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Kulturlandschaften aus ihrer Nutzungsgeschichte verstehen

Poschlod, Peter (2015):

Geschichte der Kulturlandschaft

Entstehungsursachen und Steuerungsfaktoren der Entwicklung der Kulturlandschaft, Lebensraum- und Artenvielfalt in Mitteleuropa

Ulmer (Stuttgart); 320 Seiten; 39,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 03.08.2017

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Wer sich für Landschaft(en) und ihre Entstehung interessiert, findet hier einen anschaulichen und kompetenten Wegweiser. Das attraktiv gestaltete Buch hilft auch Laien, unsere Kulturlandschaft aus ihrer wechselhaften Nutzungsgeschichte zu verstehen.

Dem Nicht-Botaniker flimmern zuweilen die Augen von den vielen deutschen und lateinischen Pflanzennamen, von denen wenigstens ich die allerwenigsten kenne, und den knapp 1600 Referenzen, auf die der Text in unzähligen Endnoten verweist. Aber für diese streckenweise Überforderung wird der interessierte Laie entschädigt durch viele Passagen, die ihm tatsächlich helfen, die Geschichte unserer (deutschen bzw. mitteleuropäischen) Kulturlandschaft besser zu verstehen, durch eindrucksvolle und illustrative Bilder, lehrreiche Themenboxen und eine ausgezeichnete grafische Gestaltung.

Sehr attraktive Gestaltung

Man muss den traditionsreichen Eugen Ulmer Verlag wirklich loben für die hervorragende Aufmachung und Ausstattung dieses Buchs, die zum lustvollen Durchblättern und punktuellen Festlesen verführt – wobei gerade die zahlreichen themenbezogenen Kästen mit neugierig machenden Überschriften immer wieder auf wenigen Seiten gut gebündelte Einsichten anbieten.

Desgleichen muss man den Regensburger Botanik-Professor Peter Poschlod, Inhaber des einzigen bayerischen Lehrstuhls für Ökologie und Naturschutz, dafür loben, dass er seine Leser nicht mit der gefürchteten Prosa vieler deutschsprachiger Wissenschaftler verschreckt, sondern bei aller Fachlichkeit klar und verständlich schreibt. Und dass er sich die Mühe macht, seine Aussagen, wo immer möglich, mit Bildern, Grafiken und Tabellen sowohl zu untermauern als auch zu illustrieren.

Trotzdem ist das Werk für Laien eine Herausforderung: Angesiedelt zwischen wissenschaftlichen Lehrbuch, das sich in erster Linie an Botaniker und Ökologen wendet, und anspruchsvollem, aber an ein breiteres Publikum gerichtetes Sachbuch. Meine Frau legte es nach dem Durchblättern zur Seite, weil es ihr "zu wissenschaftlich" war, und auch ich hatte streckenweise Mühe, weil sich manche Abschnitte mehrere Etagen oberhalb meines botanischen Sachverstands bewegen.

Dabei wäre es wirklich schade, wenn das Buch aus diesem Grund Leser verlöre, denn das, was Poschlod zu erzählen hat, ist keineswegs nur für Botaniker von Interesse, sondern wirklich für jede und jeden, der/die sich für die Natur und Landschaft seiner/ihrer näheren und weiteren Heimat interessiert. Wir sind ja alle in eine bestimmte Landschaft hineingeboren und hineingewachsen, und je älter wir werden, desto mehr neigen wir dazu, dieses Kindheitsbild unserer Heimatlandschaft unreflektiert als das Eigentliche, Wahre und Richtige zu verstehen und alles, was im Laufe der Jahre daran verändert wird, als Verfälschung und Verunstaltung und Zerstörung zu interpretieren.

Die heimatlichen Landschaften besser verstehen

Die Beschäftigung mit der "Geschichte der Kulturlandschaft" hilft, dieses statische und idyllisierte Heimatbild zu dynamisieren, ohne dabei in eine gleichgültige Relativierung zu verfallen. Sie hilft zu verstehen, dass das Leben und Wirtschaften des Menschen unsere Landschaft seit rund 7000 Jahren ständig verändert, also seit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht in Mitteleuropa. So gab es beispielsweise Phasen, in denen weite Teile unserer Landschaften aus Wäldern bestanden, aber auch solche, in denen sie weitestgehend entwaldet waren. Aber es wird auch klar, welch dramatische Eingriffe und Veränderungen gerade in den letzten 70 Jahren stattgefunden haben.

