Manche Leute brauchen eine Klärung von Rang und Status, bevor man ernsthaft mit ihnen reden kann. Besteht man diese Tests nicht, nehmen sie einen nicht ernst. Dieses Buch leitet an, sich gegenüber statusorientierten Menschen erfolgreich zu behaupten.
Auch bei diesem Buch von Peter Modler hadere ich mit dem Titel. "Mit Ignoranten sprechen" nimmt eine wertende Zweiteilung vor in Menschen, mit denen man vernünftig reden kann (zu denen selbstverständlich auch wir, die Leserinnen und Leser, gehören) und eben "Ignoranten", mit denen das leider nicht geht. Da es die aber nun leider auch gibt, muss man mit ihnen irgendwie zurande kommen – und sie, da sie offenbar bedrohlich sind, in ihre Schranken weisen. Sonst schaut es duster für uns, die Guten, aus, warnt der Untertitel: "Wer nur argumentiert, verliert."
So wie Modler es im weiteren Verlauf beschreibt, sind diese "Ignoranten" aber einfach Menschen, die einen anderen Kommunikationsstil pflegen als "wir", nämlich einen hierarchischen, statusorientierten. Auch wenn solches Alpha-Gebaren nicht unbedingt mein/unser Fall ist: Sind wir nicht selbst die Ignoranten, wenn wir sie deswegen zu Ignoranten erklären? Mit welchem Recht erwarten wir, dass sich alle an unsere Regeln halten (an die wir uns, wenn wir ehrlich sind, auch nicht immer halten)?
Relativ weit hinten im Buch, ab Seite 120, spricht Modler das auch an – und scheint es im Grunde ähnlich zu sehen. Doch beworben und verkauft hat er sein Werk zuvor als Ratgeber zur Durchsetzung gegen Ignoranten. Was sich bestimmt besser verkauft. Im ersten Kapitel schreibt er denn auch
"(…) von denjenigen (…), die wir in diesem Buch als 'Ignoranten' klassifizieren: Menschen, die in Diskursen bewusst und gezielt statt auf begründende Worte auf andere Kommunikationsmittel setzen. Wie etwa auf räumliche Inszenierungen." (S. 29)
Lassen wir einmal außer Acht, ob dies wirklich immer "bewusst und gezielt" geschieht: Auf andere Kommunikationsmittel zu setzen als auf begründende Worte – ist das verboten? Ungehörig? Ignorant?
Ausleuchten eines großen blinden Flecks
Trotzdem empfehle ich auch dieses Buch von Peter Modler, denn es beleuchtet ein Thema, bei dem viele von "uns" – also von denen, die sich um eine partnerschaftliche, respektvolle, gleichberechtigte Kommunikation bemühen – einen mindestens tellergroßen blinden Fleck haben. Wir ärgern uns über Menschen, die sich nicht an die Regeln – nein, nicht an unsere Regeln halten und ganz anders kommunizieren: dominant, laut, raumgreifend, hierarchisch, statusorientiert.
Wir fühlen uns solchen Leuten gegenüber "moralisch" überlegen, sehen innerlich auf sie herab – und machen ansonsten eine ziemlich schlechte Figur: Eine ziemlich trostlose Kombination von Überlegenheitsgefühlen und praktischer Ohnmacht.
Das Verdienst von Modler ist, dass für dieses regelmäßige Scheitern unserer Kommunikationsmuster ein einfaches Denk- und Erklärungsmodell anbietet, das hilft, die Natur dieses Problems zu verstehen und besser mit ihm umzugehen.
In Anlehnung an die amerikanische Soziologin Deborah Tanner unterscheidet er dabei zwischen "horizontaler" (= partnerschaftlicher) und "vertikaler" (= rang-/statusorientierter) Kommunikation – was wiederum nahe bei dem ist, was die Sprachsoziologie seit Basil Bernstein in den sechziger Jahren als "elaborated code" bzw. "restricted code" bezeichnet.
Crash zwischen vertikaler und horizontaler Kommunikation
Die allermeisten Menschen sind offenbar entweder in der einen oder in der anderen (Sprach-)Welt zuhause; die wenigsten sind "zweisprachig". Deshalb sind sie auch ziemlich ratlos, wenn sie auf jemanden treffen, der nach den Regeln der jeweils anderen Welt kommuniziert. Denn dann greifen ihre gewohnten Kommunikationsstrategien nicht mehr.
In ihrer Hilflosigkeit flüchten sie sich gern in die Entwertung der jeweils anderen Seite und ihres Kommunikationsstils: "Unmögliches Auftreten" vs. "endloses Gelaber". Oder halt eben: "Ignoranten".
