Ein bahnbrechendes Werk, das nicht nur die prähistorischen Befunde am Göbekli Tepe umfassend darstellt und einordnet, sondern auch zu einer anderen und besseren Vorstellung vom Verlauf der Neolithischen Revolution verhilft.
Eines der größten Rätsel der Menschheitsgeschichte sind Monumentalbauwerke wie Stonehenge und – noch rund 5000 Jahre älter – Göbekli Tepe in der Türkei: Das Erstaunlichste an ihnen ist, dass sie zu einem Zeitpunkt entstanden, als die Menschheit eigentlich noch gar nicht hätte in der Lage sein sollen, solche Bauwerke hervorzubringen, nämlich zu Beginn der Neolithischen Revolution bzw. kurz davor.
Die Neolithischen Revolution, dieser menschheitsgeschichtlich so entscheidende Übergang von der Lebensform der Jäger und Sammler hin zu Ackerbau und Viehzucht, begann vor etwa 12.000 Jahren im "fruchtbaren Halbmond" in Kleinasien. Doch dauerte es noch einmal 5.000 bis 6.000 Jahre, bis er auch Mittel- und Nordeuropa erreichte und sich – bis auf vereinzelte Reste von Jäger-und-Sammler-Kulturen – über die ganze Welt ausdehnte. Und genau aus jener Zeit stammen die imposanten Bauwerke: Göbekli Tepe im "fruchtbaren Halbmond" um 10.000 v.u.Z. und Stonehenge um 5.000 v.u.Z.
Monumentalbauwerke, viel zu früh für ihre Zeit
Und wo ist das Rätsel? Ganz einfach: Jäger und Sammler waren Nomaden. Sie hatten nach gängigem Verständnis wohl Hütten und vereinzelt vielleicht auch einfache Häuser, aber wohl keine größeren, auf Dauer angelegten Bauwerke – und erst recht keine Monumentalbauten, die anderen Zwecken dienten als dem Schutz vor Wetter und Kälte und/oder der Lagerung von Vorräten. Mit der Sesshaftwerdung entstanden zwar feste Gebäude, aber man würde vermuten, dass das zunächst einmal einfache Bauernhäuser und -dörfer waren.
Weder Nomaden noch Ackerbauern und Viehzüchter sollten jedoch von ihrem technischen Wissen und Können sowie von ihrem Erfahrungshorizont her dazu in der Lage gewesen sein, komplexe Großbauwerke zu errichten. Denn man würde ja annehmen, dass sich auch Gebäude wie alle technischen und kulturellen Lernprozesse von einfachen Formen zu immer größeren und komplexeren entwickeln – und nicht mit hochkomplexen beginnen: Bevor die alten Griechen das Parthenon bauten, hatten sie sicher vielfach mit kleineren Tempeln "geübt".
Die Herstellung mehrerer Meter hoher Pfeiler zum Beispiel ist eine höchst anspruchsvolle Leistung, erst recht, wenn man keine metallischen Werkzeuge besitzt, sondern nur steinerne. Und der Transport tonnenschwerer Bauteile über etliche Kilometer ist mit "herausfordernd" nur verharmlosend beschrieben, zumal es in jener Zeit ja weder Straßen noch Fahrzeuge gab. Auch der Aufbau und die stabile Verankerung solcher Kolosse war ohne Kräne wohl mehr als anspruchsvoll.
Dazu kommt der Ressourcenbedarf sowie der Führungs- und Organisationsaufwand. Sowohl Jäger und Sammler als auch die frühen Ackerbauern und Viehzüchter lebten ja in einer Subsistenzwirtschaft, das heißt, sie erwirtschafteten mit ihrer Hände Arbeit kaum mehr als sie zum Leben brauchten. Weder die einen noch die anderen konnten es sich daher leisten, größere Teile ihrer Bevölkerung jahrelang als "Bauarbeiter" abzustellen.
Auch gab es in den egalitären Strukturen weder Unternehmer noch Herrscher, die solche Projekte hätten steuern und – notfalls auch gegen Widerstände – durchsetzen können. In Abwesenheit ausgeprägter Machtstrukturen bedurfte es eines umso stärkeren gemeinsamen Anliegens, etwa einer begeisternden Idee, Überzeugung oder Religion, um die damaligen Menschen über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte unter großen Opfern für solch ein Vorhaben zu motivieren.
Kurz, komplexe Tempelanlagen wie Göbekli Tepe und Stonehenge scheinen von ihrer gesamten Komplexität und Machart überhaupt nicht in die Zeit zu passen, in der sie entstanden sind. Insofern ist der Däniken-Erklärungsversuch, ihre Erbauer seien Außerirdische gewesen, zwar eine intellektuelle Verzweiflungstat, die beinahe rührend ist, aber er macht das ganze Ausmaß an Ratlosigkeit sichtbar, das die Frage nach der Entstehung solcher prähistorischer Großanlagen aufwirft.
