Ein kluges multidisziplinäres, eklektisches Denkmodell, das anhand von Indikatoren aus fünf Disziplinen die Früherkennung von Blasen in Finanzmärkten ermöglichen will. Sehr empfehlenswert für alle, die ihr Geld nicht nur Sparbüchern anlegen.
Der boombastische Titel könnte Zweifel an der Seriosität dieses Buchs wecken, und das Cover ist, gelinde gesagt, nicht unbedingt geeignet, sie zu zerstreuen. Doch sie wären unberechtigt, denn das Buch und sein Autor sind absolut seriös – das belegt nicht nur der renommierte Verlag und eine Referenz des über jeden Zweifel erhabenen Altmeisters Jeremy Grantham, sondern vor allem die genauere Lektüre.
Und verdienstvoll ist das Buch dazu: Vikram Mansharamani (über den das Buch wenig verrät, außer dass er am MIT promovierte und in Yale einen Lehrauftrag hat) entwickelt sehr klar und logisch strukturiert einen multidisziplinären Ansatz, um die Bildung von Blasen in Finanzmärkten nicht erst ex post, sondern schon in ihrer Entstehung mit einiger Treffsicherheit zu erkennen – was bislang weder Noten- und anderen Banken noch den allermeisten Experten gelingt. Dabei stützt er sich nicht nur auf mikro- und makroökonomische Indikatoren, sondern zieht drei weitere Disziplinen zur Analyse heran, nämlich die Psychologie, die Politologie und die Biologie.
Dementsprechend hat sein Buch eine sehr klare Struktur: Nach einer kurzen Einführung, in der er seinen Ansatz erklärt, stellt er im ersten Teil seine "Five Lenses" vor und arbeitet heraus, welche Frühindikatoren für Blasen sie hergeben. Im zweiten Teil "Historical Case Studies" blickt er durch seine fünf Linsen auf fünf historische Blasen, die unter teils sehr hässlichen Geräuschen geplatzt sind, von der holländischen Tulpenblase im 17. Jahrhundert bis zur jüngsten Subprime-Krise. Im dritten Teil "Looking Ahead" zieht er ein Resümee und wendet sein Modell zum Schluss auf eine (bei Erscheinen des Buchs) aktuelle Entwicklung an, die er unter Blasenverdacht hatte, nämlich China.
Wenn sich die Maßstäbe verschieben
Zu den zentralen ökonomischen Dogmen zählt, dass sich (a) Preise über Angebot und Nachfrage bilden und so (b) für ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage sorgen. Doch was für (viele) Warenmärkte (meistens) gilt, gilt für die Finanzmärkte nicht, zumindest nicht immer. Dort kann es vorkommen, dass ein Anstieg der Preise zum Beispiel für Aktie statt zu einem Rückgang zu einem weiteren Anstieg der Nachfrage führt.
Aus Mansharamanis Sicht taugt für die Erklärung solchen Marktverhaltens George Soros' Theorie der Reflexivität für wesentlich besser als die gängigen Gleichgewichtstheorien. Nach Soros findet eine permanente Wechselwirkung zwischen dem Handeln der einzelnen Akteure und dem Marktverhalten statt: Die Leute versuchen vorherzusehen, wie andere Akteure sich verhalten werden, und richten ihr eigenes Handeln danach aus, welches Feedback sie den Marktentwicklungen entnehmen. So kann es durchaus rational sein, zu kaufen, wenn alle anderen auch kaufen, weil dann die Preise der eigenen Anlagen steigen – bis sie irgendwann nicht mehr steigen. Und wenn dann alle zum Ausgang rennen, kann es rational sein, zu versuchen, unter den Ersten zu sein, aber jedenfalls schnellstmöglich zu verkaufen, bevor die Preise noch weiter in den Keller gehen. So nährt die Blase die Blase und der Crash den Crash.
