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Pointiert verpackte Reibungspunkte an der fremden Wirklichkeitskonstruktion

Watzlawick, Paul (2002):

Gebrauchsanweisung für Amerika

Ein respektloses Reisebrevier

Piper (München) 1978, Neuaufl. 2002; 163 S.; 12,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 7 / 10

Rezensent: Winfried Berner, 30.01.2005

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Wenn ein renommierter Kommunikationsforscher, der als Europäer lange Jahre in den USA gelebt und gearbeitet hat, eine "Gebrauchsanweisung" für dieses Land schreibt, darf man gespannt sein. Doch die Erwartungen werden nur teilweise erfüllt.

Der gebürtige Kärntner Paul Watzlawick, Jahrgang 1921, hat viele Jahre am Mental Research Institute Palo Alto und an der Stanford University in Kalifornien gelehrt und einflussreiche Bücher wie "Menschliche Kommunikation" und "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" geschrieben. Mit ihnen hat er in den 70-er Jahren im Gefolge von Gregory Bateson den "radikalen Konstruktivismus" populär gemacht, dessen zentrale These ist, dass die Wirklichkeit nicht wirklich "wirklich" ist, sondern bloß eine Konstruktion unserer Wahrnehmung, und dass sie prinzipiell gleichwertig neben unzähligen anderen möglichen "Wirklichkeitskonstruktionen" steht. Schon 1978 ist seine "Gebrauchsanweisung für Amerika" erschienen, die seither in vielen Auflagen nachgedruckt wurde. Watzlawicks kommunikationspsychologischer Hintergrund einerseits, sein Pendeln zwischen alter und neuer Welt andererseits, das verspricht Einsichten in beide Kulturkreise, die über einen bloßen Reiseführer weit hinausgehen.

Sein Buch, das in früheren Auflagen noch den Untertitel "Ein respektloses Reisebrevier" trug, ist ein Streifzug durch all jene Aspekte des amerikanischen Alltags, die einem notorischen "alten Europäer" an den USA befremdlich oder auch nur deutlich anders vorkommen, auch wenn er ein Land seit vielen Jahren kennt und viel Zeit dort verbringt. Der Blick des Fremden bleibt ja zwangsläufig an den Dingen hängen, die – im Positiven oder (meist) im Negativen – anders sind als von Zuhause vertraut; was ähnlich oder gleich ist, wird kaum wahrgenommen. Unsere Wahrnehmung wirkt auf diese Weise kontrastverstärkend: Indem sie Gemeinsamkeiten als selbstverständlich "übersieht", übertreibt sie die Unterschiede – und verstärkt auf diese Weise auch das Unbehagen an der fremden Welt. Interessant ist, dass sich das, wie Watzlawick am eigenen Beispiel vorführt, mit zunehmender Vertrautheit nicht etwa abschleift, sondern dass zumindest manche Punkte im Laufe der Zeit eher noch stärker ins Auge springen und zu immer größerem Verdruss führen. Und so lesen sich manche Passagen aus Watzlawicks "Gebrauchsanweisung" denn auch, als hätte sich da jemand seinen Frust von der Seele geschrieben – dies aber zumindest in witziger und pointierter Form.

Offenbar nimmt das Wissen, dass die Wirklichkeit nur ein Konstrukt unserer Wahrnehmung ist, den alltäglichen Ärgernissen nicht wirklich die Spitze. Bei aller Relativität unserer Wirklichkeitskonstruktion ist es halt doch schwer zu fassen, dass es etwa in exakt jenem Land, das sich große Stücke auf seine Meinungsfreiheit zugute hält, unmöglich ist, sich über Funk und Fernsehen über das Weltgeschehen zu informieren. Doch Watzlawick bietet seine Fassungslosigkeit zumindest in gefälligem Sarkasmus dar: "Der Amerikaner hat freiwillig und spontan einen Grad der Informationsverarmung und Meinungssteuerung erreicht, den jede um die Milch der frommen Denkungsart ihrer bockigen Untertanen besorgte volksdemokratische Regierung nur mit grünem Neid zur Kenntnis nehmen kann." (S. 93) Auch die erhöhte Toleranz, welche die Konstruktivisten als Folge ihrer Erkenntnis verheißen, wirkt in Watzlawicks Gebrauchsanweisung stellenweise ein wenig gequält und hat einen Unterton von zusammengebissenen Zähnen – etwa wenn er das völlige Fehlen einer Oppositionspresse beklagt: "Ihr Fehlen macht es unmöglich, sich nach europäischem Rezept durch das Lesen der Einseitigkeiten sowohl der Regierungsblätter als auch der Oppositionspresse ein ungefähres Bild der wahren Vorgänge machen kann." (S. 95)

