Eine nützliche und wertvolle Methodik, die von den Autorinnen leider weniger von ihrer handwerklichen Seite vorgestellt als romantisierend umschwärmt wird. Daher eignet sich dieses Buch nur eingeschränkt, um die Methodik wirklich zu erlernen.
Christina Baldwin und Ann Linnea, Gründerinnen der gemeinsamen Firma PeerSpirit Inc., beschwören die Magie und Macht des Kreises, und sie behaupten, damit an eine menschliche Urerfahrung anzuknüpfen: Dass Gruppen gemeinsam um ein Feuer sitzen und miteinander sprechen, tiefe Verbundenheit erleben und sogar "Heilung" von allen möglichen Traumata erfahren. Das ist sehr suggestiv, aber auch sehr idealisiert – und wohl eher eine nostalgische Projektion als ein Anknüpfen an eine tief in unserem Unterbewusstsein verankerte archetypische Erinnerung.
Fragwürdige Beschwörung der Menschheitsgeschichte
Ich bin nicht sicher, wie häufig die Autorinnen tatsächlich schon an realen Lagerfeuern gesessen sind. Sonst sollten sie wissen, dass dort eher selten lange Gespräche in der großen Runde stattfinden, einfach weil das Feuer laut knistert und prasselt, der Wind weht und es im Freien kaum möglich ist, längere Redebeiträge zu verstehen, geschweige denn, ihnen konzentriert zuzuhören. Nicht selten tut der Rauch ein Übriges, um die Lagerfeuerrealität weniger diskursförderlich zu gestalten als das symbolische "Center" in einem klimatisierten Meetingraum.
"When the ancestors came over the hill and into the circle of firelight, the circle socialized them into communal groups and became the container for the deepest conversations of awakening human consciousness. Staring into the flames of the cooking fire, relieved to have made it through the rigors of another hunting-and-gathering day, questions rose up in them, and they told stories that made their world. Who are we? How did we get here? Who or what made this world for us? How are we related? How do we educate our children and initiate them into the tribe?" (S. 143, Hervorhebung im Original)
Das klingt, wenn man eine Ader für so etwas hat, wunderschön romantisch, aber es ist pure Fantasie. Das große Problem der Paläontologie ist ja, dass wir über das soziale Leben unserer Vorfahren so gut wie nichts wissen, weil es kaum Spuren hinterlassen hat. Was wir haben, sind Werkzeuge, Scherben, Brandspuren, Knochen, Grabbeigaben, Nahrungsmittelreste – aber daraus lässt sich wenig darüber ableiten, wie unsere Urahnen zu Lebzeiten miteinander umgegangen sind. Aus eingeschlagenen Schädeln lässt sich schließen, dass sie nicht immer höflich zueinander waren, doch all jene Praktiken ihres sozialen Umgangs, die nicht zu Knochenbrüchen führten, sind vergangen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Auf dieses wackelige Fundament hinzuweisen, scheint mir deshalb wichtig, weil das Beschwören vermeintlich alter Traditionen ja dazu dient, die in diesem Buch vorgestellte Methodik zu legitimieren – und sie gegen Kritik und Modifikationen zu immunisieren. Die behauptete Tradition suggeriert, dass das Ritual eingehalten werden muss, um seine Magie nicht zu verlieren. Aber das trägt nicht. Für die Einhaltung des vorgeschlagenen Ritus' mag es andere Gründe geben – uralte menschheitsgeschichtliche Traditionen sind es nicht, auch wenn die Autorin des Vorworts Margaret J. Wheatley theatralisch fragt: "Why Did We Forget This?" (S. IX)
Mit etwas Vorsicht zu genießen
Dass ihr Anknüpfen an solche vermeintlich archetypischen Erfahrungen dennoch so anschlussfähig ist, hat vermutlich weniger mit unserem kollektiven Unbewussten zu tun als mit der Funktionsweise unseres Gedächtnisses: Es ist eben keine Videodokumentation von Erlebtem und auch keine kollektive Cloud archetypischer Erfahrungen, sondern eine im Laufe der Evolution entstandene Arbeitshilfe für die Gegenwart – und insofern aus guten Gründen anfällig für Suggestionen und nachträgliche Konstruktionen.
