Der schwarzhumorige Titel ist irreführend: Es handelt sich nicht um eine Anleitung zur Vorwegnahme des Öko-Kollaps, sondern um eine "Best of"-Sammlung aus dem Archdruid Report, dem Blog des Autors, mit recht unterschiedlichem Wert über den Tag hinaus
John Michael Greers Blog "Archdruid Report" lese ich regelmäßig und gern, weil Greer ein ebenso origineller wie sorgfältiger und scharfsinniger Denker ist. Deshalb hat es mich gefreut, eine Auswahl seiner älteren Kolumnen – Verzeihung: Blogs – seit 2006 in Buchform nachlesen zu können, ohne mich durch Internet-Ablagen wühlen zu müssen. Die in der Regel fünf bis zehn Druckseiten umfassenden Texte lassen sich gut zwischendurch lesen. Dabei schaden auch Unterbrechungen nicht, weil die einzelnen Blogs meist in keinem durchgehenden Zusammenhang stehen.
Aber was bedeutet "Archdruid" Report? – John Michael Greer war etliche Jahre "Erzdruide" des 1912 gegründeten "Ancient Order of the Druids in America (AODA)", einer Vereinigung, die sich den alten keltischen Druiden spirituell verbunden fühlt und nach einem dritten Weg zwischen reinem Materialismus und religiösem Dogmatismus sucht. Sie ist Teil einer Bewegung, die in den USA als "Druid Revival" bezeichnet wird. Dabei räumt Greer sehr klar den Abriss der druidischen Tradition ein: "The original Druids, the priests and wizards of the ancient Celts, went extinct more than a thousand years ago, and all their beliefs, practices, and teachings went with them." (S. 5)
Ein scharfsinniger und intellektuell redlicher Vordenker
Insofern handelt es sich bei Greers Druidentum mehr um eine "spirituelle Heimatsuche" als um die Fortführung einer alten Überlieferung. Greer hat hierzu auch etliche Bücher veröffentlicht; mich interessieren an seinem Denken aber vor allem seine immer sehr gescheiten und ziemlich unideologischen Überlegungen zur Zukunft des menschlichen Lebens auf der Erde. Insofern lese ich ihn nicht weil, sondern obwohl er sich als Druide versteht: "Lasst ihn druiden in Frieden."
Spätestens seit seinem 2011 erschienenen Buch "The Wealth of Nature – Economics as if Survival Mattered" – der Titel ist eine doppelte Anspielung einerseits auf Adam Smiths "The Wealth of Nations", andererseits auf E. F. Schumachers "Small is Beautiful. Economics as if People Mattered" – zählt Greer zu den Vordenkern der undogmatischen amerikanischen Öko-Linken. Er macht die Endlichkeit unseres Ökosystems zur Grundlage seiner Zukunftsvisionen und weigert sich beharrlich, die Steigerung des materiellen Wohlstands als höchstes Ziel menschlichen Daseins anzusehen – zwei Leitgedanken, denen ich mich vorbehaltslos anschließen kann.
Was ich an John Michael Greer schätze, ist seine intellektuelle Redlichkeit, sein Bemühen um möglichst klares und "sauberes" Denken und seine Unbeugsamkeit gegenüber dem subtil dogmatischen Mainstream des linken Lagers samt seinen Tendenzen zu einer repressiven "Political Correctness", seine – häufig erfolgreichen – Anstrengungen, besser zu durchdringen, wie die Dinge wirklich zusammenhängen und zusammenwirken. Er nimmt die Dogmen, Irrlehren und intellektuellen Schlampereien des eigenen Lagers ebenso unnachgiebig auf die Hörner wie die der Gegenseite. Das ist wichtig, denn gerade in so schwierigen und komplexen Zusammenhängen nützt es nichts, sich und dem eigenen Lager in die Tasche zu lügen, vor Tatsachen, die nicht ins eigene Bild passen, die Augen zu verschließen und Zukunftskonzepte auf Wunschdenken aufzubauen.
Gemischtes Resümee
Trotzdem lege ich seine gedruckte Best-of-Blogs-Sammlung mit gemischten Gefühlen aus der Hand. Und ich kann es daran festmachen, wie viele – bzw. wie wenige – Unterstreichungen ich in weiten Teilen dieses Buches vorgenommen habe. Etliche Artikel haben mich ziemlich unberührt gelassen: nichts, was zu Widerspruch reizt, aber auch nichts, was neue Erkenntnisse, Einsichten oder gar fundamental neue Perspektiven vermittelt – etwas, war Greer ansonsten in seinen Blogs durchaus gelingt. Insofern schadet es zwar nichts, sie gelesen zu haben, aber es bringt auch nicht allzu viel.
