Top-Empfehlung für alle, die beruflich mit anderen Ländern und Kulturkreisen zu tun haben: Das Buch hilft ihnen, sich besser auf deren Normen, Werte und Gepflogenheiten einzustellen, ohne dabei in dumpfe nationale Klischees zu verfallen.
Es gehört sich nicht, die Pointe von Witzen vorwegzunehmen oder die Auflösung von Krimis auszuplaudern, aber es dürfte erlaubt sein, die Einführung eines Fachbuchs wiederzugeben, wenn sie ausnahmsweise in einer hübschen Anekdote besteht und überdies eine typische Kostprobe von dem Buch gibt. Lewis berichtet von einem Sommersprachkurs, an dem Geschäftsleute aus Italien, Japan und Finnland teilnahmen. Für einen Tag war zur Auflockerung eine Bergtour vorgesehen, aber am Vortag schüttete es in Strömen. Am späten Abend sprachen die Finnen Lewis an, dass eine Bergtour bei diesem Wetter doch keinen Sinn habe; man verständigte sich auf eine Absage. Kaum hatten sie dies vernommen, bestürmten die Italiener Lewis aufgebracht: Sie hätten sich so auf die Tour gefreut, und außerdem sei sie im Gesamtpreis enthalten. Irritiert fragte Lewis die Japaner nach ihrer Meinung. Die erklärten höflich, sie hätten kein Problem mit einer Absage; wenn die Tour aber stattfinden sollte, würden sie selbstverständlich teilnehmen. Lewis entschied daraufhin, die Tour durchzuführen.
Am anderen Morgen saßen zur vereinbarten Zeit die Finnen und die Japaner im Bus, doch auch nach längerem Warten tauchte keiner der Italiener auf. Als die Gruppe am Abend durchnässt, verdreckt und frustriert zurückkehrte, trafen sie die Italiener bei bester Laune in der Bar. Auf die verstimmte Frage, wo sie denn am Morgen gesteckt wären, lautete die entwaffnende Antwort, sie seien im Bett geblieben, weil es ja so furchtbar geregnet habe. – Solch "inkonsistentes" Verhalten ist für Mittel- und Nordeuropäer unverständlich und, je nach Stimmung und eigener Betroffenheit, amüsant, "typisch" oder auch empörend. Doch für den Aufbau tragfähiger Geschäftsbeziehungen taugt keine der drei Reaktionen: Nur wenn wir das Verhalten der Italiener aus ihrem Wertesystem heraus verstehen können (was nicht notwendigerweise gleichbedeutend sein muss mit gutheißen), sind wir dazu in der Lage, uns auf sie einzustellen und funktionierende Beziehungen zu gestalten.
Eigentlich ist es ein aberwitziges Unterfangen, das Richard D. Lewis mit "When Cultures Collide" unternimmt: Er will nicht nur eine Einführung in kulturelle Unterschiede geben, wie es viele Bücher tun, sondern darüber hinaus die Business-Kulturen aller (ökonomisch) wichtigen Länder auf dieser Erde beschreiben, um Geschäftsleuten eine Orientierung für die Einstellung auf das jeweilige Land und den Umgang mit seiner Kultur zu bieten. Tatsächlich liefert er eine solche Charakterisierung für fast 50 Länder und Regionen, wobei der Umfang der Beschreibungen typischerweise bei etwa 6 Seiten liegt (und bis zu 10 für so komplizierte Nationen für uns Deutsche und die Russen reicht). Das ist nicht viel, um einem Land gerecht zu werden, aber mehr als genug, wenn man es sich noch merken soll.
Die Beschreibung von "Nationalcharakteren" birgt natürlich die Gefahr, einer Stereotypenbildung Vorschub zu leisten. Dessen ist sich Lewis bewusst, und er macht schon im Vorwort nachdrücklich darauf aufmerksam, dass es sich jeweils nur um Mittelwerte handelt, mit zum Teil breiter Streuung der individuellen Ausprägungen. Dennoch ist der extrovertierte, charismatische Japaner, der sofort im Mittelpunkt jeder (internationalen) Party steht, keine realistische Richtgröße für Ausländer, die in Japan geschäftlich oder persönlich Fuß fassen wollen. Ebenso wenig ist es der pünktliche, strukturierte, systematische Brasilianer – auch wenn es ihn vermutlich (in geringer Stückzahl) gibt. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kulturkreisen aber ist ein Gefühl für den dort zu erwartenden "Durchschnitt" wertvoller als das Wissen um die Existenz untypischer Vertreter.