Trotzdem stimmt mich persönlich diese wiederkehrende "Anrufung der Ahnen" skeptisch: Die Autorinnen unterscheiden nicht einmal ansatzweise zwischen dem, was ihnen persönlich plausibel erscheint, und dem, was sich wissenschaftlich belegen lässt; stattdessen insistieren sie, dass es so gewesen sein muss, wie sie es sich ausmalen. Das heißt ausdrücklich nicht, dass die Methodik, die sie in "The Circle Way" vorstellen, unbrauchbar ist, aber es heißt, dass man ihre Aussagen mit Vorsicht genießen muss.
Deshalb wird mir angst und bange, wenn im zehnten Kapitel "Circle as Support for Collective Healing" angepriesen wird – was sich im elften Kapitel als "Organizational Experiments in Circle Governance" und im zwölften mit "Circles as a Way of Life" fortsetzt, mit dem keineswegs augenzwinkernd gemeinten Einleitungssatz: "Once upon a time, circle was the core of human culture" (S. 183). Zum Glück endet das Buch, bevor der Circle auch noch zum Gottesdienst, zur kollektiven Verbindung mit dem Weltgeist und/oder zur Heilung für Hunger, Armut und die Klimakrise stilisiert wird.
So wie ich es sehe, haben die Autorinnen in der Tat eine starke Methodik entdeckt und/oder entwickelt, schießen dann aber vor lauter Stolz und Begeisterung über deren Effekte weit über das Ziel hinaus und propagieren sie wie Schamaninnen als eine Art Heilzauber. Da fallen dann Sätze wie der folgende, bei denen nicht leicht anzugeben ist, was eigentlich konkret bedeuten:
"This circle would set out to heal the participants' individual and collective shadows through the experiences of honesty and to explore ways to extend their learning forward." (S. 150)
Baldwin und Linnea knüpfen damit an C(arl) G(ustav) Jungs Begrifflichkeit des "Schattens" an. Der wiederum bezeichnet im Grunde nur eine mystifizierende Variante dessen, was die Psychoanalyse "das Unbewusste" nennt – was an Begrifflichkeiten wie "projected shadow" (Psychoanalyse: Projektion) oder "transference shadow" (Psychoanalyse: Übertragung) sichtbar wird. Doch bleibt rätselhaft, weshalb dieser individuelle oder kollektive "Schatten" eigentlich der Heilung bedarf – und wovon. Mir wird unbehaglich bei dem Gedanken, dass solche Ausführungen instabile Persönlichkeiten dazu animieren könnten, Circle-Zauberlehrlinge mit universellem Heilungsanspruch zu werden.
Auch mit manchen der Fallbeispiele, über die Baldwin und Linnea berichten, habe ich Mühe. Ich ziehe ihre Beschreibungen nicht in Zweifel, doch scheinen sie mir eine recht subjektive und selektive Wahrnehmung der jeweiligen Ereignisse wiederzugeben. Da ich – siehe oben – gesehen habe, mit welcher Gewissheit die Autorinnen über eine Vergangenheit schreiben, die sich wohl nur in ihrem Kopf abgespielt hat, beschleichen mich Zweifel an der Intersubjektivität der berichteten wundersamen Wirkungen. Deshalb bin ich nicht sicher, ob alle oder auch nur die meisten Teilnehmer der Circles, über die sie da berichten, die gleichen oder zumindest ähnliche Erinnerungen an deren Verlauf und Wirkungen hätten.
Der – mutmaßliche – Kern der Methodik
Wenn man die ganzen Überhöhungen beiseite lässt, entpuppt sich der Kreis als eine Methodik der Gruppenkommunikation, die unser Interesse verdient, völlig unabhängig davon, wie alt sie ist. Denn er ermöglicht in manchen Situationen wohl einen zugleich intensiveren und weniger defensiven Austausch als er mit den üblichen "Bordmitteln" gelingt.
