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Zurück hinter die Grenzen eines endlichen Ökosystems

Meadows, Donella; Meadows, Dennis; Randers, Jörgen (2006):

Die Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update

Signal zum Kurswechsel

Hirzel (Stuttgart) 5. Aufl. 2015; 323 Seiten; 29 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 08.02.2016

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Ein würdiger Nachfolger der 1971 erschienenen Limits to Growth in guter Übersetzung – auch wenn er ebenso wenig die notwendigen Korrekturen an unserer Lebens- und Wirtschaftsweise ausgelöst hat wie seine Vorgänger. Aber das ist kein Fehler des Buchs.

Von einem 30-Jahre-Update würde man erwarten, dass es anhand der neu gewonnenen Daten und Erkenntnisse eine kritische Bilanz der Prognosen der ursprünglichen Studie zieht und darlegt, wo die damals getroffenen Annahmen richtig waren und wo sie nachjustiert werden müssen. Denn auch wenn die "Limits to Growth" explizit keine Vorhersage sein wollten, enthielten sie doch jede Menge von Aussagen über mögliche und wahrscheinliche Zukunftsszenarien. Es wäre also hochinteressant, nach 30 Jahren zu erfahren, wo die reale Welt heute (bzw. vor zehn Jahren) relativ zu den Modellen von 1970 steht und was sich daraus über die Welt und über die damaligen Modelle lernen lässt.

Die ursprünglichen Hochrechnungen waren verdammt gut

Doch mit einem Rückblick hält sich das 30-Jahre-Update nur kurz auf. Auf gerade mal anderthalb Seiten des Vorworts ziehen die Autoren Bilanz und stellen fest, "dass die hoch aggregierten Szenarien von World3 auch nach 30 Jahren noch überraschend genau sind. Auf der Welt lebten im Jahr 2000 genauso viele Menschen (rund sechs Milliarden – gegenüber 3,9 Milliarden), wie wir im Standardlauf von World3 1972 prognostiziert hatten. Darüber hinaus zeigte dieses Szenario ein Anwachsen der weltweiten Nahrungsmittelproduktion (…), das der tatsächlichen Entwicklung recht gut entspricht." (S. XX)

Doch statt – in der für Wissenschaftler gebotenen Zurückhaltung – in Triumphgeschrei über ihre bemerkenswert treffsichere Langfristprognose auszubrechen, relativieren Meadows und Kollegen diesen Erfolg sofort: "Ist diese Übereinstimmung der Beweis dafür, dass unser Modell richtig war? Nein, natürlich nicht. Sie zeigt aber, dass World3 nicht völlig absurd war; die Annahmen dieses Modells und unsere Schlussfolgerungen verdienen heute noch Beachtung." (S. XXI)

Wie wenig "absurd" ihre Hochrechnung war, zeigt eine neue Veröffentlichung der University of Melbourne, nämlich Graham M. Turners Forschungspapier "Is Global Collapse Imminent? An Updated Comparison of The Limits to Growth with Historical Data" (Research Paper Nr. 4 August 2014). Wie Turner anhand detaillierter Analysen festgestellt hat, stimmt ausgerechnet der sogenannte Standardlauf, also das "Weiter-So-Szenario" der "Limits to Growth" von 1971 nahezu perfekt mit den Daten überein, die seither aufgelaufen sind: "The world is closely tracking the Business-As-Usual scenario", stellt Turner mit einer Mischung von Bewunderung und Grausen fest (S. 6).

Zwar will auch Turner darin noch keine vollständige Bestätigung des Modells sehen, weil die Wendepunkte der Funktionen noch nicht erreicht sind (also die Kulminationspunkte, an denen das Wachstum seinen Höhepunkt erreicht und in einen Kollaps übergeht), doch die verbreitete Stimmung, dass "der Club of Rome mit seinen damaligen Prognosen völlig daneben gelegen" wäre, erweist sich angesichts der Datenlage als vorlaute, vor allem aber als irreführende und gefährliche Propaganda.

