Das Buch enthält durchaus interessante Gedanken, vor allem zum so genannten "Story-Management", doch es wirkt merkwürdig zerrissen und inkonsistent, ohne klare Linie und schlüssige, durchgängige Argumentation.
"Was haben ein Pudding und Unternehmenskultur gemeinsam?", leitet Hans Rudolf Jost das erste Kapitel ein – und liefert gleich die Lösung: "Unternehmenskultur zu ergründen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln" (S. 9). Pudding an die Wand zu nageln, ist nun weder eine aussichtsreiche Beschäftigung noch eine sonderlich sinnvolle – will uns der Autor damit gleich zu Beginn sagen, dass es sich mit der Ergründung von Unternehmenskultur ähnlich verhält? Oder hat er die Nebenbedeutung seiner eigenen Metapher nicht verstanden? Wie auch immer: Wer an dieser Art von angestrengter Witzigkeit kein Vergnügen empfindet, sollte besser die Finger von diesem Buch lassen, denn sie durchdringt den Text wie der vergeblich angenagelte Pudding den Teppich.
Knapp 180 großzügig bedruckte Seiten (ca. 30 Zeilen zu knapp 60 Anschlägen) umfasst das Buch des Zürcher Beraters, Trainers und Autors – nicht allzu viel Raum, um solch ein komplexes und vielschichtiges Thema auszuleuchten. Die neun Kapitel tragen eigenwillige (originelle?) Überschriften: "Pudding und hartes Brot" (Kapitel 1 – man hört die Nachtigall trapsen), "Das Geheimnis" (Kap. 2), "Der Weg der Wellen" (3), "Die verborgenen Kräfte" (4), "Die Reise des Helden" (5), usw. Das soll wohl die sogenannte "rechte Gehirnhälfte" ansprechen, tut es aber wenigstens bei mir nun in sehr geringem Maße. Emotionale Intensität entsteht nicht bloß dadurch, dass Logik, Gedankengänge und Strukturen unklar bleiben. Der Aufbau des Buchs folgt wohl, wenn ich es richtig deute, einem Weg von der Bestandsaufnahme und Kritik des Status Quo über das Herausarbeiten grundlegender Zusammenhänge hin zu Lösungsansätzen. Aber es ist nicht Aufgabe des Rezensenten, eine klare Struktur zu rekonstruieren, wenn sie der Autor verweigert hat.
Das zweite Kapitel bringt unter dem vollmundigen Anspruch "Grundlagenforschung Unternehmenskultur" den Bericht über eine vom Autor durchgeführte schriftliche Befragung. Nun kann man mit Edgar Schein bezweifeln, dass man Unternehmenskultur überhaupt mit Fragebögen erfassen kann; trotzdem mag ein solches Vorgehen Anregungen liefern. Äußerst befremdlich allerdings, wie Jost mit den Daten umgeht. Zunächst berichtet er: "Insgesamt wurden 1224 Fragebögen in 650 Organisationen verschickt. Der Rücklauf betrug total 280 Fragebögen, dies ergibt einen Overall-Rücklauf von 22,9 Prozent" (S. 21). Eine Seite später spricht er dann von einem "Rücklauf von netto 43,2 Prozent, bezogen auf die Anzahl befragter Organisationen", und er feiert dies als "hervorragend" und als Beweis für die Überfälligkeit seiner Untersuchung (S. 22). Die wundersame Verdoppelung der Rücklaufquote kommt dadurch zustande, dass Jost nicht, wie allgemein üblich, die Anzahl der versandten Fragebögen als Bezugsbasis verwendet, sondern die Zahl der Unternehmen, die er (mehrfach) angeschrieben hat. Das ist natürlich ein Taschenspielertrick: Wenn man nur die Zahl der Fragebögen, die pro Unternehmen versandt werden, nur entschlossen genug erhöht, kann man nach der Methode Jost "Netto-Rücklaufquoten" von weit über 100 Prozent zu erzielen.
Dieses Hochjubeln ist umso befremdlicher, als ein Rücklauf von 22,9 Prozent eigentlich ein sehr gutes Ergebnis ist. Ist man aber erst einmal misstrauisch geworden, fallen weitere Ungereimtheiten auf. So, wenn Jost schreibt: "In den 350 größten Unternehmungen [der Schweiz] wurden die Human Resource Manager sowie die CEO's persönlich angeschrieben, insgesamt 776 Personen." (S. 21) Wenn man annimmt, dass die meisten Firmen nur einen CEO und nur einen HR-Chef haben, sollte die Summe angesichts einiger Vakanzen unter 700 liegen – wie also kommen die 776 zustande?! Oder wenn bei den befragten Beratungsfirmen angeblich 5% "über 20.000 Mitarbeiter" haben – welche Beratungsfirma in der Schweiz oder auf der Welt hat diese Größe? Die Besorgnis eines willkürlichen Umgangs mit Fakten wird nicht eben geringer, wenn Jost ohne jede Irritation durch forschungsmethodische Prinzipien beschließt: "Die an der Umfrage beteiligten Unternehmungen beschäftigen kumuliert 738.700 Mitarbeitende. Die Resultate sind deshalb über den rein schweizerischen Kontext hinaus gültig." (S. 22) Von 280 Antworten über 738.700 Beschäftigte (von denen 738.420 durch die Befragung nicht erfasst wurden) zur universalen Geltung – ist das noch Chuzpe oder ist es Realitätsverlust?