Doch zwischen weniger ergiebigen Passagen findet sich doch immer wieder Bemerkenswertes. Der erste Satz, den ich mir angestrichen habe, steht auf Seite 29: "It may be one of the bitterest ironies of the next few decades that those who label their political enemies as fascists, by that very act, are helping to build a climate of political hatred, and contempt for flawed but functioning democracies, that could make something like fascism inevitable in today's America – and a future totalitarian state, it bears remembering, could as easily arise from today's political left wing as from the right."
Heute ist es ziemlich verbreitet, sich Sorgen über die eskalierende Schärfe der politischen Debatten zu machen – aber Greer hat das nicht 2016 formuliert, sondern 2009. Und in der Tat: Es íst nicht so, dass wir gesellschaftlich und politisch nichts zu verlieren hätten an unserer Demokratie. Bei allen Mängeln haben (oder hatten?) wir eine Kultur, in der man quer über (fast) alle Lager einigermaßen zivilisiert und respektvoll über die richtige Analyse und den richtigen Weg streiten kann (konnte?) und in der man, wenn auch zuweilen zähneknirschend, gemeinsam mit dem entstandenen Ergebnis leben konnte.
Der reale Prozess der Demokratie ist oft so ärgerlich und so lästig, dass man leicht aus den Augen verliert, was die Alternative ist – nämlich eine Gesellschaft, die nicht mehr streitet, sondern in Lager zerfällt und in der die Grundakzeptanz für politische und administrative Entscheidungen verloren geht. Dann aber liegt es für alle Beteiligten auf der Hand, einfach Fakten im eigenen Sinne zu schaffen – bzw. mit allen Mitteln zu verhindern, dass andere dies gegen die eigenen Interessen und Vorstellungen tun. Mit anderen Worten, eine solche Gesellschaft ist nur noch einen Schritt von einer Diktatur oder einem Bürgerkrieg entfernt.
Es ist verständlich, wenn gerade jungen Leuten nicht bewusst ist, was sie an dieser mit vielen Mängeln und Defiziten behafteten Demokratie haben. Aber gerade deshalb muss man der um sich greifenden Demokratieverachtung entgegentreten und darauf aufmerksam machen, dass bei all ihren Unzulänglichkeiten keine der verfügbaren Alternativen anstrebenswerter ist. Erst recht nicht hinnehmbar ist die pubertär anmutende Bockigkeit mancher Intellektueller, die etwa zur Nichtteilnahme an Wahlen aufrufen – als ob sie mit dieser Verweigerung einem autoritären Vater ein Mehr an "echter Demokratie" abtrotzen könnten. Nein, was wir haben, ist trotz all seiner Mängel zu kostbar, um es mit unreifen Spielchen aufs Spiel zu setzen.
Am Beginn einer Implosion
Sehr lesenswert ist auch der Artikel "The Onset of a Catabolic Collapse", der als Blog im Januar 2011 veröffentlicht wurde. Darin beschreibt Greer, woran nach seiner Deutung der Geschichte alle großen Imperien gescheitert sind – nämlich schlicht daran, dass sie größere Herrschaftsgebiete und Infrastrukturen aufgebaut hatten als sie auf die Dauer zu erhalten und finanzieren vermochten. Genau in dieser Entwicklung sieht er auch die USA. Als Beispiele nennt er den "Rust Belt", die wachsende Zahl der Armen sowie die verrottende Infrastruktur, die nach seinen Worten besser zu einem Entwicklungsland passen würde als zu einer Supermacht.
Der Ausweg? "The only reliable way to solve a crisis that's caused by raising maintenance costs ist to cut those costs." (S. 40f.) Und ironischerweise scheint ihn ausgerechnet die angekündigte Politik von Donald Trump zu bestätigen: Genau auf dieser Linie liegen Trumps Rückzug auf die USA, sein offenkundiges Desinteresse an der Rolle als Weltmacht, Weltpolizist und internationaler Ordnungsmacht, seine Forderung, die NATO-Partner müssten sich mehr an den Verteidigungslasten beteiligen. So handelt eine Großmacht, die zu ihrer eigenen Rettung Ballast abzuwerfen versucht.
