Wer wie ich Meditation mit einer Mischung von Neugier und Skepsis betrachtet, für den ist dieses Buch ein guter Einstieg: Offenkundig von viel praktischer Erfahrung getragen und zugleich auf solider humanwissenschaftlicher Grundlage.
Der "Neurowissenschaftler" des Untertitels entpuppt sich als promovierter Diplom-Psychologie, der "seit über 10 Jahren an der Universität Gießen veränderte Bewusstseinszustände und Meditation erforscht" (Innentext). Eigentlich keine schlechte Erfahrungsbasis – aber was soll dann die Selbststilisierung "Neurowissenschaftler"? Klar, diese Bezeichnung darf jeder führen, denn Neurowissenschaftler ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Umso mehr verwundert es, wenn jemand einen zu Recht geführten und geschützten akademischen Grad gegen eine ungeschützte Phantasiebezeichnung tauscht.
Zielgruppe Skeptiker und an empirischem Fundament Interessierte
Aber wie auch immer: Das Buch kann empfohlen werden, vor allem Lesern, die der Meditation, wie der Titel sagt, mit einer gewissen Skepsis begegnen. Was im Umkehrschluss auch heißt: Wer bereits überzeugt ist und nur einfach noch mehr über Meditation erfahren will, wird von "Meditation für Skeptiker" wahrscheinlich nicht so begeistert sein: Zu viele rationale Erläuterungen, zu viel Thematisieren von Skepsis, zu viel Forschung, zu wenig unbedingter Enthusiasmus. Aber das spricht nicht gegen das Buch; es unterstreicht nur seinen konsequenten Zielgruppenfokus, der ihm im überfüllten Markt der Meditationsbücher seine Nische sichert: Jedem das ihre, jeder das seine.
Mir persönlich waren die neurologischen und psychologischen Erläuterungen ausgesprochen willkommen: Mich beruhigt es immer, und es stärkt mein Vertrauen, wenn Effekte nicht nur mit Emphase behauptet, sondern mit Empirie belegt werden. Und es beruhigt mich auch, wenn die Grenzen des derzeitigen Wissensstands nicht verschwiegen oder eloquent übertüncht, sondern klar benannt werden. Denn dass wir noch längst nicht alles wissen, gleich ob über Meditation oder über andere Gegenstände, das ist halt mal so – Skepsis ist dort angebracht, wo das verschleiert wird.
Der Weg zum Selbst – waren wir bislang also Selbst-los?
Nach einer kurzen Einführung, in der Ott die Konzeption und Struktur seines Buchs erklärt, folgen zwei Hauptteile. Teil I "Der Weg zum Selbst" gibt eine sowohl theoretische als auch praktische Einführung in die Meditation, Teil II liefert die "Wissenschaftliche Vertiefung". Wobei die Formulierung "Weg zum Selbst", die hier nun nach dem Untertitel zum zweiten Mal auftaucht, bei mir Verwunderung auslöst: Offenbar gibt es nach diesem Denkmodell ein uns unbekanntes "Selbst", das wir (nur?) über den Weg der Meditation erreichen können. Demnach wären wir unmeditiert offenbar "Selbst-los".
Die wichtigste Erkenntnis aus der Einführung ist wohl eine fünfstufige Einteilung von Meditationserfahrungen, die Meditationsexperten aus den Erfahrungsberichten unterschiedlich erfahrener Meditierender abgeleitet haben. Danach ergeben sich "fünf Bereiche unterschiedlicher Tiefe" (S. 17), nämlich
- Hindernisse
- Entspannung
- Konzentration
- Essentielle Qualitäten
- Nicht-Dualität
Offensichtlich müssen Meditationsadepten durch anfängliche Widrigkeiten wie Unruhe und Konentrations- und Motivationsprobleme hindurch, um zur Selbst-Erkenntnis zu gelangen – "per aspera ad Asthma", wie der verstorbene Liedermacher Ulrich Roski es nannte.
In Teil I baut Ott die Meditation systematisch in fünf Stufen auf: Von der Körperhaltung über Atmen, Fühlen und Denken bis zum Sein. Dabei wird in jedem der Kapitel zunächst der "Stand der Forschung" wiedergegeben, dann folgen praktische Meditationsübungen und -anleitungen. Die Wiedergabe des Forschungsstands ist ausführlich genug, um etwas damit anfangen zu können, und zugleich kompakt genug, um sich nicht darin zu verlieren.
Auch die Übungsanleitungen sind eher kompakt, aber ausführlich genug, um vernünftig mit ihnen arbeiten zu können. Und vor allem: Sie sind undogmatisch, lassen den Übungen Spielraum für unterschiedliche Varianten und legen sie nicht "alternativlos" auf eine rigide Vorgehensweise fest.
Vertiefung an den skeptischen Meditationsinteressenten vorbei
Teil II, die "Wissenschaftliche Vertiefung", besteht aus den drei Kapiteln "Meditationsforschung", "Wirkungen von Meditation auf die Gesundheit" und "Neurowissenschaftliche Meditationsforschung". Den Abschluss bilden ein Resüme und ein Literaturverzeichnis mit 110 Titeln, darunter sowohl Populärliteratur als auch wissenschaftliche Publikationen.
Dieser Teil geht nach meinem Eindruck an der Zielgruppe des Buchs, den skeptischen Interessenten, vorbei. Mich jedenfalls als ein zufällig ausgewähltes Exemplar dieser Gattung hätten hier in erster Linie weitere konkrete Forschungsbefunde, insbesondere spezifische Wirksamkeitsnachweise, interessiert. Doch stattdessen verbringt Ott die knapp 50 Seiten hauptsächlich damit, Forschungsmethoden und Vergleichsstudien auf einer eher formalen Ebene zu referieren, als ob er damit auf einem wissenschaftlichen Kongress den derzeitigen quantitativen und qualitativen Stand der Forschung bilanzieren würde.
Gleich drei Mal zeigt er zum Beispiel Grafiken, wie sich die Anzahl der Forschungspublikationen zu verschiedenen Teilaspekten der Medizationsforschung über die Zeit entwickelt hat. Schön und gut – mich als skeptischen Interessenten hätte aber mehr interessiert, was inhaltlich der Stand der Forschung ist und welche Erkenntnisse man heute als gesichert ansehen kann.
Zwar ist es auch aufschlussreich, zu erfahren, dass auch die empirische Meditationsforschung – wie etliche andere Forschungsgebiete auch – erhebliche Qualitätsprobleme hat. Dazu geeignet, die Skepsis der Skeptiker zu überwinden, ist dies indes weniger: Dazu hätten die inhaltlichen Ergebnisse der besten verfügbaren Studien mehr beigetragen.
Trotzdem lege ich das Buch mit dem Gefühl aus der Hand, nicht nur ein Stück mehr über Meditation und ihre wissenschaftliche Untersuchung zu wissen, sondern auch zusätzliches Vertrauen in diese Methodik gewonnen zu haben. Damit hat das Buch ein wesentliches Ziel zumindest in meinem Fall erreicht. Ob das am Ende auch dazu führen wird, dass ich tatsächlich mit der Meditation beginne, und gar, ob ich auf Dauer dabei bleibe, muss sich zeigen – darauf bin ich selbst gespannt. Aber das ist dann auch mein Part und nicht mehr der des Autors.
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