Der Circle / Kreis als Methodik fördert und unterstützt dies in zweifacher Weise: Erstens sitzen alle in einer Runde, in der jede jeden sehen kann, was die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Teilnehmer betont; zweitens führen die Beteiligten keine Dialoge, sondern sprechen zur symbolischen Mitte, dem "Center". Das heißt, die Kommunikation ist als Abfolge von "Monologen" angelegt – wobei "Monolog" nicht für endlose Ergüsse steht, sondern einfach für Äußerungen, die der Gruppe die eigene Sichtweise und/oder die eigene Gefühlslage offenbaren, ohne eine direkte Antwort zu erwarten.
Die "Mitte" besteht die in Baldwins und Linneas säkularisierter Version nicht aus einem Feuer, sondern aus einen symbolischen Gegenstand. Das hat zwar nichts mit den Gebräuchen unserer Ahnen zu tun, bietet aber ohne Zweifel erhebliche praktische Vorteile. Die Wahl des symbolischen Gegenstands ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, aber "sympathische Gegenstände" wie Kerzen, Blumen und Logos scheinen hoch im Kurs zu stehen. Sie bieten den Augen einen Fixpunkt an, damit sie ihn nicht in Ermangelung von Alternativen bei den "Kontrahenten" suchen.
Ein weiteres konstituierendes Element des "Kreises" ist es, dass die oder der jeweilige Sprechende die Gewissheit haben, ihre Gedanken und Gefühle ausdrücken können, ohne unterbrochen zu werden: Solange sie den "Redestab" ("talking stick") in der Hand hält, hat sie das Wort und darf nicht unterbrochen oder durch Zwischenrufe oder -fragen in ihrem Gedankenfluss gestört werden.
Eine andere Qualität wird möglich
Wie Menschen berichten, die solche Kreise selbst miterlebt haben, verändert das die Qualität der geäußerten Gedanken und gibt ihnen mehr Tiefe: Wer nicht fürchten muss, unterbrochen und abgewürgt zu werden, steht weniger unter "Produktionsdruck" und muss nicht um jeden Preis sofort auf den Punkt kommen, sie kann auch kompliziertere Gedanken ausführen und zu Ende bringen. Das scheint tatsächlich andere, tiefere Gedanken anzustoßen als der "normale" Dialog.
Der Redestab wandert reihum – was sich für den pragmatischen Leser nach langen Sitzungen und starken Einschränkungen für die maximale Gruppengröße anhört. Selbst wenn dies nicht zu langen Monologen führt (was es dem Hörensagen nach nicht tut), erfordert es doch eine Menge Konzentration – und setzt damit der Höchstzahl der Redebeiträge Grenzen, denen man folgen kann und muss.
Aber das ist nur eine Vermutung eines Lesers, der diese Methodik bislang nie in der Praxis erlebt hat. Leider lassen die Autorinnen ihr Publikum bei solchen praktischen Fragen im Stich und schwärmen lieber von ihren Kreis-Erlebnissen. Das mag als Erinnerung und Gedächtnisstütze genügen, wenn man die Methodik aus der Praxis kennt, aber sie schränkt die Brauchbarkeit des Buchs zu deren Erlernen stark ein.
Die Autorinnen berichten auch von Fällen, in denen die Methodik mit größeren Gruppen – konkrete Angaben fehlen, es hört sich nach vielleicht 30 bis 50 Personen an – zum Einsatz kam. Aber wie das organisiert war und ob und wie die Regeln dafür modifiziert wurden, ob etwa die Redezeit begrenzt wurde, ob nicht alle zu Wort kamen oder ob die inhärente Weisheit unserer Ahnen das alles zum Besten regelte –, darüber kann man nur rätseln.
