"A Big History of Everything" ist ein großes Wort, aber David Christian wählt einen klugen Ansatz: Er unterteilt in acht Schwellen, deren Überspringen die Welt jeweils auf eine neue Komplexitätsstufe hob. Trotzdem überzeugt mich sein Buch nicht ganz.
Die Gliederung der Universalgeschichte in Schwellen (oder Stufen), wie sie der australische Historiker vornimmt, gibt dem unendlichen Strom der Ereignisse von der Entstehung des Weltalls über die des Lebens bis hin zu dem Chaos, das der Mensch mittlerweile angerichtet hat, eine klare und nachvollziehbare Ordnung – jedenfalls wenn man seinem Gedanken der Schwellen folgt.
Gegen eine solche Untergliederung kann man natürlich argumentieren, dass jede "Interpunktion" eines unendlichen Stroms willkürlich ist. Andererseits lässt sich kaum bestreiten, dass etwa mit der Entstehung des Lebens oder die Agrarische Revolution neue Komplexitätsstufen erreicht wurden. Und dass das zugleich Zäsuren waren, deren Überschreiten dem nachfolgenden Strom der Ereignisse eine wenn schon nicht unwiderrufliche (das werden wir erst noch sehen), so doch entscheidende Wendung gaben.
Ein langer Prolog für den großen Auftritt des Menschen
Von Christians acht Schwellen beziehen sich vier auf die unbelebte Welt, nämlich auf die Entstehung des Universums, von Sternen und Galaxien sowie von Monden und Molekülen. Lediglich eine befasst sich mit der Entstehung und Differenzierung des Lebens "vor" dem Auftritt des Menschen und immerhin drei mit dem Menschen und seinen Folgen, nämlich mit seiner Entstehung, dem Aufkommen des Ackerbaus und dem sogenannten Anthropozän, also dem erdgeschichtlichen Zeitalter, das vom Menschen geprägt wurde und wird.
Mit anderen Worten, Christians Betrachtung besteht sowohl zeitlich als auch räumlich aus einem gewaltigen "Aufzoomen": Zeitlich handelt grob die Hälfte des Buchs von den letzten paar hunderttausend Jahren der Universalgeschichte, in denen der Mensch eine wachsende Rolle spielte, die aber nur einen winzigen Bruchteil der Geschichte des Weltalls ausmachen. Räumlich konzentriert sie sich auf einen einzigen Planeten in den unendlichen Weiten des Alls.
Das kann auch kaum anders sein, schon weil uns über die Details der Geschichte anderer Galaxien und Sonnensysteme wenig Daten vorliegen und noch weniger erzählbare Geschichten. Aber es wirft dennoch die Frage auf, ob der gesamte Ansatz nicht arg asymmetrisch ist. In jedem Fall ist Christians Universalgeschichte hochgradig anthropozentrisch: Alles, was vor dem Menschen war, ist letztlich nur ein Prolog für dessen großen Auftritt.
Überehrgeiziger Ansatz
Der Eindruck eines überambitionierten Vorhabens verstärkt sich, wenn man tiefer in den Inhalt einsteigt. Immer deutlicher wird dann: Um eine solche Universalgeschichte zu schreiben und die wirklich wesentlichen Entwicklungen herauszustellen, ohne dabei grobe fachliche Fehler zu machen, müsste man ein Universalgelehrter sein, der alle durchwanderten Gebiete nahezu perfekt beherrscht.
Das mag vor 200 Jahren noch möglich gewesen sein, vor 100 kaum noch, und heute ist es einfach nur noch – überehrgeizig. Immerhin müsste man dafür mit jedem der Fachgebiete, das man auf diesem Weg durchschreitet, dazu in der Lage sein, Wesentliches von Unwesentlichen zu unterscheiden, und man müsste deren zentrale Erkenntnisse und Prinzipien voll durchdrungen haben, um keinen Fehleinschätzungen zu unterliegen.
Kein Wunder, dass sich da Fehler einschleichen: nicht verzeihliche Ungenauigkeiten im Detail, sondern grobe Schnitzer, die die Folge unverstandener Zusammenhänge sind. Einem ambitionierten Laien würde man das wohl nachsehen; für ein Buch, das den Anspruch erhebt, ein Lehrbuch der Universalgeschichte zu sein, ist es enttäuschend.