Das hilft, die eigenen Erfahrungen in einem größeren Zusammenhang einzuordnen, und es hilft, Landschaftselemente und -formen zu verstehen, die man bisher zwar wahrgenommen hat, aber nicht einordnen konnte – und es trägt auch dazu bei, den landschafts- und naturschützerischen Blick zu schärfen für das, worauf es besonders ankommt.

Nicht ganz glücklich finde ich die Gliederung des Buchs. Es besteht eigentlich nur aus zwei bzw. anderthalb Kapiteln: Das erste (halbe) hat 28 Seiten und heißt "Die Entstehung der Kulturlandschaften Mitteleuropas – Ursachen und Prozesse"; das zweite "Steuerungsfaktoren bei der Entstehung und Entwicklung der Kulturlandschaften Mitteleuropas" umfasst die übrigen 210 Seiten bis zum (zweiseitigen) Epilog. Das macht es beim Lesen etwas mühsam, den Überblick zu behalten, zumal sich die Lektüre des zweiten Kapitels dann doch über etliche Tage verteilt.

Zwar ist dieses riesige zweite Kapitel noch einmal untergliedert in vier Unterkapitel, nämlich "Das Klima als wesentlicher Steuerungsfaktor bis zum 18. Jahrhundert – jetzt wieder?", "Krankheiten und Kriege – kurzfristige Steuerungsfaktoren zu jeder Zeit", "Aufklärung, technischer Fortschritt und ökonomischer Wandel" sowie "Geistesströmungen, Erlasse, Verordnungen, Gesetze – von der Gestaltung zur Bürokratisierung der Landschaft". Doch auch diese Unterkapitel bestehen immer noch aus bis zu 80 Seiten.

Deshalb war ich zwischendurch ab und zu etwas "verloren". Eine detailliertere Gliederung und gelegentliche Zwischenzusammenfassungen hätten es mir leichter gemacht, den roten Faden zu behalten und mir die Kernaussagen einzuprägen. Aber das sind keine grundsätzlichen Einwände; es bedeutet am Ende nur, dass man sich ein bisschen mehr anstrengen muss, um den roten Faden zu behalten. Diese Mühe tritt in den Hintergrund gegenüber den unzähligen Einsichten und Erkenntnissen, die man aus diesem Buch gewinnen kann.

Ausgangspunkt neolithische Revolution

Der Auslöser für die Entstehung unserer Kulturlandschaft war die "neolithische Revolution", das heißt, die "Erfindung" von Ackerbau und Viehzucht. Denn Jäger und Sammler hinterlassen kaum Spuren in der Landschaft; erst Ackerbauern und Viehzüchter tun es, weil sie Siedlungen errichten, Äcker anlegen und durch Beweidung und Holznutzung die Vegetation verändern. Auf diese Weise begannen sie, systematisch zu beeinflussen, was um sie herum lebt und wächst.

Die Sesshaftwerdung begann vor rund 10.000 Jahren, aber nicht in Europa, sondern im "fruchtbaren Halbmond" zwischen Euphrat und Tigris, der heutigen Dauerkriegsregion. Schon um das Jahr 5.500 vor unserer Zeitrechnung breitete sie sich schrittweise auch nach Mitteleuropa aus: Eine rasante Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die Menschheit und ihre Vorläufer davor Hunderttausende von Jahren als Jäger und Sammler zugebracht hat.

Das ist eine ungeheuer spannende Epoche der Menschheitsgeschichte: Was veranlasste die Menschen, nachdem sie zuvor so viele Generationen von der Hand in den Mund gelebt hatten, nun plötzlich ein anderes "Geschäftsmodell" zu entwickeln, und wieso setzte sich dieses Modell binnen erstaunlich kurzer Zeit gegenüber dem bisherigen durch?

Obwohl es nicht das zentrale Thema seines Buchs ist, fasst Poschlod im ersten Kapitel den Wissensstand zu dieser Schlüsselepoche der Menschheitsgeschichte zusammen. Denn sie muss man verstehen, um den Ausgangspunkt zu kennen, von dem aus die ganze spätere Entwicklung ihren Lauf genommen hat. In etlichen großen Tabellen zeigt er, wie sich die Verwendung und Verbreitung diverser Nutzpflanzen seither entwickelt hat. Manche Kulturpflanzen haben bis in die Neuzeit überdauert; andere erlebten offenbar eine relativ kurze Blüte, weil sie von anderen, vermutlich nützlicheren abgelöst wurden. Wieder andere kamen erst spät hinzu, setzten sich aber mit menschlicher Hilfe durch.

