Psychologisch fundierter Selbsthilferatgeber für den Umgang mit der Emotionsgruppe Ärger, Wut, Aggression. Weder das Unterdrücken noch das Ausleben aggressiver Impulse ist die Lösung, vielmehr geht es um deren Zulassen, Wahrnehmen und Beobachten.
Gemessen daran, wie verbreitet sie sind und was sie anrichten können, gibt es erstaunlich wenig Literatur zu Ärger und Wut, gerade wenn man es etwa mit den Bücherbergen zum Thema Angst vergleicht. Und, wie die drei amerikanischen Professoren gleich eingangs feststellen, gibt es auch erstaunlich wenig Forschung zu diesem Themenfeld, sodass sie sich mit ihren Analysen und Empfehlungen nur zum Teil auf harte Fakten stützen können. Seltsam, wenn man bedenkt, welche Verbreitung körperliche und verbale Aggression in unseren Gesellschaften hat. Umso erfreulicher, dass sich nun drei ausgewiesene Experten aus dem Bereich der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) des Themas annehmen.
Ein Selbsthilferatgeber für Betroffene
Dieses Buch ist geschrieben als ein Selbsthilferatgeber für Menschen, die nach eigener Einschätzung dazu neigen, (allzu) leicht "auszurasten" – und dann später selbst oft bereuen, was sie damit in ihrem sozialen Umfeld – und auf die Dauer in ihrem Leben – anrichten. Das heißt, es handelt sich hier nicht in erster Linie ein informatives Sach- oder Fachbuch, mit dem man sich über die Emotionsgruppe Ärger / Zorn / Wut / Hass kundig machen kann, sondern ein zielgerichtetes und auf dieses Ziel hin aufgebautes Trainingsprogramm zum Selbststudium.
Es besteht aus zehn Kapiteln, für die sich die Adressaten nach den Vorstellungen der Autoren jeweils eine Woche Zeit lassen sollen, um sie nicht nur zu lesen, sondern auch die empfohlenen Übungen zu machen, sich selbst und ihre Gefühle und Handlungsimpulse zu beobachten etc. Ich will hier vor allem die zentrale Logik wiedergeben und einige ergänzende Anmerkungen machen. Denn wer das Buch zur Selbsthilfe und Selbsterziehung nutzen will, dem hilft eine Zusammenfassung wenig – er oder sie muss sich die Mühe machen, das Buch selbst durchzuarbeiten.
Bevor sie in das erste Kapitel einsteigen, stellen Eifert und Kollegen in einer 15-seitigen Einleitung "Ein neuer Umgang mit Wut und Ärger" die Leitgedanken und die Logik Ihres Ansatzes vor. Eine zentrale Aussage ist dabei, dass es nichts bringt, Ärger und Wut in den Griff bekommen zu wollen, indem man entweder gar keinen Ärger aufkommen lässt oder ihn zu unterdrücken versucht, und dass es auch nichts hilft, sich abzulenken, die eigenen aggressiven Impulse zu unterdrücken oder sie an Ersatzobjekten (wie etwa einem wehrlosen Kissen) auszuleben.
Vielmehr gehe es darum, die eigenen Gefühle von Ärger und Wut zu akzeptieren und sie "zuzulassen", ohne aber den daraus resultierenden aggressiven Impulsen zu folgen: "Sie lernen, aggressive Gedanken bewusst wahrzunehmen, ohne in ihnen aufzugehen und ohne sie in Verhalten umzusetzen." (S. 20) Wenigstens bei mir weckt das ein Unbehagen: Ärger und Wut "zulassen", aber nicht entsprechend reagieren – das klingt ein bisschen konstruiert.
Wir müssen nicht tun, was uns unsere Emotionen nahelegen
Leider arbeiten die Autoren nicht deutlich genug heraus, dass der Schritt von der Emotion zur Handlung kein Automatismus ist. Vielmehr liegt dazwischen eine Entscheidung, und diese Entscheidung kann man sehr wohl bewusst in die eigene Hand nehmen. Erst sehr viel später – auf Seite 97 – kommt der wichtige Satz: "Sie selbst tragen die volle Verantwortung für ihre Entscheidungen."
