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Management Audit / Management Appraisal: Wie man nutzlos Loyalität verspielt

 

Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung

Eigentlich ist es eine befremdliche Idee, Führungskräfte, mit denen man seit Jahren zusammenarbeitet, einem Management Audit (oder Management Appraisal) zu unterziehen, um ihre Qualitäten und Potenziale von externen Personalberatern beurteilen zu lassen. Befremdlich in dreifacher Hinsicht: Erstens wegen des stillschweigenden Eingeständnisses, die Qualität und die Potenziale seiner Leute auch nach Jahren der Zusammenarbeit nicht so recht einschätzen zu können. Zweitens wegen der Vorstellung, zwei Externe könnten einen Manager nach einem zweistündigen Interview besser beurteilen als das Top-Management nach etlichen Jahren. Drittens wegen der Annahme, man könne seine Leute einer solchen Prozedur unterwerfen, ohne dass dies Spuren im wechselseitigen Verhältnis und in ihrer Loyalität zum Unternehmen hinterlässt.

  • Eine seltsame Idee …
  • Normalerweise leben Personalberater ja davon, Manager von der einen Firma an die andere zu vermitteln (oder umgekehrt). Doch in den letzten 20 Jahren haben sie ein neues lukratives Geschäftsfeld entdeckt: die Beurteilung und Potenzialbewertung ganzer Führungsmannschaften. Diese Management Audits oder Management Appraisals (zwischen den Begriffen ist kein wirklicher Unterschied; es vermarkten nur unterschiedliche Firmen unterschiedliche Bezeichnungen) sind für sie eine attraktive Diversifizierung gegenüber ihrem klassischen Geschäft, denn sie werden nicht erfolgsabhängig honoriert, sondern bringen einen Festpreis ein und sorgen für eine stabilere und relativ stressfreie Auslastung.

  • … mit hohem Geschäftspotenzial
  • Inhaltlich sind das strukturierte Interviews von typischerweise anderthalb bis zwei Stunden Dauer, die in der Regel von zwei Personalberatern durchgeführt werden und den Anspruch erheben, eine zuverlässige Beurteilung der Kandidaten in Bezug auf ihre Führungsqualitäten und Potenziale zu liefern. Sie werden zum Beispiel bei Fusionen und Übernahmen gern eingesetzt, aber auch bei Reorganisationen – manchmal aber auch "einfach so", weil es der Vorstand bzw. die Geschäftsführung eine gute Idee findet, sich auf diese Weise einmal eine unabhängige Fremdeinschätzung ihrer Führungsmannschaft zu holen.

  • Zweistündige Interviews
  • Anschein der willkürlichen Ausübung von Macht

     

    Einen Management Audit bzw. ein Management Appraisal in Auftrag zu geben, ist Ausübung von hierarchischer Macht: Der Vorstand kann das tun, wenn er Zweifel oder Unsicherheiten in Bezug auf die Qualität seiner nachgeordneten Manager hegt – die Manager hingegen können es nicht tun, auch wenn sie noch so begründete Zweifel an den Qualitäten des Vorstands hegen. Diese Asymmetrie zeigt, dass hier Macht im Spiel ist.

  • Ausübung hierarchischer Macht
  • Der Einsatz von Macht ist in hierarchischen Organisationen weder ungewöhnlich noch illegitim; er bekommt jedoch immer dann einen Beigeschmack von Willkür, wenn er nicht aus einer Sachlogik heraus begründet ist. Entscheidend ist dabei nicht, ob alle mit der Entscheidung des Top-Managements einverstanden sind, sondern, ob die Entscheidung sachlich vertretbar ist. Solche sachlogischen Gründe für die Beauftragung eines Management Audits kann es durchaus geben, etwa bei einer Fusion oder Übernahme, weil hier meist keine belastbaren Informationen über die Qualität der Führungskräfte der jeweils anderen Seite vorliegen, geschweige denn ein belastbarer Vergleich der beiden Seiten. Wenn es jedoch an schlüssigen Gründen fehlt, bekommt sie den Charakter eines Willkürakts, dessen Legitimation aus Sicht der nachgeordneten Ebenen zweifelhaft ist oder sogar fehlt.

