Ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in professioneller Konfliktmoderation weiterentwickeln wollen. Als Ratgeber zur besseren Bewältigung eigener Konflikte ist es hingegen weder gedacht noch geeignet.
Die Neuausgabe von 2003 unterscheidet sich nur minimal von der 1988 erschienenen Erstauflage. Der um gut 50 Seiten ausgewachsene Umfang erklärt sich hauptsächlich durch ein großzügiges Layout; geringfügig erweitert wurde lediglich die Einleitung. Ansonsten konnte ich keine Erweiterungen oder Veränderungen feststellen, bis auf die Ziffer 1 hinter dem Titel – die es wohl ermöglichen soll, das zweite Buch von Christoph Thomann "Klärungshilfe: Konflikte im Beruf" als Nummer 2 an diesen erfolgreichen Titel "anzudocken". (So wie bei Schulz von Thuns Buch "Miteinander Reden", das irgendwann einmal auch die Ziffer 1 angehängt bekam und mittlerweile zwei weitere Bände im Schlepptau führt.) Wer eine ältere Ausgabe besitzt, für den gibt es aber keinen Grund, sich die Neuausgabe zu kaufen; dies hätten Autoren und Verlag ruhig deutlicher sagen können.
Inhaltlich bestand für eine grundlegende Überarbeitung allerdings auch kein Anlass, denn das Buch war schon in der Erstausgabe ein großer Wurf. Es entstand im Rahmen von Christoph Thomanns Promotion bei Prof. Schulz von Thun, die im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts zum Ziel hatte, "eine 'Theorie der Klärungshilfe' zu entwickeln, die das Handeln eines kompetenten Gesprächshelfers zu erklären in der Lage ist und zugleich einen Orientierungsrahmen für einen Ausbildungsgang bieten kann." (S. 17) Trotz dieses Forschungshintergrunds muss niemand einen trockene, angestrengt um den Nachweis wissenschaftlicher Ehr-Würdigkeit bemühte Lektüre befürchten: Das Buch ist nicht die Druckfassung der Dissertation, sondern eine eigenständige Veröffentlichung, die nachträglich entstanden ist und eine leicht lesbare, anschauliche und praxisorientierte Einführung in das Handwerk der Konfliktmoderation bietet. Allerdings konzentriert es sich ausschließlich auf Familien- und (in erster Linie) Partnerschaftskonflikte; erst der oben erwähnte künftige Band 2 befasst sich mit beruflichen Konflikten sowie mit Konflikten in größeren sozialen Systemen.
Die Erkenntnisse dieses Forschungsprojekts entstanden aus einer "In-Vivo-Supervision": "Unsere Rollenverteilung war meist derart, dass Christoph Thomann die Gespräche führte und Friedemann Schulz von Thun im selben Raum am Schreibtisch saß, sich Notizen machte und nach Ende des Gespräches eine gemeinsame Auswertung leitete (...) Auf diese Weise wurden nahezu 50 Sitzungen auf Tonband und (überwiegend auch) auf Video gespeichert, zusätzlich wurden Protokolle angefertigt und später Nachbefragungen durchgeführt". (S. 18)
So praxisorientiert wie der Forschungsansatz ist auch das Buch. Dabei erweist sich als unschätzbarer Vorteil, dass Thomann zum Zeitpunkt seiner Promotion kein frischgebackener Diplom-Psychologe mehr war, sondern bereits ein erfahrener "Klärungshelfer", sprich Ehe- und Familientherapeut. Das Buch enthält zahlreiche ausführliche Auszüge aus den Gesprächen, die zum Teil so spannend zu lesen sind, dass man dabei zuweilen die Struktur des Buchs aus den Augen verliert. Auch wenn man etliche eigene Erfahrung aus der Moderation von Konflikten mitbringt, kann man aus diesen Beispielen eine Menge lernen.
Die Gliederung des Buchs orientiert sich an einem "Vier-Felder-Modell der Klärungshilfe", das in seiner einen Dimension zwischen "Individuum" und "System" unterscheidet und auf der anderen zwischen "Prozess" und "Struktur". Das mag auf den ersten Blick akademisch klingen; bei näherer Auseinandersetzung liefert es jedoch eine schlüssige Systematik für die zu klärenden Themen.
Der erste Quadrant (und oft auch der erste Schritt im konkreten Vorgehen) ist die "Selbstklärung". Hier bemüht sich der Klärungshelfer zusammen mit dem einzelnen Klienten darum, einzelne Vorgänge auszuleuchten, "sei es im 'Hier und Jetzt' oder in der Rückbetrachtung wichtiger Schlüsselszenen 'Dort und Damals'." (S. 25 f.) "Hilfe zur Selbstklärung ist Hilfe zur Authentizität. Und Authentizität ist in nahen Beziehungen sowohl ein Ziel in sich selbst als eine Voraussetzung für Beziehungsklärungen." (S. 27) Weiter geht es mit der "Kommunikationsklärung"; darin geht es um den aktuellen Prozess zwischen den beteiltigten Personen, also innerhalb des Systems.