Eine zentrale Frage ist, weshalb man in solchen Situationen nicht tun sollte, wozu einen die eigenen Emotionen mit all der Macht drängen, mit der die Evolution sie ausgestattet hat: "Jeder, der mit Ärgerreaktionen zu kämpfen hat, weiß, dass dies keine Emotion ist, die man leicht abstellen oder in den Griff bekommen kann. Intensive und handlungsorientierte Gefühle wie Wut und Ärger sind extrem schwierig zu verändern oder zu kontrollieren. In Wirklichkeit werden Sie es wahrscheinlich nicht schaffen, Ihre aggressiven Gedanken und Gefühle abzuschwächen, geschweige denn ganz loszuwerden." (S. 19)
Trotzdem reagieren Menschen nicht immer und unabwendbar aggressiv, wenn sich erst einmal genügend Ärger und Wut angestaut hat: Es existiert ein Filter. Wenn der Auslöser unseres Ärgers uns zum Beispiel gefährlich werden kann, werden wir uns klugerweise hüten, aggressiv zu reagieren. Gegenüber der Polizei einer skrupellosen Diktatur etwa würden wir uns mit Wutausbrüchen vermutlich sehr zurückhalten, auch wenn sie uns furchtbar nervt.
Ein anderer stichhaltiger Grund, weshalb wir uns dagegen entscheiden könnten und sollten, unseren aggressiven Impulsen nachzugeben, könnten übergeordnete Ziele, Werte und Interessen sein: Wenn uns etwas anderes (noch) wichtiger ist als das "Dampfablassen", müssten wir abwägen. Dabei würde es ohne Zweifel helfen, wenn uns bessere Strategien zu Verfügung stünden, mit uns selbst und unserer erhitzten Gefühlslage umzugehen.
Akzeptanz und Commitment
Wie das funktionieren könnte, deuten Eifert und Kollegen in ihrer Einführung an: "Auf dem Weg dorthin werden Sie Mitgefühl mit sich selbst und anderen entwickeln. Sie werden darüber hinaus wiederentdecken, worauf es Ihnen im Leben wirklich ankommt, und dann so handeln, dass es Sie vorwärts bringt, selbst wenn das vielleicht bedeutet, dass Sie Ärger und andere unerwünschte Gedanken und Gefühle mitnehmen auf Ihrem Weg. Und das ist der Preis, der Ihnen winkt – die Rückeroberung ihres Lebens! Was Ihnen wirklich dazu verhilft, den aussichtslosen Kampf gegen Wut und Ärger sein zu lassen, das ist der Blick auf Ihr Leben und auf das, was Ihnen am meisten bedeutet." (S. 20)
Hier werden die beiden Kernelemente der Akzeptanz-und Commitment-Therapie (ACT) sichtbar: Zum einen Akzeptanz – die eigenen Gefühle akzeptieren und sich ihnen freundlich zuzuwenden, statt sie wegzuschieben oder zu unterdrücken, zum anderen Commitment, die Orientierung an etwas, was uns wichtiger ist als die kurzlebige Ärgersituation, in der wir uns gerade befinden. Weil im Alltag allerdings häufig die kurzfristigen Ziele gegen die längerfristigen gewinnen, muss das Gewicht der längerfristigen Ziele entsprechend groß sein, um sich gegenüber den kurzfristigen durchzusetzen.
Infolgedessen ist es für den besseren Umgang mit Ärger und Wut hilfreich, sich so klar wie möglich darüber zu werden, was einem wirklich wichtig ist im Leben. Das gibt der Sache eine unerwartete, aber nachvollziehbare Weiterung: Aus dem recht eng umgrenzten Thema des Umgangs mit Ärger und Wut wird auf diese Weise plötzlich eine intensive Reflexion der eigenen Werte, Ziele und Lebensprioritäten – der im Verlaufe des Buchs konsequenterweise auch mehrere Kapitel gewidmet sind.