  • Beigeschmack von Willkür
  • Denn mit der Durchführung eines Management Audits setzt der Vorstand seine Führungskräfte ja einem erheblichen Stress aus. Die Betroffenen haben zwar die Chance, ein gutes Ergebnis zu erzielen und sich damit für weiterführende Aufgaben zu empfehlen; sie haben aber auch das Risiko, schlecht abzuschneiden und damit möglicherweise Karrierechancen zu verspielen, im schlimmsten Fall sogar ausgemustert zu werden. Und wie Menschen nun einmal sind – auch toughe Manager! –, richten sie ihre Aufmerksamkeit erst einmal auf das, was bedrohlich sein könnte, und nicht auf die Chancen, die in der Prozedur liegen.

  • Zumutung von erheblichem Stress
  • Das Top-Management wird hier argumentieren, dass diese Ängste und Sorgen unberechtigt sind, weil keine negativen Folgen für diejenigen vorgesehen sind, die schlecht abschneiden. Die Betroffenen könnten und sollten daher gelassen bleiben und selbstbewusst ins Rennen gehen. Doch dieses Argument geht ins Leere, weil nicht der Vorstand entscheidet, ob die Betroffenen eine Bedrohung wahrnehmen, sondern allein sie selbst. Dabei ist auch nicht entscheidend, was der Vorstand tatsächlich beabsichtigt, – schon weil das ja niemand außer ihm selbst weiß –, sondern welche Folgen die nachgeordneten Ebenen für möglich halten.

  • Die Wahrnehmung entscheidet
  • Vor allem bei älteren Führungskräften, deren letzte Erfahrung mit Bewerbungs- und Prüfungssituationen schon sehr lange zurückliegen, lösen solche Management Audits oft existenzielle Panik aus: In ihren Albträumen sehen sie sich schon aufs Abstellgleis geschoben oder mit einem Aufhebungsvertrag in den unfreiwilligen Ruhestand geschickt. Dementsprechend schwanken sie zwischen Angst, Empörung und Trotz – und gehen entsprechend verunsichert in die Interviews.

  • Bei Älteren oft existenzielle Panik
  • Schlüsselfrage Nachvollziehbarkeit

     

    Für die betroffenen Führungskräfte stellt sich daher unweigerlich die Frage: Ist es nachvollziehbar und sachlich gerechtfertigt, dass uns der Vorstand diesen zusätzlichen Stress zumutet? Oder ist das eine Aktion, für die es weder eine erkennbare Notwendigkeit noch eine überzeugende Begründung gibt? Wenn die Durchführung eines Management Audits sachlich gerechtfertigt ist, weil das Top-Management, wie etwa bei den Stellenbesetzungen im Falle einer Fusion oder Übernahme, eine Auswahl zwischen Kandidaten treffen muss, von denen er etliche nicht kennt, schlucken die meisten Führungskräfte diese "Zumutung"; wenn sie ihnen hingegen nicht gerechtfertigt scheint, entsteht fast unweigerlich ein Knacks in ihrer Beziehung zum Vorstand und zum Unternehmen, und zwar möglicherweise auf Dauer.

  • Die Schlüsselfrage nach der Legitimation
  • Denn niemand lässt gerne mit sich Katz und Maus spielen, jedenfalls nicht in der Rolle der Maus. Deshalb reagieren die Betroffenen empört und verärgert: Dass sie den Management Audit hinnehmen und unfreiwillig daran teilnehmen müssen, konfrontiert sie auf unschöne Weise mit ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit – manche würden auch sagen: mit ihrer Käuflichkeit. Sie müssen gute Miene zu diesem demütigenden Spiel machen, wenn sie ihren Job nicht riskieren wollen – und der Vorstand nutzt seine Macht, um ihnen dieses Spiel aufzuzwingen. Das verändert die Beziehung: Sie lernen den Vorstand damit von einer neuen Seite kennen und gehen innerlich auf Distanz. So etwas wie ein übergreifender Teamgeist ist danach kaum noch vorstellbar; man ist ernüchtert und wird noch mehr zum Einzelkämpfer, als es die meisten Führungskräfte ohnehin schon sind. Danach werden viele künftig noch mehr auf ihre eigenen Interessen achten und zum Beispiel externe Chancen ohne Rücksicht auf die Folgen für das Unternehmen ergreifen.