Einflüsse des Klimas

Im ersten Abschnitt des zweiten Kapitels nimmt Poschlod sich des "Klima(s) als wesentlichen Steuerungsfaktor(s)" an. Dessen Einfluss ist weitaus größer als uns normalerweise bewusst ist. Wenn wir über historische Entwicklungen lesen oder nachdenken, machen wir ja leicht die ebenso plausible wie falsche Annahme, dass die klimatischen Verhältnisse "damals" ungefähr so waren wie heute. Wenn diese Prämisse falsch ist, ändert dies buchstäblich alles. Wenn zum Beispiel die Winter wesentlich härter oder die Sommer wesentlich heißer sind, wenn Gletscher vorrücken oder Dürrezonen entstehen oder Flächen überweidet werden und verkahlen, verändert das die Vegetation von Grund auf.

Klima ermöglicht und verhindert – und ist damit wohl der fundamentalste Steuerungsfaktor für die Entwicklung der Landschaft. So ist es wohl kein Zufall, dass die "Erfindung" und Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht nach der letzten großen Kaltzeit ("Eiszeit") stattfand, die vor etwa 12.000 Jahren zuende ging: Ackerbau auf Eis ergibt keinen rechten Sinn – aber in einem ganzjährig milden Klima drängt er sich auch nicht unbedingt auf, denn dort kann man mit wenig Mühe "von der Hand in den Mund leben".

Nach der Eiszeit begannen auch etliche Pflanzen und Baumarten, nach Mitteleuropa einzuwandern – teils im Gefolge der Ackerbauern, die sie in ihrem Saatgut mitbrachten, teils unabhängig von ihnen, wie etwa die Rotbuche, die erst in dieser Phase zum landschaftsprägenden Baum Mitteleuropas wurde.

Doch schon in der Bronzezeit folgte um etwa 1200 bis 600 vor unserer Zeitrechnung ein erneutes "Klimapessimum" und setzte nicht nur die aufgeblühte Vegetation unter Druck, sondern auch die Ackerbauern und Viehzüchter. Gut möglich, dass genau dieser Druck viele der Innovationen auslöste, die in jener Zeit entstanden, wie etwa die Winterfütterung der domestizierten Tiere mit Laubheu oder die "Transhumanz", eine "Weidewirtschaftsform, in der die Tiere im Sommer in den Hochlagen der Gebirge (oberhalb der Waldgrenze) und im Winter in schneefreien Tieflagen gehütet wurden" (S. 51).

Wobei wir viele Innovationen der damaligen Zeit heute kaum noch ausmachen können, weil sie etwa in der Entdeckung, Auswahl und Kultivierung klima- und standortangepasster Arten und Wirtschaftsformen lagen. Es ist schwierig, anhand der kärglichen Spuren Zufall von Absicht zu unterscheiden, und man muss die Kreativität der Forscher bewundern, die der Geschichte hier anhand von Pollenanalysen, Genuntersuchungen und anderen Minimalspuren wenigstens einen Teil ihrer Geheimnisse entreißen.

Spätrömische Importe prägen unsere Heimatlandschaft

Ein erneutes Klimaoptimum in der späten Römerzeit brachte "die erste Kulturlandschaftsrevolution". Das mitteleuropäische Klima wurde mediterran, und während sich die Germanen bis dahin hauptsächlich auf Getreideanbau und Viehhaltung konzentriert hatten, brachten die Römer viele Gemüse-, Gewürz- und Heilpflanzen mit, vom Salat über die Zwiebel bis zum Knoblauch – und vor allem die Obstbäume.

Vieles, was uns heute als Inbegriff von Heimatlandschaft und bodenständiger Ernährung gilt, ist in Wirklichkeit ein kaum 1700 Jahre alter Import "spätrömischer Dekadenz". Wer germanische Traditionen hochhalten möchte, muss sich stattdessen an Holunder, Vogelkirschen, Wildäpfel und Holzbirnen halten. Allerdings haben die Römer diese mitgebrachten Obstsorten auch nicht "erfunden"; ursprünglich stammen die meisten von ihnen aus Ost-, Zentral- und Vorderasien.

Die Zeit von 350 bis 600 brachte "ein weiteres Klimapessimum mit niedrigen Jahrestemperaturen, weniger Niederschlägen und wechselhaftem Wetter" (S. 63). Es brachte Missernten und Hungersnöte und war vermutlich der Auslöser der Völkerwanderung. Viele Siedlungen wurden verlassen, Äcker und Grünland fielen brach, sodass Mitteleuropa am Beginn des Mittelalters wieder vom Wald dominiert war.

