Zwanzig kurze, lebensnahe Fallstudien zu interkulturellen Spannungssituationen bilden das Herzstück dieses Bändchens. Ergänzt werden sie durch eine Übersicht über gängige Kulturmodelle und -theorien sowie durch einiges weniger nützliche "Beiwerk".
Die 20 Beispielfälle beschreiben Konflikt- und Spannungssituationen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen, von Frankreich über Libyen bis China. Sie sind überwiegend sehr anschaulich dargestellt; man kann sich als Leser gut in die Situationen hineindenken und erlebt auf diese Weise einige der Gefühle mit, die uns Deutschen beim Versuch der produktiven Zusammenarbeit mit anderen Nationen und Kulturen begegnen können: von absoluter Ratlosigkeit über Frustration und Verzweiflung bis hin zu blanker Wut. Und je besser man die Situationen nacherleben kann, desto gespannter liest man auch die anschließenden Erläuterungen, die freilich von unterschiedlicher Qualität sind: manchmal wirklich erhellend, manchmal aber auch etwas platt, akademisch oder wenig überzeugend.
Dennoch sind solche Mini-Fallstudien wahrscheinlich eine der besten Methoden, sich auf den Umgang mit anderen Kulturen vorzubereiten: Denken ist schließlich mentales Probehandeln, und was sollte einen besser auf den Umgang mit fremden Kulturen vorbereiten als die probeweise mentale Auseinandersetzung mit möglichen Konflikt- oder Spannungssituationen. Zwar haben solche Beispiele immer auch eine Zufalls- und eine Persönlichkeitskomponente und werden einem deshalb so in ihrer Reinform wahrscheinlich nie begegnen; dennoch eignet sich die Beschäftigung mit ihnen gut, um andere Denk- und Handlungsweisen für möglich halten zu lernen und eigene Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen.
Das birgt auch die eine oder andere Irritation, die umso tiefer geht, je länger man darüber nachdenkt. Spontan ist man natürlich geneigt, das Verhalten anderer Kulturen an den eigenen Maßstäben zu messen und sich bei befremdlichen Verhaltensweisen innerlich zu sagen: Möglich ist sicherlich vieles auf der Welt, aber effizient, so effizient wie "unser" Vorgehen, ist es natürlich nicht. Aber beim Nachdenken kommen Zweifel: Wie kommt es dann, dass die "Oberflächlichkeit" der Amerikaner unserer deutschen Gründlichkeit vielerorts Paroli bieten kann oder uns gar übertrifft? Wie kommt es, dass der intellektuell-abgehobene und dazu äußerst hierarchische Führungsstil der Franzosen auch zu brauchbaren Ergebnissen führt? Wie ist es zu erklären, dass bei der Harmoniesuche und der beinahe zwanghaften Konfliktvermeidung vieler asiatischer Völker jemals mehr herauskommt als verspätete lauwarme Kompromisse?
Vor diesem anregenden Kapitel, das mit 72 Seiten den Großteil des Bändchens ausmacht, findet der Leser einen "Leitfaden zum Verständnis interkulturellen Handelns". Richtig, in Deutschland muss vor der Praxis die Theorie kommen, doch mit 26 Seiten macht es die Berliner Professorin Marion Festing relativ gnädig. Sie referiert die gängigen Kulturkonzepte und -theorien von Hofstede über Trompenaars bis Hall, findet aber nicht den Mut zu einer Integration, sondern endet mit zwei Tabellen, die eine (schwer verständliche) Vorschau auf die nachfolgenden Fallstudien geben.
Vor allem dem wenig auslandserfahrenen Leser ist zu empfehlen, nicht mit dieser Theorie-Darstellung zu beginnen, sondern mit den praktischen Fallstudien. Wer einige davon gelesen hat, wird ganz von alleine das Bedürfnis verspüren, die unterschiedlichen Kulturen und ihre Besonderheiten zu systematisieren. Und dann ergeben die theoretischen Modelle auf einmal Sinn.
Die beiden letzten Kapitel "Interkulturelle Kompetenz als Erfolgsfaktor – Schlussfolgerungen" und "Internationalisierung und kein Ende?!" kann man meines Erachtens getrost überspringen, ohne seinem Verständnis von interkulturellem Management einen bleibenden Schaden zuzufügen: trocken, unkonkret und frei von kontraintuitiven Aussagen. Ja klar, die Bedeutung der interkulturellen Kompetenz muss Konsequenzen für das Personalmanagement haben. Und zwar nicht nur auf der Konzeptebene, wo Festing etwas unergiebig die Zielebenen "Können", "Wollen" und "Dürfen" unterscheidet. Vielmehr muss man diese Kompetenzen auch entwickeln, und dafür können – na so was! – interkulturelle Trainings nützlich sein.
In diesem Teil machen sich die Schwächen des Buchs bemerkbar: Die Autoren – schamhaft in Fußnoten genannt – wechseln von Abschnitt zu Abschnitt, und obwohl (oder gerade weil) sie sich diszipliniert an ihre (Teil-)Themen gehalten haben, sind die Abschnitte nicht wirklich aufeinander bezogen, sondern wirken merkwürdig zusammenhanglos. Zudem konnte oder wollte sich die Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP) als Herausgeber offenbar nicht entscheiden, welche Zielgruppe sie mit dem Bändchen ansprechen wollte: Führungskräfte, die sich auf einen Auslandseinsatz vorbereiten, oder Personalmanager, die solche Führungskräfte vorbereiten und betreuen. Infolgedessen wird es keiner Zielgruppe wirklich gerecht: Für "werdende Expats" sind vor allem die beiden letzten Kapitel geeignet, viele Vorurteile über Personalleute zu bestätigen; für Personaler bringen sie ebenfalls wenig, weil sie nicht handfest und konkret genug sind.
Für eine Neuauflage wäre dem Herausgeber der Mut zu wünschen, sich voll auf eine Zielgruppe zu konzentrieren. Es wäre doch ausgesprochen nützlich – und damit zugleich brillantes Marketing für die DGFP –, wenn Personalmanager zukünftigen Expats zur ersten inneren Vorbereitung auf ihren Auslandseinsatz ein kompaktes Buch in die Hand drücken könnten, das ihnen ein erstes und teilweise schockierendes Gefühl dafür gibt, wie unterschiedlich quer über die Welt die unhinterfragten Selbstverständlichkeiten aussehen und welche Missverständnisse, Konflikte und Belastungen sich daraus ergeben können. Solch ein Buch würde mit Sicherheit auch dabei helfen, den betreffenden Managern und ihren Lebenspartnern die Notwendigkeit zu einer intensiven interkulturellen Vorbereitung zu vermitteln.
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