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Mit allzu vielen Bäumen den Blick auf den Wald verstellt

Kopatz, Michael (2016):

Ökoroutine

Damit wir tun, was wir für richtig halten. Ein Ideenbuch zur Erlösung der Konsumenten

oekom (München) 2. Aufl. 2019; 413 Seiten; 20 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 6 / 6

Rezensent: Winfried Berner, 19.10.2020

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Ein kluger Ansatz – und vermutlich der einzig zielführende – wird unter einer Flut von Details verschüttet, ohne dass die zentrale Botschaft klar herauskommt, und ohne dass er in konkrete Empfehlungen konkretisiert wird: "Eigentlich müsste man mal"

Die zentrale Aussage dieses Buchs ist schnell zusammengefasst: Gesetze, Verordnungen, Normen und Standards sollten so angelegt oder angepasst werden, dass sie es für jede und jeden Einzelnen sinnvoll machen, ihr Verhalten so zu wählen, wie es aus ökologischer Sicht richtig und verantwortbar ist – dass sie eben "Öko" zur alltäglichen Routine werden lassen.

Denn die Alternative, auf Freiwilligkeit, Selbstverpflichtungen und Appelle zu setzen, bringt, wie wir inzwischen überreichlich erprobt haben, nichts bzw. bei weitem nicht genug, vor allem wenn dies Opfer erfordern würde und die bestehenden Anreize objektiv eine anderes Verhalten begünstigen.

All dem kann ich nur zustimmen – das ist genau der Ansatz, den ich seit vielen Jahren beim Thema Kulturveränderung vertrete: Der entscheidende Trick für eine erfolgreiche Veränderung ist eigentlich nur, nicht eindringliche Appelle zu formulieren, sondern die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass das erwünschte Verhalten für die Adressaten das sinnvollste ist, um ihre Ziele zu erreichen.

Allerdings hätte es nicht unbedingt 400 Seiten erfordert, dies darzulegen – auch wenn man, wie Kopatz es tut, praktisch sämtliche Verbrauchsfelder von "Essen" und "Wohnen" über "Strom" und "Kaufen" bis hin zu "Unterwegs" und "Arbeiten" in jeweils eigenen ausführlichen Kapiteln abdeckt. (Um die Übersicht über die Kapitel gleich zu vervollständigen: Eingangs erläutert der Autor, "Warum nicht geschieht, was geschehen muss" und "Warum wir nicht tun, was wir für richtig halten". Den Schluss bilden zwei Kapitel zu den Themen "Wirtschaftsförderung 4.0" und "Ökoroutine als politisches Konzept".)

In die richtige Richtung, aber nicht auf den Punkt

Obwohl der Ansatz von Michael Kopatz – seines Zeichens wissenschaftlicher Projektleiter beim Wuppertal Institut; er hat schon an der BUND-Misereor-Studie "Nachhaltiges Deutschland" anno 1997 mitgewirkt – nach meiner Überzeugung in die richtige Richtung geht, lege ich das Buch etwas enttäuscht aus der Hand.

Das hat vor allem drei Gründe: Erstens sind die einzelnen Kapitel mit zwischen 15 und 40 Seiten zwar lang, aber eher erzählerisch argumentierend geschrieben. Sie zielen wohl eher darauf, die Leserinnen zu überzeugen, indem man sie mit Plausibilitäten überhäuft, als konkrete, umsetzbare Vorschläge und Handlungsempfehlungen anzubieten.

Vor allem aber versäumt Kopatz es meistens, wie man es im Ruhrgebiet nennt, einen Knopf an seine Aussagen zu machen, sprich, sie zu einer klaren und handfesten Schlussfolgerung zu führen. Stattdessen bleibt er an der Oberfläche, lässt die Argumente im Raum stehen und geht zum nächsten Thema weiter.

Das zieht sich umso mehr, je länger es sich hinzieht, und hat schließlich einen paradoxen, nämlich verwirrenden und entmutigen Effekt: Je weiter man vorankommt, desto mehr verliert man über all den Themen, Argumenten und Steuerungsoptionen den Überblick und stellt sich die klassische Frage: Wer soll das alles ändern?!

Die falschen Anreize bestehen nicht versehentlich

Der zweite Grund für meine eher verhaltene Begeisterung ist, dass die gegenwärtige Lage und "Anreizlandschaft" in Kopatz' Darstellung so erscheint, als wäre sie eher zufällig oder versehentlich so, wie sie ist.

Dummerweise ist der Status quo aber nicht die Folge von Irrtümern oder einer Verkettung unglücklicher Umstände – sie ist Ausfluss mächtiger Interessen: Sie ist der aktuelle Zwischenstand eines seit Jahrzehnten währenden Ringens zwischen Reformforderungen und einflussreichen Bremsern und Blockierern. Letztere nutzen die Macht ihrer Lobbies ziemlich skrupellos, um notwendige Veränderungen zu verhindern oder zu verlangsamen.