Der kompetenteste denkbare Autor
In meinen laienhaften Augen sind diese Bauwerke eines der größten Rätsel der Menschheitsgeschichte: Wie kamen die Menschen der damaligen Zeit dazu, plötzlich so gewaltige Anlagen zu errichten? Wie waren sie technisch, logistisch und organisatorisch dazu in der Lage? Woher nahmen sie die Ressourcen? Und was war ihre Motivation für solch eine gewaltige Kraftanstrengung?
Deshalb war ich extrem gespannt auf dieses Buch über Göbekli Tepe. Denn unter diesem Hügel in der Nähe von Urfa (Şanlıurfa) im Südosten der heutigen Türkei, nahe der Grenze zu Syrien, verbirgt sich die früheste unter allen bisher bekannten Monumentalanlagen. Sie entstand vor ungefähr 12.000 Jahren, also an der Schwelle der neolithischen Revolution.
Der Autor des Werks könnte kompetenter kaum sein: Der Archäologe Prof. Klaus Schmidt hat nicht nur über viele Jahre die dortigen Ausgrabungen geleitet, sondern auch die Verhandlungen geführt, die die Kampagne überhaupt erst ermöglichten, sowie die türkischen Behörden überzeugt und "bei Laune gehalten". Sowohl dieses Buch als auch YouTube-Videos seiner letzten Vorträge legen nahe, dass er ein ebenso brillanter wie charismatischer Mensch gewesen sein muss.
Schmidt, der leider noch vor Erscheinen der zweiten Auflage 2007 bei einem Badeunfall ums Leben kam, ordnet die Anlage am Göbekli Tepe in jenem menschheitsgeschichtlichen Übergang genauer ein: Da die Skulpturen und Reliefe auf den Steinen keinerlei Haustiere zeigen, sondern ausschließlich Wildtiere darstellen, spricht alles dafür, dass seine Erbauer noch keine Viehzüchter waren, sondern Jäger und Sammler. Was das Rätsel noch größer und das Ensemble noch wundersamer macht.
Weiterer Anlass zum Staunen ist, wie man im Laufe des Buches erfährt, dass die bislang (bzw. zum Zeitpunkt seines Erscheinens) ergrabenen vier bzw. fünf ovalen oder länglichen Bauten mit bis zu 20 Metern Maximaldurchmesser noch längst nicht alles sind: Insgesamt, so ergaben Bodenuntersuchungen, verbergen sich am Göbekli Tepe (Tepe ist das türkische Wort für Hügel) wohl mindestens 15 weitere derartige Bauwerke.
Und: Wenn die bisherigen Erkenntnisse nicht trügen, wurde die Anlage nicht einfach aufgegeben und dem allmählichen Verfall überlassen, sondern sie wurde planmäßig künstlich verfüllt – welch unvorstellbarer Aufwand ohne Bagger und Fahrzeuge, ja sogar ohne Schaufeln und Blecheimer! Und welches Rätsel, weshalb er getrieben wurde: Warum ließ man die Anlage nicht einfach verfallen, wenn man keine Verwendung mehr für sie hatte? Wollte man sie konservieren? Oder verbergen? Oder gar symbolisch beerdigen?
Ein Forschungsbericht, keine Geschichtserzählung
Man kann es diesem Buch und seinem Autor kaum verdenken, dass es nicht alle diese grundlegenden Fragen beantwortet: Es ist in erster Linie ein populärwissenschaftlicher Forschungsbericht – oder genauer gesagt: ein Zwischenbericht über den Erkenntnisstand, der bis zu seinem Erscheinen aus der jahrzehntelangen Grabungskampagne am Göbekli Tepe gewonnen werden konnte – mit überraschenden Funden, neuen Erkenntnissen (bzw. Hypothesen), aber auch jeder Menge offener Fragen.
Als Forschungsbericht geht das Buch sozusagen in umgekehrter Richtung vor: Es versucht nicht, ein Gesamtbild jenes großen Umbruchs zu zeichnen und die aufgestellten Thesen sodann mit Detailbefunden zu belegen, sondern es stellt zunächst akribisch die Einzelbefunde dar und versucht dann, aus ihnen Schlüsse abzuleiten. Wie etwa den erwähnten von der Art der dargestellten Tiere auf die Lebensform seiner Erbauer.