Mythen über Mythen
Leider geht das Buch nicht so richtig gut los. Im ersten Kapitel "Weitverbreitete Irrtümer über den Ärger" wollen die Autoren fünf Mythen ausräumen, verbreiten dabei aber selbst welche. Als Mythos 1 nennen sie: "Wut und Aggression sind als Trieb im Menschen angelegt" (S. 35). Dem halten sie entgegen: "Unser Wohlergehen beruht auf Zusammenarbeit und Zuwendung" (S. 35), "Es gibt keine genetische Veranlagung zur Aggression" (S. 36) und "Gewalt entsteht nicht immer aus Ärger und Wut" (S. 36).
Das ist ein ziemliches logisches Chaos. Natürlich sind Ärger und Wut keine Triebe – das hat seit Konrad Lorenz und seinen Adepten auch niemand mehr behauptet. Ärger, Zorn und Wut sind Emotionen (wie können drei Psychologie-Professoren Emotionen und Triebe vermengen?!), aber als solche sind sie sehr wohl "angeboren". Denn wenn wir keine Prädisposition für diese Gefühle hätten, dann wären wir nicht dazu in der Lage, sie zu empfinden. (Wie universell basale Emotionen sind, zeigen unter anderem die Forschungen von Paul Ekman: Auch Völker, die nie im Kontakt zur westlichen Zivilisation standen, können die "facial expressions of emotion" von westlichen Menschen mühelos erkennen und richtig einordnen.)
Die Behauptung "Unser Wohlergehen beruht auf Zusammenarbeit und Zuwendung" wäre logisch nur dann ein Argument, wenn die eigentliche These wäre, unser Wohlergehen beruhe ausschließlich auf Zusammenarbeit und Zuwendung. Das wird aber wohl niemand ernstlich behaupten, auch die Autoren nicht. Auch Ärger und Wut dürften bei genauerer Betrachtung (langfristig) zu unserem Wohlbefinden beitragen, indem sie der Umgebung einen Anreiz zur Beachtung unserer Bedürfnisse geben: Wer überhaupt nie ärgerlich reagiert, wenn man auf seinen Bedürfnissen herumtrampelt, auf dessen Bedürfnissen werden viele herumtrampeln – nicht einmal aus böser Absicht, sondern aus schlichter, alltäglicher Gedankenlosigkeit.
Ein ähnlicher logischer Irrläufer ist das Argument, dass die Ursachen von Gewalt nicht ausschließlich in Ärger und Wut legen. Das trifft natürlich zu, tut aber nichts zur Sache. Natürlich kann Gewalt auch andere Ursachen haben, etwa einem kalten Kalkül der Einschüchterung entspringen – aber erstens behauptet niemand, dass Gewalt immer aus Ärger und Wut entstünde, und zweitens hilft die Feststellung, dass dies nicht der Fall ist, Menschen, die zu Ärger-Aggressionen neigen, ziemlich wenig weiter. Denn ihre Aggressionen entspringen halt mal primär aus Ärger und Wut – das ist ja auch der gesamte Ansatz des Buchs.
Die Verdammung von Ärgerreaktionen führt nicht weiter
Ähnliches gilt für Mythos 2: "Frustration führt unweigerlich zur Aggression" (S. 37). Nein, unweigerlich nicht – trotzdem wäre es gegen jede Empirie, einen statistischen Zusammenhang zwischen Frustration und Aggression und eine kausale, wenn auch nicht zwangsläufige Beziehung zu bestreiten. Ähnlich ungenau ist die Argumentation zu den anderen drei Mythen "Es ist gesund, seinem Ärger freien Lauf zu lassen" (nein, aber es tut zuweilen gut), "Ärger ist stets hilfreich" (nicht stets, aber manchmal) und "Wer sich ärgert, der wurde provoziert" (nicht immer, aber manchmal).
Ich finde es erschreckend, wie weit die drei Professoren in diesem ersten Kapitel an ihren Adressaten vorbeischreiben. Als Betroffener hätte ich das Buch danach wohl auf die Seite gelegt. Vor allem aber wird man den sogenannten negativen Emotionen inhaltlich meines Erachtens weitaus besser gerecht, wenn man, statt sie generell zu verteufeln, ihren evolutionären Nutzen anerkennt: Wenn Ärger, Zorn und Wut keinen Fitnessvorteil brächten, dann hätte die Evolution sie uns nicht eingebaut.