Ein Paradebeispiel für den Crash von "horizontaler" und "vertikaler" Kommunikation waren die Fernsehdebatten zwischen Hilary Clinton und Donald Trump im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf anno 2016, die für Clinton ein Debakel waren. Weshalb Modler sie über mehr als drei Kapitel hinweg analysiert, um zu zeigen, wie Trumps Sprache und Auftreten die inhaltlich bestens präparierte Clinton ein ums andere Mal ins Leere laufen ließ und sie zunehmend zum ohnmächtigen Spielball seines "unmöglichen Benehmens" machte.
Das ist lehrreich, um Modlers Ansatz nachvollziehbar zu machen – auch wenn es in seiner Ausführlichkeit bereits heute, fünf Jahre nach diesen Debatten, etwas langatmig und nicht mehr ganz frisch wirkt. Aber wahrscheinlich ist es das Schicksal zeitgeschichtlicher Beispiele. Eigentlich tut das ihrer Gültigkeit keinen Abbruch, aber es fühlt sich anders an.
"High Talk", "Basic Talk" und "Move Talk"
In Anlehnung an Tannen unterscheidet Modler drei Ausdrucksformen: "High Talk", "Basic Talk" und "Move Talk". Während die ersten beiden ziemlich genau dem "elaborierten" bzw. "restringierten Code" nach Bernstein entsprechen, bringt "Move Talk" die Körpersprache ins Spiel: das Verhalten im Raum sowie gegenüber dem oder den Gesprächspartnern.
Dazu zählen Aufstehen und Umhergehen ebenso wie Gesten und – natürlich – tatsächliche oder angedeutete Berührungen wie Schulterklopfen oder Hand-auf-den-Arm-Legen. Aber auch ostentative Nebenbeschäftigungen sind Körpersprache bzw. Move Talk, nämlich der nonverbale Ausdruck von Geringschätzung bzw. beanspruchter Höherrangigkeit.
"Basic Talk" und "Move Talk" ergänzen sich insofern, als sich beide bestens dazu eignen, Rang- und Statussignale zu senden bzw. Rangansprüche zu erheben und – sofern keine wirksame Antwort erfolgt – durchzusetzen.
Modlers zentrale Aussage ist: Um hier dagegenzuhalten, kommt man mit "High Talk" nicht weiter, dafür muss man sich in die "Niederungen" des Basic und Move Talk begeben. Wer auf eine ruppige Unterbrechung mit wortreichen Erläuterungen antwortet, fängt sich damit nur den nächsten schroffen Kommentar ein, und das geht so weiter, bis er oder sie endgültig aus dem Konzept ist.
Das kann und darf man unhöflich, ungehobelt, unmöglich oder sonst etwas finden – aber das ändert wenig daran, dass die eigene Entrüstung zum kläglich-hilflosen Gezappel im gegnerischen Netz wird. Wenn man Pech hat, ist die Rangordnung dann auf Dauer geklärt – zum eigenen Nachteil. Jedenfalls sofern man es nicht schafft, diesem Gebaren eine deutliche Antwort entgegenzusetzen. Und zwar eine, die ihre Unmissverständlichkeit nicht der Kraft des Arguments verdankt, sondern dem Nachdruck des Auftritts. Sprich, dem eigenen Basic und/oder Move Talk.
Modler macht klar, dass man auf Basic bzw. Move Talk nur mit Basic bzw. Move Talk wirksam antworten kann, wenn einem sein Ansehen lieb ist und man respektiert werden will. (Deshalb bewirkt auch das mal klägliche, mal vorwurfsvolle Einfordern von Respekt, das heute allenthalben ertönt, allzu oft sein genaues Gegenteil: Es unterminiert den Respekt, den man sich erfleht. Letztlich gilt hier die Regel: "Wenn du respektiert werden willst, dann verhalte dich so, dass du respektiert wirst.")
Notwendige Klärung von Rang und Status
"Es ist die Regel, dass Rangfragen schon sehr früh zu Beginn einer Kommunikation im Raum stehen, jedenfalls für Hierarchiefreaks. Sie fühlen sich einfach unsicher oder sogar ausgesprochen unwohl, solange das nicht geklärt ist. Das kann dann sogar aussehen wie die reine Frechheit. Gemeint ist aber oft nur die Bitte: Klär das doch mal! Orientiere mich! Sag mir mal, in welchem Rangverhältnis wir stehen! Sonst muss ich das in einem quälend langen Prozess erst herausfinden …" (S. 107)
Das kommt mir ein bisschen zu säuselig daher. Rang- und Statusfragen werden in der Regel offensiv geklärt – und zwar nicht durch ein Unterwerfungsangebot, sondern indem man versuchsweise eine überlegene Position einnimmt und schaut, ob man damit durchkommt. Dahinter mag ein Orientierungsbedürfnis stecken, vor allem aber steht dahinter der Anspruch auf eine hierarchische Überordnung bzw. Sonderrolle. Will man darin unbedingt eine Bitte sehen, lautete sie wohl eher: Beweise mir, dass du mit- bzw. dagegenhalten kannst! Zeig mir, ob du der gleichen Liga angehörst wie ich oder vielleicht sogar höherrangig bist!