Allerdings wird es nun langsam erst, denn wir nähern uns dem Zeitfenster, für das das Weiter-So-Szenario den Höhepunkt sowohl der Nahrungsmittel- als auch der Industrieproduktion erwartet – und danach den Kollaps. Zwar wies die ursprüngliche Studie immer wieder darauf hin, dass sie keine Vorhersagen und demzufolge auch keine genauen Zeitangaben machen wollte, weshalb ihre Grafiken die Zeitachse zwischen 1900 und 2100 nicht weiter detaillierten. Aber natürlich kann man, eine Intervallskala unterstellend, trotzdem ablesen, dass der Wendepunkt irgendwo gegen Ende des ersten Viertels dieses Jahrhunderts liegt. Mit anderen Worten, die meisten heute Lebenden werden wohl noch am eigenen Leib erfahren, ob tatsächlich der Club of Rome falsch lag oder doch die feuerstarke Gegenpropaganda. (In welchem Fall man den Gegenpropagandisten wohl eines Menschheitsverbrechens anklagen müsste, weil sie mit vorsätzlich falschen Darstellungen ein rechtzeitiges Umsteuern hintertrieben und damit immenses Leid verursacht haben.)

Ziele dieses Buchs

Leider, so stellen Meadows und Kollegen im Vorwort fest, hat sich an den grundsätzlichen Aussagen der "Grenzen des Wachstums" seit 1971 nichts geändert – in der Zwischenzeit ist nur der "ökologische Fußabdruck" der Menschheit nochmal ein Stück größer geworden. Bereits 1992 hatten sie mit ihrem Buch "Beyond the Limits" (das auf Deutsch den verharmlosenden Titel "Die neuen Grenzen des Wachstums" trug, als ob man durch Nachverhandlungen mit der Natur noch einmal einen Aufschub erreicht hätte) davor gewarnt, dass schon damals viele Grenzen des Ökosystems überschritten waren und die Frist zum Umsteuern ablief.

Da man mit dem Ökosystem keine Kompromisse aushandeln kann, ist denn auch die Botschaft ihres 30-Jahre-Updates, dass wir mit jedem ungenutzt verstrichenen Jahr mehr Chancen auf einen sanften Übergang verspielen: Vergleichsweise akzeptable Entwicklungen, die 1992 noch möglich gewesen wären, stehen heute nicht mehr zu Verfügung, und Entwicklungen, die heute noch möglich wären, werden in 10 Jahren für immer vertan sein. Es wird zunehmend plausibel, wenn manche Ökologen vorschlagen, wir sollten uns nicht mehr mit der entschwindenden (oder bereits entschwundenen) Möglichkeit befassen, wie wir einen Kollaps des Ökosystems verhindern können, sondern uns damit auseinandersetzen, wie wir mit ihm umgehen.

Aber wenn sich die Aussagen der ursprünglichen Studie im Wesentlichen bestätigt haben, wozu dann überhaupt ein neues Buch, das doch weitgehend zu denselben Erkenntnissen kommen wird? Die Autoren haben dazu eine klare Position: "Das Wichtigste ist für uns, unsere Argumente von 1972 auf eine Weise zu formulieren, dass sie leichter verständlich sind und besser durch all die Daten und Beispiele gestützt werden, die sich in den vergangenen Jahren ergeben haben. Zusätzlich möchten wir den vielen Dozenten, die unsere früheren Bücher verwendet haben, aktualisiertes Material (…) zu Verfügung stellen. (…) Schließlich sollen Dozenten im 21. Jahrhundert für ihren Unterricht keine Tabellen verwenden müssen, deren Daten 1990 enden." (S. XXI)

Diese didaktische Zielsetzung merkt man dem Buch auch an, und zwar im positiven Sinne: Es ist noch klarer, überzeugender und eindringlicher geschrieben und noch besser aufbereitet als die "alten" Grenzen des Wachstums. Wer das Buch liest und sich auf seine Aussagen einlässt, wird sich schwer tun, einfach so weiterzumachen wie bisher. Dabei bemühen sich die Autoren erkennbar um Optimismus, auch wenn ihnen das streckenweise erkennbar schwer fällt – aber Realismus wäre wohl unamerikanisch, wenn er zu pessimistischen Erwartungen führt.

