Ausgezeichnete Einführung in die japanische Businesskultur, die auch den dort stattfindenden Wertewandel berücksichtigt. Empfehlenswert für alle, die sich auf einen geschäftlichen Japanaufenthalt vorbereiten oder beruflich mit Japanern zu tun haben.
Als ich vor Jahren bei einem weltweiten Projektleitertraining einer internationalen Beratungsfirma einen Konfliktmanagement-Workshop hielt, verwendete ich als Fallbeispiel einen aus deutscher Sicht ganz normalen Teamkonflikt: Ein Teammitglied (das sich aufgrund eines vorausgegangenen Vorfalls übergangen und missachtet fühlt) stört den Arbeitsfortschritt der Gruppe mit zynischen und destruktiven Bemerkungen. Nach dem Schweregrad dieses Konflikts gefragt, fanden ihn die Deutschen und Holländer kaum der Rede wert (mit dem impliziten Vorwurf, weshalb ich solch ein läppisches Beispiel überhaupt verwendete). Die Australier und Skandinavier stuften den Konflikt etwas höher ein, die Briten und Amerikaner noch etwas höher, und die Franzosen und Italiener konnten sich nicht einigen.
Nur die beiden Japaner beteiligten sich nicht an der Diskussion. Als ich sie direkt nach ihrer Meinung fragte – was nach der Lektüre dieses Buchs ein mittlerer Fauxpas war –, meinte der eine ausweichend, er könne sich eine solche Situation schlecht vorstellen; ein solches Verhalten sei in Japan undenkbar. Und sein Kollege fügte mit mühsam unterdrücktem Ärger hinzu: "If someone would behave like this we would fire him!" Nun war die Gruppe alarmiert: Was hatte diese Überreaktion der sonst so harmonieorientierten Japaner ausgelöst? Die beiden Kollegen versuchten zu erklären, dass jemand sich mit solch einem Verhalten außerhalb der Gruppe stelle und sich als unreif und charakterschwach erweise. Wir "Westler" vernahmen das mit Staunen und Befremden, aber verstanden haben wir es nicht. Auch mir persönlich blieb die innere Logik der japanischen Reaktion unzugänglich.
Nach der Lektüre von "Business With The Japanese" erscheint mir dieser Vorfall in einem neuen Licht. Ich verstehe plötzlich, weshalb sich die beiden japanischen Kollegen die Ausgangssituation kaum vorstellen konnten – und weshalb sie so schroff darauf reagierten. Offenbar macht die hohe Bedeutung von Harmonie und Einordnung des Einzelnen in die Gemeinschaft, welche die gesamte japanische Gesellschaft und Erziehung durchziehen, ein solches Verhalten tatsächlich äußerst unwahrscheinlich – und zugleich völlig inakzeptabel. Was uns als Ausdruck von persönlichem Unbehagen erscheint, der in Besprechungen zwar nervig, aber keineswegs ungewöhnlich und erst recht nicht indiskutabel ist, wäre in Japan ein Zeichen dafür, dass jemand die grundlegenden Werte des Zusammenlebens nicht verinnerlicht hat. Angesichts der zentralen Werte der japanischen Kultur ist es in der Tat undenkbar, dass ein Teammitglied die Gruppe für seine Frustration bestraft. Vor diesem Hintergrund ist die scharfe Reaktion der japanischen Kollegen nicht nur nachvollziehbar, sondern logisch.
Wie das Beispiel zeigt, gelingt es Iris Kuhnert in diesem schmalen, aber äußerst informativen Bändchen, den Leser mit zentralen Aspekten der japanischen Kultur vertraut zu machen. Es macht auch sichtbar, worin der Nutzen einer solchen Beschäftigung mit einer fremden Kultur liegt: Unverständliches (und damit immer auch verunsicherndes, bedrohliches) Verhalten wird durch ein Kennenlernen der Kultur verständlich und nachvollziehbar. Solange man die Wertewelt der anderen Seite nicht versteht, stolpert man zwangsläufig von einer (meist unangenehmen) Überraschung zur nächsten und kann immer nur reagieren und hoffen, dass seine improvisierte Reaktion die Situation rettet – oder sie zumindest nicht weiter verschlimmert. Weil man nicht ständig in Fettnäpfchen treten will, wird man vorsichtig, möglicherweise sogar übervorsichtig – was der eigenen Handlungsfähigkeit abträglich ist. Versteht man die kulturellen Hintergründe und Spielregeln dagegen, kann man sehr viel zielsicherer agieren, denn dann (und nur dann) kann man realistische Erwartungen darüber entwickeln, wie die Mitglieder der anderen Kultur auf die eigenen Aktionen reagieren werden.
