Eigentlich ein Buch über Werbung, aber dank seiner glasklaren Argumentation zugleich ein unverzichtbares Grundlagenwerk zu Marketing und Wettbewerbsstrategie – das nebenbei auch als Wegweiser für Erfolg und Karriere dienen kann.
Empfohlen wurde mir dieses Buch 1986 als frischgebackenem "Beraterlehrling" bei der Boston Consulting Group von Burkhard Wittek, dem damaligen Leiter der Practice Area Consumer Goods. Eine Empfehlung von diesem äußerst anspruchsvollen und kritischen Geist hatte Gewicht, zumal er das Buch als absolute Pflichtlektüre für Strategieberater mit Ambitionen im Konsumgüterbereich bezeichnete. Der Grund für diese Empfehlung hat auch heute noch Bestand: Das 1981 erstmals erschienene Buch erklärt prägnant, anschaulich und auf oftmals amüsante Weise, wie der Wettbewerb um das Bewusstsein der Verbraucher und damit um den Markterfolg funktioniert. Wenn man das Wort "Verbraucher" durch "Chefs" ersetzt, wird "Positioning" zum Karriere-Ratgeber; ersetzt man es durch "Mitarbeiter und Führungskräfte", liefert es wertvolle Impulse für die Veränderungskommunikation.
Der Ausgangspunkt der Argumentation von Al Ries und Jack Trout ist, dass wir in einer "overcommunicated society" leben, in der jedes Jahr gigantische Beträge für Werbung ausgegeben werden: "If you spend $ 1 million a year on advertising, you are bombarding the average consumer with less than a half cent of advertising, spread out over 365 days–-a consumer already exposed to $ 376.61 ½ worth of other advertising." (S. 6) Die einzige Gegenwehr, die dem Gehirn gegen diese "Kommunikations"flut bleibt, ist "Oversimplification". So stellt unser Gehirn bei Themen, die uns weniger wichtig sind, überhaupt nur einen Speicherplatz zu Verfügung, wie Ries und Trout anschaulich belegen: "What's the name of the first person to walk on the moon? Neil Armstrong, of course. What's the name of the second? – What's the name of the highest mountain in the world? Mount Everest in the Himalaya, right? What's the name of the second highest mountain in the world?" (S. 20)
Das ist eine ziemlich schlechte Nachricht für alle, die zufällig nicht die Nummer 1 im Bewusstsein ihrer Zielgruppe sind. Ihnen bleibt die undankbare Rolle des "Me-too" (oder, wienerisch, des "Adabei"): Auch ein hoher Berg. Der dritte, der den Ärmelkanal durchschwommen hat. Noch ein weiterer Pizza-Service. Schon wieder so ein Berater. Genau hier ist der Punkt, wo das Handwerk und die Kunst der Positionierung beginnt. Denn es nützt nichts, zu schreien: "Wir haben auch gute Produkte!" Die einzige Chance, in diesem Dauergeschrei als Nicht-Nummer-1 einen Ankerplatz im Kopf der Kunden zu finden, besteht darin, sich in intelligenter Weise in Relation zum jeweiligen Platzhirsch zu positionieren. So positionierte sich Seven-Up, ein in den USA mittlerweile sehr populäres Erfrischungsgetränk, als "The Un-Cola" – das heißt als die Alternative zu Coca-Cola; dies brachte ihm den Durchbruch im Konsumentenbewusstsein und ergo im Absatz.
Im Beratungsmarkt ist eine solche Positionierung zum Beispiel der Boston Consulting Group hervorragend gelungen. BCG war bei weitem nicht die erste Beratungsfirma auf dem Markt; sie wurde erst 1963 von Bruce Henderson gegründet; damals war McKinsey schon seit 37 Jahren im Geschäft. Aber BCG positionierte sich konsequent als Spezialist für Unternehmensstrategie – und eroberte rasch die Marktführung in dieser Nische. Heute rückt BCG McKinsey immer näher auf den Pelz, und klassische Strategieberatung macht wahrscheinlich weniger als ein Viertel des Geschäfts aus. Dennoch wird sie nach wie vor, und wohl auch zu Recht, als die weltweit führende Strategieberatung wahrgenommen. Und das, obwohl zum Beispiel der Harvard-Professor Michael Porter (Bestseller "Competitive Strategy") und seine Beratungsfirma Monitor ebenfalls massiv in dieses Marktsegment drängt. Aber hier schlägt genau der oben beschriebene Mechanismus zu: Was war noch einmal der Name der zweiten Strategieberatungsfirma? Fachleute wissen natürlich die Antwort, aber wissen es die Kunden?
