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Früherkennung von Blasen samt praktischer Anwendung

Mansharamani, Vikram (2019):

Boombustology

Spotting Financial Bubbles Before They Burst

Wiley (New York) 2011, 2nd Edition 2019; 360 Seiten; 22,20 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 20.11.2019

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Ein interdisziplinäres Instrumentarium zur Früherkennung von Blasen mit 13 Indikatoren wird hier nicht nur auf historische Krisen angewandt, sondern auch auf drei aktuelle Fälle, nämlich auf China, Indien und, wohl am brisantesten, auf Indexfonds.

Von der ersten Auflage dieses Buchs war ich ausgesprochen angetan: Der an der Sloan School of Management am MIT promovierte Vikram Mansharamani stellte darin einen eklektischen Ansatz zur Früherkennung von Blasen (hauptsächlich) in Finanz- und Immobilienmärkten vor. Um frühzeitig zu erkennen, ob die Entwicklung wieder einmal heißläuft, zog er insgesamt 13 Indikatoren aus fünf Fachgebieten heran. Dabei verwendete er nicht nur auf mikro- und makroökonomische Indikatoren, sondern stützte sich auch auf Kriterien aus drei weiteren Disziplinen, nämlich der Psychologie, der Politologie und der Biologie.

Das Entscheidende an Frühwarnsignalen ist natürlich, ob sie funktionieren. Mansharamani machte es Interessierten leicht, seinem Modell auf den Zahn zu fühlen, indem er in der ersten Auflage nicht nur fünf zurückliegende Boom-Bust-Abfolgen analysierte, sondern auch eine Prognose wagte, nämlich, dass sich der chinesische Immobilienmarkt ebenfalls zu einer Blase entwickelt habe.

Substanziell erweiterte Neuauflage

Acht Jahre später sollte es möglich sein, seine Prognose zu überprüfen – und Mansharamani tut das in der erweiterten Neuauflage auch ausführlich und detailreich. Zugleich nutzt er sein unverändertes Modell für zwei neue Vorhersagen, die für die meisten Beobachter wohl mindestens ebenso überraschend sein dürften wie seine Prognose für den chinesischen Immobilienmarkt. Nämlich erstens, dass Indien keineswegs der Markt der Zukunft ist, für den es von vielen gehalten wird, sondern schwere Zeiten vor sich hat, weil Indiens Bevölkerung schneller wächst als seine Wirtschaft und damit die Arbeitsplätze. Und zweitens, dass die derzeit so beliebten ETFs, also die Indexfonds, die bestimmte Märkte oder Marktsegmente passiv nachbilden, auf einen Crash zusteuern.

Bereits die Tatsache, dass acht Jahre nach der ersten Auflage von "Boombustology" überhaupt eine erweiterte Neuauflage erscheint, ist ein Beleg dafür, dass Mansharamani mit seinem Ansatz nicht völlig gescheitert ist. Bemerkenswert ist aber, dass er sein Modell – und damit auch den Großteil des Texts der Erstauflage – völlig unverändert belässt. Da er durchaus den Eindruck vermittelt, offen für Feedback und neue Erkenntnisse zu sein, heißt das wohl, dass er seit dem Erscheinen der Erstauflage keine Erkenntnisse gewonnen hat, die Korrekturen oder Modifikationen erforderlich machen.

Neu an der Neuauflage sind außer dem Vorwort – diesmal von James Grant statt von David F. Swensen; ich kenne keinen von beiden – und der Einleitung das Kapitel 11 "China's Credit-Fueled Investment Boom", das Kapitel 13 "Boombustology in Action: Is India Next?" sowie ein "Addendum", das mit seinen 20 Seiten ohne weiteres auch als eigenes Kapitel durchgegangen wäre: "A Passive Investing Bubble?"

Der Rest des Buchs entspricht mit einigen punktuellen Überarbeitungen der Erstauflage. Deshalb beschränke ich mich auch in dieser Besprechung auf die Aussagen und Erkenntnisse, die in dieser zweiten Auflage neu hinzugekommen sind.

Bevorstehender Immobilien-Crash in China?