Charakteristisch für Schmidts umsichtiges Herangehen ist, dass er sich in dem Buch nicht sofort auf Göbekli Tepe stürzt, obwohl die dortigen Befunde doch sein großes Vorzeigeprojekt sind. Stattdessen widmet er das gesamte erste Kapitel der "Umfeldaufklärung": Er legt dar, wie die Gesamtsituation der damals noch recht überschaubaren Menschheit zu jener Zeit war, welche Rolle der "fruchtbare Halbmond" und speziell das "Goldene Dreieck" in dessen Zentrum spielte und welche anderen bedeutsamen archäologischen Funde und Erkenntnisse aus jener Region bereits vorliegen.
Ungeduldige Leserinnen mögen das als nerviges Vorgeplänkel empfinden, aber sie können das Kapitel ja überblättern. In meinen Augen ist es sehr hilfreich, weil es den Kontext herstellt, in den sich Göbekli Tepe einordnet – und mit dem ich ebenso wenig vertraut bin wie vermutlich viele andere Leser.
Der prähistorische Kontext von Göbekli Tepe
In der Region Mesopotamien, dem berühmten "Zweistromland", sind eine ganze Reihe früher neolithischer Siedlungen und Bauwerke bekannt, doch die meisten von ihnen sind ein paar Jahrtausende jünger als die vom Göbekli Tepe.
Wie etwa die immerhin 8.000 Einwohner zählende jungsteinzeitliche "Großstadt" Çatalhöyük rund 300 Kilometer westlich, die vor allem dadurch überrascht, dass sie ausschließlich aus Häusern besteht und weder Plätze noch "Sonderbauten" wie Monumente oder Paläste kennt. Çatalhöyük entstand allerdings erst rund 3000 Jahre später, trägt also zur Erklärung der Entstehung und Bedeutung von Göbekli Tepe nichts bei, sondern kann allenfalls helfen, die dortigen Befunde einzuordnen.
Anders Jericho, das etwa 850 Kilometer südlich in der Levante liegt. Die dort ergrabenen untersten Besiedlungsspuren sind dem "Prepottery Neolithic" (PPN) zuzuordnen, das heißt, der frühesten Periode der Jungsteinzeit. Zu dieser Zeit war die Töpferei noch nicht erfunden, weshalb dort auch keine Keramikscherben zu finden sind, sondern nur feinbearbeitetes und geschliffenes Steinwerkzeug wie Sicheln, Mörser und Reibeschalen.
Die unterste Siedlungsschicht in Jericho datiert ins sogenannte "Natufien", also in das 12. und 11. Jahrtausend v.u.Z. und ist damit noch älter als Göbekli Tepe. Sie überraschte die Archäologen nicht nur, weil sie eine bisher unbekannte vorkeramische Periode des Neolithikums belegte, sondern auch, weil die entdeckten Gebäudereste nicht zu den Erwartungen passten.
Schmidt spricht sogar von einem "Jericho-Schock": Bis dahin war man davon ausgegangen, dass am Anfang von Ackerbau und Viehzucht einfache dörfliche Strukturen standen. Stattdessen fand man einen Turm sowie Mauerreste. Die Jericho-Ausgräberin Dame Kathleen Kenyon hielt sie für militärische Befestigungen; Schmidt vermutet aufgrund der Befundlage eher, dass sie kultischen Zwecken dienten. So oder so: Ein Bauerndorf war das gewiss nicht – mit anderen Worten, diese Funde passen in keiner Weise in die bisherigen Vorstellungen von der neolithischen Revolution.
Anspruchsvolle Bauwerke
Aufschlussreiche Befunde stammen auch aus Çayönü, rund 150 Kilometer östlich:
"Die älteste Bauschicht wird von Rundhütten gebildet, die in die ältere vorkeramisch-jungsteinzeitliche Epoche gehören (PPN A), während in der jüngeren Phase (PPN B) große rechteckige Häuser folgen, deren Grundriss oft ein sogenanntes Grillplan-Schema erkennen lässt: Das heißt, dass die aufstrebenden Gebäudeteile von einem Unterbau aus streifenförmig aneinandergereihten Mauerzügen getragen werden, die entfernt an einen Grillrost erinnern. Diese aufwendige Substruktion (Unterbau) der Gebäude sollte wahrscheinlich die trockene Lagerung von Vorräten gewährleisten. Aus diesen 'Grills' sind Häuser mit regelrechten Unterfußbodenkanälen entstanden.
Die nächste, spät-PPN B-zeitliche Bauphase ist durch sogenannte Zellplanhäuser gekennzeichnet, die ihren Namen daher haben, dass ihr Innenraum in viele Kammern untergliedert ist. Die sogenannte Großraum-Phase, bei der die frühere Raumteilung wieder aufgegeben wurde und man stattdessen einen großen Raum umbaute, beschließt die Bauphase, die man als akeramisch-neolithische Sequenz bezeichnet." (S. 61f.)