  • Ausgeliefert und ohnmächtig
  • Zudem enthält die Beauftragung eines Management Audits "aus heiterem Himmel" ja ein implizites Feedback an die Führungsmannschaft, das sich nicht wegreden lässt: Dass nämlich der Vorstand von ihrer Leistung und Qualität nicht überzeugt ist. Denn wäre er es, gäbe es ja keinen Grund, die Kosten und den Zeitaufwand für eine solche Übung auf sich zu nehmen – außer er hätte ein sadistisches Vergnügen daran, die Führungskräfte ein bisschen zu quälen. Der mitschwingende Generalverdacht mangelnder Leistung und Qualität wirkt kränkend und verunsichernd auf die Führungsmannschaft, auch wenn dies nur selten offen artikuliert wird. Unter der Hand zahlt man es dem Vorstand allerdings mit gleicher Münze heim, indem man sich gegenseitig darauf aufmerksam macht, dass es an seiner Arbeit ja auch Etliches auszusetzen gibt. Auf diese Weise kommt eine negative Bewertung ("Ich bin nicht o.k., du bist nicht o.k.") in die Zusammenarbeit, der dem Geschäftserfolg kaum zuträglich ist.

  • Implizites Feedback
  • Wie gravierend diese Beziehungsbelastung ist, hängt von den Umständen ab, aber ein Loyalitätsförderungsprogramm ist ein Management Audit, wenn er als unnötig und willkürlich empfunden wird, ganz sicher nicht. Natürlich kann das Top-Management bei seiner Abwägung des Für und Wider trotzdem zu dem Ergebnis kommen, dass eine solche Maßnahme trotzdem notwendig ist und es nötigenfalls erforderlich ist, den Preis dieser Nebenwirkungen zu bezahlen – es sollte das aber im vollen Bewusstsein dieses Preises tun und sich vor der Illusion hüten, dass man so etwas einfach machen kann, ohne negative Auswirkungen auf die Identifikation und Loyalität der Führungsmannschaft zu riskieren.

  • Nachlassende Loyalität
  • Zweifelhafte Aussagekraft

     

    Der Nutzen eines Management Audits müsste schon ganz erheblich sein, um diese versteckten Kosten aufzuwiegen: Er müsste dafür Erkenntnisse liefern, die erstens sehr wertvoll, zweitens auf anderem Wege kaum zu gewinnen und drittens für die Steuerung des Unternehmens unverzichtbar sind. Da würde man annehmen, dass es harte wissenschaftliche Belege für die Aussagekraft solcher Management Audits gibt – und muss mit Erstaunen feststellen: Der wissenschaftliche Beweis für die diagnostische und vor allem prognostische Validität wurde niemals erbracht. Es ist weder nachgewiesen, dass solche Audits die heutige Leistung zuverlässig bestimmen können (= Diagnose), noch, was erheblich schwieriger ist, dass sie künftige Leistungen mit einiger Treffsicherheit vorhersagen können (= Prognose). Der derzeitige Stand der Forschung legt vielmehr die Vermutung nahe, dass die Aussagekraft solcher Verfahren sehr begrenzt ist.

  • Fraglicher Nutzen
  • Dass ein Management Appraisal überhaupt eine diagnostische Aussagekraft hat, ist nicht mehr als eine unbewiesene Behauptung. Um sie zu erhärten, müsste der empirische Nachweis ihrer Validität erbracht werden, das heißt der Nachweis ihrer Fähigkeit, die berufliche Leistung von Managern treffsicher und vor allem trennscharf zu bestimmen bzw. vorherzusagen. (Mit "trennscharf" ist gemeint, dass Manager, die im Management Appraisal höher eingestuft wurden, tatsächlich eine höhere Leistung bringen als solche, die niedriger eingestuft wurden, und zwar nicht nur im Extremgruppenvergleich, sondern auch zwischen direkt benachbarten Einstufungen.)

  • Fehlende wissenschaftliche Untermauerung
  • Doch wissenschaftliche Studien, die ihre Validität anhand sauberer empirischer Untersuchungen untermauern, liegen nach meiner Kenntnis nicht vor – und selbst wenn es sie gäbe, hätten sie ausschließlich Gültigkeit für genau das jeweils untersuchte Verfahren, nicht für Management Audits oder Appraisals generell. (Als "wissenschaftlich" zählen dabei nur Untersuchungen, deren genaues methodisches Vorgehen sowie deren einzelne Befunde im Detail beschrieben sind und die in öffentlich zugänglicher Weise publiziert wurden, idealerweise in einer anerkannten Fachzeitschrift, die nach dem Peer-Review-Verfahren arbeitet. Studien, deren Daten der Fachwelt nicht zugänglich sind, sofern sie überhaupt existieren, zählen dazu ausdrücklich nicht.)