Denn wenn man auf den Gebieten, auf denen man sich etwas besser auskennt, grobe Fehler entdeckt, legt das nicht unbedingt den Schluss nahe, dass alle übrigen Gebiete, auf denen man sich nicht oder nur wenig auskennt, frei von solchen Schnitzern sein werden. Das jedoch stellt den Wert und Nutzen des Ansatzes insgesamt infrage.
… führt zu schwerwiegenden Fehlern
Nur zwei Beispiele: Nach Christians Lesart schritt die agrarische Revolution auch deshalb so schnell voran, weil sie in erheblichem Umfang auf etwas zurückgreifen konnte, was er "potential knowledge" nennt, also auf "Vorratswissen":
"Humans had more options because they had more information. Much of that information had not been needed before. It was potential knowledge, like potential energy – knowledge held in reserve that could be activated if and when it was needed. Modern foragers have a lot of potential knowledge that can be activated in a crisis (…) They knew that the plants they like grew better if you irrigated them and if you remove competitors by weeding." (S. 199f.)
Die gezogene Parellele zur Energie ist unglücklich, weil die Menschheit bis heute größte Schwierigkeiten hat, Energie zu speichern. Der allermeiste elektrische Strom wird, seit es elektrischen Strom gibt, in der gleichen Sekunde verbraucht wie er erzeugt wird. Bei seiner Speicherung hingegen haben wir nach wie vor größte Schwierigkeiten: Sie gelingt uns nur unter dramatischen Umwandlungsverlusten.
Ja, klar, wir nutzen Kohle, Brennholz, Öl und Gas – aber das sind alles keine Vorräte, die wir selbst geschaffen haben: Wir bemächtigen uns hier nur der Reserven, die die Natur völlig ohne unser Zutun entstehen ließ. Das dürfte bei Wissen deutlich schwieriger werden, weil bislang keine Lagerstätten mit prähistorischen Wissen entdeckt wurden – und auch von Pflanzen, in denen Wissen wie Sonnenenergie eingelagert wird, ist nichts bekannt.
Es gibt kein ungenutztes Vorratswissen
Die Produktion von Wissen auf Vorrat ist evolutionsbiologisch ein völlig unhaltbarer Gedanke, für den Christian auch keine einzige Quelle anführt: Es hätte keinerlei Selektionsvorteil, Wissen auf Verdacht anzuhäufen; es wäre im Gegenteil ein Handicap, weil Zeit- und Ressourcenverschwendung.
Wie Lehrerinnen und Personalentwickler wissen (sollten), funktioniert Lernen auf Vorrat ausgesprochen schlecht, und zwar selbst dann, wenn das entsprechende Wissen nur wenige Monate oder Jahre "bevorratet" werden soll: Das allermeiste auf Vorat erworbene Wissen wird schnell vergessen, wenn es nicht umgehend angewandt wird.
Natürlich gibt es den Fall, dass sich Dinge, die man zufällig entdeckt hat, an anderer Stelle als nützlich erweisen – vielleicht ist es das, was Christian hier im Sinn hat. Das Problem ist nur, dass die allermeisten derartigen Entdeckungen rasch wieder in Vergessenheit geraten, weil bzw. wenn sie nicht zeitnah eine Verwertung finden.
Das Vergessen ungenutzten Wissens trifft selbst wertvollstes, über Generationen tradiertes Erfahrungswissen: Eine einzige Generation, die dieses Wissen nicht erwirbt und weitergibt, reicht aus, um überliefertes Wissen unwiederbringlich in Vergessenheit geraten zu lassen.
Viele mittelalterliche und antike Handwerkskünste beispielsweise sind für immer verloren, das Gleiche gilt für fast das komplette Erfahrungswissen unserer steinzeitlichen Ahnen. Die Restaurierung historischer Bauwerke wie Nôtre Dame wird dadurch erheblich erschwert, dass wir über manche handwerklichen Techniken und Verfahren nicht mehr verfügen. Wir können nur hoffen, dass wir solche Fähigkeit wie, die Natur zu lesen, mit geringeren Mitteln in ihr zu leben und uns ohne motorgetriebene Maschinen zu behelfen, nicht eines Tages wieder brauchen.
Das Rätsel prähistorischer Monumentalbauwerke
Angesichts seiner fragwürdigen Theorie des "Vorratswissens" ist auch kein Wunder, dass Christian an einem der größten Rätsel der neolithischen Revolution sehend vorbei läuft: Zwar erwähnt er prähistorische Stätten wie Göbekli Tepe, Stonehenge und Chaco Canyon in Mexiko, aber er erkennt offenbar nicht, welches ungelöste Rätsel sie aufwerfen.