Ähnlich zweifelhaft sind in meinen Augen auch manche der verwandten Fragen und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen. Beispiel: "Wenn Sie könnten, würden Sie gerne etwas an Ihrer Unternehmenskultur ändern?" (S. 25) Wer auf diese Frage mit "nein" antwortet, lebt in meinen Augen entweder in einem völlig außergewöhnlichen Unternehmen oder er ist durch Realität nicht mehr irritierbar. Entsprechend antworteten auf diese Frage laut Jost 71 Prozent der Befragten mit "ja"; 11 Prozent machten keine Angabe. Was Jost wie folgt interpretiert: "Dass aber fast drei Viertel aller befragten Unternehmen mit ihrer aktuellen Unternehmenskultur unzufrieden sind, ist alarmierend und beruhigend zugleich. Alarmierend, weil man sich offensichtlich bewusst ist, dass diesbezüglich Aufholbedarf besteht, beruhigend, weil es beweist, wie notwendig dieses Buch ist." (S. 25f.)
Auch im weiteren Verlauf des Buches verwendet Just immer wieder Argumentationsmuster, die zwar hübsch klingen, aber bar jeder Beweiskraft sind: "Ich muss als Führungskraft zuerst Glaubwürdigkeit erzielen, dann muss ich mich um das Vertrauen bemühen, dann um das Empowerment. Und dann um das Alignment. Erst das Zusammenwirken aller vier Ebenen schließt alle Leistungspotenziale. Wie in einem ruhigen Teich, den ich verändern möchte: Ich werfe einen Stein rein. Die Wellen ziehen langsam von der Mitte der Einschlagstelle nach außen. Genauso wie diese Wellen muss ich Eingriffe in Organisationen planen. Von innen nach außen." (S. 47)
Zuweilen bietet Jost auch Gedanken an, die durchaus etwas für sich haben: "Je größer die Divergenz zwischen kommuniziertem Bild und Realität, desto größer der Zynismus in einer Organisation." (S.52) Oder: "People leave managers, not companies." (S. 53) Doch sie mischen sich gleich wieder mit Sprüchen, die bestenfalls losgelöst wirken: "Der Highflyer wird zum Rohrkrepierer. Unfallermittler werden dann von 'menschlichem Versagen' reden, Systeme wurden übersteuert oder abgeschaltet." (S. 52) Wenn hier möglicherweise ein etwas wirrer Eindruck entsteht, liegt das nicht daran, dass ich Gedanken aus dem Zusammenhang reiße – mehr Zusammenhang ist nicht, jedenfalls nicht in für mich erschließbarer Weise.
Die anregendsten Kapitel des Buchs waren für mich die, die sich auf "Storytelling" bzw. "Storymanagement" beziehen. Schon im ersten Kapitel verblüfft Jost den Leser mit der Definition: "Unternehmenskultur ist die Summe der Geschichten, die man sich erzählt." (S. 13) Das ist zwar für mich intuitiv wenig plausibel, denn ich hatte bislang nie den Eindruck, dass das Erzählen von Geschichten eine so gewichtige Rolle für das Selbstverständnis von Organisationen spielt. Aber es ist ein erfrischend anderer Ansatz als die mir bekannten Kulturdefinitionen – spannend also, einfach mal zu schauen, wohin er führt. Leider verzichtet Jost darauf, sein Kulturverständnis zu begründen oder sonstwie plausibel zu machen: Er setzt es einfach als gültig voraus, als ob es auf der Welt nichts Selbstverständlicheres gäbe. Für ihn geht es nur noch darum, "sich Gedanken zu machen, welche Geschichten in einer Unternehmung erzählt werden, welche funktionieren, welche verstärkt werden sollen (damit die schwächeren nicht überleben) und mit welchen Geschichten ich mich als Führungskraft hauptsächlich beschäftige." (S. 68) Daraus ist zu entnehmen, dass Jost die Geschichten, die in einem Unternehmen erzählt werden, für relativ leicht manipulierbar hält: "Bei komplexen Transformationsprozessen ist es entscheidend, die 'neuen' Geschichten nachhaltig in das kollektive Unbewusste einzuspeisen. Wenn diese Geschichten 'stimmig' sind, wenn sie 'gut' sind, dann lösen sie die Bremsen und Blockaden der Vergangenheit (also die 'alten' Geschichten)." (S. 68f.)