Eine neue Blüte und die Ausdehnung der Kulturlandschaft brachte das mittelalterliche Klimaoptimum, das zwischen 850 und 1250 abermals mediterranes Klima nach Mitteleuropa brachte. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde die bislang höchste Bevölkerungsdichte erreicht, es wurden viele Städte gegründet, darunter München, Freiburg, Bern und Ulm. Und Regensburg "als zentrale Handelsstadt und Ort der damals einzigen steinernen und damit zu allen Jahreszeiten überquerbaren Donaubrücke stieg zur wohlhabendsten Stadt Süddeutschlands auf." (S. 69)

Die Weinbaugrenze verschob sich bis nach England und ins Baltikum. "Zahlreiche wärmeliebende Zier- und Medizinalpflanzen wurden vor allem aus dem Mittelmeergebiet und Westasien eingeführt (…). Sie sind inzwischen auf warmen und trockenen Standorten Bestandteil unserer Wildpflanzenflora und erinnern an die mittelalterliche Wärmeperiode." (S. 69f.)

Das Bevölkerungswachstum erforderte nicht nur eine Ausdehnung der landwirtschaftlichen Flächen bis in die Mittelgebirge, sondern auch eine Verbesserung der Anbaumethoden. In dieser Zeit kaum die "Dreifelderwirtschaft" mit der Abfolge von Winter- und Sommerfrucht und anschließender Brache auf. Wie Poschlod schreibt, kamen im Vergleich zur Römischen Kaiserzeit nur wenige Kulturpflanzen hinzu – aber immerhin waren darunter so wichtige, teils heute noch unverzichtbare Nahrungspflanzen wie Bohne, Weißwurzel, Kohl und Kohlrabi, Buchweizen, Möhre, Spinat und Endivie.

Zugleich begann in dieser Zeit die "Kultivierung" der Moore und ihre Nutzung als Grünland oder Weide. Kaum noch bekannt ist heute eine damals verbreitete landschaftsprägende Wirtschaftsform, nämlich die Feld-Wald-Wechselwirtschaft. Sie begann mit Niederwald-Rodungen, bei denen zur Düngung des Bodens das Reisig oder die Rasensoden verbrannt wurden. Danach wurden die so entstandenen Felder einige Jahre mit Getreide bebaut, ließen aber rasch im Ertrag nach und fielen brach, bis sie wieder mit Niederwald bestockt waren. Erstmals dehnten sich zu dieser Zeit auch die Wiesen aus, um Heu für die wachsenden Viehbestände zu gewinnen, und es wurden die ersten Teichanlagen gebaut.

Die "Kleine Eiszeit" und ihre Folgen

Diese mittelalterliche Blüte fand ein jähes Ende mit der "Kleinen Eiszeit", die mit dem 14. Jahrhundert begann und bis Mitte des 19. Jahrhunderts dauerte. Sie brachte extreme Hochwässer und "Jahre ohne Sommer". Beinahe unvorstellbar, dass zu Beginn des 14. Jahrhunderts wegen extremer Überflutungen und der großen Ausdehnung der Ackerflächen mehr als die Hälfte des Bodens abgeschwemmt wurden, allein "im Jahr 1342 allein mindestens 20%"! (S. 83) Zugleich wurden zu dieser Zeit die Flussauen "durch die Ablagerung von bis zu mehreren Metern 'Auenlehm' neu geformt." (a.a.O.) In dieser Zeit entstanden auch viele Hang- und Hochmoore (Missen).

Die Nordseeküste wurde durch mehrere große Sturmfluten völlig verändert und ins Landesinnere verschoben, darunter die erste und die zweite "Große Mandränke": die Zweite Marcellusflut von 1362 und die Burchardiflut von 1634. Wie Poschlod anmerkt, trugen zu den beträchtlichen Landverlusten sicherlich auch andere Sturmfluten sowie der Meeresspiegelanstieg zwischen 1000 und 1300 bei.

Durch nicht nur diese Wetterkatastrophen veränderten die Landschaft, sondern auch die sogenannte spätmittelalterliche Wüstungsperiode: "Die durch die Extremwetterereignisse bedingten Ernteausfälle führten im 14. Jahrhundert zu zahlreichen Hungersnöten. Damit war der Boden für Krankheiten und Seuchen bereitet. Der durch diese Faktoren bedingte Bevölkerungsrückgang führte zu einem großflächigen Brachfallen von Kulturflächen und zur Ausdehnung der Wälder." (S. 84)

Das verweist bereits auf den zweiten großen Einflussfaktor auf die Landschaft, den Poschlod abhandelt, nämlich "Krankheiten und Kriege – kurzfristige Steuerungsfaktoren zu jeder Zeit". Man macht sich kaum ein Bild von der Dramatik, mit der Tuberkulose, Pest, Cholera, Typhus und Fleckfieber der von Hunger und Kälte ausgezehrten Bevölkerung zusetzten: "Die erste Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts (1347 – 1352) führte zu einem Bevölkerungsrückgang um 2 bis 3 Millionen (ca. 25%), die nachfolgenden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (1360 – 1361, 1380 – 1383) zu einem weiteren Rückgang von 2 bis 3 Millionen Menschen in Deutschland" (S. 97) – in Summe eine Halbierung der Bevölkerung!