Sie entstanden, sofern die Datierungen halbwegs richtig sind, in den Anfängen der Agrarischen Revolution oder möglicherweise sogar davor, doch ihre Erbauung erforderte nicht nur Techniken, sondern auch Ressourcen und Strukturen, die es zur damaligen Zeit noch gar nicht gab oder von denen wir zumindest nichts wissen.
Um solche gigantischen Bauwerke zu erstellen, ist ja nicht nur beträchtliches Wissen und viel Planung erforderlich, sondern auch die Fähigkeit, zahllose Arbeitskräfte über einen vermutlich sehr langen Zeitraum zu ernähren, und dazu die Macht, sie zu rekrutieren und – mit welchen Mitteln auch immer – bis zum Abschluss des Bauwerks bei der Stange zu halten.
Atemberaubend ist schon allein das Ressourcenproblem: Soweit bekannt, wurden bis zur industriellen Revolution fast alle Arbeitskräfte dafür benötigt, die Bevölkerung zu ernähren – einfach, weil die Produktivität der Landwirtschaft seit der Jungsteinzeit nicht sehr hoch war und die Bevölkerung mit dem Produktivitätsfortschritt mitwuchs. Wie also wurden diese Arbeitskräfte versorgt und ernährt, während sie am Bau dieser Monumente arbeiteten?
Gerade weil solche Leistungen überhaupt nicht in die Lebensbedingungen der damaligen Zeit zu passen scheinen und damit zumindest eine scheinbare Störung der Chronologie darstellen, rufen sie im Kontext einer Universalgeschichte nach einer Erklärung. Christians hochspekulatives Vorratswissen liefert diese Erklärung wohl kaum.
Zweifelhaftes über das Aussterben anderer Hominiden
Ein zweites Beispiel für fragwürdige Theorien ist die Behauptung, die Neandertaler und andere Hominiden seien ausgestorben, weil in der gleichen ökologischen Nische keine zwei Spezies Platz haben:
"Perhaps there was room for only one species to cross the threshold of collective learning. There is an evolutionary mechanism known as competitive exclusion that explains why two species can never share exactly the same niche. One will eventually drive out its rival if it can exploit the same niche slightly more effectively. So we can imagine several species gathering near the evolutionary threshold of collective learning, but then one broke through and began to exploit its environment so efficiently that it numbers multiplied and grew fast enough to lock out its rivals. This may help explain why our closest hominin relatives, such as the Neanderthals, have perished, and our closest surviving relatives, the chimps and gorillas, are approaching extinction." (S. 176)
Das klingt so, als hätten unsere Vorfahren und die Neandertaler ebenso stur wie verbissen um dieselbe ökologische Nische gekämpft, und zu ihrem Pech und unserem Glück hätten die Neandertaler verloren. Aber teilten wir denn wirklich "exactly the same niche" mit den Neandertalern, und teilen wir heute genau die gleiche ökologische Nische mit Schimpansen, Gorillas und Oran-Utans?
Diese Erklärung ist ausgesprochen unwahrscheinlich, denn erstens definiert das zitierte Gesetz, wie Christian treffend feststellt, die Nische sehr eng (und vermutlich nicht ganz tautologiefrei), und zweitens herrscht in einer solchen unmittelbaren Konkurrenz ein hoher Selektionsdruck auf beide Arten, sich eine andere ökologische Nische zu suchen, in der sie weniger Konkurrenz haben. Nur wenn dies nicht gelingt, droht der wettbewerbsschwächeren das Aussterben.
Die Agrarische Revolution als entscheidender Wendepunkt
Am meisten angesprochen haben mich – aber das ist natürlich mindestens ebenso eine Aussage über mich wie über das Buch – die Kapitel über die Agrarische Revolution (Kapitel 8), über die Entstehung agrarische Zivilisationen (Kapitel 9) und über den Übergang in die Neuzeit (Kapitel 10 "On the Verge of Today's World").
