Endlich ein Buch über Moderation, das sich zu lesen lohnt, weil es einen für den Umgang mit Teilnehmern schult, die sich nicht an die Regeln halten, jedenfalls nicht an die unseren, die ein ziviles, partnerschaftliches Gespräch ermöglichen sollen.
Der Buchtitel mutet etwas befremdlich an: Dass Höflichkeit "reinhaut", klingt paradox, denn wenn man irgendetwas mit Höflichkeit normalerweise nicht verbinden würde, ist es "Reinhauen" – gleich ob damit gemeint ist, dass sie jemandem eine reinhaut oder dass sie einen spektakulären Effekt macht (im Sinne von "das haut rein"). So oder so: Der Bedeutungshof von "Reinhauen" ist aggressiv – genau das, was Höflichkeit keinesfalls sein will.
Die Irritation ist charakteristisch. Sie lässt erkennen, dass Peter Modler zuweilen die sprachliche Präzision dem rhetorischen Effekt opfert – und dass er sich mit der heroischen Pose des "Reinhauenden" identifiziert. Das sollte man als Leser/in aufmerksam registrieren, gerade dann, wenn man selbst für heroischen Posen anfällig ist. Dann muss man aufpassen, dass "reinhauende" Interventionen nicht statt der Sache primär der Selbstdarstellung dienen: "Schaut mal, was ich mich traue!"
Fokus auf heikle Situationen
Trotzdem ist das Buch unbedingt zu empfehlen, und zwar jeder und jedem, die Meetings jedweder Art leitet, unterrichtet, referiert oder bei anderen Gelegenheiten dafür verantwortlich ist, für einen geordneten, produktiven und fairen Ablauf des Gesprächs in einem Team oder einer Veranstaltung zu sorgen. Das ist unter dem Strich eine ziemlich große Zielgruppe: Nicht nur Führungskräfte und Trainerinnen, auch Lehrer und Richterinnen einschließlich Schiedsrichtern, weiter Vorsitzende von Verbänden, Leiterinnen von Arbeitskreisen, und viele andere mehr.
Aber war genau ist es, was den besonderen Wert dieses Buches ausmacht? Dass es eben nicht zum soundsovielsten Mal die Regeln des Moderierens wiederkäut, sondern nachdrücklich, ja unerbittlich auf die zentrale Rolle der Moderationsverantwortlichen aufmerksam macht, nämlich für einen fairen und produktiven Gesprächsverlauf zu sorgen und – Achtung! – ihn auch gegen Widerstände durchzusetzen.
Das erfordert zwangsläufig, diejenigen in ihre Schranken zu verweisen, die einem fairen und produktiven Verlauf absichtlich oder gedankenlos im Weg stehen: Unreflektiert-dominanten Alphatierchen ebenso wie vorsätzlichen Störerinnen und allen, die für sich eine Sonderrolle beanspruchen. (Womit wir bei der testosteronhaltigen "Kampfkunst" wären, die der Untertitel in Aussicht stellt.)
Horizontale vs. vertikale Kommunikation
Zu den wertvollsten Erkenntnissen zählt für mich die nachdrückliche Erinnerung an die Unterscheidung von "elaborated vs. restricted code", die der britische Soziologe Basil Bernstein in den sechziger Jahren eingeführt hat (und die von deutschen Soziologen geradezu genial in elaborierter vs. restringierter Code "übersetzt" wurde).
Modler spricht hier in Anlehnung an die amerikanische Soziolinguistin Deborah Tannen, die Bernsteins Gedanken in den achtziger Jahren aufgegriffen und erweitert hat, von "horizontaler" bzw. "vertikaler Kommunikation". "Horizontale Kommunikation" basiert auf Gleichwertigkeit und ist argumentativ, sachorientiert und wortreich bis zur Geschwätzigkeit – eben "elaboriert". Die vertikale hingegen ist knapp, affirmativ und robust bis zur Ruppigkeit – beschränkt in Wortschatz und Argumentation: Aufforderungen, Feststellungen, Behauptungen. Im Extrem Trump-Kommunikation.
Bernsteins Unterscheidung diente ursprünglich dazu, die Kommunikationsstile verschiedener sozialer Schichten zu vergleichen: Die gebildete Mittelschicht kommuniziert nach seinem Modell "elaboriert", die Unterschicht "restringiert", sprich eingeschränkt. (Was wie ein Vorurteil klingt, ist empirisch etwa durch die Untersuchung von Eltern-Kind-Interaktionen, Familienkommunikation etc. umfangreich belegt. Das Modell liefert zum Beispiel eine Erklärung, weshalb die Studentenbewegung an der Agitation der "Arbeiterklasse" gescheitert ist.)