Nach primitiven Hütten oder Bauernhäusern hört sich das ebenfalls nicht an. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass diese Beschreibungen einen Zeitraum überspannen, der rund doppelt so lang ist wie unser heutiger Abstand zu den alten Griechen und Römern. Dafür ist in Çayönü auch noch mehr geboten, nämlich drei "Sondergebäude" mit einem annährend quadratischen Grundriss, die nur aus einem großen Raum bestanden. Das erste davon stammt aus der erwähnten Grillplan-Phase und hat einen Fußboden, der aus großen Kalkplatten besteht.
"Das zweite Sondergebäude wird als Schädelgebäude bezeichnet, da in kellerartigen, von Steinplatten überdeckten Kammern große Ansammlungen von Menschenknochen und Schädeln deponiert waren. Im Raum selbst fand sich eine große, altarartige Steinplatte. Menhirartige Steinsetzungen, die sogenannten Standings Stones, umgaben die an die Gebäude angeschlossenen Freiflächen. Dieses Bauwerk, das in die oben erwähnte Kanalhaus-Phase gehört, ersetzte einen runden oder ovalen Vorgängerbau, von dem nur ein Kreissegment erhalten blieb.
Das jüngste – und damit in die Zellplan-Schicht gehörende – Sondergebäude wird nach der Art seines Fußbodens als 'Terrazzogebäude' bezeichnet. Terrazzoböden waren bis zur Grabung in Çayönü erst aus der römischen Zeit – also viele tausend Jahre später – bekannt: Um diesen besonderen Fußbodentyp zu legen, wurde eine dicke, mit Kalksplitt durchsetzte Mörtelschicht nach dem Aushärten abgeschliffen, sodass ein glatter, betonartiger Estrich entstand. Noch nicht vollends geklärt ist, ob zur Erzeugung des Kalkmörtels brenntechnische Vorgänge notwendig waren oder nicht." (S. 63)
So, wir sind noch nicht beim Göbekli Tepe angekommen, da ist schon ein Zwischenfazit angebracht: Die Annahme, dass es zu jener Zeit noch keine komplexeren Bauwerke gab, ist ins Wanken geraten. Zwar sind nur die PPN A-Schichten Çayönü aus als (ungefähr) gleichzeitig mit Göbekli Tepe einzustufen, die PPN B-Funde liegen zeitlich danach. Aber gebaut haben unsere Urahnen auch damals schon, und zwar keineswegs nur Holzhütten.
Eines der frühesten Bauwerke der Menschheit
Die Bauten am Göbekli Tepe entstanden im 10. Jahrtausend v.u.Z. und zählen damit zu den frühesten bekannten Bauwerken der Menschheitsgeschichte. Sie sind älter als Çayönü, wenn man von den ersten dort gefundenen Rundhütten absieht, aber auch als der nur 12 Kilometer entfernte Gürcütepe. Wohl auch deshalb erinnert Schmidt daran, dass wir es bereits "mit einer entwickelten und komplexen Kulturstufe zu tun haben" (S. 91), auch wenn wir, wie er später einräumt, über deren Vorläufer, die ja dann aus der letzten Periode des Paläolithikums stammen müssen, noch sehr wenig wissen. Dennoch:
"Ein Monument wie der Göbekli Tepe ist ohne eine 'Vorgeschichte', die bis in die Altsteinzeit reicht, schwerlich denkbar." (S. 256)
Diese Unkenntnis, die aus der mangelnden Erforschung des Jungpaläolithikums, also der ausgehenden Altsteinzeit Obermesopotamiens macht es denn auch so schwer, die Symbolsprache, den Kontext und die gesamte Entstehungsgeschichte bzw. Tradition dieser frühesten Monumentalbauten zu verstehen:
"Ich vermute angesichts der angetroffenen Funde hier sehr viel eher den Schlüssel zum Verständnis der Neolithisierung als im Natufien der südlichen Levante, der in diesem Prozess eher eine marginale Bedeutung zuzukommen scheint. Es steht nicht zu erwarten, dass sich das späte Jungpaläolithikum und das Epipaläolithikum in Obermesopotamien nahtlos an das der südlichen Levante angeschlossen haben." (S. 256)
Schmidt gibt damit auch eine indirekte Antwort auf das eingangs aufgeworfene Rätsel der Entstehung dieser Monumente: Er unterstellt ihr Anknüpfen an eine kulturelle und bauhistorische Tradition der Region, für die es freilich bislang kaum Belege gibt. Trotz des Mangels an Beweisen scheint mir diese Theorie plausibler als deren Entstehung aus dem Nichts, also ohne jegliche Vorläufer und Traditionen, die zu ihnen hinführen.