David Christian gelingt es hier sehr gut, die unglaubliche Beschleunigung erlebbar zu machen, die in diesen Epochen stattgefunden hat. Mehr als einmal habe ich mir beim Lesen gewünscht, dass er sich (und mir) ein bisschen mehr Zeit ließe, neue Entwicklungen zu erfassen und zu verarbeiten – doch kaum hat er sie umrissen, ist er schon beim nächsten Thema. Diese Knappheit macht es sehr schwer, sich eine mentale Landkarte der Entwicklung anzulegen, aber sie vermittelt sehr eindrücklich deren Dynamik.
Die Agrarische Revolution war eine noch viel größere Zäsur in der Menschheitsgeschichte – und damit in der Geschichte der Welt – als es der Name schon nahelegt. Die beginnende Landwirtschaft und Viehzucht ermöglichte nicht nur eine Bevölkerungsexplosion und die Besiedelung von Regionen, deren dauerhafte Nutzung bislang zum Beispiel wegen des langen Winters nicht möglich war. Wohl noch wichtiger war, dass die Sesshaftigkeit Besitz und Vorratshaltung möglich – und notwendig – machte. Und damit auch Diebstahl, Raub und die Verteidigung des eigenen Besitzes.
Jäger und Sammler haben wenig Besitz und keine nennenswerten Vorräte – und damit auch nichts, was ich zu stehlen lohnt und was sie gegen Übergriffe verteidigen müssen. Bauern hingegen müssen mit ihrer Ernte über den Winter – und, nicht zu unterschätzen, über das Frühjahr – kommen. Ihre Vorräte können andere anlocken, denen die Vorräte ausgegangen sind oder die die Plünderung fremder Vorräte als alternatives Geschäftsmodell zur schweißtreibenden Landwirtschaft entdeckt haben.
Besitz treibt gesellschaftliche Komplexität
Um sich und seine Vorräte schützen zu können, wird es sinnvoll, sich in größere Verbünde zusammenzuschließen und befestigte Strukturen zu schaffen: Das dürfte die Bildung von Dörfern und komplexeren Sozialstrukturen angestoßen haben, wie etwa die Bestimmung von Dorfvorstehern. Weiter bringt es Landwirtschaft mit sich, dass manche regelmäßig reichere Ernten und andere schlechtere haben: Der Beginn sozialer Unterschiede. Mit dem Eigentum entsteht auch die Frage der Erbfolge; mit ihr entstehen weitere soziale Unterschiede.
Ich finde es absolut faszinierend, wie sich die sozialen Strukturen in erdgeschichtlich unglaublich kurzer Zeit immer weiter differenziert haben, sodass bald schon Herren und Knechte entstanden, Fürsten und Sklaven, Fürstentümer, Kriege und Innovationen. So deutlich ist mir noch nie geworden, wie Besitz eine Dynamik sozialer Ungleichheit in Gang setzt und wie die daraus entstehenden Konflikte immer komplexere soziale Strukturen buchstäblich erzwangen.
Auch wenn wegen der geringen Produktivität der Landwirtschaft bis ins ausgehende Mittelalter 90 Prozent der Bevölkerung als Bauern schuften mussten, um 100 Prozent der Bevölkerung zu ernähren, begann schon früh eine erste handwerkliche Spezialisierung. Und zwar offenbar überall dort, wo Arbeiten so komplex waren, dass Menschen, die sich darauf spezialisierten und die entsprechenden Werkzeuge besaßen, deutlich bessere Ergebnisse erzielten als die, die sie nur sporadisch ausführten.
So gab es wohl schon sehr früh Töpfer und Metallverarbeiter, während etliche andere, weniger komplexe Aufgaben wie das Backen von Brot und das Herstellen von Stoffen von Bauern nebenher ausgeübt wurden, wenn ihnen die Saisonalität der Landwirtschaft die Zeit dafür ließ (was eine gewisse Spezialisierung nicht ausschließt). Solche "Nebenberufe" gab es bis in die Neuzeit; ihre Spuren lassen sich in Freilicht- und Heimatmuseen besichtigen (und Reste davon habe ich in meiner Kindheit noch erlebt).
Feindliche Übernahme der Biosphäre
Mit der industriellen Revolution überschritt die Menschheit, und mit ihr – ja, wer eigentlich? die Erde? die Biosphäre? der Kosmos? die nach Christians Zählung achte Schwelle. Inkonsistent mit den vorausgegangenen, die er nach dem jeweiligen epochemachenden Durchbruch – "Life", "Humans, "Farming" – benannte, gibt er ihr den Namen Anthropozän.