Aus dieser reflexiven Dynamik leitet Mansharamani drei Frühindikatoren für Blasen ab. Erstens die Verschiebung der Kreditvergabekriterien: Wenn Kredite nicht mehr auf der Basis des Einkommens der Kreditnehmer vergeben werden, sondern auf Basis des Werts der hinterlegten Sicherheiten – der wiederum mit steigenden Preisen wächst –, dann könnte das bedeuten, dass sich eine Blase aufbaut. Das gilt erst recht, wenn zweitens der wachsende Wert der Sicherheiten dazu genutzt wird, noch höhere Kredite aufzunehmen, und wenn drittens "heißes Geld" zum Beispiel aus internationalen Märkten in den boomenden Markt fließt, um dort besonders hohe Renditen zu "verdienen".
Aus der Makroökonomie entlehnt Mansharamani Hyman Minskys Modell der finanziellen Instabilität. Danach erhöhen Schulden generell das Risiko, vor allem aber dann, wenn sie eine Höhe erreichen, ab der die Zinsen nur bei starkem Wachstum (Spekulation) oder gar durch die Aufnahme von neuen Krediten (Ponzi- oder Schneeballsysteme) bedient werden können.
Ein besonderes Warnsignal sind sogenannte "Finanzinnovationen", die letztlich nur ermöglichen sollen, dass Schuldner von zweifelhafter Bonität weitere Kredite aufnehmen können. Ein weiteres Warnsignal aus dem makroökonomischen Raum ist billiges und überreichliches Geld infolge niedriger Zinsen und einer Aufblähung der Geldmenge. Ein drittes Warnsignal ist "Moral Hazard", das heißt eine Kombination von Leichtsinn, Leichtgläubigkeit und Arglist, die darauf vertraut, risikolos riskante Geschäfte machen und die Gewinne einstreichen zu können, weil der Staat es sich nicht leisten kann, die eigene Bank oder Firma im Falle einer Schieflage pleitegehen zu lassen.
Unverschuldetes Selbstvertrauen und eine neue Normalität
In der Psychologie stützt sich Mansharamani vor allem auf die Forschungen von Daniel Kahneman, Amos Tversky und Kollegen, und natürlich kommen wir dabei an dem Begriff "Overconfidence" nicht vorbei, aber auch an dem ganzen Sortiment an Denk-, Schätz- und Urteilsfehlern, das diese Forscher und ihre Adepten auf dem Feld der Behavioral Economics herausgearbeitet haben.
An Warnsignalen leitet er daraus erstens einen demonstrativen Konsum ab, wie er sich in Trophäenkäufen (Jachten!) und überhöhten Kunstpreisen widerspiegelt, aber auch im Bau rekordverdächtiger Hochhäuser (die dann typischerweise zum Tiefpunkt des Crashs fertiggestellt werden). Vielleicht wäre hier begrifflich noch treffender, vom dem eitlen, selbstgefälligen Streben nach dem Sprengen bisheriger Maßstäbe zu sprechen. Zweitens wird es gefährlich, wenn sich der Glaube bzw. die Illusion breit macht, in eine neue Ära eingetreten zu sein. (Nachdem der Spruch "This time is different" durch Reinhart und Rogoff etwas in Verruf geraten ist, redet man derzeit lieber von einem angeblichen "New Normal". Also Vorsicht!)
Die vierte aus Mansharamanis Linsenquintett sind "Policy-Driven Distortions", also staatliche bzw. politische Eingriffe in die (bisherige) Marktdynamik. Drei Merkmale indizieren eine erhöhte Blasenwahrscheinlichkeit:
"The first, moral hazard, effectively creates a dynamic in which lenders are willing to underweight the risk of failure because they believe (rightly or wrongly) that governments do not have the political will to allow the failure of certain key stakeholders. The second involves active government manipulation of supply and demand dynamics via price controls, tax policies, and/or direct government actions. The third indicator, shifting regulations, is usually a sign of flux in the rules of play vis-à-vis business that allow for the emergence of a new paradigm and industry structure by destabilizing established industrial patterns." (S. 207)
Als fünfte und letzte Linsenquelle greift Mansharamani auf die Biologie zurück, genauer auf Epidemiologie und Emergenz. In der Tat haben Blasen eine verblüffende Ähnlichkeit mit Epidemien, besonders wenn es mit ihnen zu Ende geht. Beide brechen zusammen, wenn die Zahl der noch infizierbaren Personen deutlich kleiner ist als die der bereits Infizierten. Wenn alle "bullish" sind, dass der Markt weiter nach oben geht, und es keine "Bären" mehr gibt, ist das paradoxerweise ein Signal dafür, dass die Blase maximal aufgepumpt ist. Denn ohne weitere Käufer kein weiterer Anstieg.