Deshalb wäre es naiv zu glauben, nun würden, nachdem Kopatz endlich mit der rettenden Idee um die Ecke gekommen ist, rasch alle nötigen Weichenstellungen vorgenommen. Nein, leider wird der Kampf um jeden Meter Fortschritt weitergehen. Und dabei werden nicht nur viele faule Kompromisse herauskommen, sondern auch jede Menge Blendgranaten. Wie etwa die von SPD(!)-Minister Scholz forcierte sogenannte Finanztransaktionssteuer, die alle trifft bis auf jene, auf die sie eigentlich zielen müsste, nämlich auf Spekulanten, Hedgefonds und den Hochfrequenzhandel.

Überflutung mit Einzelbeispielen statt klarer Struktur

Der dritte Grund meiner Unbegeisterung ist, dass das Buch aus meiner Sicht didaktisch falsch aufgebaut ist: Erst im elften und letzten Kapitel erklärt Kopatz (und noch dazu eher oberflächlich) das Konzept seiner "Ökoroutine" – die ganzen 345 Seiten davor verwendet er den Begriff, als ob dessen Aussage und Logik entweder bekannt oder selbsterklärend wäre.

Bis dahin hat er die Leserinnen mit einer kaum noch verarbeitetbaren Flut von Einzelbeispielen und ‑argumenten überschüttet. Ich fürchte, Viele werden nicht bis zu dieser Erklärung vordringen, weil sie das Buch lange davor genervt und ermattet zur Seite gelegt haben – und schließlich angelesen ins Regal stellen.

Dieser Ermüdungseffekt wird verstärkt, weil das Buch nicht gerade von neuen Einsichten sprudelt: Wer nicht ganz neu in das Themenfeld einsteigt (und wer tut das heute noch?), hat allzu oft das Gefühl, Vieles so oder so ähnlich schon vielfach gelesen zu haben. Kennzeichnend ist für mich, dass ich mir auf all den vielen Seiten kaum etwas angestrichen habe – und das, obwohl ich mir normalerweise eher (zu) viel anstreiche.

Zusätzlich verwirrend ist, dass Kopatz seine Ökoroutine oftmals so beschreibt als ob sie eine handelnde Person (oder zumindest ein international handelndes Etwas) wäre: "Ökoroutine verlangt" – andererseits "möchte Ökoroutine nicht den Eindruck wecken …" (S. 346) Manchmal wären seine Aussagen vermutlich klarer und leichter zu verstehen, wenn er statt Ökoroutine einfach "Kopatz" sagen würde.

Zu viel gewollt?

Allzu oft bleibt Kopatz mit seinen Empfehlungen im Vagen und listet Gestaltungsmöglichkeiten nur auf – wie etwa, wenn es um die Zähmung der Finanzmärkte geht: "Vollgeld, Schuldenbremse für die Banken, hohe Eigenkapitalquote, Begrenzung der Bankengröße und des Kredithebels, bankenfinanzierte Abwicklungsfonds und vieles mehr." (S. 362)

Von Vollgeld bis Abwicklungsfond, das ist ein so großer Bauchladen völlig unterschiedlicher Instrumente, Methoden und Paradigmen, dass wohl für jeden das Passende dabei ist, dass aber auch völlig unklar bleibt, welcher Ordnungsrahmen für Ökoroutine nach Kopatz' Meinung eigentlich gesetzt werden soll.

Vielleicht liegt das auch daran, dass das Themenspektrum einfach zu groß ist für einen Kopf. Allein die Frage, wie die Finanzmärkte gebändigt werden könnten, ist von einer einschüchternden Komplexität. Da hilft es nicht, eine Handvoll Schlagworte in den Raum zu werfen, das lässt sich nicht beiläufig auf ein paar Seiten abhandeln, jedenfalls nicht mit einem befriedigenden Ergebnis.

Jammerschade, denn der kluge Ansatz, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass ökologisch sinnvolles Handeln auch subjektiv sinnvoll wird, – vermutlich der einzig aussichtsreiche – geht hier in einem Meer von (vermutlich zum Großteil richtigen, aber im Ergebnis eher verwirrenden) Details unter. So bleibt die im Untertitel großspurig verheißende "Erlösung der Konsumenten" aus. Ein Paradebeispiel dafür, wie man mit allzu vielen Bäumen den Blick auf den Wald verstellt.

Schlagworte:
Ökologie, Zukunft, Umweltschutz, Klimawandel, Rahmenbedingungen, Ordnungspolitik, Ökologische Ökonomie

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