An dem China-Kapitel bleibt bei mir trotz all der detaillierten Fakten und Belege, die Mansharamani für eine Blasenbildung vorlegt, eine Irritation: Sollte in China tatsächlich ein Crash des Immobilienmarkts stattgefunden haben, von dem wir im Westen nichts mitbekommen haben? Oder zumindest ich nicht? Oder bahnt er sich gerade erst an?

Zwar sind die Fakten wahrhaft atemberaubend, die Mansharamani über Leerstände, über Kreditvoluminia, über Beton- und Stahlverbrauch nennt – und wenn es tatsächlich stimmt, dass ein wesentlicher Teil des neu erzeugten Stahls für den Bau neuer Stahlwerke verwendet wird, dann hört sich das allerdings nach einer Überhitzung an. Und wie er glaubhaft belegt, schlagen auch die allermeisten seiner Indikatoren an, mit zum Teil spektakulären Signalen.

Aber ein Beleg für die Vorhersagekraft seines Modells ist China nach meiner Kenntnis (noch) nicht: Es kann sehr wohl sein, dass der chinesische Immobilienmarkt, wie es Mark Buchanan in seinem Krisenmodell genannt hat, in zunehmendem Maße von "Fingers of Instability" durchzogen ist, aber der "Bust", der als Beweis für die prognostische Leistungsfähigkeit von Mansharamanis Theorie erforderlich wäre, steht noch aus.

Passives Investieren – vom Hoffnungsträger zum Risikofaktor

Am spannendsten und wichtigsten ist in meinen Augen das "Addendum" über die von Mansharamani ausgemachte Blase bei passiven Investments. Diese 20 Seiten sind von höchster praktischer Relevanz für alle, die ihre Alterssicherung (oder Teile davon) durch eigene Investitionen an den Finanzmärkten bestreiten wollen oder müssen. Wenn er hier recht hat – und ich fürchte, dass er recht hat –, steht uns hier eine Knall bevor, die die Probleme in China und Indien wenigstens aus europäischer und amerikanischer Sicht bei Weitem in den Schatten stellt.

Ich bekenne, dass ich geraume Zeit ein überzeugter Anhänger des passiven Investierens war. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass die wenigsten aktiv gemanagten Fonds den Index dauerhaft übertreffen – und dass es für Privatanleger beinahe unmöglich ist, nicht nur herauszufinden, welche es in der Vergangenheit waren, sondern, was keineswegs dasselbe ist, es in den kommenden Jahren sein werden: Der Warnhinweis "Past performance is not indicative for the future" sollte bitter ernst genommen werden. Im Gegensatz zu den Gewinnen hat man die Kosten aktiv gemanagter Fonds sicher – und sie fallen umso mehr ins Gewicht, je weniger diese Fonds den Index schlagen.

Dazu kommt das nobelpreisgekrönte "Efficient Market Dogma" der Chicagoer Schule, wonach alle relevanten Informationen in den Kursen eingepreist sind und der künftige Kursverlauf ein "Random Walk" ist, der nicht vorhergesehen werden kann. Diese Argumentation klingt sehr einleuchtend – jedenfalls solange man nicht genauer nachdenkt. Deshalb liegt es nahe, auf den Versuch zu verzichten, den Markt zu schlagen, und ihm stattdessen einfach zu folgen, indem man den Index mit einem Exchange-Traded Fund (ETF) passiv und mit geringen Kosten nachbildet.

Erste Zweifel daran, dass "die Märkte" in ihrer unendlichen Weisheit immer die "richtigen" Preise ausweisen, kann man bekommen, wenn man sich die Frage stellt, wie es dann sein kann, dass der Preis ein- und derselben Aktie sich innerhalb weniger Wochen oder Tage halbieren oder verdoppeln kann, und zwar, ohne dass es über das betreffende Unternehmen irgendwelche neuen Informationen gibt. Welcher Preis war denn dann der richtige? Der erste? Der zweite? Oder beide? Und was heißt unter diesen Umständen noch "richtig"?