Solche Rang- und Statusklärungen gibt es auch in der "horizontalen Welt". Auch wenn man dort so zu tun verpflichtet ist, als wären alle auf der gleichen Ebene, ist es keineswegs so, dass allen in einer Runde gleich aufmerksam zugehört wird und überhaupt niemand unterbrochen wird. Aber während man dem Praktikanten ins Wort fällt, wenn er "Unsinn redet", würde man sich das bei der Abteilungsleiterin zweimal überlegen, auch wenn sie das gleiche Argument nun schon zum dritten Mal bringt.
Aber in der horizontalen Welt läuft das subtiler, und manches bleibt auch diffuser – doch lässt sich daraus keineswegs ableiten, dass es Geltungsbedürfnis und Überlegenheitsstreben nur in der vertikalen Welt gäbe. Nur trägt man es dort weitaus offener – und ficht es sehr viel unverblümter aus. Aus horizontaler Sicht ist das in unschicklicher Weise unverblümt: "Schrecklich, diese typisch männlichen Rangkämpfe!"
So kann man, politisch korrekt, eine Überlegenheitspose gegenüber Überlegenheitsposen einnehmen. Nur: Nützen tut es nichts. Untergebuttert wird man trotzdem, wenn man nicht mit- bzw. dagegenhält. Das kann man selbstverständlich zutiefst missbilligen und als kindische Spielchen empfinden – trotzdem bleibt einem oft nur die Wahl, ob man mitspielt oder mit sich spielen lässt. Der Versuch, das eigene "horizontale" Sprachspiel gegen die vertikalen Spieler durchzusetzen, endet in aller Regel damit, dass man wie weiland Hillary Clinton ins offene Messer läuft.
Wertvolle praktische Beispiele
Mehr als in seinem neueren Buch Wenn Höflichkeit reinhaut bringt Modler hier praktische Beispiele, von denen man wirklich lernen kann. So stellt er im neunten Kapitel ausführlich ein Beispiel vor, wie eine – namentlich leider nicht genannte – Landtagspräsidentin sich ruhig, souverän und unbeirrbar gegenüber den Flegeleien eines AfD-Abgeordneten durchsetzt. Das ist meisterhaft – das möchte ich auch können, erst recht aus dem Stand!
Einen wichtigen Punkt macht Modler auch im zehnten Kapitel, wenn er "Das Patt als Erfolg" beschreibt. Wann immer Rang- und Statusangriffe erfolgen, ist es gar nicht unbedingt notwendig, den rhetorischen Zweikampf zu gewinnen – es reicht, ihn nicht zu verlieren. Denn ein Angriff, der nicht zum Erfolg führt, ist gescheitert und damit in sich ein Misserfolg, der mit Statuseinbußen des Angreifers einhergeht. Deshalb ist es auch nützlich, das "Patt-Schweigen", das nach gescheiterten Angriffen meist ganz von alleine entsteht, zu erkennen, auszuhalten und – mit amüsiertem Lächeln zu genießen.
Im elften Kapitel schließlich bringt Modler eine Sammlung von "Teflon-Formeln", die "inhaltlich so nichtssagend sind, dass sie jederzeit einsetzbar sind." (S. 170) Und auf die man sich infolgedessen getrost jede inhaltliche Entgegnung schenken kann – und sollte. Lautet die Formel zum Angriff etwa: "So was kapiert niemand", wäre geradezu tollpatschig, darauf mit zusätzlichen fachlichen Erläuterungen zu antworten. Besser etwa: "Das kapiert jeder (der des möchte)." Oder, etwas garstiger: "Es ist meistens ein Fehler, von sich auf andere zu schließen."
Was Modler etwas unpräzise "Teflon-Formeln" nennt, läuft gemeinhin unter der Bezeichnung Killerphrasen – und von ihnen enthält das Kapitel eine ganze Sammlung: "Das kann man auch ganz anders sehen", "Damit überzeugen Sie mich nicht", "Das Leben ist kein Ponyhof" und viele mehr. Da kann man schön für sich zuhause wirksame Entgegnungen entwerfen – und vor allem üben, sorgsam jede inhaltliche Argumentation zu unterlassen.