Aber aus diesem biologischen Nutzen folgt keineswegs, dass uns unsere Emotionen immer den richtigen Weg weisen. Denn biologische Dispositionen sind eben keine unfehlbaren Erfolgsrezepte, die für jeden konkreten Fall stets die perfekte Lösung bieten – vielmehr sind es, wie es der Evolutionsbiologe Richard Dawkins präzise auf den Punkt gebracht hat, "simple rules of thumb": Sie bringen in der Summe über alle Fälle einen Fitnessvorteil, können im konkreten Fall aber auch völlig danebenliegen. Deshalb können und sollten sie durch Lernen und kluge Entscheidungen verbessert werden.
Gefährliche Einstellungen zu Ärger und Wut
Trotz dieses argumentativen und andragogischen Fehlstarts haben die Autoren sicher recht mit ihrer Botschaft: Für Betroffene hat die Auffassung großen Reiz, Ärger und Wut seien durch äußere Faktoren verursacht und führten unweigerlich zu aggressiven Verhalten, weil sie ihnen als Entschuldigung, Ausrede und Alibi dient. Deshalb fordern sie ihre Leser dazu auf, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, und machen dies zum Leitgedanken des weiteren Buchs.
Deshalb teile ich auch ihr Resümee:
"1. Woche: Ärger ist wieder ein Trieb, noch sind andere an ihm schuld.
Merke: Wenn ich die Verantwortung dafür übernehmen, was ich auf meinen Ärger hin tue, gewinne ich die Kontrolle über mein Leben.
Leitfragen: Mithilfe welcher Mythen über den Ärger rechtfertige ich mein Verhalten? Lass ich zu, dass der Ärger über mein Leben bestimmt? Bin ich gewillt, Verantwortung dafür zu übernehmen, wie ich mit meinem Ärger mit meinem Leben umgehe?" (S. 47)
Ähnlich sind auch die Resümees der weiteren Kapitel strukturiert, sodass die Leser zum Schluss immer noch einmal eine Zusammenfassung der Kernaussagen und ein paar Leitfragen zum weiteren Nachdenken erhalten.
Die Kosten von Ärger und Wut
Im zweiten Kapitel erhöhen die Autoren den Druck, indem sie ihre Adressaten einerseits zu einer Kostenanalyse auffordern, bie der sie die zwischenmenschlichen, beruflichen, gesundheitlichen, kräftemäßigen und emotionalen Kosten ihres Südens abschätzen sollen, und sie andererseits mit der Vergeblichkeit ihrer bisherigen Bemühungen um Selbstkontrolle konfrontieren:
"Ärger ist ein starkes Gefühl, dass die festesten Vorsätze hinwegfegen kann. Trotz Ihrer Bemühungen, Ihren Ärger unter Kontrolle zu bringen, fordert der von Ihnen nach wie vor seinen Tribut. Sie ärgern sich über sich selbst und über diejenigen, die Ihren Ärger auslösen. Sie wollen sich ja ändern, aber auch wenn Sie sich noch so große Mühe geben, Sie kommen einfach nicht gegen ihre Wut an, sobald sie einmal entfacht ist. Es geht jetzt nicht darum, mehr Willenskraft aufzubringen. Das haben sie bereits zur Genüge versucht. Lassen Sie sich gesagt sein: Mehr Willenskraft ist keine Lösung. Was Sie brauchen, ist die Bereitschaft, eine völlig andere Strategie anzuwenden, einen ganz anderen Weg einzuschlagen." (S. 59)
Diese doppelte Konfrontation ist sicherlich geeignet, den Leidensdruck zu erhöhen – ob es auch reicht, die Adressaten eine Woche zu beschäftigen und sie bei der Stange zu halten, bin ich mir nicht sicher. Ihr "Fazit" ist in diesem Fall kein Rückblick auf das Kapitel, sondern eine Verheißung: "Es gibt einen Ausweg aus der Ärgerfalle. Sie können sich daraus befreien. Dieser Ausweg befindet sich an einer Stelle, wo Sie nie nach ihm gesucht haben." (S. 61)
Wie man sich ärgert
Im dritten Kapitel "Ärger unter der Lupe betrachtet" wird es dann interessant. Die Autoren zerlegen Ärger und Wut in fünf Phasen. Besonders interessant finde ich die sogenannten "Vor-Ärger-Gefühle": Sie lassen erkennen, dass Ärger und Wut oft eine Art Ausweichemotion sind, die man produziert, um anderen, schmerzlicheren Gefühlen zu entgehen, wie etwa Scham und Schuld, Wertlosigkeit, Schlechtigkeit, Resignation und Hoffnungslosigkeit, Kränkung und Angst, aber auch unangenehmen körperlichen Empfindungen wie Anspannung und Unruhe.
