Ein sehr fundiertes und umfassendes Buch; allen zu empfehlen, die sich ein Bild machen wollen, was Persönlichkeitstests für Personalauswahl und -entwicklung bringen können. Nicht das Buch, aber das Resümee ist indes eher enttäuschend.
Die drei Autoren sind aus Heinrich Wottawas "Diagnostik-Schmiede" an der Ruhr-Universität Bochum hervorgegangen; sie sind ausgewiesene Fachleute für ihr Thema, zeichnen sie doch für einen der am sorgfältigsten entwickelten Persönlichkeitsfragebogen verantwortlich, der derzeit für berufsbezogene Zwecke verfügbar ist: das "Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP)", das gerade in einer Neuausgabe erschienen ist. Damit sind sie freilich auch Partei, in der Versuchung, konkurrierende Verfahren besonders kritisch zu beleuchten, um das eigene ins rechte Licht zu rücken. Und in der Tat kommt ihr eigenes Instrument in der vergleichenden Bewertung mit Abstand am besten weg.
Doch die sachlich-nüchterne, an Daten und Fakten orientierte Art, wie sie zu ihren Schlussfolgerungen kommen, lässt all meine Skepsis verblassen. Es ist schließlich nicht den Autoren vorzuwerfen, wenn viele der in Europa und den USA populären Verfahren den simpelsten Gütekriterien für psychologische Tests nicht genügen und/oder sich weigern, die behauptete empirische Fundierung offen zu legen. So können viele gängige Verfahren keine nachprüfbare Normierung vorweisen, was bedeutet, dass sie über vollmundige Behauptungen hinaus nicht angeben können, was die erzielten Messwerte eigentlich aussagen. Etliche bleiben sogar den Nachweis schuldig, dass sie tatsächlich messen, was sie zu messen beanspruchen. Weiter können die Ergebnisse bei manchen Tests stark variieren, wenn die gleiche Person den Test mehrfach ausfüllt. Dabei sollten Persönlichkeitsmerkmale doch eigentlich stabil über die Zeit sein – denn was wäre Persönlichkeit, wenn nicht die Summe der stabilen, überdauernden Merkmale eines Menschen?
Nach der unvermeidlichen (aber durchaus interessanten) historischen Einleitung erläutern die Autoren kurz den Forschungsstand zum "Zusammenhang zwischen Person, Situation und Verhalten" (19 S.), bevor sie sich "Persönlichkeitstests in der Berufseignungsdiagnostik" zuwenden (60 S.). Dabei wird deutlich, dass Deutschland eine (beinahe) testfreie Insel in einem sonst recht testfreudigen Europa ist: Während bei uns nur in 7 Prozent aller befragten Unternehmen Persönlichkeitstests zur Personalauswahl eingesetzt werden, liegt die Verwendungshäufigkeit in Frankreich sechsmal so hoch, und in Spanien, Benelux und Großbritannien mit um die 70 Prozent beim Zehnfachen. Liest man im gleichen Kapitel allerdings die Ausführungen über die "Vorhersagekraft von Persönlichkeitstests für beruflichen Erfolg", so erscheint die bei uns vorherrschende Zurückhaltung in milderem Licht; angesichts von Validitätsdaten, die selten die 0,25 übertreffen, scheint dies kein entscheidender Standortnachteil zu sein.
Den Hauptteil des Buches bildet eine sorgfältige Darstellung und Analyse von deutschsprachigen "Testverfahren im wirtschaftsbezogenen Kontext" (94 S.), angefangen mit dem ebenso ehrwürdigen wie verstaubten "16PF" über etliche populäre, aber schlecht fundierte Instrumente wie den "Myers Briggs Type Indicator (MBTI)", das "DISG Persönlichkeits- Profil" und das "Herrmann-(Hirn-)Dominanz-Instrument (HDI)" bis hin zu sorgfältig untersuchten und dokumentierten Verfahren wie dem deutschen "California Psychological Inventory (CPI)" und dem eingangs erwähnten BIP. Auch einige klinisch orientierte Tests wie das "Eysenck-Persönlichkeits-Inventar (EPI)", das "Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI)" und der berühmte MMPI (Minnesota Multiphasic Personality Inventory) werden besprochen; dabei wird sehr deutlich, dass ihr Einsatz im Kontext betrieblicher Eignungsdiagnostik fragwürdig und auch rechtlich bedenklich ist. Fragen wie "Ich träume viel von sexuellen Dingen", "Ich bete mehrmals in der Woche" oder "Ich bin in der Liebe enttäuscht worden" haben in der Personalauswahl und -entwicklung schlicht nichts verloren. (Leider entfällt damit auch meine persönliche Lieblingsfrage "Ab und zu höre ich Stimmen", die ich angesichts des Gemurmels im Vorraum immer wahrheitsgemäß mit "ja" beantwortet habe. Was mir jedes Mal wieder einen etwas erhöhten "Neurotizismus"-Wert einträgt, während meine Frau meint, dass dies eher auf der im MMPI fehlenden "Sturheitsskala" verbucht werden müsste.)
Im abschließenden Kapitel "Weitere Einsatzbereiche für Persönlichkeitstests" (64 Seiten) werden 360-Grad-Feedback, Teamentwicklung und Self-Assessment abgehandelt. Das ist etwas verwunderlich, weil die "sozialen" Einsatzfelder einen Abgleich von Selbst- und Fremdbild voraussetzen, für den die allerwenigsten Tests geeignet sind. Denn für ein 360-Grad-Feedback bringt es ja nichts, wenn jeder nur seinen eigenen Test ausfüllt, und einen Persönlichkeitstest für andere auszufüllen, wäre weder durchführbar noch sinnvoll. Aber es leitet elegant über zu einem USP des BIP, nämlich der Fähigkeit, mit einem eigenen Fragebogen auch Fremdbilder zu erfassen. Allerdings ist diese BIP-Skala nicht normiert, sodass ein Vergleich von Selbst- und Fremdbild streng genommen nicht zulässig ist. Natürlich machen es in der Praxis viele trotzdem – darunter auch ich: "In der Not ..." Aber das Fundament der wissenschaftlichen Untermauerung wankt da doch bedenklich.
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