Keine Prognose – (noch) gestaltbare Szenarien

Auch dieses neue Buch wollen Meadows und Kollegen nicht als Prognose verstanden wissen. Sie sehen die Zukunft nicht deterministisch, sondern als gestaltbar – auch wenn die Gestaltungsspielräume enger werden. Deshalb präsentieren sie nicht ein Szenario, sondern zwölf (aufeinander aufbauende) Szenarien, die beschreiben, mit welchen Entwicklungen zu rechnen ist, je nachdem, was die Menschheit tut oder unterlässt. Es liegt also nach wie vor in unserer Hand, welches Szenario zum Tragen kommt: Ob es erneut das "Weiter-So-Szenario" ist oder ob wir doch noch (ein bisschen) umsteuern.

Doch auch, wenn die Zukunft (noch) gestaltbar ist, ist sie es doch nur in den Grenzen des gegebenen Systems. Das heißt, es sind keine beliebigen Verläufe möglich; vielmehr folgt der künftige Verlauf der Ereignisse den Weichenstellungen, die zu früheren Zeitpunkten getroffen wurden – zum Teil mit erheblichen Verzögerungen, aber unbeirrbar und mit einer geradezu beängstigenden Konsequenz.

Wobei diese Verzögerungen in doppelter Hinsicht ein wesentlicher Teil des Problems sind: Erstens machen es uns Menschen schwer, die mittelfristigen Folgen unseres heutigen Tuns und Unterlassens zu erkennen – und relativ leicht, sie zu verleugnen oder zu verharmlosen. Zweitens machen sie es sehr schwer und teilweise schlicht unmöglich, dann noch etwas zu korrigieren, wenn die Folgen dieses Handelns sichtbar werden. Denn auch korrigierende Interventionen greifen in aller Regel erst mit einer Verzögerung von zehn, zwanzig oder dreißig Jahren.

Das macht nicht unbedingt optimistisch, denn wenn man auf Sicht steuert, geht es schief: "Wenn eine Gesellschaft sich einfach nur daran orientiert, dass die Bestände verfügbar sind, statt daran, wie rasch sie sich wieder regenerieren, überschreitet sie die Grenzen." (S. 179) Weitblick jedoch ist nicht unbedingt die große Stärke von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft: "Für eine korrekte Steuerung muss ein System mit inhärenter Trägheit weit vorausschauen – zumindest so weit, wie sein Verhalten durch die Systemträgheit bestimmt wird. Je langsamer ein Schiff seinen Kurs verändern kann, desto weiter muss sein Radar vorausreichen." (a.a.O.)

Auch wenn die MIT-Forscher keine Vorhersage machen, sind sie sich nach über 30 Jahren Forschung doch über eines sicher, nämlich, dass die Systemdynamik unseres Ökosystems tatsächlich so funktioniert, wie sie es in ihrem überarbeiteten World3-03-Modell beschreiben. Es sollte also niemand hoffen, er könne vorerst weiter so wirtschaften wie bisher, weil er immer noch umsteuern könne, falls die vorhergesagten, aber verleugneten negativen Entwicklungen tatsächlich eintreten: Da die Systemdynamik mit unerbittlicher Konsequenz den Parametern folgt, die man zu einem viel früheren Zeitpunkt "eingestellt" hat, ist ein Zusammenbruch dann nicht mehr abzuwenden. Dann wird es allenfalls noch um Schadensbegrenzung gehen.