Positionierung ist eine klare, markante und aus Kundensicht relevante Abgrenzung von Wettbewerb. Das Buch von Ries und Trout strotzt von Beispielen, wie das funktioniert, und es liefert auch klare Beispiele, wie es nicht funktioniert. Mein absoluter Favorit ist die Positionierung von Avis gegen den Marktführer Hertz: "Avis is only no. 2 in rent-a-cars, so why go with us? We try harder." Entscheidend daran ist der Mut zum direkten Vergleich; die Aussage "So we try very hard" hätte nichts gebracht, das wäre bloß ein ziemlich kläglicher "Me-too-Claim" gewesen. Besonders spannend ist, dass sich die Beispiele von Ries und Trout nicht nur auf Firmen beziehen, sondern auch auf Länder, Skigebiete und – die katholische Kirche.
Muss man wirklich all diese Beispiele lesen? Sicher nicht, um das Konzept der Positionierung zu begreifen, denn das ist, wie alle wirklich guten Konzepte, ziemlich einfach. Aber man sollte sie wohl lesen, um das Denken in Positionierung zu verinnerlichen, um sich – auch persönlich! – bewusst zu machen, dass der Weg zum geschäftlichen und sozialen Erfolg über eine klare und markante Positionierung geht. So ärgerlich es ist, der Großteil unser Mitmenschen und potenziellen Kunden hat nicht die Bereitschaft, sich differenziert mit uns auseinanderzusetzen und sich unsere Fähigkeiten detailliert einzuprägen. Da hilft kein Schmollen: Entweder wir schaffen es, prägnant zu sagen, wer wir sind, oder wir sind Bestandteil des Hintergrundrauschens in der "overcommunicated society".
Die Herausforderung einer prägnanten Positionierung gilt keineswegs nur in der Wirtschaft. Es gilt zum Beispiel auch für Verbände, etwa für die sogenannten NGOs – wobei der Begriff NGO (Non-Governmental Organization) selbst eine (eher missratene) Positionierung ist: eine Art bürokratisches Un-Cola, "die Nicht-Regierung". Aber was ist zum Beispiel der Unterschied zwischen Greenpeace, BUND, World Wildlife Fund, Landesbund für Vogelschutz, Umweltbundesamt, Friends of the Earth, Nabu (Naturschutzbund), Unterer Naturschutzbehörde, Bund Naturschutz in Bayern...? Insider wissen es natürlich, aber wer weiß es sonst?
Auch für die interne Kommunikation ist Positionierung ein wichtiges Thema – etwa bei der Zusammenführung von Unternehmenskulturen im Zuge einer Post-Merger-Integration oder bei Projekten zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur. Denn Kundenkontakt hat ja nicht nur die Werbung. Wenn die Mitarbeiter aber nicht so recht wissen, wofür sie und ihr Unternehmen eigentlich stehen und welches Bild sie dem Kunden vermitteln wollen, dann wird es der Kunde auch kaum erkennen. Besonders gefährlich ist, wenn ein Bruch zwischen der "offiziellen" Positionierung eintritt und jener, die die Kunden real erleben. Wenn etwa, wie etwa bei privatisierten Staatsunternehmen wie Telekom oder Bahn, die verkündete Positionierung im Widerspruch zu der erlebbaren steht, einfach weil die Veränderung der Unternehmenskultur einen größeren "Wendekreis" hat als findige Werbeagenturen, wird auch eine noch so clevere Neupositionierung zum Marketingdesaster: Jede Enttäuschung, die der Kunde erlebt, konterkariert die Glaubwürdigkeit der mit hohem Werbeaufwand behaupteten Positionierung.
Das Buch "Positionierung" war eine Zeit lang auch in deutscher Übersetzung verfügbar. Wer jedoch halbwegs brauchbar Englisch kann, für den lohnt es sich kaum, antiquarisch nach der Übersetzung zu suchen, denn das Buch ist in sehr gut lesbarem einfachen Englisch geschrieben. -- Übrigens haben Al Ries und Jack Trout ihrem Bestseller noch eine ganze Reihe weiterer Bücher nachgeschoben – von dem direkten Nachfolger "Marketing Warfare" über "Horse Sense" bis zu "The 22 Immutable Laws of Marketing". Aber keines davon, das ich bisher gelesen oder angesehen habe, reicht in meinen Augen an "Positioning" heran.
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