Die nächste Phase sind "auslösende Gedanken", insbesondere negative, verurteilende Bewertungen: "Es ist praktisch unmöglich, sich zu ärgern, solange der Kopf nicht irgendeine Bewertung auftischt. Auslösende Gedanken stellen Sie meist als Opfer dar und suchen die Schuld für das Missliche, dass Ihnen widerfahren ist, bei jemanden anderen. Oft enthalten sie auch allgemeine Etikettierungen wie dumm, unfähig, egoistisch, verrückt, faul, falsch, blöd und dergleichen." (S. 66)
Aus diesen Bewertungen resultiert drittens das Ärgergefühl, ein allmählicher oder plötzlicher Erregungsanstieg. Daraus entsteht viertens ein aggressiver Handlungsimpuls, der sich schließlich in "Ärgerverhalten" umsetzt: "Dieses kann dramatische Formen annehmen: Schreianfälle, Beschuldigungen, theatralische Abgänge, Schlagen, Zerschmettern von Gegenständen und dergleichen. Es gibt auch subtilere Varianten – Augenrollen, den Ausdruck von Angewidertsein, Verschränken der Arme und Wegschauen, den verächtlichen tiefen Seufzer, schneidende Kommentare, Sarkasmus, Tratschen, emotionalen und physischen Rückzug und so weiter." (S. 67)
Vom Akteur des Ärgers zu dessen Beobachter werden
Eifert und Kollegen wollen ihre Adressaten nun dafür gewinnen, vom Akteur ihres Ärgers zu dessen Beobachter zu werden. Eindringlich ermahnen sie sie, sich auf eine beobachtende Haltung zu committen, und leiten sie mit nützlichen praktischen Hinweisen dazu an, wie etwa, bei sich selbst auftretende Gedanken, Gefühle und Impulse aufmerksam zu registrieren oder sich mit einem einfachen Mantra wie "Höre und sieh, urteile nie" selbst an eine beobachtende Haltung zu erinnern. Auf diese Weise sollen die Adressaten lernen, die beschriebenen fünf Phasen bei sich selbst zu entdecken und ihre eigenen Ärgermuster zu erkennen.
Ich habe kein Gefühl dafür, wie groß die Hürde ist, die die Autoren ihren Adressaten mit diesem Schritt abverlangen, aber es dürfte die entscheidende Hürde vor einem neuen Umgang mit Ärger und Wut sein. Deshalb beschwören sie sie nun geradezu: "… im Kern Ihres Kampfes liegt etwas verborgen, das ganz weich und ausgesprochen wertvoll ist: Der Wunsch, ein verletzliches Menschenkind – nämlich sich selbst – zu beschützen. (…) Man fürchtet sich davor, in den Augen anderer oder den eigenen Augen wertlos, gestört oder schlecht zu erscheinen. (…) Mit Aggressionen kann sich das verletzliche Menschenkind schützen. Aggressionen verdecken Gefühle von Unzulänglichkeit, Kränkung, Scham und Schuld und machen sie unsichtbar." (S. 79)
Während ich bei den beiden vorigen Kapiteln das Gefühl hatte, dass sie den Adressaten nicht genügend Stoff für eine Woche bieten, erscheint mir dieses Kapitel als ein sehr großer Brocken. Alleine das Lernen, sich selbst und seinen Ärger zu beobachten, ist eine große Aufgabe, und der zweite Teil, Empathie für sich selbst und die eigene Verletzlichkeit zu entwickeln, die hinter Ärger und Wut stecken kann, ist erst recht eine ziemlich große Nummer. Aber vielleicht muss man das kombinieren, weil nur zusammen ein Schuh daraus wird.
