge et al. so systemimmanent wie er nur sein könnte: Die Frage, wie weit die Ressourceneffizienz gesteigert und vor allem der Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen abgesenkt werden müsste, um auf die Dauer mit dieser bis auf Weiteres einzigen Erde auskommen zu können, schneiden sie überhaupt nicht an, und die Frage, ob dies mit unserer heutigen Form des Wirtschaftens erreichbar ist, logischerweise auch nicht.

Schlagworte:
Kulturveränderung, Nachhaltigkeit, Ressourcenverbrauch, Energiewende, Sustainability, Unternehmensführung, Langfristigkeit

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