Strukturelemente des Kreisprozesses
Sicher sind hingegen drei weitere Strukturelemente dieser Gesprächskreise, nämlich erstens zwei Leitungsrollen, die in jedem Kreis zu besetzen sind, zweitens ein formalisierter Ein- und Ausstieg (Check-In und Check-Out genannt), und drittens, dass Gruppen sich Spielregeln geben sollten, um ihren Austausch zu ordnen und zu fokussieren.
Die beiden Leitungsrollen sind der "Host" – wörtlich Gastgeber, de facto Leiter – und der "Guardian" – wörtlich Wächter, Hüter, Beschützer. Aufgabe des Letzteren ist es, den Prozess und das Klima in der Gruppe zu beobachten und eine Glocke zu läuten, wenn sie oder er meint, dass die Gruppe, aus welchen Gründen auch immer, eine Besinnungspause braucht. Nach der kurzen Pause läutet sie erneut, erläutert gegebenenfalls, weshalb sie den Prozess unterbrochen hat, dann geht es weiter. Auch andere Teilnehmer können den "Wächter" auffordern, die Glocke zu läuten.
Eine dritte Rolle, die nur bei Bedarf besetzt wird, ist die des "Sribe", also, altdeutsch gesagt, die des Schriftführers.
Der "Gastgeber" unterscheidet sich von einer normalen Moderatorin dadurch, dass er nicht bloß Dienstleister für die Gruppe ist, sondern derjenige, die den Kreis einberuft, vorbereitet und sich für die Ergebnisse verantwortlich fühlt. Auch wenn das in der Praxis nicht so ungewöhnlich ist, weil ja im Alltag die Vorgesetzten fast immer auch die Gesprächsleitung übernehmen, ist es insofern bemerkenswert, als es die Trennung von Inhalts- und Prozessverantwortung aufhebt, die als die große Errungenschaft der Moderation gehandelt wird. Leider gehen die Autorinnen darauf nicht ein.
Der Untertitel "A Leader in Every Chair" will uns sagen, dass nicht nur Gastgeber und Wächter für den Erfolg eines Kreises verantwortlich sind, sondern dass alle eine Mitverantwortung für den Verlauf und den Erfolg haben. Wenn also ein Kreisprozess scheitert, haben nicht (nur) die Leiter versagt, sondern die ganze Gruppe.
Doch betonen Baldwin und Linnea ausdrücklich, dass die Leitungsrollen innerhalb bestehender Gruppen rotieren sollten. Das wiederum scheint implizit zu besagen, dass eine besondere Qualifikation dafür nicht erforderlich ist; den Prozess einige Male miterlebt zu haben, erscheint ihnen offenbar ausreichend. Was mich wundert – aber gut: Der Grundsatz "Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft" kommt ja auch anderswo zum Einsatz, wenn auch mit gemischtem Erfolg.
Uralte Tradition oder New-Age-Gruppendynamik?
Wie die Autorinnen beiläufig erzählen, haben sie die Rolle des Wächters nach einem Vortrag des buddhistischen Mönchs und Meditationslehrers Thich Nhat Hanh erfunden. Dort läutete jemand von Zeit zu Zeit mit einer Glocke eine Unterbrechung ein, die Hanh dann mit den Worten beendete: "This bell calls me back to myself." (S. 29)
Implizit räumen sie damit ein, dass ihr "Circle Way" eben doch nicht eine uralte Methode ist, die sie verdienstvollerweise dem Vergessen entrissen haben, sondern eine künstlich auf alt gemachte moderne Methode. Einmal stutzig geworden, wird einem bewusst, dass es am Lagerfeuer unserer Altvorderen vermutlich auch keine (rotierende!) "Gastgeberin" gab, von einen Schriftführer gar nicht zu reden.