Aufbau und Inhalt des Buchs

Das erste Kapitel "Overshoot: Grenzüberschreitung" führt in die Thematik ein und erklärt den Aufbau des Buchs, sodass man es auch als Vorschau lesen kann. Es macht eindringlich klar, dass wir uns bereits jenseits der Grenzen befinden. Der "ökologische Fußabdruck" der Menschheit ist bereits wesentlich größer als der Planet, den sie bewohnt. Wir steuern daher auf einen Kollaps zu, wenn wir unseren Kurs nicht korrigieren: "Wir sind davon überzeugt, dass eine Korrektur möglich ist und zu einer wünschenswerten, nachhaltigen, ausreichend gesicherten Zukunft für alle Menschen führen kann. Allerdings wird es unserer Meinung nach mit Sicherheit zu einer Art Zusammenbruch kommen, wenn nicht bald eine nachdrückliche Korrektur erfolgt – und zwar noch zu Lebzeiten vieler heute lebender Menschen." (S. 3)

Das zweite Kapitel wird von seiner Überschrift treffend zusammengefasst: "Die treibende Kraft: exponentielles Wachstum". Um zu begreifen, dass wir wirklich ein Problem haben, muss man die ungeheure Dynamik eines exponentiellen Wachstums verstanden haben. Die Mathematik dazu ist nicht kompliziert, doch die Auswirkungen in ihrer vollen Tragweite sprengen unser Vorstellungsvermögen. Wenn zum Beispiel die Reichweite von Rohstoffvorräten, wie üblich, auf der Basis des heutigen Verbrauchs ausgewiesen wird, ist das grob irreführend, wenn der tatsächliche Verbrauch tatsächlich exponentiell wächst. Aus einer wenig alarmierenden Reichweite von über 100 Jahren bei konstantem Verbrauch werden bei steigendem Verbrauch plötzlich, je nach Wachstumsrate, nur noch 30 Jahre, 20 oder 15 Jahre – was sich schon deutlich beunruhigender anhört.

Welche Auswirkungen die Endlichkeit unseres Ökosystems hat, ist im dritten Kapitel "Grenzen und Senken" erklärt. Bei erneuerbaren Ressourcen – also bei allem, was nachwächst: Holz, Futtermittel, Fisch – gibt es schlicht Grenzen dessen, was die Erde pro Zeiteinheit hervorbringen kann. Diese Grenzen kann man zum Beispiel durch Düngung oder Fütterung verschieben, aber man kann sie nicht aufheben.

Bei nicht erneuerbaren Ressourcen wie Erdöl, Gas, Metallen sind nicht nur die Vorkommen endlich. Noch gravierender ist, dass lange bevor diese Vorräte aufgebraucht sind, die Grenzen eines wirtschaftlichen Abbaus erreicht sind: Wenn man annähernd so viel Energie braucht, um Öl oder Gas zu "produzieren", wie man dadurch an Energie gewinnt, ist das Spiel aus, selbst wenn die tatsächlichen Reserven noch längst nicht ausgeschöpft sind.

Bei Schadstoffen schließlich liegt die Grenze in dem Vermögen des Ökosystems, sie abzubauen. Der ungewöhnliche Begriff "Senken" (sink) steht für etwas, wofür wir im Deutschen kein Wort haben, nämlich Möglichkeiten, wie Schadstoffe resorbiert und unschädlich gemacht werden können. Auch diese Kapazitäten sind begrenzt, und wenn man diese Grenzen missachtet, können die Folgen ziemlich übel sein. Wenn beispielsweise in ein Gewässer mehr Nährstoffe eingeleitet werden als von den dortigen Lebewesen abgebaut werden können, kollabiert das betreffende Ökosystem: Das Gewässer "kippt um", alles Leben erstirbt, was übrig bleibt, ist eine tote und tödliche Dreckbrühe.