Das spiegelt sich auch in ihrem Fazit: "Im Kern Ihres vergeblichen Kampfes mit Ihren Aggressionen liegt das Bemühen, Ihr verletzliches Selbst mithilfe von Wut und Schuldzuschreibungen vor Schmerz und Kränkungen zu schützen. Das hat nicht funktioniert; es hat stattdessen zu zahlreichen Problemen in ihrem Leben geführt. (…) Indem Sie lernen, das innere Erleben einfach nur zu beobachten, eignen Sie sich eine Fähigkeit an, die das Leiden beträchtlich lindern kann." (S. 81)
Unterscheiden lernen, was kontrollierbar ist und was nicht
Im vierten Kapitel geht es den Autoren darum, den Unterschied zu vermitteln zwischen dem, was unserer Kontrolle unterliegt, und dem, was nicht: Eigene Entscheidungen und Handlungen lassen sich kontrollieren, die anderer Menschen nicht, und eigene Gedanken und Gefühle ebenfalls nicht (oder zumindest nur eingeschränkt). Deshalb hilft es weder, das Verhalten anderer Menschen kontrollieren zu wollen, noch die eigenen Emotionen. Daher raten Eifert und Kollegen dringend dazu, das Tauziehen mit den eigenen aggressiven Gefühlen aufzugeben, das Tau stattdessen einfach loszulassen und die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.
"Ärger entsteht im Kopf" ist das fünfte Kapitel überschrieben. Es arbeitet die Rolle von Kognitionen und insbesondere Bewertungen bei der Entstehung von Ärger und Wut heraus und erinnert damit sehr an Albert Ellis, den Begründer der Rational-Emotiven Therapie, der mit dem eröffnenden Zitat auch sozusagen Pate für dieses Kapitel steht. Als emotionale Brandbeschleuniger nennen die Autoren zum Beispiel "giftige Pauschalverurteilungen" (S. 113), Schuldzuweisungen (S. 114), das "Unterstellen von Absichten" (S. 115) sowie generell die Tendenz, alles streng zu bewerten, was uns vor die Flinte kommt.
"Der wütende Verstand ist engstirnig", stellen sie pointiert fest (S. 117) und empfehlen, auch diese Bewertungstendenzen einfach beobachten zu lernen, statt sie sich abgewöhnen (und damit kontrollieren) zu wollen. Ausgesprochen nützlich finde ich dabei den Gedanken, Gefühle als Wellen zu betrachten – und zu beobachten, wie diese Wellen nicht ewig ansteigen, sondern sich ab einem bestimmten Punkt wieder abflachen.
Akzeptanz und Achtsamkeit
Das sechste Kapitel beschreibt Akzeptanz als Ausweg aus der Ärgerfalle: Nicht passive, resignative Akzeptanz, sondern eine annehmende und mitfühlende. Die Autoren schlagen dafür vier Schritte vor:
"1. Schritt: Sich den Ärger zugestehen
2. Schritt: Die Situation so akzeptieren, wie sie ist
3. Schritt: Schmerz, Angst und Werturteile erkennen
4. Schritt: Versöhnlich und mitfühlend reagieren" (S. 133ff.)
In diesem Zusammenhang empfehlen sie ihren Adressaten etwas, was bei zu Ärger, Zorn und Wut neigenden Menschen normalerweise eher schwach ausgeprägt ist: "Sich selbst liebevolle Aufmerksamkeit (zu) zu schenken" (S. 143).