Warum alle hinter den anderen herlaufen
MIt Emergenz wird bezeichnet, wie aus dem ungeordneten, geradezu chaotischen Agieren unzähliger Individuen eine gemeinsame, wohlgeordnete Bewegung entsteht. So ist es für die Individuen in einem Schwarm sinnvoll und anstrebenswert, einen Mindestabstand zu ihren Nachbarn sowie Vorder- und Hinterleuten zu halten. Wenn sie darauf jedoch achten, entsteht automatisch eine synchrone Bewegung des Schwarms – und sie wird dadurch gesteuert, dass sich einzelne Individuen, sei es absichtlich oder unbeabsichtigt, etwas stärker in die eine oder in die andere Richtung bewegen.
Bei der Gesamtrichtung des Schwarms verlassen sich alle darauf, dass die anderen, die in eine Richtung unterwegs sind, schon gute Gründe für den von ihnen eingeschlagenen Weg haben werden. Also fliegen oder laufen sie ihnen ohne lange Prüfung hinterher – so wie man an einem unbekannten Flughafen dem Schwarm derer folgt, die zum Ausgang streben. Und vielleicht bemerkt man dann erst am Transfer-Gate, dass nicht jede plausible Annahme richtig ist.
Andererseits hat es einen Preis, einen Schwarm zu verlassen. Wer aus einem physischen Schwarm ausschert, rempelt andere an und wird angerempelt, und er zieht Unmut und Unwillen auf sich. Wer einen virtuellen Schwarm verlässt, riskiert ebenfalls Blessuren, wie der eingangs zititerte Fondsmanager Jeremy Grantham erleben musste. Als er Ende der neunziger Jahre ausstieg, weil er die Märkte für gefährlich überbewertet hielt, verlor seine Firma GMO mehr als 75 Prozent der von ihr gemanagten 2,8 Milliarden Dollar an Kundengeldern.
Unter welch hohen Konformitätsdruck gerade auch Profis stehen, ließ der ehemalige Citibank-CEO Chuck Prince erkennen: "When the music plays you gotta get up and dance." Was zugleich auch heißt: Sich auf Profis zu verlassen in der Hoffnung, dass sie es schon richtig machen werden, kann sich in einer Blase als gefährlicher Fehlschluss erweisen.
Drei Warnsignale leitet Mansharamani aus diesen Erkenntnissen ab: Das Auftreten von Amateur-Investoren, die stille Führung durch Multiplikatoren, die Zuversicht und Optimismus verbreiten, und der Einstieg populärer Medien. Wenn also der Taxifahrer zum wiederholten Mal in der Bildzeitung liest, wie reich man in einem bestimmten Markt werden könne, und diese Empfehlung an seine Kundschaft weitergibt, dann ist es höchste Zeit auszusteigen.
Die fünf Fallstudien im zweiten Teil lassen den Leser nachvollziehen, dass die meisten dieser Indikatoren in den meisten dieser Fälle (rechtzeitig) anschlugen. Jedes Mal waren von den 13 Indikatoren mindestens 10 erfüllt. Was Mansharamani jedoch nicht überprüft hat, ist, ob die Indikatoren auch falschen Alarm auslösen können: Wie oft sind oder waren sie erfüllt, ohne dass bald danach eine Blase platzte?
