Ein äußerst spannender Forschungsbericht, der unseren vielfältigen Schwierigkeitem beim Umgang mit komplexen Problemstellungen nachgeht. Gut, anregend und teilweise amüsant zu lesen, aber als Praxisratgeber weder gedacht noch geeignet.
Der Bamberger Professor Dietrich Dörner hat einen eigenen Forschungsansatz in der Kognitiven Psychologie entwickelt: Er untersucht menschliches Denken nicht, wie bislang üblich, in hoch strukturierten, aber ziemlich lebensfernen Denkaufgaben wie dem berühmten "Turm von Hanoi" oder dem noch berühmteren Gefangenendilemma, sondern anhand hoch komplexer Aufgaben wie der Leitung eines Entwicklungsprojekts oder der politischen Führung einer Kleinstadt. Um die Dimension dieses Unterschieds zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass es bei den klassischen Denkaufgaben ein glasklares, eindimensionales Ziel, eindeutige, transparente Rahmenbedingungen und ebenso eindeutige, unerbittlich klare Spielregeln gibt. In Dörners Forschungsszenarien hingegen ist das genaue Gegenteil der Fall: Die Ziele sind mehrdimensional und unklar, die Rahmenbedingungen intransparent, die Spielregeln nicht eindeutig festgelegt – und zu allem Übel ist das System dynamisch, das heißt es wartet nicht still auf den nächsten Spielzug, sondern ist in permanenter Bewegung. Gerade so wie im richtigen Leben, und besonders wie im Management. So schwierig es ist, in solch einem Umfeld systematische Forschung zu betreiben, so gespannt darf man auf deren Ergebnisse sein, denn sie versprechen, wirklich praxisrelevant zu sein. Das sind sie denn auch, und noch dazu von großer Tragweite.
Das Buch beginnt mit einem dezenten Paukenschlag: Zwei selbstbewusste Manager, ein Volkswirt und ein promovierter Physiker, schaffen es innerhalb von zwei Stunden, den am Rande der Sahelzone lebenden Volksstamm der Moros in eine Hungerkatastrophe zu wirtschaften. Ihre Ausgangssituation ist ein zwar unbefriedigender, aber halbwegs stabiler Zustand mit hoher Säuglingssterblichkeit und hoher Abhängigkeit der Nahrungsversorgung von der Ergiebigkeit der Regenfälle. Anfänglich gelingt es den beiden Managern, die Situation deutlich zu verbessern, indem sie die medizinische Versorgung ausbauen, die Tsetsefliege bekämpfen und durch Tiefbrunnenbohrungen die Wasserversorgung voranbringen; das führt zu einem raschen Anwachsen der Rinderbestände, zu einem Exportüberschuss bei Hirse und zu steigenden Bevölkerungszahlen. Doch gerade diese Erfolge führen in Summe dazu, dass die natürlichen Ressourcen überbeansprucht werden und die Situation umkippt – die Katastrophe ist unausweichlich.
Zum Glück für die geschundenen Moros existiert "Moroland" nicht wirklich, sondern bloß in einer Systemsimulation von Dörners Bamberger Forschergruppe. Sie ermöglicht es, 20 Jahre Entwicklung in zwei Stunden zu durchmessen und so die Folgen der eigenen Entscheidungen – und vor allem die Folgen von deren Folgen – im Zeitraffer zu erleben. Das ist ein großer Gewinn, denn ein zentrales Problem im Management – und ganz besonders auch bei Veränderungsprozessen – ist, dass zwischen unserem Handeln und dessen Folgen oft erhebliche Verzögerungen liegen. Da wir die Wirkungen nicht unmittelbar erleben, erkennen wir allzu oft das Echo unseres eigenen Handelns nicht wieder. Zwar ist es im Nachhinein immer leicht, bereits eingetretene Ereignisse vorherzusagen. Realität ist jedoch, dass wir in der Praxis sehr häufig nicht vorhersehen, was im Nachhinein eigentlich leicht vorherzusehen gewesen wäre.
Das ebenso spannende wie lehrreiche Buch arbeitet nicht nur plastisch heraus, wie höllisch schwer sich unsere Gehirne – die die Evolution offenkundig für andere Zwecke konstruiert hat – sich mit Komplexität, nichtlinearen Zusammenhängen und zeitversetzten, "schwingenden" Systemen tun, sondern es entwickelt tatsächlich, wie es der Titel verspricht, eine "Logik des Misslingens" (oder zumindest große Bauquader dafür). Anhand zahlreicher Simulationen und Beispiele macht Dörner klar, nach welchen Regeln wir uns irren, oder genauer: die Kontrolle über die Komplexität verlieren, der uns das Leben zuweilen aussetzt – besonders bei dem Versuch, soziale oder technische Systeme zu steuern. So untersucht er die Gesetzmäßigkeiten des "menschlichen Versagens" auch am Beispiel der fast vergessenen Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Wobei seine Analyse frei von jeder politisch-moralischen Wertung ist – er beschreibt schlicht, wie die Mitarbeiter jener "Unglücksschicht" gehandelt haben und was die psychologischen Gesetzmäßigkeiten dahinter sind. Dennoch führt das unweigerlich auch zu der politischen Erkenntnis: Es gibt keine "sicheren" Systeme, an deren Betrieb Menschen beteiligt sind.