Und sich selbst und anderen schwierigen mit Menschen Geduld entgegenzubringen: "Wenn Sie Ihren aggressiven Gedanken und Gefühlen mit mitfühlende Akzeptanz begegnen, entziehen Sie Ihrem Ärger die Energie, die er braucht, um weiterzulodern. Das wird auf lange Sicht die Flammen der Wut eindämmen und löschen. Der Lohn für mehr Akzeptanz, Mitgefühl und Geduld ist eine höhere Flexibilität im Handeln. Sie werden seltener im aggressiven Selbstlauf irgendetwas tun, dass sie hinterher bereuen." (S. 150)
Im siebten Kapitel erweitern sie dies zu "Achtsame(r) Akzeptanz". Wobei Achtsamkeit (nicht nur) hier eine seltsame Paradoxie entwickelt: Einerseits konzentriert und aufmerksam wahrzunehmen, was ist, andererseits auch die Vergänglichkeit der beobachteten Phänomene zu erkennen: "Wir möchten Sie dazu ermuntern, Ihren Ärger nicht ganz so ernst zu nehmen. Er ist eine Erscheinung des Augenblicks, eine Welle im Meer des Daseins." (S. 154)
Auch auf aufkommende Wut sollen die Adressaten lernen, im selben Sinne achtsam zu reagieren. Dabei sollen sie lernen, "Auf die Alarmleuchten (zu) achten" (S. 166) und "Auf die Worte (zu) achten" (S. 167).
Die Energie auf das Leben kanalisieren statt auf die Wut
"Wie Sie Ihr Leben in die eigene Hand nehmen", wird im achten Kapitel erklärt. Hier geht es, wie eingangs avisiert, darum, sich über die eigenen Werte klar zu werden: "Menschen, die Probleme im Umgang mit Ärger und Wut haben, besitzen oft sehr viel Energie. Diese Energie ist eine Gabe. (...) Sie können Ihre Energien konstruktiv oder destruktiv bündeln, können es jemanden heimzahlen wollen oder aber ein liebevoller Partner sein, ein guter Freund, ein Sportler, was auch immer Sie sich wünschen. Während Sie in diesem Kapitel erkunden, welche Lebenswege Sie schätzen, behalten Sie die Frage im Hinterkopf: 'Wie kann ich die Energie, die in mir steckt, sinnvoll einsetzen?'" (S. 175)
Deshalb schlagen die Autoren hier verschiedene Übungen vor, die Zeitmanagement-Klassiker sind, wie etwa, die Inschrift für den eigenen Grabstein zu verfassen oder sich die Gespräche bei der eigenen Trauerfeier vorzustellen: Wie will ich meinen Freunden in Erinnerung bleiben? Wie sollen sie mich rückblickend charakterisieren? Aber sie bieten auch analytische Ansätze an wie die Gewichtung verschiedener Lebensbereiche und die Formulierung der dort angestrebten Werte und Ziele.
Natürlich kommt zum Schluss die Frage: "Was steht Ihnen im Weg?" – und natürlich lautet die Antwort, es sind Ärger und Wut, oder genauer die eigenen unbeherrschten Reaktionen auf diese Gefühle. Die Moral ist etwas offensichtlich, aber das macht sie nicht falsch. Das verlangt nach einer Entscheidung, was einem am Ende wichtiger ist – das Ausleben von Ärger und Wut oder das Verwirklichen der eigenen Lebenswerte. Die Antwort ist einfach – außer, wie ich befürchte, in Momenten der Wut.
Verzeihen – im eigenen Interesse
Im neunten Kapitel wird es dramatisch: Nun stehen wir "Auge in Auge mit den Flammen der Wut" (was natürlich die pingelige Frage aufwirft, ob Flammen Augen haben – aber lassen wir das angesichts des Ernstes der Lage). Eigentlich geht es in diesem Kapitel um das Verzeihen, und das ist in der Tat ein Schlüsselthema des guten, erfolgreichen, zufriedenen Lebens, denn: "Die mangelnde Bereitschaft zu verzeihen, ist die Wurzel von Groll und Bitterkeit" und "Wer nicht verzeiht, der bleibt in der Opferrolle stecken und lebt mit einer ständig anwesenden Schuld, die niemals abgetragen wird." (S. 191)
Es ist vermutlich nicht ganz leicht, zu verstehen und zu akzeptieren, dass das Verzeihen weniger dem oder den Anderen dient als dem eigenen Seelenfrieden – ähnlich wie das innerliche Abschreiben einer uneinbringbaren Schuld. Deshalb ist Verzeihen weniger eine von heroischen Großmut geprägte Geste gegenüber einem auf ewig schuldigen Übeltäter als ein Akt der eigenen Psychohygiene: Mit dem Verzeihen werden (bzw. lassen) wir die bestehenden Altlasten los – und damit zugleich die Verhaftung in der Vergangenheit, die mit ihr unweigerlich einhergeht.