Dies ist aber auch die einzige ernsthafte Kritik, die ich an diesem ansonsten hervorragenden Buch habe: Mansharamani verzichtet auf die "Gegenprobe". Er untersucht nicht, ob und in welchem Ausmaß seine fünf Linsen dazu tendieren, falschen Alarm zu geben, also anzuschlagen, ohne dass eine Blase dabei ist, sich aufzubauen. Wenn man seine Indikatoren durchgeht, springt einen zwar keine an, die man sofort im Verdacht hätte, auch auf andere Auslöser zu reagieren. Aber, wie bereits festgestellt, Plausibilität ist kein Wahrheitsbeweis.
Die nächste Blase bitte!
Die chinesische Blase, die der Autor im letzten Kapitel untersucht, ist bislang nicht geplatzt. Aber das widerlegt das Mansharamanis Ansatz nicht; es könnte auch daran liegen, dass manche Blasen eine ziemlich dehnbare Haut haben, vor allem wenn sie von der Politik gestärkt werden. Was in China ohne Zweifel der Fall ist – aber bei genauerem Hinsehen auch bei uns und in den USA durch die Geldpolitik der Notenbanken. Denn das viele Geld muss ja irgendwie angelegt werden, und dabei treibt es die Preise aller Asset-Klassen in die Höhe.
Während zu China noch kein abschließendes Urteil möglich ist, wäre es aus heutiger Sicht noch viel spannender zu erfahren, ob die aktuelle Lage an den weltweiten Finanzmärkten Blasencharakter hat. Das konnte Mansharamani 2011, als er dieses Buch veröffentlichte, natürlich nicht untersuchen. Doch der fleißige Leser kann sich dies anhand der vorgeschlagenen Indikatoren selbst beantworten – und wenn er es tut, wird er wohl zu dem Ergebnis kommen: Sieht ziemlich danach aus.
Er befände sich damit in Übereinstimmung mit dem renommierten Fondsmanager John Hussman, der auf der Basis einer einzigen makroökonomischen Kennzahl zum selben Ergebnis kommt, nämlich dem Verhältnis der kumulierten Marktkapitalisierung des Aktienmarkts (ohne Finanztitel) zu den nachfolgenden Nominalerträgen des S&P 500 über einen Zwölf-Jahres-Zeitraum.
Das passt zu Mansharamanis Schlusswort, das an das Archilochos-Zitat "The fox knows many things, but the hedgehog knows one big thing" anknüpft. Danach gibt es zwei Strategien, Vorhersagen zu machen: Die Festlegung auf ein bestimmtes Denkmodell ("Igel") oder ein eklektisches Generalistentum ("Füchse"). Gestützt auf neue Forschungsergebnisse von Philip Tetlock geht er davon aus, dass die "Füchse" zu besseren Prognosen kommen als die "Igel". Vielleicht hat er recht – vielleicht sind Tetlocks Befunde aber auch dadurch verfälscht, dass zu viele Igel auf die falsche Theorie setzen. Dann bliebe der Durchschnitt aller "Igel" klar hinter den "Füchsen" zurück, aber einzelne "Igel" können trotzdem systematisch besser sein als die "Füchse". Es ist also zumindest denkbar, dass ein Igel wie Hussman eine mindestens ebenso gute Prognose liefert, indem er auf die "richtige", empirisch exzellent abgesicherte Theorie setzt.
Wie auch immer: In jedem Fall ist dieses Buch eine nachdrückliche Empfehlung wert – nicht nur für Leser, die vermeiden wollen, ihre Rücklagen in einer Blase zu verlieren, sondern generell für alle, die sich eine gewisse Skepsis gegenüber Moden jeglicher Art bewahrt haben und/oder besser verstehen wollen, wie massenpsychologische Phänomene funktionieren. Denn viele der Erkenntnisse, die man aus diesem Buch gewinnen kann, gelten auch außerhalb der Finanzmärkte.
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