Solange man nicht mehr über den Kontext weiß, lässt sich auch die Frage nach dem Sinn und Zweck dieser Bauwerke nicht wirklich beantworten – sicher ist nur, dass es sich nicht um eine Wohnbebauung handelt, sondern um "Sondergebäude". Aber welchem Zweck sie dienten, darüber kann man vorerst nur spekulieren.
Schmidt vermutet stark, dass er im Bereich von Kult und Religion lag, weshalb er auch die Bezeichnung "Tempel" für sie wählte. Das wäre zugleich eine Erklärung, was die Triebfeder für ihre Errichtung gewesen sein könnte. Generell hält er es für wahrscheinlich, dass im weitesten Sinne religiöse Gründe für den Übergang zu Ackerbau und Viehzucht eine größere Rolle gespielt haben als wirtschaftliche – allerdings ohne auszuführen, was die verbindende Logik sein könnte.
Markante Pfeiler
Das markanteste Merkmal der Bauwerke am Göbekli Tepe sind große T-Kopf-Pfeiler, mit einer Höhe von bis zu sieben Metern, eine Kopfbreite bis zu drei Metern – und damit einem Gesamtgewicht bis zu 50 Tonnen. Die Pfeiler wurden, wie man an Spuren erkennen kann, aus dem gewachsenen Fels gearbeitet, an die vorgesehene Stelle gebracht, aufgerichtet und verankert – eine unvorstellbare Arbeit, wenn man bedenkt, dass dafür nur Steinwerkzeuge zu Verfügung standen. Zu Recht stellt Schmidt fest:
"(…) eine solche Anlage konnte nur entstehen – zumal wenn ihre Errichtung ihren Erbauern so viel Mühe abforderte –, wenn dieser Platz und das sich dort vollziehende Geschehen allen Beteiligten von größter Wichtigkeit war." (S. 109)
(…) "kamen wir zu dem Ergebnis, dass dieser Ort mit einiger Gewissheit ein großes Bergheiligtum der Jungsteinzeit war." (S. 112)
In jedem bisher ergrabenen Gebäude befand sich eine größere Zahl dieser Pfeiler, teils freistehend, teils in Verbindung mit den Wänden, aber ohne einfach nur Teil davon zu sein. Laut Schmidt waren sie "keine Konstruktionselemente des Bauwerks, sondern bildeten das Herz der Anlage; das Bauwerk selbst gab nur den Rahmen für dieses Zentrum ab." (S. 116) Insgesamt werden in der gesamten Anlage mehr als 200 Pfeiler vermutet – nahezu eine prähistorische Serienfertigung.
Viele, aber nicht alle Pfeiler trugen Reliefs und Flachreliefs, überwiegend mit der Darstellung von Tieren: Stier, Fuchs, Keiler, Kranich, Schlangen, aber auch Spinnen und Skorpione. Dabei sind zwei gemeinsame Merkmale auffällig: Erstens, wir bereits erwähnt, kommen keine domestizierten Tiere wie Schweine, Rinder, Schafe oder Ziegen vor – was wohl heißt, dass die Anlage vor deren Domestizierung entstand, also von Jägern und Sammlern errichtet wurde. Und zweitens, es finden sich, im Gegensatz zu anderen prähistorischen Stätten, so gut wie keine erkennbar weiblichen Figuren – was für Schmidt die Vermutung nahelegt, dass die Anlage in einem rituellen Kontext stand.
Für uns unverständliche Bildersprache
Auch wenn wir die dargestellten Tiere zum Großteil erkennen können, sind die Darstellungen schwer zu deuten, weil wir keinen Bezug zu der Bildersprache jener Zeit haben. So macht Schmidt zurecht darauf aufmerksam, dass die vielfache Darstellung des Fuchses in einem der Bauwerke kaum mit einer bloßen Betonung des "schlauen Fuchses" zu erklären ist: Dafür hätte es wohl kaum der vielfachen Wiederholung bedurft, geschweige denn des riesigen Aufwands für die Errichtung eines eigenen Gebäudes. Aber was ist dann die "Story" hinter all den Füchsen? Was bringen sie zum Ausdruck? Was ist der Sinn und Zweck des Bauwerks?
Welche Bedeutung der Kontext für eine zutreffende Deutung hat, macht Schmidt am Beispiel einer Kreuzigungsgruppe deutlich. Ihre Darstellung erinnert an eine ganz bestimmte Erzählung und bringt sie symbolstark auf den Punkt – aber nur für diejenigen, die die Geschichte kennen und die verwendete Bildsprache verstehen.