Die Zweifel verstärken sich, wenn man Fakten beobachtet, die im offensichtlichen Widerspruch zu dem "Efficient Market Dogma" stehen – insbesondere, dass manche Investoren über Jahrzehnte hinweg den Markt schlagen, und zwar nicht nur um einige Nachkommastellen, sondern erheblich, was sich über die Jahre zu spektakulären "Überrenditen" addiert (bzw. verzinseszinst). Daher habe ich schon vor Jahren meinen Flirt mit dem passiven Investieren beendet und bin ins Lager der Value-Investoren gewechselt.

Wieviel Passivität verträgt ein Markt?

Parallel dazu sind meine Vorbehalte gegenüber dem passiven Investieren und damit gegenüber ETFs gewachsen. Meine Zweifel an ihrer Krisenfestigkeit fand ich brillant auf den Punkt gebracht in dem Satz: "When ETF's sell who will buy?" Mit anderen Worten, wenn passive Investoren nach einem Börseneinbruch aus den Märkten fliehen, dürfte sich der Kursabsturz dadurch verstärken, dass all diesen Verkäufern kaum Käufer gegenüberstehen. Diesen Effekt gibt es zwar auch bei "normalen" Crashs, aber er dürfte die Fonds als "Zwischenhändler" in besondere Nöte bringen.

Mansharamani macht in seinem Addendum jedoch noch auf ganz andere Risiken aufmerksam. Passives Investieren funktioniert ziemlich gut, solange genügend andere aktiv handeln: Dann sind ETF-Käufer sozusagen die Trittbrettfahrer einer nicht unbedingt völlig rationalen, aber zumindest marktwirt­schaft­li­chen Preisbildung. Was aber geschieht, wenn nur noch eine Minderheit oder, im Extrem, gar niemand mehr aktiv handelt? Dann werden die Preise nur noch über den Zustrom oder Abfluss von Kapital in den Aktienmarkt getrieben. Doch schon lange davor wird die Preisbildung, die durch aktiven Handel zustandekommt, durch die passiven Fonds zunehmend verwässert.

Nun kommt die Theorie der Reflexivität ins Spiel, die Mansharamani von George Soros übernommen hat: Steigende Preise führen nicht, wie die ökonomische Theorie irrlehrt, zu einem Rückgang der Nachfrage, sie führen zumindest bei Geldanlagen häufig zu deren Anstieg, weil die Marktteilnehmer aus dem Preisanstieg ableiten, dass auch viele andere Marktteilnehmer kaufen, also offensichtlich an steigende Preise glauben. Je mehr Menschen aber an steigende Preise glauben, desto sicher werden sie recht behalten – also lohnt es sich rationalerweise, bei steigenden Preisen einzusteigen.

Das heißt, dann bewegen sich die Aktienkurse nicht mehr, weil sich die Gewinnaussichten der betreffenden Unternehmen (und damit ihre Eigenkapitalrendite) verbessert haben, sondern in erster Linie, weil neues Geld, angelockt durch einen Anstieg der Kurse, in die entsprechenden ETFs fließt. Im Extrem könnten sich die Aktienmärkte so völlig von der zugrundeliegenden Realität entkoppeln.

"Passive investors, believing they are price takers, fail to realize they've increasingly become price makers." (S. 321)

Mögliche Entkoppelung der Kurse von der zugrunde liegenden Realität

Dass dies nicht bloß ein theoretisches Gedankenspiel ist, belegt Mansharamani, indem er zeigt, wie hoch der Anteil passiver Investments bereits ist. Nicht nur viele Privatanleger sind inzwischen, angestachelt selbst durch seriöse Medien wie die Stiftung Warentest, auf ETFs umgestiegen. Auch Pensionskassen, Stiftungen und Vermögensverwalter hat dieser Trend erfasst, sodass inzwischen wohl viele Billionen passiv gemanagt werden.

Noch dramatischer ist, dass inzwischen auch die meisten vermeintlich aktiv gemanagten Fonds in Wirklichkeit zum Großteil passiv gemanagt sind. Da sie sich gegen einen mehr oder weniger passenden Index benchmarken müssen, bilden die Fondmanager, um ihr eigenes Karriererisiko zu begrenzen, mit bis zu 95 Prozent ihres Portfolios den Markt nach (sogenanntes "Shadow Indexing", S. 331) und konzentrieren sich auf eine sehr überschaubare Zahl von Aktien, denen sie eine bessere Entwicklung als dem Index zutrauen.