Spannend und moderationsrelevant wird diese Unterscheidung durch eine Entdeckung, die so gar nicht in das Bild von der gesellschaftlichen Mittel- und Unterschicht passte – nämlich, dass nicht nur Arbeiter und Ungelernte im "RC" kommunizieren, sondern auch "Hierarchen": Unternehmer, Top-Manager, Militärs sowie generell Menschen, die die Gesellschaft eher als eine Hierarchie betrachten denn als eine Versammlung gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger. Konservative tendieren daher stärker zur vertikalen Kommunikation als Linksliberale.
Entscheidend ist nun: Horizontale Kommunikation stößt mit ihrem wortreichen, partnerschaftlichen Werben um Zustimmung an ihre Grenzen, wenn sie auf vertikale Kommunikation trifft. Ein barsches Nein oder eine nicht weiter begründete Behauptung ("Schwachsinn!") lässt all die vielen Worte ins Leere laufen. Und mit ihnen diejenigen, die die vielen Worte äußern – und verzweifelt immer weitere folgen lassen, wenn die bisherigen nicht das erhoffte Resultat erzielen.
Umgang mit hierarchisch denkenden Menschen
Wer nur zwei Arten von Menschen kennt, nämlich die über ihm und die unter ihm, kann mit dem Angebot einer partnerschaftlichen und damit argumentierenden Kommunikation wenig anfangen. Auch wer noch eine dritte Kategorie anerkennt, nämllich die, die mit ihm (oder ihr) "auf Augenhöhe" sind, braucht, bevor er sich auf eine Sachdiskussion einlassen kann, eine Klärung der Rangordnung. Und wird früher oder später zum "Störer" oder Störenfried, wenn er die nicht bekommt.
Wichtig ist: Das ist kein Charakterfehler und auch keine "falsche Einstellung", die man jemanden "aberziehen" müsste (oder könnte), es ist ein anderes Welt- und Menschenbild, das wir uns nicht zu eigen machen, aber zur Kenntnis müssen. Gerade als Moderatoren, die wir ein produktives Gespräch zwischen allen Versammelten zu ermöglichen beauftragt sind, müssen wir mit dieser Art von Menschen zurechtkommen, auch wenn ihre Art für uns kein Heimspiel ist und wir vermutlich auch keine Freunde mit ihnen werden.
"Zurechtkommen" bedeutet auch und gerade in diesem Fall weder Verbrüderung noch Anbiederung, sondern die Klärung von Rang, Status und – Kampfkraft. Oder, weniger machohaft formuliert, von Selbstbehauptung und Durchsetzungsvermögen. Denn wenn der oder die Betreffende(n) einen als Moderator nicht für voll nehmen, wird man in der Veranstaltung nicht viel Freude mit ihnen haben.
Also hat man die Beweislast, dass sie einen besser ernst nehmen sollten. Das beginnt für Modler damit, dass man sich von Anfang an nicht nur freundlich und umgänglich gibt, sondern auch Status zeigt – etwa durch den Hinweis auf die eigene Rolle als Moderator, durch festes Auftreten (statt dauerlächelndem Betteln um Bestätigung) und durch die Festlegung von Spielregeln (die man sich natürlich von der Gruppe bestätigen lässt, statt sie einseitig und autoritär vorzugeben).
Bei Regelverstößen klar dagegenhalten
Doch wenn man Regeln vorgibt, muss man sie auch durchsetzen – und zwar nicht nur gegenüber den im Grunde braven und gutwilligen Teilnehmern, die prinzipiell gewillt sind, eine partnerschaftliche Diskussion zu führen, und denen nur im Eifer des Gefechts einmal die Pferde durchgegangen sind. Auch gegenüber jenen eher autoritären Strukturen, denen das "endlose Gelaber" bald auf die Nerven geht, die sich demonstrativ mit Nebentätigkeiten beschäftigen und lauthals die Meinung äußern, dass "schon längst eine Entscheidung getroffen sein müsste".