Die Implosion von Imperien geschieht laut Greer nicht auf einen Schlag, sie verläuft in Stufen. Auf plötzliche Krisen können längere Phasen einer relativen Stabilität und sogar einer scheinbaren Erholung folgen, bis die Krise zurückkehrt. Die erste große Krise lokalisiert er bereits 1974, als sich Amerikas industrielles Kernland in den Rust Belt verwandelte, hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze für immer verschwanden und auch viele Family Farms dem "Strukturwandel" weichen mussten, genau wie viele Kleinbauern bei uns. Auch in den britischen Midlands und in Schottland ging in dieser Zeit die Schwerindustrie unter und ließ ganze Landstriche in eine langandauernde Depression versinken.
Die anschließende Erholungsphase endete nach Greers Auffassung 2008. Was zunächst nur die "Working Class" getroffen hatte, erfasste nun immer breitere Teile der Mittelschicht: "That's the way civilizations end, and that's the way ours is ending." (S. 46) Vermutlich ist diese Implosion schon sehr viel weiter fortgeschritten als erkennbar, denn die exorbitante Verschuldung der meisten Industriestaaten ist ja (zumindest in all den Teilen, die keine Zukunftsinvestitionen sind) nichts anderes als vorgezogener Konsum, also eine Erhöhung des heutigen Lebensstandards zu Lasten des künftigen.
Zynismus und Nihilismus zur Selbstbeschwichtigung
Auf ganz andere Weise interessant ist der dreiteilige Blog "Alternatives to Nihilism" vom April 2011. Greer konstatiert in den USA einen "contemporary cult of nihilism" (S. 49), und er unterschiedet zwei Arten von Zynismus. Die eine findet man bei Menschen, "who have too often seen others betray their ideals" – die andere erlebt man bei denjenigen, "who betray their own ideals" (S. 49). Das lässt sie dünnhäutig und aggressiv reagieren, wenn sie jemand an ihre verratenen Ideale erinnert oder sie gar damit konfrontiert. (Dass diese Art von aggressivem Zynismus auch bei uns vorkommt, zeigt zum Beispiel die Beliebtheit des bösartig-diffamierenden Begriffs "Gutmenschen".)
Um den Verrat an ihren Idealen vor sich und anderen zu rechtfertigen, sind viele zu Nihilisten geworden: Sie bestreiten, dass es möglich ist, die Welt zum Positiven zu beeinflussen. Das erklärt für Greer ihre Neigung zu Verschwörungstheorien ebenso wie ihre Begeisterung für apokalyptische Phantasien: Wenn die Welt von finsteren Mächten beherrscht und/oder eh dem Untergang geweiht ist, dann kann man (Gottseidank) nichts machen – und insofern ist es nicht nur verzeihlich, sondern ausgesprochen rational, seine Zeit und Kraft nicht mit vergeblichen Bemühungen zu verschwenden.
Apokalyptische Visionen enthalten "a frantic insistence that we don't have to live with the consequences of our collective actions" (S. 50): Gleich ob der Weltuntergang bevorsteht, die Singularität oder sonst eine fundamentale Transformation, was kümmert da, wie (verantwortungslos) wir uns heute verhalten? Auf skurrile Weise treffen sich die Apokalyptiker hier mit den Anhängern diverser Technologie-Religionen, die darauf schwören, dass unmittelbar vor dem Durchbruch stehende Innovationen uns von allen Übeln erlösen werden, sei es die Kernfusion, die Besiedelung der Meere oder des Weltraums oder was auch immer.
Die anstrengendere Alternative wäre "a prudent regard for the limits of nonrenewable resources" (S. 52). Doch genau diese Anstrengung verweigern nicht nur Politik und Öffentlichkeit, sondern auch weite Teile jener Szene, die sich dereinst für eine Nachhaltigkeitsrevolution eingesetzt, ihre Ideale aber verraten hat. Das erklärt "the uncomfortable silence that falls whenever anybody brings up the subject of [energy] conservation in most circles in America today" (S. 54). Völlig zurecht stellt Greer fest: Wenn Menschen an einem objektiv unlösbaren Problem gescheitert sind, bleiben sie nicht auf Jahre hinaus defensiv und aufbrausend. So reagieren nur Menschen, die wissen, dass sie einen mühsamen, aber durchaus gangbaren Weg aus Bequemlichkeit verweigert haben, nämlich die simple "option of using less" (S. 68)
Die Nachhaltigkeitsbewegung der siebziger und achtziger Jahre ist nach seiner Analyse nicht an ihren Gegnern gescheitert, sondern an ihrer eigenen Unwilligkeit, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Als sie erkannte, dass sie ihren komfortablen und verschwenderischen Lebensstil hätte einschränken müssen, um die Lebensgrundlagen für ihre Kinder und Enkel zu erhalten, hätte sich die Gesellschaft erst einmal "a thirty-year vacation from reality" (S. 62) genommen (ein Urlaub, der mittlerweile um etliche weitere Jahre verlängert wurde). Diese fleischgewordene Inkonsequenz habe die Bewegung jede Glaubwürdigkeit gekostet. Geradezu prototypisch Al Gore, der seine überdimensionierte Luxusvilla kaum noch sah, weil er kreuz und quer um die Welt jettete, um vor den Gefahren des Klimawandels zu warnen.