Notorisches Lügen – eine andere Dimension
Schließlich geht es im zwölften Kapitel um "Die Normalität der Lüge" – und damit natürlich um Trump und seine Schüler von Bolsonaro über Johnson bis Orban. Aber da verwischt Modler in meinen Augen einen fundamentalen Unterschied: Während man alles Bisherige ziemlich wertneutral als einen anderen Kommunikationsstil betrachten kann, der zwar irritierend und bedrängend, aber nicht verwerflich ist, kommt mit dem notorischen und systematischen Lügen eine neue Dimension ins Spiel.
Nach Belieben zu lügen ist, wenigstens nach meiner Überzeugung, nichts mehr, was man als bloße Stil- oder Geschmacksfrage vertreten kann, denn es stellt die Lebensfähigkeit und den Zusammenhalt einer Gemeinschaft in Frage. Trumps vielfach widerlegte Lüge, die Präsidentschaftswahl sei ihm gestohlen worden, kann die USA noch in einen Bürgerkrieg treiben. Generell verschärft systematisches Lügen die politische Polarisierung, spalten die Gesellschaft und vergiften das Klima, zumal, wenn im fortgeschrittenen Stadium jede Seite nur noch die Lügen des eigenen Lagers glaubt.
Gleich ob im Privatleben oder in der Firma, in der Politik oder in der Gesellschaft, notorisches Lügen zerfrisst das Vertrauen, auf das jegliches Zusammenleben und Zusammenarbeiten angewiesen ist. Während ich den Umgang mit vertikal kommunizierenden Mitmenschen ansonsten durchaus als sportlichen und zuweilen sogar unterhaltsamen Wettkampf betrachten kann, ist für mich bei notorischem Lügen der Spaß vorbei.
Auch wenn für den Umgang mit habituellen Lügnern wohl – da hat Modler vermutlich recht – ähnliche Kommunikationsstategien indiziert bzw. kontraindiziert sind wie bei anderen vertikal Kommunizierenden, ist das in diesem Fall nur die taktische Ebene. Die strategische ist: Solche Menschen müssen, wo immer möglich, aus dem Verkehr gezogen werden: Privat durch Beziehungsabbruch, in Unternehmen durch Trennung, und in der Politik – ich verwende das Wort nicht gerne, aber ich fürchte, es geht nicht anders – durch Ächtung.
Tabuisierung habituellen Lügens
Früher mussten Politiker zurücktreten, wenn sie einer vorsätzlichen Lüge überführt werden konnten. Selbst wenn es dabei genau genommen um Nebensächlichkeiten ging. Wir müssen es wieder schaffen, notorisches Lügen mit einem starken Tabu zu belegen, sonst bröckelt das Fundament.
Dazu zählt auch das notorische Lügen von Lobbyorganisationen, die es etwa darauf anlegen, wirksame Maßnahmen gegen Tabak- und Zuckerkonsum oder gegen die Eindämmung der Klimakatastrophe und des Artensterbens aus kommerziellen Interessen heraus zu verhindern oder zu verschleppen – und damit damit nicht nur viele Menschen, sondern im schlimmsten Fall die gesamte Menschheit in tödliche Gefahr bringen.
Im Grunde ist es doch skandalös, dass die verantwortlichen Akteure und Firmen, selbst nachdem ihre Machenschaften öffentlich aufgedeckt wurden, straffrei davonkommen. Stattdessen erscheinen einige Enthüllungsbücher und Fernsehdokumentationen – und nach einer kurzen Welle des entrüsteten Kopfschüttelns gehen Öffentlichkeit und Politik zur Tagesordnung über. Angesichts solcher Incentives ist das eigentliche Wunder vielleicht, dass nicht noch viel mehr gelogen wird.
Auf diese Problematik geht Modler nur ansatzweise ein, aber sie ist auch nicht wirklich der Fokus seines Buchs, in dem das systematische Lügen wohl nur ein dem langen Schatten Donald Trumps geschuldeter Exkurs ist. Abschließend stellt er noch "Zehn goldene Regeln" für den Umgang mit Ignoranten (da sind sie wieder!) vor. Ihnen konnte ich nicht so viel abgewinnen, doch das mögen andere anders empfinden.
Insgesamt trotz einiger Einwände ein nützliches und empfehlenswertes Buch. Es bringt einen dazu, aus einer anderen Warte über Menschen nachzudenken, die anderswo unter der Rubrik "schwierige Gesprächspartner" geführt werden. Vor allem die Unterscheidung von "High Talk", "Basic Talk" und "Move Talk" ist eine praxistaugliche Orientierungshilfe, um daraus Strategien für eine wirksamere Selbstbehauptung abzuleiten.
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