Die Idee ist faszinierend, aber die Realisierung überzeugt nicht: Die Verschränkung von Klima- und Kulturgeschichte für die Kleine Eiszeit ist dem Historiker Philipp Blom nicht gelungen, wohl, weil er deren Verbindung an der falschen Stelle sucht.
Zu untersuchen, wie die Kleine Eiszeit die soziale und ökonomische Geschichte der beginnenden Neuzeit geprägt hat, ist ein ausgesprochen vielversprechender Ansatz. Deshalb war ich auch ausgesprochen neugierig auf dieses Buch.
Es beginnt auch verheißungsvoll, mit einer detaillierten Bildbetrachtung des Gemäldes "Winterlandschaft" von Hendrick Averkamp (1585 – 1634). Dabei macht Blom auf viele Details aufmerksam, die mir als oberflächlichen Betrachter sonst mit Sicherheit entgangen wären – und die das Gemälde von einer liebenswerten Winteridylle in ein unterschwelliges, aber existenzielles Drama verwandeln: Ach ja, da steht zum Beispiel inmitten des bunten und fröhlichen Treibens eine Vogelfalle, mit der sich Hungernde eine kleine Mahlzeit fangen wollten!
So klein war die Kleine Eiszeit auch wieder nicht
"Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 – 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart" (Untertitel) will Blom uns erzählen – aber wer sich ein bisschen mit Klimageschichte auskennt, wundert sich über die Wahl des Zeitraums: Die Kleine Eiszeit wird üblicherweise vom Anfang des 14. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts datiert, doch ihre ersten 250 und die letzten 150 Jahre der lässt Blom ohne jede Begründung oder Erklärung unter den Tisch fallen.
Das ist mehr als ein Detail, das man so oder so auslegen kann: Um 1570 begann zwar eine der kältesten Phasen der Kleinen Eiszeit, aber bereits 1311 bis 1319 sowie 1342 gab es Extremwetterereignisse, die zum Verlust von 50 Prozent des mitteleuropäischen Ackerbodens führten (vergl. Poschlod 2015). Für die Auswirkungen des Klimas auf die Kultur sollte es aber einen dramatischen Unterschied machen, ob die Bevölkerung zu Beginn des Betrachtungszeitraums von einer starken Abkühlung überrascht wurde oder ob sie sich schon seit mehreren Generationen mit endlosen Wintern, kalten Sommern, Überschwemmungen und anderen Stressoren herumschlagen musste.
Demgemäß startet der gesamte erste Teil "Gott hat uns verlassen – Europa 1570 – 1600" letztlich unter falschen Prämissen. Darin schildert Blom sehr plastisch, wie die Kälte das Leben der Menschen bestimmte, wie man Regen, Frost und Missernten als eine Strafe Gottes verstand und wie man sich auf die Suche nach Schuldigen machte, was schließlich in der Hexenverbrennung mündete.
Aber diese Erklärung für die Hexenjagden verliert an Plausibilität, wenn die Abkühlung des Klimas nicht erst, gemäß Bloms Zeitrechnung, vor ein paar Jahrzehnten begonnen hatte, sondern schon Generationen zurückreichte. Auch andere Sündenbocksuchen wie etwa Judenpogrome gab es schon lange vor 1570, beispielsweise 1519 in Regensburg. Die müssen natürlich nicht kausal mit den Klimaveränderungen zusammenhängen – aber genauso wenig müssen es die Hexenverbrennungen.
Vom Thema abgekommen
Im 90 Seiten langen zweiten Teil ist kaum noch von Klima die Rede; Blom beschreibt hier einfach die kultur- und geistesgeschichtliche Entwicklung jener Zeit. In diesem Hauptteil des Buchs gilt sein Interesse kaum noch dem Einfluss des Klimas, sondern primär der Frage, wie sich ein neues Menschen- und Gesellschaftsbild entwickelte und nach vielen Kämpfen gegen kirchliche und weltliche Autoritäten durchsetzte. Das ist für Laien wie mich recht interessant und liest sich gut, auch wenn man sich dabei ein bisschen in den Details der Geschichte verliert und wenig bleibende Erinnerungen oder grundlegend neue Erkenntnisse mitnehmen wird.