Im fünften Kapitel – auf das vierte kommen wir gleich – zeigen sie am Beispiel des Ozonlochs, dass man hinter überschrittene Grenzen auch wieder zurück kann, wenn man auf die erkannte Grenzüberschreitung rasch und entschlossen reagiert. Wobei "rasch und entschlossen" zu relativieren ist: Im konkreten Fall verstrichen 25 Jahre zwischen den ersten Anzeichen und einer dauerhaften Korrektur. Eine weitere wichtige Feststellung: "Die düsteren Prognosen der Industrie, welche wirtschaftlichen Folgen es nach sich zieht, wenn sie Umweltverordnungen befolgen muss, sind meist übertrieben." (S. 207)

Simulation möglicher Zukünfte

Im vierten Kapitel stellen Meadows und Kollegen ihr Computermodell World3 vor. Dessen Grundstruktur ist gar nicht so schwierig zu verstehen, denn die Anzahl der Variablen, die in das Modell einfließen, ist überschaubar und ihre Auswahl absolut einleuchtend. Eine wesentliche Variable ist zum Beispiel die Bevölkerungszahl, die durch die Anzahl der jährlichen Geburten und Sterbefälle bestimmt wird. Eine andere ist das Industriekapital, das sich aus dem Delta von Investitionen und Abschreibung ergibt. Es bestimmt über die Menge des produzierten Outputs und damit sowohl über das materielle Wohlstandsniveau als auch über die Umweltverschmutzung, welche wiederum durch die Investition eines Teils des Kapitals in umweltschonende Verfahren gemildert werden. Eine dritte wichtige Variable ist die Nahrungsmittelerzeugung, die nicht zuletzt von der Größe der fruchtbaren Anbaufläche, der Qualität der Böden und der "Flächenproduktivität" bestimmt wird. Weitere Variablen sind die erneuerbaren wie die nicht erneuerbaren Ressourcen sowie die Fähigkeit des Ökosystems, Schadstoffe aufzunehmen und abzubauen.

Komplex wird es erst im Detail, wenn die Wechselwirkungen der verschiedenen Variablen ins Spiel kommen und vor allem die zeitlichen Verzögerungen ihrer Wirkungen aufeinander. Jeden einzelnen Zusammenhang für sich kann man gut verstehen, aber wenn es darum geht zu durchdringen, wie sich die einzelnen Variablen aufgrund der vielfältigen und in unterschiedlicher Weise verzögerten Wechselwirkungen über die Zeit entwickeln, ist unser Gehirn überfordert und steigt aus. Genau hier kommt die Systemsimulation ins Spiel und rechnet die Sache ebenso geduldig wie unbestechlich durch.

Auf diese Weise lassen sich je nachdem, welche Annahmen man dem Weltmodell über die Eigenschaften des Ökosystems und über das kollektive Handeln der Menschheit zugrunde legt, unterschiedliche Verläufe der Zukunft und deren Auswirkungen auf die verschiedenen Variablen durchrechnen. Ebenso lassen sich die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen politischer Entscheidungen etwa auf dem Gebiet der Bevölkerungs-, Bildungs-, Umwelt- oder Wirtschaftspolitik simulieren.

Und genau das haben Meadows und Kollegen getan, sowohl bei den ursprünglichen Szenarien der "Grenzen des Wachstums" von 1972 als auch in dem 30-Jahre-Update, nur dass in das neuere Modell sowohl Erkenntnisfortschritte der Wissenschaft über die Variablen und ihre Zusammenhänge eingeflossen sind als auch die inzwischen bekannten Daten der verstrichenen 30 Jahre.

Als erstes rechneten die Forscher ein Nonsens-Szenario durch, das sie selber etwas süffisant "Unendlichkeit rein – Unendlichkeit raus" nennen: "Wenn man alle physischen Grenzen aus dem System von World3 entfernt, erreicht die Weltbevölkerung ein Maximum von fast 9 Milliarden Menschen; anschließend geht die Bevölkerung durch einen demographischen Übergang zurück. Die Wirtschaft wächst weiter, bis die Industrie im Jahre 2080 dreißigmal mehr produziert als im Jahr 2000 bei gleichem jährlichen Bedarf von nicht erneuerbaren Ressourcen und einem Achtel des jährlichen Schadstoffausstoßes." (S. 159) So abstrus wie sie klingen sind diese Annahmen nicht: Das wäre wohl das Wunschbild vieler Industrieverbände und Politiker. Der einzige Haken dabei ist die Endlichkeit unseres Ökosystems.