Für jemanden, der aus einem anderen Kulturkreis kommt und die Geschichte dahinter nicht kennt, ist es eine eigenartige, ja bizarre Konstellation von Figuren, die er nicht verstehen und deuten kann. Und zwar selbst dann nicht, wenn ihm irgendwann auffällt, dass die gleiche Konstellation an unterschiedlichen Orten immer wieder auftaucht. Ähnlich ist es mit dem Kreuz an der Wand: Wer die zugehörige Erzählung nicht kennt, dürfte es seltsam, ja geradezu gruselig finden, sich zwei gekreuzte Balken mit einem Toten daran ins Wohn- oder Schlafzimmer zu hängen.
In Abwesenheit mündlicher oder schriftlicher Überlieferungen ist es nahezu unmöglich, aus den vorgefundenen Bildern die Geschichte zu rekonstruieren. Man kommt kaum weiter als bis zu den abgegriffenen "kultischen Zwecken". (Wer dereinst von unserer Zeit Alufelgen ausgräbt, wird sie vermutlich auch mit kultischen Handlungen in Verbindung bringen. Was ja bei genauerer Betrachtung so falsch dann auch wieder nicht ist, nur nicht ganz so, wie er es gedacht hat.)
Doch gerade wegen des immensen baulichen Aufwands geht Schmidt davon aus, dass sich hinter den Reliefs auf den Pfeilern die wichtigsten "Erzählungen" ihrer Erbauer verbergen, die sie in mnemotechnischer Verdichtung in den Bildern und Symbolen dargestellt haben. Und zwar in einer, wie er schreibt, "noch bis vor kurzem gänzlich unerwarteten hochentwickelten Form." (S. 206)
"Sicher ist, dass die Menschen der frühen Jungsteinzeit am Göbekli Tepe nicht nur über eine monumentale Architektur verfügten, sondern auch über einen großen Symbolschatz und eine elaborierte Zeichensprache, mit deren Hilfe sie Botschaften für die Zeitgenossen und für spätere Generationen formulieren und hinterlassen konnten.
Die Entstehung ihres großen Symbolschatzes und die Monumentalität ihrer Bauanlagen sind letztlich nur vor dem Hintergrund eines entsprechend fortgeschrittenen gesellschaftlichen Organisationsgrades erklärlich. Da wir in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, Eurasiens die Grundlagen für eine derartige Entwicklung jägerischer Gesellschaften erkennen können, muss es uns eigentlich nicht so sehr überraschen, dass wir in der frühen Jungsteinzeit eine im Kern immer noch jägerische 'Hochkultur' in Obermesopotamien entdecken. Was uns aber überraschen muss, ist ihr plötzliches Ende; es bleibt nämlich nur wenig im keramischen Spätneolithikum von der großen Zeit der Jäger übrig." (S. 209f.)
Religiöse Zentren vor der Sesshaftwerdung
Im letzten Kapitel versucht Schmidt dann, aus den wenigen und unvollständigen Puzzlesteinen aus Göbekli Tepe und anderen prähistorischen Fundstätten ein Bild zu umreißen. Und es ist eindrucksvoll, wie weiter damit kommt. Kern seiner Theorie ist, das eingangs beschriebene Rätsel ernst zu nehmen – und seine Prämissen infrage zu stellen: Eine solch gewaltige technische, organisatorische und ressourcenaufwändige Leistung wie Göbekli Tepe kann nicht von kleinen Horden nomadischer Jäger und Sammler erbracht worden sein.
Aber vielleicht sind unsere Annahmen über die spätpaläolithischen Jäger und Sammler ja falsch, und mit ihnen auch unsere gesamten Vorstellungen darüber, wie der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht, also die neolithische Revolution, abgelaufen ist. Möglicherweise – vermutlich! – hatten die nacheiszeitlichen Jäger und Sammler eine sehr viel komplexere Sozialstruktur und hatten auch mehr Bauerfahrung, als es das gängige Verständnis erwarten lässt.
Schmidt greift hier einen Gedankengang des Althistorikers Lewis Mumford auf, wonach
"nicht das Dorf die Wurzel der Stadt bildet, sondern das Heiligtum, der Versammlungsplatz":
"Das Wesen einer Stadt sei, so Mumford, grundlegend verschieden vom Wesen eines Dorfes. Dieses seit dem Fremden gegenüber misstrauisch und feindlich, die Stadt hingegen freundlich eingestellt, ja sie erwarte den Fremden geradezu. Die Stadt entstehe somit nicht aus immer größer werdenden Dörfern, sondern aus Plätzen ganz anderer Natur, und zwar aus den heiligen Stätten, die Ziel immer wiederkehrender Versammlungen sind, sich also als Versammlungsplätze darbieten, die neben ihrer religiösen Funktion natürlich auch als Kommunikations- und Austauschzentren dienen – einem Austausch von Ideen, Waren und Menschen." (S. 248)
Aus Schmidts Sicht konnten solche Versammlungsplätze auch an normalerweise unbewohnten Orten liegen, an denen man sich zu bestimmten Zeiten traditionsgemäß traf; sie mussten nur geeignet sein, eine größere Menschengruppen aufzunehmen. Und aus seiner Sicht "war der Aspekt religiöser Weihe konstitutives Element solcher Orte" (S. 249). Dass dieser Gedanke nicht völlig abwegig ist, zeigen die christlichen Wallfahrtskirchen. Insofern könnte es sein bzw. liegt für Schmidt sogar
"auf der Hand, dass die rituellen Zentren lange vor der Sesshaftigkeit existierten und wesentlich älter als die frühesten Dörfer waren. Sie erfüllten ihre Funktion gerade so gut bereits für eine jägerisch-nomadisierende Bevölkerung, die aber zumindest den elementaren Bedarf nach Austausch zu befriedigen hatte: den nach verbaler Kommunikation." (S. 249)
Ein prähistorisches Altötting?
