Die deutschen "kulturellen Eichungen" weichen weit stärker von denen unserer östlichen Nachbarn ab als man aufgrund der räumlichen Nähe und der gemeinsamen Geschichte vermuten könnte. Was für eine Zusammenarbeit erhebliche Konfliktpotenziale birgt.
Wenn man darüber nachdenkt, wie man die Zusammenarbeit mit Osteuropäern verbessern und sich besser auf die dortige Mentalität einstellen kann, hat man schon den ersten Fehler gemacht. Denn Polen, Tschechen, Ungarn verstehen sich keineswegs als Osteuropäer: Osteuropa ist für sie Russland bzw. der russisch-orthodoxe Teil Europas. Nach ihrem Selbstverständnis sind sie Mitteleuropäer – und haben dabei die Geschichte auf ihrer Seite. (Daher auch die seltsame Regionenbezeichnung in der Überschrift, die wegen ihrer Sperrigkeit aber wohl auch noch nicht das letzte Wort sein kann.) Angesichts ihrer hohen Beziehungsorientierung und der leichten Kränkbarkeit kann die Einordnung als "Osteuropäer" mehr sein als ein kleiner Fauxpas; sie kann als eine Art "Wegschieben" empfunden werden.
In ihrem kurzen Artikel beschreibt die Deggendorfer Beraterin Sylvia Schroll-Machl, die bei Prof. Alexander Thomas über dieses Themenfeld promoviert hat, die "Kulturstandards Mittel- und Osteuropas". Demnach sind unsere östlichen Nachbarn in ihrer Mentalität sehr viel weiter von unseren deutschen Selbstverständlichkeiten entfernt als man aufgrund der räumlichen Nähe und der historischen Verflechtung erwarten würde: Zentrale Elemente ihrer "kulturellen Eichung" sind ein ausgeprägter Personenbezug (im Gegensatz zu unserer deutschen Sachorientierung), Improvisationsliebe und eine Abneigung gegen einengende Planungen, die Neigung, sich Forderungen zu entziehen, wenn sie nicht auf einer persönlichen Beziehung fußen, und eine ausgeprägte Konfliktvermeidung: "Wir sagen nicht Nein, wir machen Nein." (S. 38)
Das ist nun wahrhaftig eine Kombination, die beim Zusammentreffen mit unseren deutschen Werten hochgradig unfallträchtig ist und ein beliebiges Potenzial für Tobsuchtsanfälle, depressive Schübe und Vorurteilsbekräftigung à la "faul und verschlagen" birgt. Schroll-Machl illustriert dieses Konfliktpotenzial mit einer Fallstudie, in der ein deutscher Manager seine tschechischen Mitarbeiter vergeblich dazu zu vergattern versucht, eine Auswertung anders aufzubereiten – und wie sein Nachfolger dieses Problem durch den Aufbau einer persönlichen Beziehung beinahe spielend löst: Die Mitarbeiter erfüllen seinen Wunsch nicht, weil er es besser erklärt oder sie mit Sachargumenten überzeugt hat, sondern sie machen es "für ihn", weil er ihnen sympathisch ist. Die Autorin stellt dazu lakonisch fest: "Ein 'Pflichtbewusstsein' gegenüber objektiven Regeln, Normen et cetera ist wenig ausgeprägt." (S. 37)
"Weil sich deutsche Tugenden in Mittel(ost)europa oft als kontraproduktiv erweisen" (S. 39), empfiehlt Schroll-Machl uns Deutschen, uns der deutschen Kulturstandards und ihrer Wirkung auf Ost-, nein, Verzeihung, auf Mittel(ost)europäer bewusst zu werden. Unsere ausgeprägte Sachorientierung (samt der damit einhergehenden Funktionalisierung von Beziehungen) ist etwas, was uns zwar kompetent und professionell erscheinen lässt, uns aber auch leicht den Ruf einbringt, kalt, arrogant und nur am Geschäft interessiert zu sein. Unsere deutliche Trennung von Beruflichem und Privatem wirkt distanziert und unpersönlich, desinteressiert an persönlichen Kontakten. Unsere ausgeprägte Vorliebe für Strukturen, Regeln und Planungen wirkt verlässlich und diszipliniert, aber auch unflexibel, rechthaberisch und – misstrauisch (weil wir unseren Partnern die Fähigkeit zur Improvisation abzusprechen scheinen). Schroll-Machl hat all diese Punkte zu einer übersichtlichen Tabelle zusammengefasst, die man sich in die Aktentasche deutscher Manager mit Kontakten nach – naja, Sie wissen schon – wünschen würde. Sie liefert mit ihrem Artikel keine Lösungen, sondern hilft uns nur, das Problem besser zu verstehen. Aber vermutlich ist das schon der erste Schritt zur Lösung.
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