Auf einander aufbauende Szenarien

Ihr erstes "richtiges" Szenario ist ein aktualisiertes Weiter-So-Szenario, das als Bezugspunkt für alle weiteren Szenarien dient. Sie charakterisieren es als eine "Krise der nicht erneuerbaren Ressourcen" (S. 175). Zunächst geht dort alles weiter wie bisher, doch nicht mehr lange: "Die weitere Zunahme von Bevölkerung und Produktion wird schließlich gestoppt, weil nicht erneuerbare Ressourcen immer knapper werden. Um den Ressourcenfluss aufrechtzuerhalten, sind immer größere Investitionen erforderlich. Diese fehlen dann in anderen Sektoren der Wirtschaft, was schließlich dazu führt, dass die Produktion von Industriegütern und Dienstleistungen immer weiter zurückgeht. Als Folge werden auch immer weniger Nahrungsmittel produziert und die Gesundheitsdienste reduziert, wodurch die Lebenserwartung sinkt und die durchschnittliche Sterberate steigt." (S. 173) Der nüchterne Ton, in dem diese Sätze formuliert sind, verdeckt, was sie bedeuten – nämlich Hungersnöte und Massensterben.

Aber, so möchte man hoffen, es könnte ja sein, dass die Annahmen falsch sind und die Reserven an nicht erneuerbaren Ressourcen wesentlich größer. Wie Szenario 2 zeigt, ändert eine hypothetische Verdoppelung der Rohstoffreserven am Ergebnis wenig, es bringt uns lediglich 20 Jahre Zeitgewinn: Dann trifft es nicht mehr die Kinder, sondern die Enkel. Zum größten Problem wird nun die Umweltverschmutzung. "Die Bevölkerung erreicht ihr Maximum von 8 Milliarden im Jahr 2040 – bei einem viel höheren Konsumniveau. Die Umweltverschmutzung steigt allerdings sprunghaft in die Höhe, wodurch die landwirtschaftlichen Erträge sinken und große Investitionen für die Regeneration der Anbauflächen erforderlich werden. Aufgrund der Nahrungsmittelknappheit und der negativen Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die Gesundheit nimmt die Bevölkerung schließlich wieder ab." (S. 177)

Dieses Vergleichsszenario liefert wichtige Erkenntnisse über die Robustheit des Modells: Selbst wenn man mal eben einen wesentlichen Parameter verdoppelt, ändert sich zwar der Zeitverlauf, nicht aber die Systemdynamik. Was auf den zweiten Blick auch wieder logisch ist, denn durch eine Verdoppelung der Rohstoffreserven ändert sich ja wenig am ökologischen Fußabdruck der Menschheit.

In den Kapiteln 6 und 7 beschreiben Meadows und Kollegen schrittweise weitere Szenarien, die jeweils die Fehler der vorausgegangenen zu korrigieren versuchen: Szenario 3 baut auf Szenario 2 auf, unterstellt aber verbesserte Techniken zur Kontrolle des Schadstoffausstoßes. "Das ermöglicht den Menschen nach 2040 einen viel höheren Wohlstand, weil sich die negativen Auswirkungen der Umweltverschmutzung verringern. Die Nahrungsproduktion geht allerdings letztlich zurück, weshalb Kapital vom Industriesektor abgezogen wird und es schließlich zum Zusammenbruch kommt." (S. 219)