Dabei darf man das "Erzählen" allerdings nicht zu wörtlich nehmen: "Vielfach werden 'die Geschichten, die man sich erzählt', gar nicht narrativ – also erzählerisch – weitergegeben, sondern nonverbal: über die Vorbildwirkung." (S. 69) Damit freilich nähert sich Jost durch die Hintertür den gängigen Kulturbegriffen an. Denn eine Vorbildwirkung geht ja nur von beständigem, konsistentem Verhalten aus – damit aber sind wir wieder bei den "Gewohnheiten". Auch zu der bekannten Kulturdefinition von Ed Schein schlägt Jost unausgesprochen eine Brücke, wenn er schreibt: "Jede Unternehmung hat eine Basiserzählung." (S. 74) Denn diese "Basiserzählung" übermittelt wohl das, was Schein "unausgesprochene gemeinsame Annahmen" nennt.
Im 5. Kapitel "Die Reise des Helden" erläutert Jost die Dramaturgie von Geschichten und stützt sich dabei auf den Hollywood-Drehbuchautor Christopher Vogler, demzufolge gute Geschichten aus drei Akten bestehen: "Im ersten geht es um die Entscheidung des Helden, zu handeln, im zweiten um die Handlung selbst und im dritten um die Konsequenzen, die daraus entstehen." (S. 76) Im 6. Kapitel "Führen mit Geschichten" beschreibt Jost die Großgruppenmethode Appreciative Inquiry als einen Weg, an die besten Geschichten eines Unternehmens heranzukommen, und illustriert dies ausführlich am Fallbeispiel einer jungen, eben 26 (!) Mitarbeiter stark gewordenen Unternehmensberatung. Eine zweite Fallstudie über einen Finanzdienstleister mit rund 20.000 Mitarbeitern reißt er leider nur noch an.
Was ich – neben jenem gequälten Bemühen um Originalität und Witzigkeit – an diesem Buch besonders mühsam finde, ist, dass Jost sich nicht entscheiden konnte oder wollte, aus welcher Perspektive heraus und mit welcher didaktischen Intention er schreibt. Mal geht er in Richtung beißender Sarkasmus ("Spätestens in den letzten zehn Zeilen eines Jahresberichtes würdigt der durchschnittliche Vorstandsvorsitzende den 'wichtigsten Wert' seiner Unternehmung: seine Mitarbeitenden. Er spricht Lob und Dank aus – wie rührend"; S. 53) oder gar in Richtung Generalabrechnung ("Wo ist die Sozialkompetenz von ausgebrannten Managern, die keine Zeit für nichts haben, auch nicht für sich selbst, und darum die Key-Assets einer Unternehmung (...) an überforderte Untergebene delegieren, in der Meinung, es handle sich ja hierbei lediglich um 'Soft Factors'?"; S. 55f.). Mal gibt er den humanistisch gebildeten Menschenfreund ("Kommunizieren stammt vom lateinischen 'communicare' ab. In diesem Wort ist der zweite Teil wichtig: communi-care. 'Care' seinerseits stammt von 'kar' ab (Sanskrit) und bedeutet aufmerksam, wachsam, vorsichtig, umsichtig, liebevoll, rücksichtsvoll, qualitätsbewusst ..."; S. 57) oder den umsichtigen Ratgeber.
Wieder an anderer Stelle scheut er sich nicht, sich mit überharten und entwertenden Sprüchen bei den Hardlinern im Management anzubiedern – so wenn er in einer Grafik auf Seite 70 vier Typen von Mitarbeitern unterscheidet: "Nieten" (low performance, low behaviour), "Tele-Tubbies" (low performance, top behaviour), "Ajatollahs" (top performance, low behaviour) und "Champions" (top performance, top behaviour). Oder wenn er in seiner "Change-Fähigkeits-Typologie" die Nachhut der Veränderung ebenfalls als "Ayatollahs" (diesmal mit "y") denunziert und sie mit den Worten niedermacht: "Die 'Ayatollahs' sind das morsche Holz einer Organisation. Man kann gewisse Menschen einfach nicht verändern. Destruktiv, immobil, klare Sanierungsfälle. Fundamentalopposition ohne Aussicht auf Veränderung. Morsches Holz, sagte mir mal ein Zimmermann, muss entfernt werden. Wie wahr." (S. 143f.) Nicht darin, wie man mit seinen Freunden umgeht, zeigt sich das Menschenbild, sondern darin, wie man über seine Gegner redet! Überdies ist es nicht eben ein Zeichen von Reife und politischer Umsicht, den Titel der geistlichen Führer einer Weltreligion zur Bezeichnung von negativen Extremen zu verwenden.
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