Vor dem Hintergrund von Kälte, Hunger und immer neuen Wetterkatastrophen und Missernten wird sehr viel verständlicher, weshalb damals im "finsteren Mittelalter" viele Menschen an ein göttliches Strafgericht, den bevorstehenden Weltuntergang und alles mögliche Andere glaubten und verzweifelt versuchten, durch Bußen, Ablässe und Aggression gegen Minderheiten das Schicksal gnädig zu stimmen. Ich mag mir lieber nicht vorstellen, was von unseren aufgeklärten Zeiten übrig bliebe, wenn binnen 50 Jahren die Hälfte der Bevölkerung durch geheimnisvolle Epidemien ausgelöscht würden, ganze Orte verwaisten und streunende Hunde von den herumliegenden Leichen fräßen.

Not macht erfinderisch

Auch Kriege hinterließen ihre Spuren in der Landschaft. So führte der Dreißigjährige Krieg zur Rückkehr und Ausbreitung des Wolfs in Mitteleuropa. Der teilweise Rückgang der Jagd in Kriegszeiten und die aufgelassenen Felder führten mancherorts zu einem starken Anstieg des Wildbestands. Anderenorts kam es zu einer Dezimierung der Bestände bis zu deren Ausrottung, weil in schlechten Zeiten rücksichtslos alles gejagt wurde, was vor die Flinte kam.

Heere brachten aus fremden Ländern neue Arten mit, wie etwa das "Franzosenkraut" oder der "Österreichische Beifuß", den man etwa in Wallensteins Heerlager am Hainberg südlich von Fürth findet. "Die meisten Pflanzen dürften dabei mit den Futtermitteln und dem Heu ausgebreitet worden sein, die die Truppen während des Kriegszugs zur Versorgung ihrer Pferde mitführten." (S. 104)

Im Ersten Weltkrieg führte die Seeblockade dazu, dass in Deutschland zahlreiche landwirtschaftliche Importprodukte von Baumwolle über Kaffee bis hin zu vielen Gewürzen nicht mehr verfügbar waren. Diesen Mangel versuchte man, mit Ersatzpflanzen zu kompensieren oder zumindest zu lindern, was wiederum dazu führte, dass plötzlich – aber großteils nur vorübergehend – bestimmte Pflanzen wie Brennnesseln, Schilf, Flachs und Besenginster stark gefragt waren und bald auch systematisch angebaut und verwertet wurden. Eine Bayerische Nesselfaser-Gesellschaft klingt heute wie ein Kuriosum, war damals aber eine kluge Strategie zur Bekämpfung bestehender Engpässe.

Zerstörung durch technischen Fortschritt

Eine völlig neue Dimension erreichten die Veränderungen der Kulturlandschaft in der Neuzeit infolge der Entdeckung fossiler Brennstoffe. Sie ermöglichten eine sehr viel intensivere Bewirtschaftung mit Maschinen, Mineraldünger und Chemie, erläutert Poschlod im Abschnitt 2.3 "Aufklärung, technischer Fortschritt und ökonomischer Wandel – die Entkoppelung der Landnutzung von natürlichen Standortfaktoren vom 18. bis zum 20. Jahrhundert".

Verglichen mit der Intensivität und Rücksichtslosigkeit, mit der im 19. und 20. Jahrhundert in die Landschaft eingegriffen wurde, wirken die Eingriffe früherer Jahrhunderte geringfügig, ja geradezu behutsam. Was sie real natürlich nicht waren – man denke nur an die wiederholte Abholzung ganzer Landstriche. Man sollte die vorindustrielle Wirtschaftsweise daher nicht romantisieren: Sie war oft ebenfalls von einem ziemlich rücksichtslosen Umgang mit der Natur gekennzeichnet – nur die Möglichkeiten, dauerhafte Schäden anzurichten, waren angesichts der begrenzten Technik eingeschränkter.

