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Weshalb Innovation aktiv gefördert werden muss

Martin, Roger (2009):

The Design of Business

Why Design Thinking is the Next Competitive Advantage

Harvard Business Review Press (Boston MA); 191 Seiten; 22,95 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 6 / 6

Rezensent: Winfried Berner, 30.08.2019

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Warum Design-Thinking als das nächste große Ding gefeiert wird, hat sich mir aus diesem Buch nicht erschlossen. Letztlich ist die simple Kernaussage, dass sich innovative Ideen nicht mit effizienten Routineprozessen managen lassen. Recht redundant.

Roger Martin ist (oder war bei Erscheinen dieses Buches) Professor für Strategisches Management und Dean der Rotman School of Management an der Universität Toronto. Doch sein Buch ist keine wissenschaftliche Publikation, es ist ein "Beraterbuch": Eines jener Werke, mit denen mehr oder weniger namhafte Berater auf knapp 200 Seiten ("CEO-Format") möglichst prägnant (angeblich) revolutionäre Konzepte vorstellen, um auf diese Weise Kunden zu akquirieren. Das muss nicht schlecht sein; es kann sogar ein sehr effektiver Weg der Wissensverbreitung sein, wenn der Inhalt wirklich neue Perspektiven bringt – aber halt nur dann.

Starke Anreize zur Verlässlichkeit – auf Kosten der Innovation

Bereits im Titel verspricht "The Design of Business" das nächste große Ding, "the next competitive advantage". Bei genauerem Hinsehen enthält es zwar ein paar nützliche Gedanken, aber nach dem großen Wurf sucht man vergeblich. Stattdessen betont Martin nur ein ums andere Mal – und wenigstens bei mir bis zum Überdruss –, dass der CEO, der Vorstand und im Grunde jeder Manager für die richtige Balance zwischen "Reliability" und "Validity" bzw. zwischen "Exploration" und "Exploitation" sorgen müsse.

Ohne Zweifel hat er damit einen Punkt: In der Tat neigen Unternehmen dazu, ihre Verlässlichkeit zu optimieren: Prozessoptimierung und Qualitätsmanagement steuern in diese Richtung, Standardisierung und Modularisierung desgleichen, und die IT tut es ohnehin sozusagen kraft Amtes, weil sie bis ins Detail definierte Algorithmen voraussetzt. Zutreffend ist auch, dass der Kapitalmarkt Verlässlichkeit belohnt: Abweichungen von Planzahlen werden abgestraft, Gewinnwarnungen lösen weit überproportionale Kursverluste aus; umgkehrt genießen das höchste Ansehen die "Dividend Aristocrats", die über Jahrzehnte stabile und tendenziell steigende Dividenden ausschütten.

Aus der Sicht von Analysten und sicherheitsorientierten Anlegern ist das verständlich, aber es setzt problematische Anreize für das Management. Es belohnt das Optimieren des Status Quo, die maximale Ausnutzung des vorhandenen Geschäftsmodells, nicht aber das Fördern wirklicher Innovationen und das Eingehen unternehmerischer Risiken, also das Entdecken neuer bzw. das Weiterentwickeln bestehender Geschäftsmodelle. Kurz, die "Exploitation" verdrängt die "Exploration".

Schiefe Begrifflichkeiten

Unglücklicherweise baut Martin in diesem Zusammenhang einen Gegensatz zwischen "Reliability" und "Validity" auf, die in meinen Augen keinerlei Sinn ergibt, und reitet bis zur Erschöpfung darauf herum. Denn Zuverlässigkeit, die er mit "Exploitation" in Verbindung bringt, ist ja kein Gegensatz zu Gültigkeit, die er seltsamerweise ausschließlich der "Exploration" zuordnet. Vielmehr ist Zuverlässigkeit ohne Gültigkeit nutzlos: Wenn ein Unternehmen mit hoher Zuverlässigkeit irrelevante Ergebnisse abliefert, werden sich sowohl die Kunden als auch die Shareholder rasch abwenden. Umgekehrt setzt Gültigkeit Zuverlässigkeit voraus, denn Ergebnisse, die nicht verlässlich sind, können auch nicht valide sein.

Der entscheidende Fehler liegt meines Erachtens darin, dass er Validität allein auf der innovativen Seite lokalisiert. Aber das ist nicht schlüssig. Auch das bestehende Geschäftsmodell muss ja valide sein, das heißt, es muss einen unstrittigen – und damit gültigen – Mehrwert für die Kunden bieten, sonst fällt es in sich zusammen und wäre auch durch eine Optimierung seiner Verlässlichkeit nicht zu retten. Das wirkliche Problem ist nicht die mangelnde Validität des bestehenden Geschäftsmodells, sondern dessen Angreifbarkeit für bessere Ideen, sprich, für Innovationen, die das gleiche (oder ein ähnliches) Kundenbedürfnis auf bessere Weise abdecken.