Und so wundert sich Watzlawick denn quer durch den amerikanischen Alltag, oder genauer: durch den Alltag eines Europäers in den USA. Das beginnt mit der Einreiseprozedur und reicht von den unpraktisch zweigeteilten amerikanischen Uhrzeiten (a.m./p.m.), den (wenigstens für uns Europäer) komplizierten Maßeinheiten und mancherlei befremdlichen Manieren bis hin zu der Kreditkartenrefinanzierung von kreditkartenfinanzierten Krediten und den Schwierigkeiten, die Menschen bekommen, die weder eine feste Adresse noch eine Kreditkarte vorweisen können: "Um kreditwürdig zu sein, müssen Sie Schulden haben. [...] Wundern Sie sich also nicht, wenn das keep smiling auf dem Gesicht des Empfangschefs einfriert, in dem er Sie nach Ihrer Zahlungsmodalität fragt und Sie unschuldig 'cash' antworten. Und versuchen Sie erst gar nicht, ihm die beleidigende Absurdität seiner Forderung nach Vorauszahlung Ihres Zimmers klarzumachen – die Szene wäre ein geradezu klassisches Beispiel zweier verschiedener, unvereinbarer Auffassungen derselben Wirklichkeit, wie sie unzähligen menschlichen Konflikten zugrunde liegt." (S. 61)

Auf diese Weise erfährt man vieles Interessante und für USA-Fahrer in der Tat Wissenswerte. Und als gelegentlicher Amerikareisender entdeckt man schmunzelnd etliche der Stolpersteine, die einen noch vor kurzem selbst aus dem Tritt gebracht haben, in funkelnder sprachlicher Verpackung wieder. Doch trotz allen Wissens um kulturelle Relativität schimmert bei Watzlawick doch zuweilen dasselbe Kopfschütteln und dieselbe Verabsolutierung der eigenen Normen und Selbstverständlichkeiten durch, die einen auch als naiven Reisenden oft überkommt: "Warum um Himmels Willen können die nicht einfach vernünftig so wie wir...?!" Besonders empfindsam und damit empfindlich ist der gebildete Sprachvirtuose Watzlawick naheliegenderweise bei Themen, die mit Bildung und Sprache zu tun haben. So etwa, wenn er sich im Kapitel "Von Wördi über Kapríh und Kissindscher zu Ms" mokiert: "Immer häufiger findet man selbst in Sachbüchern, Geschäftsbriefen und dergleichen die saloppe Verwendung von isn't, hasn't, aren't und ähnlichen Scheußlichkeiten, die allein schon deswegen sinnlos sind, weil sie im Vergleich zur korrekten Schreibweise (also zum Beispiel is not) nur eine Leerstelle einsparen." (S. 74)

Lernen kann man aus Watzlawicks "Gebrauchsanweisung" dennoch eine Menge: Nicht nur über die zum Teil (er hat ja Recht!) wahrlich seltsamen Sitten und Gebräuche jenseits des großen Teichs, sondern auch darüber, dass auch die meisterhafte Vertrautheit mit dem Konstruktivismus nicht verhindern kann, dass man sich gerade bei Themen, die einem besonders am Herzen liegen, verdammt schwer tut, jene andere Konstruktion der Wirklichkeit als gleichberechtigt und gleichwertig anzuerkennen – und dass es noch sehr viel schwieriger ist, sie auch subjektiv als gleicherwertig zu erleben und gelten zu lassen. (Obwohl sie doch "in Wirklichkeit" einfach nur daneben ist...) Interessant und vermutlich von übergreifender Gültigkeit auch, dass es oft gerade die kleinen Dinge sind, die einem bei längerer Einwirkung besonders auf den Geist gehen.

Schlagworte:
Interkulturelles Management, Interkulturelle Kommunikation, Amerika, USA

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