Dem Kollaps entgegengehen, statt vor ihm davonzulaufen
Eine Hervorhebung wert ist ohne Zweifel auch der titelgebende Blog "Collapse Now and Avoid the Rush", zumal er die zentrale Argumentation von John Michael Greer sehr strukturiert herausarbeitet: "First, our industrial society was only possible because our species briefly had access to an immense supply of cheap, highly concentrated fuel with a very high net energy" (S. 138).
Zweitens könne zwar jeder behaupten, es werde gelingen, unsere heutige Lebensform durch die Erschließung "alternativer" Energiequellen am Blühen zu halten, aber "putting that comfortable notion into practice has turned out to be effectively impossible." (S. 139) Selbst die erneuerbaren Energien, so stellt er trocken fest, werden massiv mit fossiler Energie "subventioniert". (Wer das nicht glaubt, mache sich einmal kundig, wie viel Öl beispielsweise bei der Erzeugung von "Biogas" verbrannt wird: vom Ansäen und Ernten der Energiepflanzen bis zum Transport in die Agrogasanlage und deren Betrieb bis zum Abholen und Ausbringen der vergorenen Reststoffe.)
"Third, these problems leave only one viable alternative, which is to decrease our energy use, per capita and absolutely, to get our energy needs down to levels that could be maintained over the long term on renewable sources." (S. 139) Nach seiner Analyse lebt unsere Industriegesellschaft so weit über ihre Verhältnisse "that a controlled descent is no longer an option; the only path remaining is the familiar historical process of decline and fall." (S. 140)
Viertens sei es trotzdem falsch, sich vor einem großen, spektakulären Zusammenbruch quasi über Nacht zu fürchten (oder ihn herbeizusehnen): "Civilizations take an average of one to three centuries to complete the process of decline and fall, and there is no valid reason to assume that ours will be an exception." (S. 140) Dabei werde es Stabilisierungs- und sogar Erholungsphasen ebenso geben wie Zeiten, in denen plötzlich der Boden wegzusacken scheint.
Fünftens hätten Individuen, Familien und Gemeinschaften trotz der Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung Wahlmöglichkeiten. Sie könnten entweder jetzt mit einem geordneten Abstieg beginnen und sich auf andere Zeiten vorbereiten – oder die Party bis zum Ende auskosten, dafür aber den Preis bezahlen, von den bevorstehenden Veränderungen unvorbereitet erwischt zu werden, zusammen mit unzähligen anderen, die das – aus Greers Sicht – Unvermeidliche ebenfalls nicht wahrnehmen wollten oder konnten, und die dann verzweifelt um eine neue Existenzgrundlage kämpften.
Im Grunde ist das die zentrale Botschaft des gesamten Buchs: "Figure out how you will be able to live after the next wave of crisis hits, and to the extent that you can, start living that way now." (S. 141) Das heißt praktisch, bewusst unter seinen Verhältnissen zu leben: Schuldenabbau, ein moderater Lebensstil in einem finanzierbaren Umfeld, der Aufbau energetischer Unabhängigkeit und der Erwerb praktischer Fähigkeiten, die unter Umständen einmal einen Tauschwert in einer zu mehr Bescheidenheit gezwungenen Welt haben könnten.
Nicht begeisternd, aber dennoch empfehlenswert
Diese Beispiele mögen genügen, um deutlich zu machen, dass dieser Band trotz der Mühen, die er stellenweise macht, eine Menge an Gedanken enthält, die diese Mühe lohnen. Für eine begeisterte Besprechung reicht das nicht, wohl aber für eine Empfehlungen an all diejenigen, die tiefer vordringen wollen und dafür auch zu gewissen Anstrengungen bereit sind.
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