Dennoch: Leicht ist das nicht. Deshalb beschreiben Eifert und Kollegen "Vier Schritte auf dem Weg zum Verzeihen" (S. 193), nämlich
- "Bewusstheit herstellen: Tief unterm Ärger das erlittene Unrecht und den Schmerz bemerken
- Trennen: Unterscheiden zwischen dem Verletzen, der Verletzung und dem Verletzenden
- Dem eigenen Schmerz mitfühlend beiwohnen
- Ausklingen lassen und den Weg fortsetzen" (S. 193ff.)
Dieses Kapitel zählt für mich zu den stärksten und wichtigsten des Buchs. Es macht zugleich klar, dass Verzeihen einigen Mut und viel Beharrlichkeit voraussetzt. In der Tat muss man sich dafür "Seinem Ärger und seinen verletzten Gefühlen stellen" (S. 203), "Den Ärger und den Schmerz aushalten" (S. 205) und "Sich in Geduld üben, wenn der Ärger hochkocht" (S. 209). Weiter muss man dabei beherzt mit querlaufenden Emotionen wie Befürchtungen, Schuldgefühlen, Verlust und Trauer, Hilflosigkeit sowie Leere und Einsamkeit umgehen. Doch "Verzeihen ist das mutige, ehrliche, und liebevollste Geschenk, dass Sie sich selber machen können." (S. 215)
Lernen, liebevoller mit sich selbst und anderen umgehen
Im abschließenden zehnten Kapitel geht es darum, "Vorstellungen vom guten Leben zu verwirklichen" (S. 217). Es bringt inhaltlich nichts Neues mehr, sondern dient vor allem der Bekräftigung und Ermutigung. Die Adressaten, die bis dahin durchgehalten haben, sollen jetzt das "Steuer ihres Lebensbusses" (S. 227) übernehmen und unbeirrbar Kurs auf ihr eigenes Lebensziel halten, trotz des Schimpfens, Schreiens und Tobens der mitfahrenden Passagiere, die sie immer wieder von ihrem Weg abzulenken und zu kurzfristigen Zielen hinzuleiten versuchen.
Dafür spielt eine zentrale Rolle, pfleglich mit sich selbst umzugehen: "Vielleicht möchten Sie liebevoller mit sich selbst umgehen, wissen aber nicht, womit anfangen. Beginnen Sie doch damit, dass sie sich vornehmen, mindestens einmal am Tag ganz bewusst freundlich zu sich selber zu sein. (…) Besonders wichtig sind solche liebevollen Handlungen dann, wenn Sie sich erschöpft oder gestresst und einsam fühlen und sich nach etwas sehnen (zum Beispiel nach Anregung, Zuwendung oder Anerkennung). Unserer Erfahrung nach hängt mindestens die Hälfte aller aggressiven Reaktionen mit solchen inneren Befindlichkeiten zusammen. Wenn Menschen reizbar oder bedürftig sind, reagieren sie öfter aggressiv." (S. 233)
Das hat starke Ähnlichkeiten mit dem, was der Konfliktforscher William Ury mit "Empathie für sich selbst" beschreibt und als unverbrüchliches Commitment zu den eigenen Bedürfnissen empfiehlt, "no matter what". Ihre abschließenden Ratschläge beziehen sich vor allem auf die Stärkung sozialer Beziehungen: "Praktizieren Sie liebevolle Mitmenschlichkeit" (S. 233), "Mitgefühl rund um die Uhr" (S. 235), "Bitten Sie um Hilfe" (S. 236) und "Üben sie sich täglich in Geduld und Mitgefühl" (S. 236).
In Summe kann ich nicht wirklich beurteilen, ob dieses Programm geeignet ist, Menschen zu helfen, die zum aggressiven Ausleben von Ärger und Wut neigen. Aber es ist der beste mir bislang bekannte Versuch. Und das Buch hat mir darüber hinaus einige unerwartete Zusammenhänge klargemacht.
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