Überaus kundig, prägnant und eloquent legt dieses Bändchen in 13 kurzen Kapiteln dar, welche wiederkehrenden Muster die Pulitzer-Preis-gekrönten Autoren in ihrem lebenslangen Studium der Geschichte erkannt haben.
Ein bemerkenswertes Buch: Der 1885 geborene amerikanische Historiker und Philosoph Will Durant und seine 1898 in der heutigen Ukraine geborene Frau Ariel, beide Ende 1981 binnen weniger Wochen verstorben, haben ihr langes Forscherleben einem Vorhaben gewidmet, das man heute wohl "Universalgeschichte" nennen würde: Über einen Zeitraum von 50 Jahren verfassten sie eine elfbändige "Story of Civilization", die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, sowie etliche weitere Werke zur Geschichte und Philosophie.
Dieses schmale Bändchen ist sozusagen die Essenz ihres Forschens. Wie sie im Vorwort schreiben, entstand es bei der Überarbeitung ihres Gesamtwerks, bei der sie Fehler korrigierten und neue Erkenntnisse einarbeiteten:
"In that process we made note of events and comments that might illuminate present affairs, future probabilities, the nature of man, and the conduct of states. (…) We tried to defer our conclusions until we had completed our survey of the narrative, but doubtless our preformed opinions influenced our selection of illustrative material." (preface)
Übergreifende Muster
Will und Ariel Durant nehmen sozusagen die Helikopter-Perspektive ein und arbeiten in 13 kurzen Kapiteln heraus, welche Muster ihnen bei ihrem langen Marsch durch die Epochen der Historie aufgefallen sind. Wie sie das in ein Ordnungsraster gebracht haben, bringen die Kapitelüberschriften zum Ausdruck, deshalb gebe ich sie hier wieder:
- Hesitations
- History and the Earth
- Biology and History
- Race and History
- Character and History
- Morals and History
- Religion and History
- Economics and History
- Socialism and History
- Government and History
- History and War
- Growth and Decay
- Is Progress Real?
All das ist sehr dicht und kenntnisreich geschrieben, noch weiter zusammenfassen lässt es sich kaum. Historisch Interessierte kommen an diesem Bändchen kaum vorbei. Doch auch wer sich – wie ich – nicht sonderlich für Geschichte interessiert, weil ihm das zu viele Details, Spekulationen und Konstruktionen sind, kann Nutzen aus diesem prägnant und eloquent geschriebenen Bändchen ziehen.
Denn es ist eben kein Historienschinken, sondern eine von überaus kundigen Autoren verfasste Essenz, die einem hilft, sich klarer darüber zu werden, was man aus der Geschichte lernen kann und was nicht. Und die einen darüber hinaus erfreut mit mutigen, plakativen Zuspitzungen wie:
"Most history is guessing, and the rest is prejudice." (S. 12)
"History as usually written is quite different from history as usually lived: the historian records the exceptional because it is interesting - because it is exceptional." (S. 41)
"Since the natural inequality of men dooms many of us to poverty or defeat, some supernatural hope may be the sole alternative to despair. Destroy that hope, and class war is intensified." (S. 43)
"As long as there is poverty there will be gods." (S. 51)
"Since men love freedom, and the freedom of individuals in society requires some regulations of conduct, the first condition of freedom is its limitation; make it absolute and it dies in chaos. So the prime task of government is to establish order." (S. 68)
"There is no certainty that the future will repeat the past. Every year is an adventure." (S. 88)
Mögliche Lehren
Und was lässt sich nun aus der Geschichte lernen? Eine wichtige Erkenntnis ist wohl, dass sich aus ihr, wie das letzte Zitat besagt, keine sicheren Vorhersagen ableiten lassen. Die Zukunft mag bestimmten Epochen der Vergangenheit ähneln, aber sie ist in dieser Hinsicht zu nichts verpflichtet und immer für Überraschungen gut. Wiederkehrende Muster lassen sich immer und überall entdecken, einfach weil unser Gehirn gut in der Erkennung von Mustern ist: Wir erkennen sie sogar dort, wo es objektiv keine gibt.
Lernen lässt sich weiterhin, dass der Gang der Geschichte – natürlich – Restriktionen unterliegt, die von Geografie, Biologie und anderen natürlichen Gegebenheiten gesetzt sind. Aber selbst die sind relativ: War etwa die Geografie in früheren Jahrhunderten noch ein nahezu unüberwindliches Hindernis für manche Vorhaben, so macht der Fortschritt der Technik heute manches möglich, was früher kaum vorstellbar war.
Dass das Konzept menschlicher Rassen keinen Beitrag zum besseren Verständnis von Geschichte und Gegenwart leistet, ist wenig überraschend – eher könnte man als Überraschung empfinden, dass dies unter den "Lessons of History" überhaupt erwähnt wird. Doch 1968, als dieses Buch erschien, war das durchaus keine selbstverständliche Feststellung. Ähnlich wenig zur Erklärung der Geschichte tragen die Charaktere der Führungspersonen (Kap. V), Moral (Kap. VI) und Religion (Kap. VII) bei, auch wenn sie alle wiederkehrende Motive sind.