Offen bleibt dabei, in welchem Ausmaß diese Entwicklung von der Kleinen Eiszeit geprägt war: Hätte Descartes bei besserem Wetter eine andere Philosophie entwickelt? Hätten Merkantilismus, Kolonialismus und Sklaverei unter anderen Witterungsbedingungen einen anderen Verlauf genommen? Schwer zu sagen. Schwer zu glauben.
Streckenweise hat man – bzw. habe ich – den Eindruck, als wäre zumindest dieser Teil des Manuskripts ursprünglich mit einer ganz anderen Intention entstanden und erst nachträglich in den Kontext der Klimageschichte gestellt worden. Das irritiert beim Lesen, weil man so mit Informationen überschüttet wird, die zum eigentlichen Thema des Buchs wenig beitragen.
Gleichzeitigkeit ist keine Kausalität
Im gut 60 Seiten langen dritten Teil "Kometen und andere Himmelslichter" ist die Kleine Eiszeit ebenfalls nicht das beherrschende Thema, sie dient – wie die Kometen – eher als Kulisse, um einen veränderten Zeitgeist darzustellen. Zum Ende des 17. Jahrhunderts nahm man solche Ereignisse zwar weiterhin als beunruhigend wahr, aber man verstand sie nicht mehr als Strafgericht Gottes, sondern versuchte, sie zu verstehen und zu erklären. Zumindest Intellektuelle betrachteten die Kometen nicht mehr als bedrohliches Vorzeichen, sondern als Himmelsereignisse, die mit dem irdischen Geschehen nichts zu tun hatten: Das Zeitalter der Aufklärung hatte begonnen.
1684, im "härtesten Winter seit Menschengedenken" (s. 211) spekulierten die Denker jener Zeit nach Bloms Worten "keinen Moment darüber, ob der tiefe Frost ein Zeichen von Gottes Zorn sein könnte" (S. 213): Dieser Gedanke kam (den meisten von) ihnen nicht mehr in den Sinn. Das ist ohne Zweifel eine revolutionäre Veränderung des Denkens – aber Blom liefert kein Indiz dafür, dass die Kleine Eiszeit der Auslöser dieser Revolution war.
Anders mit der "Landwirtschaftlichen Revolution": Die "Einführung neuer Getreidesorten und Gemüse wie von Kartoffeln und Mais" sowie "effektiveren landwirtschaftlichen Praktiken und intensiverer Düngung" ließen die Ernten um mehr als 20 Prozent steigen (S. 215). Das ist natürlich eine Anpassung an das veränderte Klima – aber es ist ja auch kein Wunder, dass die Menschen der damaligen Zeit taten, was sie konnten, um unter den veränderten klimatischen Bedingungen zu überleben.
Interessante, aber unbelegte Annahmen
Keinen überzeugenden Zusammenhang stellt Blom dagegen mit dem Aufkommen des Merkantilismus her, den er als eine Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln versteht: Es kam zwar in der Kleinen Eiszeit auf, aber Blom liefert keine Belege, weshalb der Merkantilismus durch sie begünstigt, geschweige denn bedingt war. Schade eigentlich, dass er da nicht tiefer in die Materie eingedrungen ist.
So konstatiert Blom hier ein "neues wirtschaftliches Denken", zielend auf ein "Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruht" (S. 216). Doch ist generell problematisch, eine kausale Verbindung zwischen Entwicklungen zu unterstellen, die sich mehr oder weniger gleichzeitig ereignet haben, wenn man dafür keine guten Belege hat. Wir neigen dazu, eingetretene Entwicklungen, auch wenn wir sie ex ante nie vorhergesehen hätten, im Nachhinein für zwangsläufig zu halten, und die "alternative histories" (Taleb), die sich ebenfalls hätten entfalten können, für unmöglich zu halten.