Auch die Prinzipien, Leitlinien und Regeln der Autorinnen fühlen sich bei achtsamer Betrachtung recht neuzeitlich an. Auch wenn Baldwin und Linnea mit beinahe Trump'scher Sturheit insistieren: "The talking piece has served this purpose in circle since ancient times", S. 26): Von einschlägigen archäologischen Funden ist mir nichts bekannt. Nein, dies sind keine uralten Traditionen – das ist Gruppendynamik der neunziger Jahre mit einem Schuss New-Age-Esoterik.
Das ist ausdrücklich kein Verdikt über die Methodik, die ich für nützlich halte, sondern eine Kritik an dem Etikettenschwindel, den die Autorinnen betreiben – gleich ob vorsätzlich oder grob fahrlässig.
Anfang, Mitte, Schluss
"A meeting in circle has a beginning, middle, and end." (S. 23)
Das klingt etwas banal, man kann es aber so deuten, dass es in einem Kreis darum geht, den zeitlichen Verlauf deutlich spürbar und erlebbar zu machen. So wie ich es aus den Beschreibungen verstehe, kommt der kreisende Redestab vor allem beim Check-In, also dem Einstieg in einen Kreisprozess, sowie beim Check-Out, also dem Abschluss zum Einsatz; dazwischen ist offenbar auch eine "normale" Diskussion, eine Präsentation oder ein Vortrag mit oder ohne Diskussion möglich.
Kreise beginnen mit einem "Start-Point", einem offiziellen Auftakt. Das kann ein Gong sein, das Anzünden einer Kerze oder das Platzieren des Mittelpunkts, ein Zitat oder die Rezitation eines Gedichts:
"Any of these actions elicits the reflective attention of those who are gathering. The circle is beginning; the infrastructure is now called into play." (a.a.O.)
Der Check-In besteht aus einer ersten Runde, in der jede/r etwas über sich sagt – meist entlang einer Leitfrage wie: "Please share a brief story of what drew you to participate this circle?" oder "What excites you about being here, and what concerns do you have?" (S. 25) Man darf den Stab auch weitergeben, ohne etwas zu sagen. Und die Gastgeberin kann am Schluss fragen, ob jemand von denen, die noch nichts gesagt haben, sich noch äußern will.
Mit dem Check-Out wird entsprechend ein klarer Abschluss gesetzt. Das kann zum Beispiel durch einen kurzen Rückblick geschehen, durch eine Schlussrunde mit oder ohne Redestab oder auf andere geeignete Weise – entscheidend ist, dass die Runde am Ende nicht einfach auseinanderläuft, sondern einen sauberen und würdigen Abschluss erhält.
Leider gehen die Autorinnen überhaupt nicht darauf ein, was diese faktische Dreiteilung des "Kreises" in Einleitung, Hauptteil und Schluss für die zeitliche Struktur und Dauer solcher Treffen bedeutet. Wenn nicht nur eine Handvoll Leute zusammentreffen, sondern eine mittelgroße Gruppe mit 10, 15 oder 20 Personen, kann das ja nur funktionieren, wenn Check-In und Check-Out nicht viel Zeit in Anspruch nehmen – was wiederum voraussetzen würde, dass viele Teilnehmer sich entweder gar nicht oder nur sehr kurz äußern.
Prinzipiell glaube ich, dass solche Einstiegs- und Abschlussrituale einen sehr wichtigen Beitrag dazu leisten können, dass die Teilnehmer in der Gruppe wirklich "ankommen", sich in ihrer momentanen inneren Verfassung "zeigen können" und sich gegenseitig nicht bloß äußerlich wiedererkennen, sondern in ihrer aktuellen Verfassung und Gestimmtheit bewusst wahrnehmen. Und dass es genauso wertvoll ist, am Schluss nicht einfach auseinanderzulaufen, sondern ein zumindest kurzes persönliches Resümee zu ziehen. Gerade deshalb finde ich es bedauerlich, dass die Autorinnen hierzu nicht konkreter werden.