Insofern ist er sich sicher, mit Göbekli Tepe "eine heilige Stätte der Jungsteinzeit vor [sich] zu haben" (S. 251). Wobei die Dimension dieser Bauwerke ihn zu einer weiteren Schlussfolgerung führt, nämlich:
"dass die Errichtung der Pfeiler nicht ohne ein großes personelles Aufgebot möglich war, das ein nicht geringes Ausmaß an lenkender Planung und Organisation erforderte. Die für das 'Bauvorhaben Göbekli Tepe' somit unabweisbar notwendige Baustellen-Logistik führt geradewegs zu der Schlussfolgerung, dass in der Zeit des 10. und 9. Jahrtausends v.Chr. ein Übereinkommen unter mehreren, sonst wahrscheinlich selbstständig agierenden Gruppen erforderlich war, um die Manpower zur Errichtung der Anlagen bereitzustellen." (S. 251f.)
Nach Schmidts Auffassung könnte der Göbekli Tepe so etwas wie ein prähistorisches Altötting oder Vierzehnheiligen gewesen sein:
"Dürfen wir also mit gutem Grund davon ausgehen, dass wir im Göbekli Tepe ein rituelles Zentrum erblicken können – zwar ausdrücklich auch im Sinne eines zentralen Ortes –, so postulieren wir, dass sich hier im Prozess der Sesshaftwerdung Menschen aus den entstehenden umliegenden Siedlungen einfanden: Menschen aus Çayönü, Nevalı Çori, Tell Abr, Mureybet, Jerf el-Ahmar, Tell Qaramel und sicher vielen anderen, die wir noch nicht kennen –, die an der Anlage weiter bauten und dort zu bestimmten Anlässen gemeinsam oder durch Repräsentanten ihre Riten vollzogen." (S. 252)
Das ist eine kühne Theorie, aber alles andere als unplausibel. Die erwähnten Orte liegen in einem Radius von 200 km um den Göbekli Tepe, und sie sind auch durch eine verwandte materielle Kultur der vorkeramischen Jungsteinzeit (PPN) obermesopotamischer Prägung miteinander verbunden. Beispielsweise wurden dort auch, wenn auch oft nur in miniaturisierter Form, jene Symbole gefunden, die am Göbekli Tepe in monumentaler Form entdeckt wurden.
Dieser Platz könnte also das zentrale Heiligtum einer gemeinsamen Religion der obermesopotamischen Jäger und Sammler gewesen sein. Die neolithischen Dörfer von Ackerbauern und Viehzüchtern, so meint Schmidt, seien erst später entstanden, standen also keineswegs am Anfang dieser Entwicklung.
Das Rätsel der Verfüllung
Erklärungsbedürftig ist indes noch, weshalb die neolithischen Jäger und Sammler Göbekli Tepe schließlich aufgegeben und verfüllt haben – worauf man in Altötting bislang ja bekanntlich (manche würden sagen, bedauerlicherweise) verzichtet hat. Als gesichert kann gelten, dass damit schon zu Zeiten der ursprünglichen Erbauer begonnen wurde, denn die dortige zweite Fundschicht baut auf solchen Verfüllungen auf, nutzt die ursprünglichen Pfeiler aber offenbar weiter – in reduzierter Höhe.
Verfüllungen im Zuge eines Umbaus sind prinzipiell plausibel, auch wenn sich ihr Sinn und ihre Logik im konkreten Fall für uns heute nicht mehr erschließen. Ähnliches hat es auch in alten Städten immer wieder gegeben, mit der Folge, dass das Bodenniveau heute vielerorts höher liegt als in früheren Jahrhunderten.