Eine von Dörners ergiebigsten Simulationen ist die Kleinstadt "Lohhausen", deren Schicksal maßgeblich von der städtischen Uhrenfabrik geprägt ist. Deren fiktive Bürgermeister machten höchst unterschiedlichen Gebrauch von ihren beinahe diktatorischen Vollmachten. Den wenigsten gelingt es, ihre Stadt zu Wohlstand und Blüte zu führen; die meisten gehen vor der Komplexität der Aufgabe in die Knie. Ein typisches Reaktionsmuster der wenig Erfolgreichen ist, sich aus dem Feld möglicher Aufgaben diejenigen herauszusuchen, die besonders augenfällig sind, ihnen von ihrer Vorbildung her vertraut sind oder besonders am Herzen liegen – und alle übrigen liegen zu lassen. Im Extrem kann das bis zur "Verkapselung" in Spezialfragen reichen, die für das große Ganze völlig belanglos sind. Verwandt damit ist, was Dörner "Adhocismus" nennt, das heißt ein hochgradig reaktives, sprunghaftes Verhalten, das sich letztlich aus einem Mangel an eigener Orientierung ergibt.
Ein zentrales Misserfolgsmuster ist nach Dörner die "Überwertigkeit (oder Alleinwertigkeit) des aktuellen Motivs". Mit fatalen Folgen: "Menschen kümmern sich um die Probleme, die sie haben, nicht um die, die sie (noch) nicht haben. Folglich neigen sie dazu, nicht zu bedenken, dass eine Problemlösung im Bereich A eine Problemerzeugung im Bereich B darstellen kann." (S. 78/79) Das hat Konsequenzen: "Wenn man sich um die Probleme, die man nicht hat, nicht kümmert, dann hat man sie bald." (S. 127) Die Übergewichtigkeit des aktuellen Motivs ist die Folge mangelnder Zielklarheit: "Sie (die fiktiven Bürgermeister) nehmen das Ziel 'Wohlergehen' und handeln. Besser gesagt: sie wursteln los. Die Nichtaufteilung eines Komplexzieles in Teilziele aber führt fast notwendigerweise zu einem Verhalten, welches man 'Reparaturdienstverhalten' nennen könnte. Da die 'Bürgermeister' über eine klare Vorstellung dessen, was mit 'Wohlergehen' eigentlich gemeint ist, nicht verfügen, wird nach Misständen gesucht. Und die Beseitigung irgendeines gefundenen Missstands wird zum aktuellen Ziel." (S. 88)
Die Übergewichtigkeit des aktuellen Motivs kann auch zu einem Pendeln zwischen Problemen führen: Wer rasende Kopfschmerzen hat, akzeptiert bereitwillig ein Medikament, das als Nebenwirkung Bauchschmerzen hat. doch wenn er erst eine Weile unter Durchfall und Bauchkrämpfen gelitten hat, nimmt er gern ein Mittel, das zu Kopfschmerzen führen kann. Dazu Dörner: "Nicht erkannte kontradiktorische Verhältnisse zwischen Teilzielen führen zu einem Handeln, welches notwendigerweise das eine Problem durch das andere ersetzt. Es ergibt sich ein Zwickmühlenzustand. Man löst Problem X, erzeugt dadurch Problem Y. – Und wenn nur die Zeiten zwischen den einzelnen Problemlösungen lange genug sind, so dass man vergessen kann, dass das zweite Problem ein Produkt der ersten Problemlösung war, (...) so wird sicherlich jemand kommen, der für die jeweils aktuellen Probleme die alten Lösungen vorschlägt, ohne dass ihm noch bewusst ist, dass dies Probleme erzeugen wird, die genauso gewichtig sind wie die, die beseitigt worden sind." (S. 101) Auch hier liegen politische Parallelen näher als uns allen lieb sein kann.
Die "erweiterte Neuausgabe" von 2003 ist inhaltlich weitestgehend identisch mit der Erstausgabe von 1989. Lediglich ein kurzes, aber wichtiges Kapitel 8 "Die Gruppe" wurde eingefügt. Denn es ist ja in der Tat so, dass komplexe Probleme selten im Alleingang bearbeitet werden. Damit kommt zu allem Überfluss auch noch die Gruppendynamik ins Spiel und bringt zusätzliche Chancen, aber auch zusätzliche Risiken in den Problemlösungsprozess ein. Leider wurde der große Rest des Buchs nicht überarbeitet, was besonders augenfällig auf S. 314 wird: "(Als dieser Abschnitt geschrieben wurde, war die Untersuchung noch nicht fertig. Wir haben also eine Vorauswertung durchführen müssen, die jeweils 15 Personen aus beiden Gruppen umfasst.)" Vermittelte diese Klammer in der Erstausgabe noch das Gefühl, unmittelbar den Puls der Forschung zu spüren, so hinterlässt er 15 Jahre später die leise Enttäschung, dass das Buch weitgehend auf dem Stand von 1993 stehengeblieben scheint. Schade, denn es wäre von brennendem Interesse zu erfahren, welche neuen Erkenntnisse auf diesem äußerst spannenden Forschungsgebiet seither hinzugekommen sind. Dennoch: Uneingeschränkte Empfehlung für alle, die unser Problemlöseverhalten gerne etwas tiefer verstehen wollen!
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