Das erweist sich häufig als falsche Hoffnung, weil sich die Kurse mehr im Gefolge der Indices bewegen als durch gezielte Käufe oder Verkäufe der betreffenden Einzelaktien. Firmen wie zum Beispiel Apple sind nicht nur in einem Index enthalten, sondern in etlichen und vor allem den großen ETFs. Mit anderen Worten, gleich welchen ETF jemand kauft, der Apple-Aktie wird es gut tun. Was wiederum den Abstand zwischen aktiven und passiven Fonds verringert und den Trend zum passiven Investieren verstärkt.

Deshalb könnte es sogar sein, dass die erwähnte Entkoppelung der Kurse von der zugrunde liegenden Realität nicht bloß ein ausgedachtes künftiges Schreckensszenario ist, sondern – Realität. Was wiederum erklären würde, weshalb wir uns im zwölften Jahr eines scheinbar immerwährenden Booms befinden, der bislang auch Trumps Handelskriege und die Brexit-Wirren, das Chaos im Nahen Osten und die Überschuldung vieler Staaten und Unternehmen ohne nennenswerte Schäden überstanden hat.

"The bottom line is that passive investing has distorted the information value of prices", lautet Mansharamanis Resümee, und er fragt: "Is it possible that passive investment might be making markets significantly less efficient?" (S. 335f., Hervorhebung im Original) Mich verwundert, dass er dies als (wenn auch rhetorische) Frage formuliert, wo er doch zahlreiche Belege dafür zuvor geliefert hat. Aber er ahnt wohl auch, dass er mit seinen Ausführungen über ETFs in ein Wespennest stochert. (Ob das Fragezeichen allerdings helfen wird, die Wespen zu besänftigen, ist eine andere Frage.)

Drei mögliche Konsequenzen

Was tun? Hier lässt uns unser kundiger Führer im Stich; er mahnt nur zur Vorsicht. Aber im Grunde ist die Sache einfach (wenn auch nicht leicht zu entscheiden): Wer glaubt, dass das alles nur Krisengeheul ist, möge voll investiert bleiben. Wem die Sache zu heiß wird, sollte jetzt aussteigen und nicht versuchen, noch die letzten 3 Euro 50 an Kursgewinnen herauszuholen. (Das frei werdende Geld könnte sie zum Beispiel in langfristige US-Treasuries oder in ausgewählte, sehr sichere Unternehmensanleihen stecken: Sie bieten im Gegensatz zu deutschen Staatsanleihen zumindest eine magere Verzinsung.)

Wer mit einem bevorstehenden Crash rechnet, könnte die riskanteste, aber potenziell auch lukrativste Variante wählen und Inverse ETFs kaufen, also solche, die mit negativem Vorzeichen an die Indizes gekoppelt sind. Solche Inverse ETFs fallen, solange die Kurse der entsprechenden Indizes steigen, und steigen, sobald die Kurse zu fallen beginnen. (Wer dies wagt, sollte allerdings das "Counterparty Risk" bedenken und deshalb nur solche ETFs kaufen, deren Garantiegeber krisensicherer sind als die eine oder andere deutsche Großbank.)

Natürlich kann man "benachbarte" Strategien auch kombinieren, also beispielsweise nur einen Teil in Staatsanleihen umtauschen oder nur einen Teil in Inverse ETFs anlegen. (Bei gegenläufigen Strategien bringt eine solche Aufteilung nichts, weil sich die Effekte aufheben und nur die Gebühren – und ggf. das Counterparty Risk – bleiben.)

Schon der Anstoß zu diesen Überlegungen ist den Kaufpreis des Buches und die Zeit für seine Lektüre mehr als wert. Auch wer die erste Auflage gelesen hat, wird von den Erweiterungen und Aktualisierungen der Neuauflage profitieren, sodass ich eine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen kann.

Schlagworte:
Finanzmärkte, Blasen, Boom - Bust, Frühwarnsignale, Früherkennung

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