Wer sich also ausschließlich darauf konzentriert, ein (unstrittig vorhandenes) Kundenbedürfnis mit seinem bestehenden Geschäftsmodell optimal "auszubeuten", läuft Gefahr, dass sein Modell früher oder später durch die bessere Geschäftsidee eines Konkurrenten obsolet wird. Insofern täte er gut daran – da hat Martin zweifellos recht –, sich nicht ausschließlich auf die Ausbeutung des Vorhandenen zu fokussieren, sondern einen Teil seiner Erträge in die Entwicklung neuer Ideen und Geschäftsmodelle zu investieren.

"Abduktive Logik" oder Logik auf falschem Terrain?

Dem steht laut Martin freilich die ausgeprägte analytische Ausrichtung des Managements entgegen, denn im Gegensatz zu bloßen Prozessoptimierungen (oder meinetwegen Optimierungen der Zuverlässigkeit) lässt sich für neuartige Ansätze und innovative Geschäftsmodelle nicht analytisch beweisen, dass bzw. wie bzw. ob sie erfolgversprechend sind. Da zu ihnen keine empirischen Daten vorliegen, entziehen sie sich einer logischen Analyse.

Hier kommt er mit der nächsten schiefen Begrifflichkeit daher. Weil sich hier nach seiner Darstellung weder deduktive noch induktive Logik einsetzen lassen, schlägt er unter Berufung auf den Philosophen Charles Sanders Peirce (1839 – 1914) eine "abduktive" Logik vor. Meine Wörterbücher lassen mich hier im Stich: "abduct" wird in Langenscheidts Großwörterbuch übersetzt als "1. jur. (gewaltsam) entführen. 2. med. abduzieren, ein Glied aus s-r Lage bringen". Das Substantiv "abduction" wird übersetzt als "1. Entführung. 2. med., a. Logik: Abduktion" – was alles nicht so richtig weiterhilft.

Aber Logik ist nun mal die Lehre von den Schlüssen, genauer davon, welche Schlüsse zulässig und welche unzulässig sind, sofern bestimmte Prämissen und bestimmte Fakten gegeben sind. Daher scheint es mir wenig sinnvoll, eine Logik zu postulieren, die ohne Prämissen und ohne Faktensätze auskommt und über deren Schlussregeln Martin auch sonst keinerlei Angaben macht. Stattdessen erschiene es mir hier klüger, dies als eine Problemstellung zu verstehen, der mit Logik nicht beizukommen ist und die stattdessen nach Urteilsvermögen und einem Schuss Mut bzw. Risikobereitschaft verlangt.

Vermutlich müssen wir einfach akzeptieren, dass es ex ante keine Möglichkeit gibt, den Erfolg neuartiger Produkte oder Lösungen vorherzusehen, auch wenn es im Nachhinein natürlich viele gibt, die das bereits eingetretene Ereignis perfekt vorhersagen können. Das erinnert an Edward de Bonos kreative Ideen, die im Nachhinein absolut offensichtlich sind, für die es aber keine systematische induktive oder deduktive Herleitung gibt. Auch eine abduktive Logik würde hier nur dann weiterhelfen, wenn ihre Schlussregeln erstens klar und zweitens ex ante praktisch anwendbar sind.

Trotzdem ist die Frage, ob das eigentliche Problem hier in dem zu analytischen Denkstil im Management liegt oder schlicht in mangelnder Risikobereitschaft und falschen Anreizen. Wer Angst hat, Risiken einzugehen, weil er weiß, dass seine Shareholder auf Planabweichungen allergisch reagieren, ist gut beraten, auch dann nicht mutiger zu agieren, wenn er sein analytisches Denken komplett deaktivieren könnte.

Von Geheimnissen zu Heuristiken

Zu den nützlichsten Ideen aus Martins Buch zählt für mich der "Knowledge Funnel", den er im ersten Kapitel vorstellt. Dieser Trichter besteht aus zwei Veredelungsschritten. In der ersten werden aus "Mysteries" (Rätseln, Geheimnissen) "Heuristics", also methodische Strategien der Erkenntnisgewinnung (bzw. Bedürfnisbefriedigung), in der zweiten werden aus den Heuristiken Algorithmen (im weiteren Sinne; gemeint sind standardisierte Arbeitsprozesse).