Doch nun ermöglichte der Fortschritt der Technik Eingriffe, wie sie in dieser Größenordnung in früheren Jahrhunderten schlicht nicht denk- und machbar waren, wie etwa die Regulierung ("Rektifizierung") der großen Ströme und der Wildflüsse oder die "Kultivierung" der Moore mit Dampfpflügen, die eine Pflugtiefe von bis zu zwei Metern erlaubten. Was heute noch nachwirkt, weil bei Ackerbau auf früheren Moorflächen "die höchsten Torfzersatzraten auftreten und sie deshalb aufgrund ihrer Größe jährlich gewaltige CO2-Mengen freisetzen" (S. 147)

Industrialisierung der Landwirtschaft und Massentierhaltung

Während das Vieh in früheren Zeiten den Großteil des Jahres im Freien weidete, setzte sich mit der Verbreitung der Kartoffeln als Winterfutter für die Schweine immer mehr die Stallhaltung durch – was die Landschaft abermals veränderte: "Mit der zunehmenden Stallhaltung gingen die durch die Hutung entstandenen spezifischen und häufig artenreichen Lebensgemeinschaften zurück oder verschwanden völlig. Auch die Vielfalt der Wiesen nahm aufgrund der fehlenden Frühjahrsvor- und Herbstnachweide ab." (S. 266f.)

Poschlod zeigt dies eindrucksvoll am Beispiel der Aufgabe der Schweineweiden in den Flußauen, die zum Verschwinden vieler charakteristischer Arten führte, sowie am Rückgang der Wanderschäferei, der unsere Landschaften ebenfalls weit mehr verändert und weiter verändern wird, als das den meisten Landschaftsliebhabern und auch den meisten Naturschützern bewusst ist.

Mit der Stallhaltung setzte auch eine Entkoppelung der Tierhaltung von der Fläche ein, die den Übergang von einer bäuerlichen zu einer industriellen Landwirtschaft und den Beginn der Massentierhaltung markiert. Sie verändert in dramatischer Weise unsere Landschaften, denn Futtermittel kann man in fast beliebiger Menge zukaufen, doch die Gülle muss man vor Ort irgendwie loswerden. Das führt zu einem enormen Anstieg der Nährstoffbelastung auf praktisch allen landwirtschaftlich genutzten Flächen samt deren Überlaufen in Bäche, Flüsse und Grundwasser.

In der Nachkriegszeit bewirkte die massive Steigerung des Kunstdünger- und Herbizideinsatzes den "stärkste(n) dokumentierte(n) Rückgang an Lebensräumen in der 'traditionellen' Kulturlandschaft." (S. 176) All dies war maßgeblich von der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit billigen Öls getrieben – was mich einmal mehr an ein Bonmot des amerikanischen Physikers Albert Bartlett erinnert: "Modern agriculture is the use of land to convert petroleum into food."

Inzwischen sind Nährstoffe überall – auch im Wasser und in der Luft. In Regen und Nebel gelöst führen sie zu einem Stickstoffeintrag von "zwischen 10 und 30 kg/ha: Das entspricht der Menge, die in den 1950er-Jahren auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht wurde." (S. 182) Diese unfreiwillige Dauerdüngung des ganzen Landes führt unweigerlich zum Verschwinden von mageren Flächen, die sich oft durch besonderen Artenreichtum auszeichnen. Sie gilt nach dem Wandel der Landnutzung und dem Klimawandel als drittstärkste Ursache für die Veränderung der Artenvielfalt.

Flurneuordnung und Monotonisierung

Vom "Überbau" handelt das letzte Unterkapitel "Geistesströmungen, Erlasse, Verordnungen, Gesetze – von der Gestaltung zur Bürokratisierung der Landschaft". Bis ins frühe Mittelalter lässt sich die Tendenz zurückverfolgen, die jeweils herrschenden Auffassungen über die Nutzung des Landes in Regelwerken festzulegen. Sowohl die Allmend- als auch die Dreifelderwirtschaft erforderten Regeln – aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was danach kommen sollte. Auch der "Kartoffelerlass" von 1756, der deren Verbreitung forcierte, war nur ein Vorgeschmack.

Um 1800 begann mit den "Gemeinheitsteilungsverordnungen" eine Bewegung zur Neuordnung des Landes. Zunächst ging es dabei um die Auflösung der gemeinschaftlichen Nutzung von Flächen und deren Aufteilung und Privatisierung. Ihr folgte meist die "Verkoppelung", also Einzäunung und Abgrenzung von Flächen, welche die Wanderschäferei erheblich erschwerte. Durch die Fragmentierung und Isolierung des Lands wurden Lebensräume etwa für Boden- und Höhlenbrüter zerstört, zugleich entstanden neue für andere Arten.