Doch zu Beginn des 8. Jahrtausends v.u.Z. endete die Bautätigkeit am Göbekli Tepe, schreibt Schmidt – und vermutlich auch die Nutzung der Anlagen. Inzwischen war aus den Jägern und Sammlern nach seiner Darstellung eine sesshafte bäuerliche Gesellschaft geworden, deren Siedlungen in den Tälern lagen, in Reichweite der fruchtbaren Böden, die sie bewirtschafteten. Der Göbekli Tepe bildete dazu den Antipoden: eine Berganlage ohne nahes Ackerland und Wasser.
Das würde erklären, weshalb der Göbekli Tepe schließlich aufgegeben wurde, aber nicht, weshalb man den gewaltigen Aufwand auf sich nahm, ihn zu verfüllen. Hier überzeugt mich die von Schmidt angebotene Erklärung nicht so recht:
"Damals verließen die Menschen den alten Kultort, gaben ihn endgültig auf, hatten die Monumente mit Geröll und Gestein bedeckt und so ihre Vergangenheit bestattet, ehe sie zu den verheißungsvollen Siedlungsanlagen der näheren Umgebung zogen und sich als Bauern niederließen. Die Feuer der Jäger, die so lange um das Heiligtum gebrannt hatten, waren für immer erloschen." (S. 255)
Bei allem Respekt davor, was Schmidt in geradezu genialer Weise aus den wenigen verwaschenen Puzzlesteinen macht, ein solcher planmäßiger Abschied von der alten Lebensform und Aufbruch in die neue Zeit scheint mir wenig plausibel. Ein solcher tiefgreifender Umbruch erfolgt wohl kaum mit dem heroischen Beschluss: "Alles klar, ab dem 1.1. werden wir Ackerbauern." Viel wahrscheinlicher ist eine längere Periode des Übergangs, bei dem sich manche mehr oder weniger begeistert auf die neue Lebensform einlassen, während andere noch lange zögern.
Außerdem erklärt Schmidts Theorie nicht, wieso die Konvertiten ihr altes Monument verfüllten, statt all ihre Kraft auf die Urbarmachung ihrer Felder zu verwenden. Zumal sie ja nicht die ersten waren, die in der Umgebung des Göbekli Tepe Äcker anlegten, denn, wie er oben schreibt, war aus den Jägern und Sammlern ja bereits eine bäuerliche Gesellschaft geworden. Nachzügler mussten sich daher wohl erst mal geeignete Siedlungsplätze suchen. Aber sei's drum – ein letztes Rätsel darf ja auch bleiben.
Eine neue Sicht auf die Neolithische Revolution
Was habe ich aus dem Buch gelernt? Das Wichtigste ist wohl: Der Übergang von den Jägern und Sammlern zur den Ackerbauern und Viehzüchtern ist offenbar völlig anders gelaufen als es den gängigen Vorstellungen entspricht. Die nacheiszeitlichen Jäger und Sammler waren keineswegs bloß primitive, nomadisch herumstreifende Horden, die allmählich entdeckten, dass man manche essbaren Pflanzen auch "kultivieren" und manche Wildtiere auch zu Haustieren machen und sie züchten kann.
Vielmehr hatten sie bereits eine ausgeprägte Kultur, die eine Religion ebenso einschloss wie ausgeprägte Sozialstrukturen. Sie trafen in regelmäßigen Abständen an bestimmten Plätzen zusammen, um ihren religiösen Bräuchen nachzugehen und vermutlich auch, ganz ähnlich wie an heutigen Wallfahrtsorten, um Geschäfte zu machen, Beziehungen zu knüpfen und Bekannte wiederzutreffen.
Offenbar begannen sie (bzw. manche von ihnen) im Laufe der Zeit auch, ihre Treffpunkte auszubauen, vermutlich um sie würdiger zu gestalten, aber wohl auch, um sich und anderen ihre Macht und Leistungsfähigkeit zu demonstrieren. Und vermutlich entstanden in einer längeren Zeit des Übergangs zwischen Alt- und Jungsteinzeit, dem Mesolithikum, immer komplexere und größere Bauten.
Unglaublich erscheint die Leistung dennoch, die hinter Stätten wie Göbekli Tepe und Stonehenge steckt, aber nicht mehr unerklärlich. Und wie Schmidt treffend schreibt, was auch immer die späten Jäger und Sammler zu diesem unfasslichen Aufwand an Arbeit und Ressourcen motiviert hat, es muss ihnen ein überaus wichtiges Anliegen gewesen sein.
Insgesamt ein Buch, das mein Verständnis der Neolithischen Revolution sowie jener rätselhaften Bauwerke an ihrer Schwelle maßgeblich vorangebracht hat – und das ich allen, die sich für jene ferne Epoche interessieren, nur empfehlen kann. Zumal es auch noch verständlich und anschaulich geschrieben ist, was bei deutschen Professoren bekanntlich keine Selbstverständlichkeit ist.
|