Meine Weltläufigkeit reicht bei weitem nicht aus, um diese Beschreibungen im Einzelnen verifizieren zu können. In den Abschnitten über die Länder, mit denen ich schon Erfahrungen sammeln konnte, habe ich vieles bestätigt gefunden – und auch einiges, was mich bislang ratlos ließ, besser verstanden. Zufällig hatte ich Gelegenheit, einigen polnischen, tschechischen und ungarischen Geschäftsleuten die Abschnitte über ihr jeweiliges Land zum Lesen zu geben. Sie bestätigten übereinstimmend, dass sie ihre jeweilige Businesskultur durchaus treffend charakterisiert fanden. Das ist umso bemerkenswerter, als die Beschreibungen durchaus nicht immer schmeichelhaft und keinesfalls schönfärberisch sind, sondern auch auf problematische Gewohnheiten aufmerksam machen. So schreibt Lewis über die Ungarn: "Discussions with Hungarians can be deceptive in the extreme. They possess ample reserves of charm and charisma and give the impression that they are easy going..." (S. 261) Oder: "Hungarians are often unable to deliver their promises, but are skilled improvisers, although verbal energy often lapses into physical lassitude. At all times, one must watch one's back. Grandiose in their intentions, they are weak on responsibility and even weaker on implementation." (S. 262) Man muss sich schon ziemlich gut auskennen, wenn solch deutliche Worte nicht nur den Angehörigen anderer Nationen Orientierung liefern, sondern auch von der beschriebenen Nation als zutreffende Charakterisierung empfunden werden.
Ein weiterer harter Test ist, wie die Unterschiede zwischen Österreichern, Schweizern und Deutschen beschrieben werden. Viele Missverständnisse und Komplikationen zwischen Deutschen und Österreichern bzw. Schweizern rühren ja daher, dass wir sie wegen der gemeinsamen Sprache im Grunde für Deutsche halten, die nur aufgrund historischer Zufälligkeiten auf einem anderen Staatsgebiet leben und einen besonders "herzigen" bzw. einen besonders "urigen" Dialekt sprechen. Auch diesen Test (der einen für Angelsachsen beinahe schon unfairen Schwierigkeitsgrad aufweist) meistert Lewis souverän: "Austrians are efficient communicators, using charm and small talk, and on the surface are open and friendly. They are also manipulative, but in an unconscious, natural way, not cold and calculating. (...) In business discussions their weakness is that they often lapse into a rambling, convoluted style, feeling that they have to fill in all the background and context. Nordic or American directness is disconnecting to Viennese, who find it 'uncivilised'." (S. 211) Oder über die Schweizer: "Swiss are good listeners, not having any great urge to expound ideas at length themselves. They forget little of what you tell them, often taking notes while you speak, and they almost never interrupt. They are conservative in their opinions (S. 217f.) und: "You don't have to be exciting to make a Swiss like you; they are looking for solidity and reliability in people they deal with. You should show that you are in good control of your emotions, private life and financial arrangements." (S. 218)
Bevor Lewis zu diesem 273 Seiten umfassenden Herzstück seines Buches vorstößt, hat der dem Leser mit 163 Seiten bereits den Gegenwert eines mittleren Sachbuchs über "Managing Across Cultures" geboten. Darin beschreibt er in neun Kapiteln mit vielen Beispielen einige zentrale Dimensionen, in denen sich Kulturen quer über die Welt unterscheiden – und liefert dafür eine geradezu geniale Zusammenfassung: "The several hundred national and regional cultures of the world can be roughly classified into three groups: task-oriented, highly organized planners (linear-active); people-oriented, loquacious interrelators (multi-active); introvert, respect-oriented listeners (reactive). Italians see Germans as stiff and time-dominated; Germans see Italians gesticulating in chaos; the Japanese observes and quietly learns from both." (S. 37) Auch diesem "theoretischen Teil" merkt man an, dass Lewis die Kulturen dieser Welt nicht nur aus Forschungsberichten kennt, sondern aus eigenem Erleben. Das macht die Theorie lebendiger (und amüsanter) als man es anderswo liest, und vor allem macht es kulturelle Unterschiede nicht nur nachvollziehbar, sondern nacherlebbar.
Der einzige aus meiner Sicht relevante Schwachpunkt des Buchs ist, zumindest für non-native Speakers, dass Lewis in seinem Bemühen um sprachliche Eleganz und Prägnanz einen noch reicheren Wortschatz verwendet als es Briten im Vergleich mit Amerikanern ohnehin tun. Mir jedenfalls hat Lewis in überdeutlicher Weise die Grenzen meines (eigentlich nicht ganz kleinen) englischen Wortschatzes aufgezeigt. Und die gelegentlich eingestreuten Wörter und Ausdrücke aus anderen Sprachen dürften auch die meisten Angelsachsen an ihre Grenzen führen. Dass Lewis dabei zuweilen auch seine eigenen Grenzen überschreitet, sieht man an vereinzelten Fehlgriffen wie der "German Volkswirtschaftshochschule" (S. 89), der deutsche Manager angeblich ihre gute technische Ausbildung verdanken. Zudem kann man fragen, was es dem internationalen Leser bringt, wenn er mit für ihn unverständlichen Begriffen wie "Diplom-Kaufmann" oder "coup de grâce" beglückt wird. Von solch kleinen Eitelkeiten abgesehen, ist Lewis' Stil sehr klar, prägnant und angenehm zu lesen, weshalb ich auch in der Lesbarkeit nur einen Punkt unter der Höchstnote bleibe.
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