Ende des 19. Jahrhunderts setzten die ersten Gesetze zur Flurbereinigung die begonnene Entwicklung fort und verschärften sie, oft auf brachiale Weise. Das ging vor allem auf Kosten der artenreichen "Grenzlinienlebensräume": Hecken wurden beseitigt, Gräben und Mulden zugeschüttet, Bäche kanalisiert, feuchte Wiesen drainiert, Moore melioriert … Eine weitere Steigerung brachten ab 1920 die Ödlandgesetze, die zum Ziel hatten, möglichst alles (wirtschaftlich) "wertlose" Land landwirtschaftlich nutzbar zu machen.

Gegenbewegung Naturschutz

Die Radikalität, mit der dies geschah, rief Proteste und Gegenbewegungen hervor. Als neue Geistesströmung kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Naturschutzgedanke auf. Das "Gründungsdokument" von Ernst Rudorff datiert von 1865. Um die Jahrhundertwende entstanden die ersten Umweltverbände und auch die ersten Umweltgesetze, deren Durchsetzung jedoch halbherzig blieb. 1921 wurden mit dem Neandertal und der Lüneburger Heide die ersten Naturschutzgebiete ausgewiesen. 1935 folgte das erste Reichsnaturschutzgesetz.

Während bis 1940 800 Reichsnaturschutzgebiete ausgewiesen wurden, gingen anderswo die Zerstörungen weiter, vor allem die großflächige Meliorierung von Mooren und Heiden. Vielerorts verschärften sich sogar. Wobei Kriege natürlich auch keine ausgesprochen landschaftspflegerische Intervention sind, aber nur zu punktuellen Schädigungen führen, aber in der Regel keine Strukturen dauerhaft verändern.

Die Zerstörung nach dem Krieg war, mehr noch als in den Städten, noch verheerender als die durch den Krieg. Wenn man von der "Erschließung der Ödländereien des Emslands", dem Programm Nord, dem Küstenplan und dem Alpenplan liest oder an die Vernichtung der Alpenflüsse, allen voran des Lechs, denkt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Brutalisierung und Verrohung des Krieges auch auf den Umgang mit der Landschaft durchschlug: Statt genau hinzuschauen, abzuwägen und zu differenzieren, wurde gnadenlos platt gemacht, was vor den Bagger kam.

Das zahnlose Naturschutzgesetz von 1976 konnte oder sollte dagegen wenig ausrichten, zumal seine Landwirtschaftsklausel das Handeln der Land- und Forstwirtschaft für grundsätzlich naturschutzgerecht erklärte. Wirksamer waren die Roten Listen und die Biotopkartierungen, die ungefähr zur gleichen Zeit aufkamen. Sie flossen 1986 in die Bundesartenschutzverordnung ein, die zumindest den vom Aussterben bedrohten Arten einen relativ hohen Schutzstatus gewährte. Mit der Folge, dass seither zur Empörung der Technokraten viele Naturschutzkonflikte um einzelne bedrohte Arten kreisen. Einen besseren Schutz von Lebensräumen brachte erst das neue Bundesnaturschutzgesetz von 2010.

Monotonisierung, zweite Stufe

Mit dem Gemeinsamen europäischen Agrarmarkt begann eine Entwicklung, die Poschlod als "die 'totale Verordnung' der Kulturlandschaft" bezeichnet (S. 233). Durch seine Subventionen brachte er eine weitere Vereinheitlichung und Monotonisierung. Später schufen die Flächenstilllegungen, die zur Bekämpfung der Überschüsse erfolgten, neue Lebensräume. Agrarumweltprogramme lieferten zusätzliche Anreize für Arten- und Biotopschutz und eine umweltschonendere Produktionsweise.

Eine wichtige Neuerung brachte die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie von 1992 (FFH). Seither sind Lebensräume nicht nur innerhalb deklarierter Schutzgebiete geschützt, vielmehr wurde der Schutz auf bestimmte Lebensraumtypen und Arten außerhalb der Schutzgebiete ausgedehnt. "Als natürlich oder naturnah werden dabei auch die zahlreichen rein anthropogen oder durch die Anwendung bestimmter Landnutzungsformen entstandenen Lebensräume wie die Heiden oder Magerrasen bezeichnet", stellt Poschlod fest (S. 240f.). Für die gemeldeten FFH-Standorte gilt ein "Nichtverschlechterungsgebot".

Schon diese Begriffe lassen erahnen, dass all dies mit einer gewaltigen Bürokratisierung einherging. Sie erschwerte (und erschwert weiterhin) dramatisch wirksame Naturschutzmaßnahmen wie die Freilandhaltung von Schweinen, die halbwilde Haltung von Wisenten, Wildpferden oder Heckrindern oder die Wanderschäferei, obwohl die "Pflege durch Nutzung" der wirksamste und oft der einzig praktikable Weg zur Erhaltung artenreicher Lebensräume wie Magerrasen und Feuchtwiesen wären.