Anders ist es mit der Wirtschaft (Kap. VIII) und speziell dem Sozialismus (Kap. IX). Das Streben nach materieller Sicherheit, Wohlstand und einer gerechten (bzw. nicht allzu ungerechten) Einkommensverteilung sind im Resümee der Durants starke Triebkräfte der Geschichte. Was letztlich einem materiellen Geschichtsbild entspricht, also der Vorstellung, dass es letztlich vor allem um die Verteilung von Ressourcen geht.
"We conclude that the concentration of wealth is natural and inevitable, and is periodically alleviated by violent or peaceable partial redistribution. In this view all economic history is the slow heartbeat of the social organism, a vast systole and diastole of concentrating wealth and compulsive recirculation." (S. 57)
Innere und äußere Konflikte
Die Rolle der Regierungen, gleich in welcher Verfasstheit, läge damit hauptsächlich darin, für Ordnung zu sorgen und durch einen gewissen sozialen Ausgleich den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten. Die Realität hingegen sei, dass sie sich meistens auf eine Seite schlügen, typischerweise auf die der Wohlhabenden, der sie selbst entstammen.
Auf diese Weise können sie ihre Klientel für geraume Zeit schützen, was aber gleichzeitig den Druck auf dem Kessel ansteigen lässt. Früher oder später kommt es so zu starken und häufig gewalttätigen Gegenreaktionen. Wobei Revolutionen aus Sicht der Durants, wie aus den Zitaten hervorgeht, Wohlstand eher vernichten als für eine gerechtere Verteilung zu sorgen.
In einem Buch über die "Essenz" der Geschichte muss natürlich auch die Frage nach der Rolle und Bedeutung des Kriegs beantwortet werden. Und da haben die Durants keine guten Nachrichten:
"Peace is an unstable equilibrium, which can be preserved only by acknowledged supremacy or equal power. The causes of war are the same as the causes of competition among individuals: acquisitiveness, pugnacity, and pride; the desire for food, land, materials, fuels, mastery. (S. 81)
Sind Kriege unausweichlich?
Doch während diese allzu menschlichen Motive innerhalb funktionierender Staaten durch Gesetz und Moral gezähmt sind und überwiegend in zivilisierter Form ausgetragen werden, weil die Staaten das Leben, das Eigentum und die Rechte ihrer Bürger garantieren, unterliegen die Staaten untereinander diesen Restriktionen nicht und sind daher stets in der Versuchung, ihre Wunschvorstellungen mit Gewalt oder deren Androhung durchzusetzen.
"In the military interpretation of history war is the final arbiter, and is accepted as natural and necessary by all but cowards and simpletons." (S. 82)
Schon 1968 sahen die Durants, dass diese militärisch-historische Lösung angesichts von immer "leistungsfähigeren" Waffensystemen mit immer größerer Zerstörungskraft und Reichweite nur ins Desaster führen könne. Heute, an der Schwelle der Klimakatastrophe und des Dritten Weltkriegs, sind wir kurz davor, die Erste in Kauf zu nehmen, um das Zweite (vielleicht) zu verhindern. Denn wenn wir Hunderte von Milliarden – andere werden ja zwangsläufig nachziehen – in Rüstung investieren, können wir wohl sämtliche Klimaziele vergessen.
Die Autoren beziehen in diesem Punkt nicht klar Stellung. Sie kleiden das Dilemma in eine Gespräch zwischen einem General und einem Philosophen. Letzterer verweist auf den multiplikativen Anstieg der Kriegsschäden, der General auf die menschliche Natur:
"Some conflicts are too fundamental to be resolved by negotiations (…) A world order will come not by a gentlemen's agreement, but through so decisive a victory by one of the great powers that it will be able to dictate and enforce international law." (S. 86)
An den Weltfrieden und einen Konsens der Staatengemeinschaft mag er nur glauben, sollte die Erde von Außerirdischen bedroht werden und deshalb gezwungen sein, ihre Kräfte zur Selbstverteidigung zu bündeln. Mit ihm befürchten das wohl auch die Durants: Sie lassen ihrem fiktiven General jedenfalls das letzte Wort. Sollten sie recht haben, dann steht der Menschheit (und ihren Mitgeschöpfen) eine ziemlich üble Zukunft bevor, und ihre kumulierte Verweildauer auf der Erde könnte deutlich kürzer ausfallen als die der Dinosaurier, über die wir früher spotteten: "Ausgestorben: zu viel Panzer, zu wenig Hirn."
Gibt es Fortschritt?
Angesichts solcher Perspektiven wirkt die Überschrift des letzten Kapitels "Is Progress Real?" geradezu zynisch. Aber auch hier muss man berücksichtigen, dass wir 55 Jahre weiter sind – und der drohenden Katastrophe damit 55 Jahre näher. Eine klare Antwort geben die Autoren auch hier nicht, aber sie scheinen angesichts des kumulierten Wissens der Menschheit zumindest die Chance für Fortschritt zu sehen:
"The heritage that we can now more fully transmit is richer than ever before. (…) If progress is real despite our whining, it is not because we are born any healthier, better, or wiser than infants were in the past, but because we are born to a richer heritage". (S. 101f.)
Resümee: Wer sich auch nur ein bisschen für Geschichte interessiert, für den ist dieses Bändchen aus den späten sechziger Jahren auch heute noch lesenswert. Gerade durch ihre Konzentration auf die großen Linien liefern die Durants nach wie vor reichlich Stoff zum Nachdenken.
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