Oder gegenüber den Platzhirschen, die der Meinung sind, sie könnten andere nach Belieben unterbrechen und selbst das Wort ergreifen, wann immer ihm (ihr) der Sinn danach steht. Oder gegenüber der Chefin, die einen Teilnehmer abkanzelt, weil sie mit seinem/ihrem Redebeitrag nicht einverstanden ist.
Solche und ähnliche Situationen sind es, in denen die "Seitenwindanfälligkeit" der Moderatorin auf die Probe gestellt ist und in denen sie zeigen muss, ob sie dazu in der Lage ist, ihrer Hauptaufgabe auch unter Druck gerecht zu werden, nämlich ein faires, respektvolles und produktives Gesprächsklima zu gewährleisten. Oder ob sie das Ins-Wort-Fallen oder die unfaire Intervention der Chefin mit betretenem Gesichtsausdruck durchgehen lässt.
Modlers zentraler Punkt ist: Mit horizontaler Kommunikation ("EC") kommt man hier nicht weiter – im Gegenteil, man macht sich zur Witzfigur, wenn man mit Ich-Botschaften seine Betroffenheit zum Ausdruck bringt und ein "starkes Störgefühl" verbalisiert.
Hier ist die "Zweisprachigkeit" der Moderatorin gefordert – hier muss sie, die in aller Regel als der EC-Welt kommt, zeigen, dass sie auch die vertikale Kommunikation beherrscht. Jetzt muss sie – naja, nicht gerade "reinhauen" (höflich), aber Flagge zeigen und dagegenhalten. Und zwar mit dominanten Ausdrucksformen wie RC, aber auch mit körpersprachlichen Signalen (die Modler "Move Talk" nennt).
Strategien und Taktiken – leider nicht allzu viele
Das setzt zweierlei voraus: Erstens den Mut, zu intervenieren, auch wenn es der eigene Auftraggeber, der Platzhirsch vom Dienst und/oder die oberste Chefin ist. Dabei kann ein Buch wohl nicht viel helfen, außer, seine lesenden Moderatoren freundlich dazu zu mahnen – aber letztlich muss man sich dafür selbst entscheiden. Und zweitens geeignete Strategien und Taktiken. Hier liefert Modler Anregungen, aber nicht so viele, wie ich mir erhofft und gewünscht hätte. (Was auch der Hauptgrund ist, weshalb meine Bewertung nicht noch besser ausfällt.)
Eine Taktik, die mir sehr klug erscheint, ist, in der Konfliktsituation mit "Hierarchen" deren Status zu bekräftigen, bevor man ihnen in die Parade fährt: "Herr Meier, Sie sind hier der oberste Chef. Trotzdem ist meine Pflicht als Moderator, Sie an unsere verabredete Regel zu erinnern, uns an die Reihenfolge der Wortmeldungen zu halten und niemanden persönlich zu attackieren."
Auch wenn ich noch keine Gelegenheit hatte, es auszuprobieren (und eine Stichprobe von n = 1 auch etwas mager wäre), leuchtet mir ein, dass die Anerkennung und Hervorhebung der Rangposition auch (und gerade) bei einer nachfolgenden kritischen Ansage befriedend wirkt: "Majestät, melde gehorsamst: Eure Majestät haben danebengeschossen."
Denn durch die so eingeleitete Intervention ist der/die/das Betreffende für alle sichtbar nicht in seinem Status in Frage gestellt, sondern nur in seinem Handeln (das er natürlich aus seinem Status ableitet). Das reduziert die Angriffsfläche – und damit die Unausweichlichkeit einer Machtdemonstration.
Doch eine solche Intervention setzt freilich neben Mut auch eine gewisse innere Unabhängigkeit der Moderatorin voraus. Wenn sie es sich als Interne mit der Chefin und den Platzhirschen auf keinen Fall verderben will oder wenn sie als Externe auf Folgeaufträge unbedingt angewiesen ist, dann ist es natürlich ein Risiko, beherzt dagegenzuhalten.
Auch wenn die überwiegende Erfahrung "mutiger" Moderatoren wohl ist, dass einem solche Interventionen in der Regel eher Respekt einbringen als schaden: Eine Garantie dafür gibt es natürlich nicht – und wenn man an einen Mikro-Trump geraten ist, kann es auch anders ausgehen. Doch wäre kein Risiko mit solchen Situationen verbunden, bräuchte es keinen Mut.