Aber dieser (nicht unumstrittene) Begriff ist nur die Bezeichnung eines Erdzeitalters, nicht die Benennung der entscheidenden Neuerung, die den Sprung über die Schwelle ausmachte. Das ist seltsam, denn eigentlich hat Christian einen ungewöhnlich scharfen Blick dafür, wie sehr die Dynamik der gesamten Entwicklung von dem Faktor Energie getrieben ist.
Die entscheidende Neuerung, die das sogenannte Anthropozän prägt, ist die Erschließung und rücksichtslose Ausbeutung fossiler Energieträger, also Kohle, Erdöl und Erdgas. Sie ist es letztlich, die den tödlichen Erfolg des Menschen gegenüber allen anderen Arten ermöglicht und vorangetrieben hat. Und sie ist es auch, die uns Menschen nicht nur zur tödlichen Gefahr für andere Arten, sondern auf für unsere eigenen Lebensvoraussetzungen gemacht hat.
In gerade mal 250 Jahren haben wir einen großen Teil der fossilen Reserven aufgebraucht, die in der Erdgeschichte über 350 Millionen Jahre hinweg entstanden sind – und zwar durch einen großen und nicht wiederholbaren Zufall: Diese fossilen Energievorräte bildeten sich, weil es in der Zeit, als die Bäume entstanden und die Erde besiedelten, noch keine Bakterien, Pilze und Mikrolebewesen gab, die ihr Holz zersetzen können. Also blieben abgestorbene Bäume liegen und verwandelten sich unter Druck zu Kohle, Öl und Gas.
Doch diese Reserven erneuern sich nicht: Es entsteht kein Nachschub mehr, weil die im Holz gespeicherte Energie längst auf andere Weise erschlossen wird. Das heißt, der fossile Boom, der die industrielle Revolution und nach dem Zweiten Weltkrieg die "Great Acceleration" ermöglicht hat, wird enden – entweder weil die fossilen Reserven (oder genauer: ihr wirtschaftlich erschließbarer Teil) zur Neige gehen oder weil die Verbrennung der in 350 Millionen Jahren gebundenen Energie innerhalb kürzester Zeit schon vorher in einer ökologischen Katastrophe endet, weil diese hemmungslose Verbrennung einen Temperaturanstieg weit jenseits der vielbeschworenen 2 Grad auslöst.
Der Historiker wird zum Mahner
Christian erkennt und benennt das auch glasklar:
"For us humans, the next hundred years are really important. Things are happening so fast that, like the slow-motion time of a near accident, the details of what we do in the next few decades will have huge consequences for us and for the biosphere on scales of thousands of years. Like it or not, we are now managing an entire biosphere, and we can do it well or badly." (S. 289)
Trotzdem bleibt sein "Part IV – The Future" notwendigerweise kurz, und die Leitfrage des letzten Kapitels "Where Is It All Going?" letzten Endes unbeantwortet. Offenbar kann alle Beschäftigung mit der Geschichte nichts daran ändern, dass die Zukunft ungewiss ist oder, wie Christian formuliert, "the universe is not deterministic" (S. 289).
Kein Wunder daher, dass der Historiker, gerade weil er dem Thema Energie das verdiente Augenmerk widmet, in diesem letzten Kapitel zum Mahner wird. Eindringlich warnt er:
"The universe really is indifferent to our fate." (S. 291)
Und er motiviert zum Handeln:
"So modern humans, like all the heroes and heroines of all good myths, have a task. Our task is to avoid the crash and get to a good place for both humans and the biosphere, because we know there is no good place for humans in a ruined biosphere." (S. 290)
Wie viele andere stellt er fest, dass wir uns mit dem Gedanken an eine Zukunft ohne fortgesetztes Wachstum anfreunden müssen – und erinnert daran, dass schon der berühmte britische Ökonom und Philosoph John Stuart Mill (1806 – 1873) deutlich gemacht hat, dies sei kein Unglück, sondern eher eine Befreiung:
"A stationary condition of capital and population implies no stationary state of human improvement. There would be as much scope as ever for all kinds of mental culture, ad moral and social progress; as much room for improving the Art of Living, and much more likelihood of it being improved, when minds ceased to be engrossed by the art of getting on." (S. 295)
Bewusstes und verantwortliches Management der gesamten Biosphäre
Voraussetzung dafür ist, dass wir falsche Leitbilder und Messgrößen überwinden und uns eine bessere Orientierung suchen, wie er mit einem etwas pathetischen, aber auch eindrucksvollen Zitat von Robert Kennedy belegt:
"The Gross National Product counts air pollution and cigarette advertising, and ambulances to clear our highways of carnage ... It counts the destruction of the redwood and the loss of our natural wonder in chaotic sprawl ... Yet the GNP does not allow for the health of our children, the quality of their education, of the joy of their play. It does not include the beauty of our poetry or ... the intelligence of our public debate or the integrity of our public officials ... It measures everything, in short, except that which makes life worthwhile." (S. 296)
Beeindruckend finde ich hier – wieder einmal – die Konvergenz, mit der Vertreter der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Schulen und Disziplinen zu übereinstimmenden Aussagen kommen. Christian sieht in dem bewussten und verantwortlichen Management der Biosphäre sogar eine mögliche neunte Schwelle:
"If we successfully manage the transition to a more sustainable world, a sort of threshold 9, it will become apparent that human history really constitutes a single threshold of increasing complexity culminating in the conscious management of an entire biosphere." (S. 300)
Wollen wir hoffen, dass wir als Menschheit uns dieser Verantwortung rechtzeitig bewusst werden – und dass unsere eigene geistig-moralische Komplexität ausreicht, um der Komplexität dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Überlanger, allzu detaillierter Prolog
So spannend ich diese letzten Kapitel fand, so sehr musste ich mich dazu zwingen, den ersten Teil über die Entstehung des Kosmos sowie den zweiten über die Entwicklung des Lebens zu lesen – und gebe zu, hier einiges nur quergelesen zu haben. Doch genau auf diese Weise ist die Lektüre auch Selbsterfahrung: Sie lässt einen deutlich erleben, wo die eigenen Interessen liegen und wo nicht (so sehr).
Nun wusste ich natürlich auch schon vorher, dass mich die Kulturgeschichte des Menschen und der Entwicklung der Menschheit stark interessieren, doch glaubte ich bisher, auch die Entstehung des Lebens und des Weltalls interessiert zu sein. Nach der Lektüre bin ich mir nicht mehr so sicher. Die "Gegenprobe" wäre, einmal ein gut gemachtes Buch über die Entstehung des Lebens oder die des Weltalls zu lesen und zu schauen, ob mich das noch anspricht.
Aber warum auch immer: Bei Christian bleiben diese Themen bei aller Sachkenntnis, die er offenbar durchaus besitzt, recht spröde; sie wirken hier wie ein überlanger und allzu detaillierter Prolog zur Geschichte der Menschheit.
Unbefriedigendes Fazit
Alles in allem kann ich für diese "Big History of Everything" keine wirkliche Empfehlung geben, obwohl sich das Konzept der stufenweisen Entstehung immer komplexerer Strukturen als durchgängiges Prinzip klar als tragfähig erweist und obwohl manche Dinge wirklich gut dargestellt sind. Aber angesichts der explodierten und weiterhin explodierenden Komplexität des Wissens ist die Zeit der Generalisten wohl für immer vorbei.
Das spricht gewiss nicht dagegen, ein "Big Picture" zeichnen zu wollen, statt nur immer detaillierter über irgendwelche Teilthemen zu berichten. Doch schon eine Geschichte des Universums, eine der Erde, des Lebens oder der Menschheit wäre jede für sich schon "big" genug. Eine "Big History of Everything" ist wohl wirklich zu viel gewollt.
Auch wenn das Buch viele bedeutsame Zusammenhänge herstellt und einem anfänglich das erhebende Gefühl vermittelt, das "Very Very Big Picture" zu sehen, finde ich das Ergebnis nicht wirklich befriedigend. So sehr mich dieser universale Ansatz zunächst beeindruckt hat, so klar ist mir nach der Lektüre, dass Alleskönner auch in der Geschichte den Spezialisten unterlegen sind.
Das heißt praktisch: Wenn ich mich für die Entstehung des Universums interessiere, werde ich mir künftig ein Buch über die Entstehung des Universums kaufen; wenn für die Entstehung des Lebens, ein Buch über die Entstehung des Lebens; wenn für die Menschheitsgeschichte, ein Buch über die Menschheitsgeschichte. Und wenn ich alles zusammen haben will, ein Universallexikon. Am besten allerdings eines, in dem die einzelnen Artikel von Experten ihres jeweiligen Gebiets verfasst wurden.
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