Gegen Ende dieses dritten Teils dampft Blom den Anspruch seines Buches deutlich ein:
"Wenn aber die Veränderungen, die während der Kleinen Eiszeit in Europa stattfanden, weder kausal und als bewusste Reaktionen, noch direkt auf die klimatischen Abkühlung reagierten, waren sie doch entscheidend dafür, die Krise zu überwinden. Der Weinbau wanderte fünfhundert Kilometer nach Süden und die Landwirtschaft diversifizierte ihre Produktion in zu robusteren Nahrungsmitteln wie Kartoffeln und Mais. Landwirtschaftliche Neuerungen steigerten die Ernte pro Pflanze und pro Acker um ein Drittel, die Produktion für den Markt schuf einen weiteren Anreiz. Getreidehandel half dabei, Versorgungsprobleme auszugleichen und führte zu hohen Konzentrationen von Kapital und Expertise. Der Welthandel machte die Eliten in Europa reicht – auf Kosten der eigenen Armen und der Armen auf anderen Kontinenten." (S. 230)
Suche an der falschen Stelle
Aber dass ein anderes Klima Anpassungen der Wirtschaftsweise erzwungen bzw. belohnt hat, ist nun so überraschend auch wieder nicht. Diese späten Hinweise verstärken meinen Eindruck, dass Blom die Effekte der Kleinen Eiszeit auf die Kultur systematisch an der falschen Stelle sucht. Denn der größte Anpassungsdruck lastete vermutlich nicht auf den intellektuellen Studierzimmern, so kalt und zugig sie auch gewesen sein mögen, er lastete auf jenen, die mit ihrer Hände Arbeit sich und ihre Familien – sowie ihre Fürsten – ernähren mussten.
Hier dürfte der Hauptgrund liegen, weshalb Blom die Verschränkung von Klima- und Kulturgeschichte misslingt: Um sie herzustellen, hätte er wohl nicht die Geistesgeschichte, sprich, die Geschichte der gescheiten Leute, rekonstruieren müssen, sondern die der kleinen Leute. Das freilich hätte ganz andere – und vermutlich viel tiefere – Recherchen erfordert als die Rekapitulation von Sekundärliteratur über das Zeitalter der Aufklärung.
Dieser Eindruck bestätigt sich auch in Bloms Epilog, der ebenfalls weit mehr von Geistesgeschichte handelt als von deren klimatischen Fundament. Auch hier spielt das Klima über weite Strecken keine Rolle, bekommt aber dann plötzlich die Rolle eines Katalysators zugewiesen: "Die große Transformation des langen 17. Jahrhunderts, die ihren Ursprung in der Kleinen Eiszeit hatte, brachte diese Debatte an eine wachsende ideenhungrige Öffentlichkeit und verankerte sie in der politischen Kultur des Westens." (S. 258f.) Und: "Europa hätte sich genauso in eine andere Richtung entwickeln können und hätte sich wohl wesentlich langsamer von seinen feudalen Strukturen verabschiedet, hätte die Klimaveränderung nicht zusätzlichen Druck auf sie ausgeübt." (S. 259f.)
Das sind interessante Behauptungen auf den Seiten des Epilogs – nur fehlen die Belege dafür. Da rettet es auch nichts, wenn Blohm auf den letzten Metern durchaus plausibel argumentiert, der gegenwärtige Kurs werde sich kaum fortsetzen lassen: "Wenn die Freiheit des Individuums als die Freiheit interpretiert wird, alles zu tun, was profitabel ist, dann wird sich in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten niemand mehr um das Wohlergehen des liberalen Traums sorgen müssen – die Überlebenden werden andere Probleme haben." (S. 261)
Insgesamt lege ich das Buch daher enttäuscht aus der Hand: Ein hochinteressanter Ansatz, den Einfluss des Klimas auf die Kulturgeschichte zu untersuchen, aber leider sucht Blom ihn an der falschen Stelle, und das, obwohl er die entscheidende Fährte gesehen und mehrfach auf sie aufmerksam gemacht hat. Aber statt dem naheliegenden Gedanken nachzugehen, dass die Anpassung an ein kälteres Klima in erster Linie um die Deckung der Grundbedürfnisse kreist, verliert er sich in der Geistesgeschichte. Und da sind Zusammenhänge mit dem Klima natürlich am schwersten zu belegen.
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