Der Aspekt der inneren Unabhängigkeit – oder andersherum ausgedrückt, der eigenen Korrumpierbarkeit oder, noch häßllicher, Käuflichkeit – kommt mir bei Modler zu kurz. Wenn bald die nächste Rate für das Häuschen fällig wird oder demnächst die nächste Karriereentscheidung ansteht, steigt der Druck – und damit beinahe unvermeidlich auch die Tendenz, den Hierarchen lieber nicht entgegenzutreten. So betrachtet, ist Korrumpierbarkeit bzw. innere Unabhängigkeit auch eine Frage des Lebensstils.
Eine große Enttäuschung
Enttäuscht bin ich davon, dass Modler die Situation nicht auflöst, mit der er seinen Lesern in seiner Einleitung den Mund auf sein Buch wässrig macht und die er als einen "politischen Skandal von eher begrenzter Bedeutung" (S. 9) vorstellt, nämlich das Totengedenken an den von Neonazis ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Bayerischen Landtag:
"Die Landtagspräsidentin sprach über den Mord und seine Bedeutung für die deutsche Gesellschaft. Während dieses Totengedenkens hatten sich alle Landtagsabgeordneten von ihren Plätzen erhoben, um dem Ermordeten eine letzte Ehre zu erweisen – fast alle. Ein Abgeordneter der AfD in der ersten Sitzreihe des Parlaments nämlich nicht.
Der war sitzen geblieben, als ob nichts Besonderes geschehen wäre. Es war ein Affront sondergleichen. Während die Präsidentin über das Leben das Mordopfers sprach, blätterte der AfD-Vertreter ungerührt in irgendwelchen Unterlagen und demonstrierte eine büromäßige Geschäftigkeit, die in Wirklichkeit eine Ohrfeige darstellte. Als das Totengedenken für den Ermordeten zu Ende war, stand er dann auch auf. Deutlicher konnte man es nicht machen.
Was mich am meisten aufbrachte, war aber gar nicht ihr. Es war die Landtagspräsidentin, die es fertig brachte, sein Verhalten komplett auszublenden. Sie las von ihrem Manuskript einen Gedenktext ab und sah geflissentlich über den Herrn hinweg …" (S. 9f.)
Ich bin mit Modler völlig einig: Ilse Aigner, die das Herz ansonsten durchaus auf dem rechten Fleck hat und sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt, hat in dieser Situation als Moderatorin (bzw. Präsidentin) versagt. Ich kann aber auch ihre Hilflosigkeit und Überforderung in dieser völlig unerwarteten, ja unvorstellbaren Situation nachvollziehen – und fürchte, wäre ich an ihrer Stelle gewesen, hätte ich genauso versagt. (Vermutlich sogar auf die gleichen Weise: Durch "so tun, als ob nichts wäre".)
Auf ihr lastete nicht nur der Druck des Affronts, der im Grunde eine öffentliche Solidarisierung mit den Mördern darstellte, auf ihr lastete auch die Verantwortung, die Würde der Gedenkstunde nicht vor laufenden Fernsehkameras durch einen möglicherweise eskalierenden Eklat zu zerstören. Offenkundig wurde sie von diesem ungeheuerlichen Verhalten kalt erwischt und musste innerhalb von Sekunden entscheiden, ob sie ihre Ansprache unterbrechen und (wie?!) intervenieren sollte.
Im Nachhinein, wenn man sich von seinem Schrecken erholt hat, ist es leicht(er), klug über mögliche Interventionsstrategien zu reden und ihre Vor- und Nachteile abzuwägen – und ich vermute, das hat Frau Aigner im Stillen oder mit ihrem Team auch noch oft genug getan. Aber selbst im Nachhinein finde ich es nicht trivial, wie sie gut, souverän und würdig mit dieser Unverschämtheit hätte umgehen sollen.
Umso mehr hätte mich interessiert, was Modler – mit dem Vorteil ausreichender Bedenkzeit – als sinnvolle und der Gedenkfeier angemessene Intervention betrachtet und wie er verschiedene Varianten gegeneinander abgewogen hätte. Leider greift er die Situation jedoch im weiteren Verlauf des Buchs mit keinem Wort mehr auf.
Trotz dieser Enttäuschung ist die Empfehlung klar – schon weil Modlers Buch ein nachdrücklicher Anstoß ist, sich wieder einmal intensiver mit solchen heiklen Moderationssituationen auseinanderzusetzen, und weil es wenigstens einige Empfehlungen für geeignete Strategien und Taktiken anbietet. Alles Weitere ist dann eben die eigene Aufgabe und Verantwortung.
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