Nächster Versuch: Szenario 4 mit verbesserten Techniken zur Kontrolle des Schadstoffausstoßes und zur Ertragssteigerung. Hilft auch nichts: Aus der "Nahrungskrise" wird eine "Bodenerosionskrise", weil die intensive Landnutzung den Flächenverlust beschleunigt. Dazu die Forscher staubtrocken: "Weltweit versuchen die Landwirte, auf immer weniger Nutzflächen immer mehr Nahrung zu erzeugen. Das erweist sich als nicht nachhaltig." (S. 223) Aber was, wenn man zusätzlich – Szenario 5 – den Boden vor Erosion schützt? "Dadurch kann der Zusammenbruch am Ende des 21. Jahrhunderts leicht hinausgeschoben werden." (S. 225) Jetzt erwischt es die Urenkel: Aus der Nahrungs- und Erosionskrise wird eine Kostenkrise, weil die Groß- und die Urgroßeltern auf zu großem Fuß(abdruck) gelebt haben. Ähnlich endet auch Szenario 6, in dem man sich zusätzlich – unter erheblichen Mehrkosten – um Ressourceneffizienz bemüht.

Übergänge zu einem nachhaltigen System

Bevor die Leser endgültig in Verzweiflung versinken, bieten die Autoren im siebten Kapitel Ansätze an, wie unser schlingerndes Raumschiff doch noch stabilisiert werden könnte. Das Problem dieser Lösungen ist, dass man dafür an die tieferen Ursachen der Grenzüberschreitungen heran muss – allen voran das Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung sowie die ungleiche Verteilung des Wohlstands. In Szenario 7 wird, ohne Rücksicht darauf, wie realistisch dies ist bzw. gewesen wäre, eine Stabilisierung der Weltbevölkerung ab 2002 angestrebt. Aber selbst das reicht nicht: Die Industrieproduktion steigt steil an, und mit ihr die Umweltverschmutzung, was zur nächsten ökologischen Krise führt.

Erst in Szenario 8 kommt – bzw. käme – langsam Hoffnung auf, nämlich bei einer Stabilisierung der Weltbevölkerung und der Industrieproduktion pro Kopf ab 2002. Das führt zwar immer noch zu einem Anstieg der Weltbevölkerung und mit ihr zu einem Absinken von Nahrungsmittelproduktion und Lebenserwartung in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, aber das System beginnt, sich einzuschwingen.

Im nächsten Versuch – Szenario 9 – werden zusätzlich Techniken zur Emissionskontrolle, zur effizienten Ressourcennutzung und zur Verbesserung der Landwirtschaft ab 2002 eingeführt. Und siehe da: Die Schwingungen werden geringer, das Raumschiff stabilisiert sich. Schade nur, dass so viele beinahe unerfüllbare Prämissen in das Modell eingeführt werden müssen, um diesen Zustand zu erreichen.

Schade auch, dass es schon 2016 ist, denn: "Mit jedem Jahr, um das sich der Übergang zu einem nachhaltigen Gleichgewicht verzögert, werden die Kompromiss- und Wahlmöglichkeiten, die nach dem Übergang realistischerweise bleiben, immer unattraktiver." (S. 258) Um dies zu belegen, nehmen sie für Szenario 10 hypothetisch an, dass die Maßnahmen von Szenario 9 schon 1982 ergriffen worden wären. Und wie nicht anders zu erwarten, gelingen die Übergänge weicher, ohne Delle in der Lebenserwartung vor der Jahrhundertmitte und ohne den Peak der Umweltverschmutzung zur selben Zeit.