Glücklicherweise habe ich meine Lektüre nicht mit der Einführung begonnen, denn sonst wäre ich bis zu diesen Erkenntnissen vielleicht gar nicht gekommen. Sie ist ein angestrengter Versuch, den Lesern (die sich doch offensichtlich für die japanische Geschäftskultur interessieren, sonst hätten sie das Buch nicht aufgeschlagen) zu erklären, warum das Thema wichtig ist und sie sich dafür interessieren sollten. Auch das zweite Kapitel "Grundsätzliches vornweg" changiert noch zwischen anschaulichen Beispielen ("Die Ampel ist blau") und blutleerer Belehrung: "Der Erwerb interkultureller Handlungskompetenz ist ein Lernprozess, bei dem Sie die Situation und sich selbst immer wieder hinterfragen und eine passende Handlungsalternative auswählen müssen." (S. 015) Es folgt ein dreistufiges Modell, auf das die Autorin erfreulicherweise nicht mehr zurückkommt, und eine Reihe von Ratschlägen, für die man eigentlich dem Lektor eine Abmahnung erteilen müsste: "Verstellen Sie sich nicht, sondern trainieren Sie Ihre Kompetenz in Sachen Kommunikation und Emotionale Intelligenz." (S. 017)
Aber dann geht es richtig los. Unter der kryptischen Kapitelüberschrift "Business made in Japan" folgt eine sehr lebensnahe Fallstudie über ein deutsches Unternehmen, das über einen Vermittler eine Geschäftsbeziehung zu einer japanischen Firma aufbauen möchte und dabei allerhand irritierende Erfahrungen macht. Natürlich mündet die Geschichte in ein Happy End, aber bis es soweit ist, hat man schon einiges gelernt – unter anderem, dass Vermittler für die Beziehungen zu japanischen Unternehmen eine viel größere Bedeutung haben als bei uns, weil sie erstens für beide Seiten Garanten der Vertrauenswürdigkeit sind und zweitens bei Konflikten beiden Seiten helfen, die Harmonie und das Gesicht zu wahren.
Das folgende Kapitel "Gruppenorientierung in Japan" (huch, eine deutsche Überschrift!) erläutert auf sehr anschauliche und überzeugende Weise, welche zentralen Werte und Überzeugungen hinter dem Verhalten der Japaner stehen. Und siehe da: Ihr unverständliches, stellenweise geradezu bizarres Verhalten wird auf einmal schlüssig. Es ist keine abgehobene Kulturtheorie, sondern ausgesprochen handfest, wenn Kuhnert zum Beispiel erläutert, welche Faktoren in Japan den Status einer Person bestimmen. Da das Geschlecht dort nach wie vor deutlich größeres Gewicht hat als bei uns, schließt sie konkrete Tipps an, wie ausländische Geschäftsfrauen in Japan vorgehen sollten, um statusmäßig richtig eingeordnet zu werden. (Ich übersehe dabei – man lernt ja dazu – mit beinahe schon japanischer Höflichkeit den Tipp: "Nutzen Sie Ihre Emotionale Intelligenz." (S. 034))
Zentrale Werte vermittelt die Autorin auch in dem Kapitel "Kommunikation". Dort geht es um "Honne" (innere Überzeugung) und "Tatemae" (Wahrung der Form), die dazu führen, dass es in Japan zwei völlig getrennte Kommunikationsebenen gibt: Einerseits förmliche Meetings, in denen niemand eine eigene Meinung äußern würde und wo im Grunde nur bereits vorbesprochene Entscheidungen abgesegnet werden; andererseits informelle Kontakte, wo Japaner durchaus ihre wirkliche Meinung äußern – weshalb man gerade auch als Fremder solche Gelegenheiten aktiv suchen und nutzen muss. Weiter geht es um "Haragei", was, wenn ich es richtig verstehe, die Fähigkeit ist, nicht ständig reden zu müssen, sondern zwischendurch auch mal nachzudenken, sowie um Konflikte und deren harmonieorientierte Bewältigung.
Im 6. Kapitel beschreibt Kuhnert den japanischen Managementstil. Er ist geprägt von "Jinmaku", der Pflege eines (möglichst großen und festen) Netzwerks von Beziehungen, sowie von "Amae", einer mütterlichen Fürsorge des Hierarchiehöheren für seine Schäflein – gleich ob es sich dabei um Mitarbeiter oder um Lieferanten handelt. In diesem Zusammenhang finde ich es äußerst sympathisch, dass es in Japan einem vernichtenden moralischen Urteil gleichkommt, wenn über einen Manager (oder ein Unternehmen) gesagt wird, dass er (es) "nur an Zahlen interessiert ist". Das kommt dem Vorwurf der Egozentrik gleich: Sich selbst und die eigenen Interessen wichtiger zu nehmen als die Gemeinschaft und nicht auf Ausgleich und Harmonie bedacht zu sein. Wer in diesem Ruf steht, vor dem hütet man sich und wird keine Geschäfte mit ihm machen. Klar, dass in solch einer Kultur auch Verträge einen anderen Stellenwert haben als bei uns oder gar in den USA: Wo die gesamte Kultur auf Win-Win-Beziehungen ausgerichtet ist, muss man sehr viel weniger formalen Absicherungsaufwand betreiben.
Das Buch schließt mit einem "kleinen Japan-Knigge", in dem Kuhnert sehr nützliche Tipps zu praktischen Aspekten des Alltags gibt – von "Verbeugung oder Handschlag" bis zu "Trinkgeld". Fazit: Sehr empfehlenswert – nicht nur für Japanreisende, sondern für alle, die ihr Verständnis für fremde Kulturen erweitern und ihre eigenen Selbstverständlichkeiten überprüfen wollen.
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