Massive Auswirkungen auf unsere Kulturlandschaft hat auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Seine Förderanreize haben uns nicht nur Windräder und Freiflächen-Fotovoltaik beschert, sondern zu einem massiven Anstieg von Energiepflanzen-Monokulturen geführt. Damit tragen in erheblichem Maße zum Grünlandumbruch und damit zur Zerstörung vieler Offenland- und Moorflächen bei – und das, obwohl ihr Netto-Energieertrag lächerlich ist. Dadurch werden etwa die sogenannten Ökosystemdienstleistungen der großen Grundwasserdurchströmungsmoore massiv beeinträchtigt, und dieselben Moore, die Kohlendioxid binden könnten, setzen es infolge dieser Misshandlung unkontrolliert frei.

Unsere Landschaften als lebende Kulturdenkmale bewahren

In seinem kurzen Epilog warnt Poschlod, den amerikanischen Wilderness-Gedanken unkritisch auf unsere mitteleuropäischen Kulturlandschaften zu übertragen: Während die großräumigen Landschaften Nordamerikas erst seit wenigen hundert Jahren vom Menschen mitgeprägt sind, sind es unsere kleinräumigen mitteleuropäischen seit rund 7000 Jahren. "Ursprüngliche Natur" und "Wildnis im eigentlichen Sinne" gibt es bei uns nicht mehr: Wir leben in einer Kulturlandschaft, und zwar in einer mit vielfältigen wertvollen Ausprägungsformen.

Das führt zu der zentralen Erkenntnis, "dass der mehr oder weniger stetige Wandel unserer Kulturlandschaft ein entscheidender Faktor war, der zur Entstehung von Vielfalt beigetragen hat." (S. 247) Ein Naturschutz, der versucht, mit einem "Nichtverschlechterungsgebot" und einer totalen Nutzungssperre die Zeit anzuhalten, würde dem nicht gerecht: Ihm drohen die geschützten Gebiete unter den Fingern zu zerfließen, weil beispielsweise die nicht mehr beweideten Magerrasenflächen dank der unerbetenen "himmlischen Düngung" binnen kürzester Zeit verbuschen und so einen großen Teil ihres Artenreichtums und damit ihres Werts verlieren.

"Unser kulturelles Erbe ist einzigartig", stellt Poschlod resümierend, "das gilt auch und insbesondere für Landschaften und, nicht zu vergessen, für Lebensräume und Arten! Daher können wir Landschaften, Lebensräume und Arten ebenso wie Baudenkmale und archäologische Stätten als Kulturdenkmale bezeichnen." (S. 247) In diesem Sinne ist Naturschutz Kulturdenkmalsschutz – insofern ist der Gedanke, den niederbayerischen Donauraum zum lebendigen "Welt-Natur-und-Kulturerbe" zu machen, sicher mehr im Sinne Poschlods als eine Ausweitung des Prinzips "Natur Natur sein lassen" auf Lebensräume, die durch Bewirtschaftung entstanden sind und für ihren Artenreichtum auf eine naturnahe Weiter-Bewirtschaftung angewiesen sind.

Insgesamt ein sehr schönes und wertvolles Buch, das man jedem, der unsere Kulturlandschaft(en) liebt, nur dringend ans Herz legen kann. Ich habe es, was eine absolute Rarität ist, nach dem ersten Lesen gleich ein zweites Mal gelesen, um mir die zentralen Fakten und Zusammenhänge besser einzuprägen.

Auch für Laien wie mich lohnt sich die Mühe, sich durch den streckenweis anspruchsvollen Text und die vielen Pflanzennamen durchzuarbeiten, manche vielleicht sogar nachzuschlagen: Der Lohn der Mühe sind nicht nur viele schöne Illustrationen, spannende Details und überraschende Zusammenhänge, es ist ein besseres, tieferes und "reiferes" Verständnis unserer Landschaft(en). Konkret: Ich werde Teichlandschaften, Moore, Mittelwälder, Magerrasen etc. künftig mit einem ganz anderen Hintergrundverständnis betrachten, mehr über ihre Entstehung, Entwicklung und Bedrohung wissen. Das wird meinen Blick auf diese Landschaften verändern und bereichern – und mein Engagement für ihren Schutz verstärken.

Schlagworte:
Kulturlandschaften, Landschaftsgeschichte, Artenschutz, Kulturgeschichte, Mitteleuropa, Botanik, Naturschutz, Landschaftsschutz

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