Bedauerlicherweise haben die Systemforscher Szenario 11 nicht abgedruckt, in dem die Maßnahmen von Szenario 9 erst 20 Jahre später durchgeführt werden – was aus heutiger Sicht leider der beste denkbare Fall ist. Dann, so kommentieren sie, "ist es bereits zu spät, den Niedergang zu vermeiden. Bei einer Verzögerung um zwei Jahrzehnte erreicht die Bevölkerung schon viel früher acht Milliarden. Auch die Industrieproduktion steigt sehr viel höher. Die zusätzlichen industriellen Aktivitäten führen – zusammen mit den 20 Jahre später umgesetzten Maßnahmen zur Verringerung des Schadstoffausstoßes – zu einer Umweltverschmutzungskrise. Durch die Schadstoffbelastung verringern sich die landwirtschaftlichen Erträge. (…) die Lebenserwartung sinkt, die Bevölkerungszahl geht zurück." (…) Letztlich bleiben der simulierten Welt immer weniger Optionen, und sie gerät auf einen turbulenten, letztlich erfolglosen Weg in die Zukunft. Maßnahmen, die früher angemessen waren, reichen nun nicht mehr aus." (S. 259)

Und das trotz einer Vielzahl von optimistischen Annahmen – beginnend mit der auf reinem Wunschdenken basierenden Verdoppelung der Rohstoffvorräte, die wir aus Szenario 2 mitgenommen haben, über eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums bis hin zu einem freiwilligen (!) weltweiten (!) Verzicht auf weiteres Wirtschaftswachstum. Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin dankbar, dass Meadows und Kollegen auch diese Szenarien mit eher unwahrscheinlichen Prämissen durchgerechnet haben. Ich tue mir nur etwas schwer, ihrer kumulierten Wahrscheinlichkeit eine Zahl von höher als – sei doch wenigstens ein bisschen optimistisch! – 1 Prozent zuzuordnen.

Shit – und nun?

Da stehen wir nun – und hätten anders gekonnt. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht sind wir Menschen ja auch sowohl emotional als auch sozial überfordert von einem freiwilligen und dauerhaften Verzicht zugunsten von Menschen, die in großer räumlicher und zeitlicher Entfernung von uns leben – und von denen wir nicht einmal wissen können, ob sie sich dieser ethischen Pflicht zur weltweiten Solidarität aller Menschen im Interesse des gemeinsamen Überlebens ebenfalls unterwerfen. Wir stehen vor einer gigantischen Herausforderung an das, was Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, das "Gemeinschaftsgefühl" nannte – vermutlich vor einer zu großen Herausforderung.

Denn hier geht es nicht darum, mal einen Tausender oder zwei zur Linderung einer erschütternden Katastrophe zu spenden – hier ginge es darum, den eigenen Lebensstandard freiwillig, dauerhaft und vor allem substanziell einzuschränken. Wer tut so etwas? Nein, ich auch nicht, zumindest nicht in einem Ausmaß, der meinen ökologischen Fußabdruck auf ein nachhaltiges Niveau reduzierte. Deshalb stimmt mich auch das "Rüstzeug für den Übergang zur Nachhaltigkeit", das die Autoren im achten und letzten Kapitel anbieten – mit den Elementen Visionen, Netzwerkbildung, Wahrhaftigkeit, Lernbereitschaft und Nächstenliebe –, nicht sehr optimistisch.

Hoffen wir also, dass World3-03 doch irgendwo einen grundlegenden Fehler hat … – nicht, dass ich daran glauben würde, aber eine andere Hoffnung bleibt uns wohl nicht. Parallel können wir ja schon mal an unserem Plan B arbeiten, um uns für den Fall vorzubereiten, dass es tatsächlich so kommt wie es zumindest kommen könnte. Nein, nicht mit Lebensmittelkonserven im Keller. Das hilft allenfalls zur Überbrückung kurzfristiger Turbulenzen. (Wobei auf sauberes Wasser schwerer zu verzichten ist als auf Corned Beef – nur so als Tipp.) Eher durch den Aufbau (relativ) resilienter Gemeinschaften in der Region. Eine gute Quelle, um sich in solche Ansätze einzudenken, sind John Michael Greer, aber auch, trotz mancher Betulichkeiten, die lokalen Transition-Initiativen.

Schlagworte:
Ökologie, Nachhaltigkeit, Grenzen des Wachstums, Ökologische Krisen, Wachstum

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