Gruppenregeln
Die generischen Regeln, die Baldwin und Linnea für Kreise vorschlagen, bergen für Gruppenerfahrene wenig Überraschungen: Vertraulichkeit; aufmerksames, empathisches Zuhören; Selbstverantwortung ("We ask for what we need and offer what we can", S. 24). Einzig die vierte Regel fällt etwas aus dem Rahmen, auch wenn Feedback und Prozessreflexion natürlich auch anderswo gebräuchlich sind: "From time to time, we pause to regather or thoughts or focus." (a.a.O.)
Dass Gruppen sich für ihre Zusammenarbeit selbst Regeln geben, ist nicht ebenfalls ungewöhnlich. (Sarkastisch könnte man anfügen: Ungewöhnlich wäre nur, wenn sie sich an sie hielten.) Auch nicht ungewöhnlich ist, dass sich solche Regeln sehr gut und edel lesen, ja, geradezu vor Empathie, Respekt und Wertschätzung strotzen. Erwartungsgemäß gilt das auch für die Beispiele, die Baldwin und Linnea zitieren.
Das Formulieren solcher Regeln geschieht normalerweise nicht in der Absicht, die gelebte Praxis im Vergleich besonders erbärmlich aussehen zu lassen. Trotzdem sind in aller Regel nicht die Regeln das Problem, sondern deren Einhaltung. Deshalb hätte mich noch mehr als einige weitere herzergreifende Regelsätze die Frage interessiert, wie die "Kreise" es schaffen, sich an sie zu halten, und wie sie mit den unvermeidlichen Rückfällen und Ausrutschern umgehen, die es im richtigen Leben halt auch immer wieder gibt.
Eine Bereicherung des Repertoires
Für mein Resümee möchte ich trennen zwischen der Methodik und dem vorliegenden Buch. Von dem Buch bin ich, wie deutlich geworden sein dürfte, eher unbegeistert. Weitere Begründungen erspare ich Ihnen und mir.
Die Methodik des Kreises hingegen und ihres Kerns, der monologischen Kommunikation, halte ich für eine Bereicherung des Repertoires – auch wenn ich sie deswegen nicht gleich, wie einige es tun, zum "Wisdom Circle" hochjubeln möchte. In meinen Augen ist dies nicht der bessere oder gar der allein seligmachende Weg – vielmehr ist sie eine gute Alternative zu dialogischen Formen der Kommunikation und eignet sich für bestimmte Zwecke wohl besser.
Bei kontroversen Themen zum Beispiel entwickelt sich aus dem Dialog leicht eine Konfrontation, weil die Beteiligten unweigerlich gegeneinander argumentieren und sich dabei oft hochschaukeln. Für solche Gespräche kann eine monologische Kommunikation eine gute Alternative sein, weil hier nicht gegeneinander argumentiert, sondern zur symbolischen Mitte gesprochen wird. Wenn man weder sofort antworten kann noch muss, wird es leichter, andere Sichtweisen erst einmal zu betrachten.
Auch die "Third Side" (William Ury), also das soziale Umfeld, kann in diesem Format seine Perspektive einbringen, ohne die Kontrahenten direkt anzusprechen, was in der Regel nicht ohne Wirkung bleibt.
Auch für Reflektionsprozesse kann ich mir das Kreisformat gut vorstellen, für Einstiegs- und Abschlussrunden sowieso. Manchmal ist es für den Erkenntnisfortschritt (rational wie emotional) eben ein Vorteil, wenn nicht diskutiert wird, wenn unterschiedliche Sichtweisen erst einmal nebeneinander stehenbleiben. Manchmal ist es aber auch von Vorteil, sofort zu diskutieren.
Wenn wir ein neues Instrument entdeckt haben, wäre es töricht, es nicht zu nutzen – aber es wäre genauso töricht, sich nur noch darauf zu stützen und alle bisherigen Instrumente wegzuwerfen oder in den Keller zu räumen. Mit Sicherheit können Gruppen und Teams davon profitieren, wenn sie beide Instrumente beherrschen und nutzen – und im Laufe der Zeit lernen, welches sich für welchen Zweck besser eignet.
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