Enttäuschend. Obwohl der Wiener Verhaltensbiologe offenkundig umfassendes Wissen besitzt und leicht zugänglich schreibt, bleiben am Ende der 300 Seiten wenig neue Erkenntnisse. Kotrschal plaudert eher, als dass er Einsichten pränant herausarbeitet.
Ich muss zugeben, wenn jemand sich als "Verhaltensbiologe" tituliert (oder titulieren lässt), werde ich erst einmal misstrauisch. Der Grund dafür lässt sich namentlich benennen: Das liegt an dem (längst emeritierten) PH-Professor Felix von Cube, der zunächst als Kybernetik-Experte auftrat, sich aber, nachdem die Kybernetik-Welle schnell abflaute, flink umpositionierte und sich plötzlich als "Verhaltensbiologe" ausgab, obwohl ihn dazu kaum mehr qualifizierte als ein Lehramtsstudium mit den Fächern Mathematik und Biologie und die Lektüre einiger (allzu) populärer Sachbücher von Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt.
Soweit ich weiß, hat von Cube keine einzige wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Biologie veröffentlicht, schon gar keine, die auf eigener empirischer Forschung beruhrt und/oder in angesehenen Fachjournalen publiziert wurde. Stattdessen verbreitete er in seinen auf ein breites Publikum zielenden Büchern und Vorträgen seine private "BioLogik des Erfolgs", schwadronierte über "Die Naturgesetze der Führung" und gab seine rückwärtsgewandten Ansichten als unumstößliche Erkenntnisse "der Verhaltensbiologie" aus. Auf diese Weise hat er den Ruf der Verhaltensbiologie und der "Verhaltensbiologen" gründlich versaut.
Bei Kurt Kotrschal ist das anders. Er ist nicht nur "gelernter" Biologe, sondern auf diesem Gebiet auch promoviert, habilitiert und betreibt hierzu seit vielen Jahren an der Universität Wien eigene empirische Forschung. Er gilt aus ausgewiesener Wolfs- und Hundeexperte. Zwar ist auch er bekennender Schüler von Konrad Lorenz und Niko Tinbergen, aber im Gegensatz zu von Cube ist er bereit und in der Lage, ihre Ansichten kritisch zu reflektieren. Und vor allem ist er auf dem Stand seiner Fachdisziplin und im Gegensatz zu von Cube offenkundig auch mit der englischsprachigen Fachliteratur vertraut. Insofern erwies sich mein anfängliches Misstrauen als unberechtigt.
Trotzdem bin ich von seinem "Mensch" eher enttäuscht – weshalb ich auch auf eine zusammenfassende Besprechung verzichte. Das Buch schlägt zwar einen breiten Bogen und enthält immer wieder interessante Gedanken, und es beweist auch, dass Verhaltensbiologie gut ohne primitiven "Biologismus" auskommen kann – aber nennenswerte neue Erkenntnisse verdanke ich ihm nicht. Dafür ist es zu sehr im Plauderton geschrieben, bleibt zu sehr an der Oberfläche und ist zu wenig darauf angelegt, Gedanken systematisch herauszuarbeiten und dann auch ausreichend zu belegen.
Zwar stimme ich mit den allermeisten seiner Aussagen überein – aber das kann ja kein Kriterium für die Beurteilung eines Buchs sein. Schließlich lese ich nicht, um Bestätigung zu finden, sondern um etwas zu lernen.
Schade, denn das umfassende Wissen, uns neue (human)biologische Erkenntnisse zu vermitteln, hätte Kotrschal mit Sicherheit, und die Fähigkeit, sie anschaulich und nachvollziehbar darzustellen, besitzt er auch. Und wie viele moderne Verhaltensbiologen (oder Verhaltensökologen) diskutiert er Anlage und Umwelt nicht als Gegensätze, sondern komplementär. Das heißt für mich auch: Ich bleibe gespannt auf weitere Veröffentlichungen Kotrschals, aber dieses Buch werde ich nicht aufbewahren.
|