Der erste Schritt besteht darin, dass jemand einen Markt – oder genauer, einen selbstgewählten Ausschnitt der Realität – beobachtet, das Verhalten der Akteure analysiert und versucht, deren Ziele und Bedürfnisse zu verstehen. Ausgangspunkt dafür ist in aller Regel ein "hunch", eine Vorahnung oder vage Idee, dass da etwas ist oder sein könnte, aus dem sich etwas machen lässt. Denn sonst könnte man ja auch aus dem Fenster oder in die Regentonne schauen – die Menge der Realitätsausschnitte, die man studieren könnte, ist mit "unendlich" wahrscheinlich nur knapp beschrieben.

Bei dieser ersten Betrachtung ist auch die Menge der "Daten" beinahe grenzenlos. Zugleich ist völlig unklar, was davon relevant ist und was nicht, vor allem aber ist unklar, wie sich daraus ein gewinnbringendes Geschäftsmodell entwickeln lässt. Wie daraus eine Heuristik entsteht, auf der sich ein Geschäftsmodell aufbauen lässt, ist kaum systematisierbar – das ist jener kreative Einfall, der im Nachhinein offensichtlich ist, sich aber jeder Methodik entzieht. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass sie Raum braucht, also eine intensive Beschäftigung mit der Materie voraussetzt. (Weshalb sie auch leicht von der "Exploitation" verdrängt wird.)

Heuristiken können die Grundlage für gute Geschäftsmodelle sein, weil sie Faustregeln dafür bereitstellen, wie man Kunden einen Nutzen bieten kann, für den sie zu bezahlen bereit sind. Eine altbewährte Faustregel ist beispielsweise: Biete ihnen etwas zu essen an – oder, ins Bürokratische übersetzt, biete "Außerhausverpflegung". Der Nachteil von Heuristiken ist, dass sie mit relativ hohem Aufwand verbunden sind, weil sie Sachkenntnis, Urteilsvermögen und operative Fähigkeiten voraussetzen.

… und weiter zu Algorithmen

Der zweite Schritt ist deshalb, das Geschäftsmodell zum Algorithmus weiterzuentwickeln, also zu einer Sammlung von hochstandardisierten Teilschritten, die mit einem weit geringeren Grad an Urteilsvermögen und operativen Fähigkeiten auskommen. Auf diese Weise werden sie erstens wesentlich kostengünstiger, weil man mit weniger qualifiziertem Personal arbeiten kann, und zweitens, für das Geschäftspotenzial noch wichtiger, skalierbar. Das heißt, sie lassen sich beinahe beliebig vervielfältigen: Das ist der Schritt vom einzelnen Gasthaus zur Systemgastronomie.

Bemerkenswert fand ich die Feststellung, dass der Schritt von den Heuristiken zu den Algorithmen alles andere als ein "Selbstgänger" ist – im Gegenteil: Die hochbezahlten Experten sind dabei keine Verbündeten; sie setzen der "Banalisierung" ihres Geschäfts zu Standardabläufen massiven Widerstand entgegen. Was auf den zweiten Blick auch nachvollziehbar ist, zum einen, weil dieses Bestreben ihre anspruchsvolle Tätigkeit zu entwerten scheint, zum anderen, weil sie im Falle eines Erfolgs ihre Felle davonschwimmen sehen. Dass zum Beispiel Steuerberater keine gute Meinung von Softwarepaketen haben, mit denen man seine Steuererklärung selbst machen kann, ist irgendwie auch logisch.

Insofern ist es tatsächlich einleuchtend, dass sich Top-Manager bewusst auf die Seite der Innovation bzw. "Exploration" stellen müssen, wenn sie sicherstellen wollen, dass ihr Unternehmen langfristig eine Zukunft hat und sich nicht in der immer effizienteren Abwicklung des bestehenden Geschäftsmodells verbraucht. Sie sollten Freiräume – und das heißt auf Deutsch wohl Budgets – sowohl für die Algorithmisierung bestehender Heuristiken schaffen als auch dafür, immer wieder einen neuen Blick auf die unentdeckten Rätsel und Geheimnisse des bestehenden Geschäfts zu werfen und darin möglicherweise neue Heuristiken zu entdecken.

Leider sind diese interessanten Gedanken in dem Buch verschüttet unter einer Fülle von Redundanzen und Wiederholungen. Insbesondere die Gedanken, dass es wichtig sei, die richtige Balance zwischen "Reliability" und "Validity" zu finden, und dass die internen Anreize von Unternehmen eher Verlässlichkeit fördern als Innovation, habe ich gefühlt in jedem Kapitel mindestens dreimal gelesen – und zwar jeweils mit ausführlicher Begründung. Irgendwann geht einem so selbst die schlüssigste Aussage nur noch auf die Nerven.

Schlagworte:
Design Thinking, Innovationsförderung, Prozessoptimierung

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