"Im dritten Quadranten (Individuum / Struktur) geht es um die Aufhellung der Persönlichkeitsstruktur und der individuellen Eigenarten; im therapeutischen Kontext ebenso um die Aufhellung und Nachbearbeitung biographischer Schlüsselszenen. Die Frage lautet für jeden Gesprächspartner: Was bin ich für einer, wie bin ich zu dem geworden, welche persönlichen Gesetze sind mir eigentümlich? (...) Im Kontext der Berufswelt liegt der Akzent statt auf der Persönlichkeitsklärung mehr auf der Rollenklärung: Wie definiere ich meine Rolle, was sehe ich als meine Aufgabe an (und was nicht), und wie ist meine Art, diese Rolle zu gestalten?" (S. 29) Die Systemklärung schließlich (System / Struktur) befasst sich mit der "Interaktionsstruktur, die sich im Laufe der Zeit eingespielt und zu Regelhaftigkeit verfestigt hat." (S. 30)
Auf diese Weise bewirkt der Weg durch die vier Felder zugleich einen wachsenden Abstand von der Tagesaktualität; der Blick wandert von der momentanen Betroffenheit zu einer übergeordneten Gesamtsicht. Damit entspricht er dem Fortschreiten des Klärungs- und Entwicklungsprozesses bei den Klienten: Sie gewinnen Distanz zu ihrer akuten Symptomatik und Einblick in ihre eigene Systemdynamik; das ermöglicht ihnen Veränderungen und Neuentscheidungen. Durch die zahlreichen Gesprächsbeispiele und die ausgesprochen konkreten, handfesten Erläuterung wird dieser Entwicklungsprozess anschaulich und gut (be)greifbar.
Ergänzend zu dem Vier-Felder-Modell, das das Herzstück des Buchs ausmacht, behandeln die Autoren zwei zusätzliche Aspekte, nämlich die Moderation schwieriger Gespräche sowie die "Belehrung" (im Sinne einer humanistischen und systemischen Neuorientierung). In dem Kapitel über Moderation verweisen sie bescheiden (und eigentlich zu Unrecht) auf andere Moderationsbücher, doch was sie da auf 23 Seiten über die Moderation von Konfliktgesprächen sagen, geht weit über das hinaus, was man anderenorts nachlesen kann. Dies gilt sowohl für die Ablaufstruktur des Gesprächs als auch für technische und taktische Aspekte wie etwa das Thema "Strukturierung und Oberhandsicherung" (S. 51).
In dem abschließenden kurzen Kapitel "Aufklärung und Wertevermittlung" machen Thomann und Schulz von Thun deutlich, dass Konfliktklärung unweigerlich auch die Vermittlung von Werten sowie eines Menschenbilds einschließt. Sie erläutern auch, auf welche Weise dies geschieht: zum Beispiel durch "Anreicherungen" der Klientenaussagen, veränderte Bezugsrahmen, Bilder, Umdeutungen – aber auch durch kleinere Lektionen ("Predigten") im Zuge des Gesprächs.
Am deutlichsten wird solche Wertevermittlung natürlich dort, wo man als Leser die Welt anders sieht. Etwa dort, wo Thomann einem Klienten, der immer wieder "verrutscht", sich betrinkt und dann sein Geld in Spielhöllen verspielt, das Bild von einem "Obermann" und einem "Untermann" anbietet: "Der 'Untermann' bestimmt den Lauf der Dinge. Der 'Obermann' ist der Aufrechte, der jetzt in der Sitzung das Sagen hat, Vorsätze fasst, vernünftig ist, nicht mehr trinken und nicht mehr spielen will (...) Alkohol setzt den 'Obermann' außer Kraft, der 'Untermann' übernimmt das Steuer." (S. 226 f.) Das ist zwar enorm entlastend für den Klienten, aber es nimmt ihm mit der Verantwortlichkeit für sein Handeln zugleich auch die Kontrolle über sein Leben – und macht alles Weitere unglaublich kompliziert: Dadurch wird es erforderlich, mit dem "Untermann" in Kontakt zu kommen, (was auch immer das bedeutet), um die Situation verändern zu können. Doch diese Kritik ist kein wirklicher Einwand gegen das Buch – sie zeigt nur, wie wichtig die Wertediskussion auch mit bzw. unter Beratern, Moderatoren und Therapeuten ist.
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