  • Offenlegung von Methodik, Befunden und Rohdaten
  • Streng genommen müsste nicht nur der Nachweis einer diagnostischen und prognostischen Validität erbracht werden, sondern der Nachweis ihres "inkrementellen", das heißt zusätzlichen Nutzens. Denn im Gegensatz zur Auswahl neuer Führungskräfte ist es bei der Beurteilung der vorhandenen ja nicht so, dass man über ihre Leistung überhaupt nichts wüsste. Im Gegenteil: Bei den allermeisten Führungskräften weiß man ziemlich genau, wie gut sie ihre Arbeit machen und wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Einen Mehrwert brächte ein Management Audit nur, wenn er substanzielle neue Erkenntnisse brächte und/oder zu wesentlichen Korrekturen der vorhandenen Einschätzungen führte. Eine bloße Bestätigung des vorhandenen Bilds wäre ohne inkrementellen Nutzen.

  • Inkrementeller Nutzen fraglich
  • Interviews liefern brauchbare Diagnosen, aber schwache Prognosen

     

    Während es zu Management Audits an wissenschaftlicher Forschung mangelt, gibt es zahlreiche empirische Untersuchungen zur eignungsdiagnostischen Validität strukturierter und unstrukturierter Interviews. Da auch Management Audits in aller Regel aus Interviews bestehen, ist es bis zum Beweis des Gegenteils plausibel, davon auszugehen, dass ihre Aussagekraft ähnlich ist als die anderer Interviews. Die Befunde dieser Untersuchungen sehen ziemlich ernüchternd aus. Zwar liefern strukturierte Interviews verlässlichere Ergebnisse als unstrukturierte, jedenfalls sofern sie sich auf die Kriterien beziehen, die für den jeweiligen Job tatsächlich von zentraler Bedeutung sind und nicht bloß unspezifische Kriterien abprüfen. Doch auch bei strukturierten Interviews ist vor allem die prognostische Validität mager, also ihre Fähigkeit, die künftige Leistung vorherzusagen.

  • Strukturierte Interviews
  • Bereits 1954 veröffentlichte der amerikanische Forscher Paul E. Meehl (1920 – 2003) eine bahnbrechende Untersuchung, an der die Psychiatrie auch noch nach einem halben Jahrhundert zu knacken hat: In seinem Buch "Clinical vs. Statistical Prediction: A Theoretical Analysis and a Review of the Evidence" wies er nach, dass die Validität der Prognosen erfahrener Kliniker erstens ziemlich gering ist und zweitens meist hinter einfachen Algorithmen zurückbleibt. Das löste nicht nur wütende Proteste und den Vorwurf der "Nestbeschmutzung" aus, sondern auch über 200 Folgestudien. Sie bestätigten Meehls Befunde im Wesentlichen. Angesichts dieser erdrückenden Beweislage hilft es nichts, dass erfahrene Kliniker bis heute felsenfest von der Treffsicherheit ihrer Urteile überzeugt sind: Die Inbrunst dieser Überzeugung sagt am Ende mehr über die Experten selbst aus als über die Qualität ihrer Urteile.

  • Schlechte Prognosen
  • Da ist es schon fast tröstlich, wenn der Mathematiker, Psychologe und Wirtschafts-Nobelpreisträger Daniel Kahneman vermutet, die mangelnde Validität ihrer Prognosen liege nicht an der Unfähigkeit der Experten, sondern schlicht daran, dass zukünftige Entwicklungen nicht deterministisch vorbestimmt sind und schon deshalb nicht präzise vorhergesagt werden können. Auf die künftige Entwicklung von Menschen wie auch ihre Leistungen wirken einfach zu viele Unwägbarkeiten ein: Sie können krank werden und in Krisen geraten; sie können sich aber auch entscheiden, bestimmte Grenzen zu überwinden, und einen neuen Weg einschlagen. Wie sie sich entscheiden werden, steht aber noch nicht fest – und kann deshalb auch nicht vorhergesagt werden.

  • Die Grenzen von Prognosen
  • Bei Neueinstellungen bleibt einem trotzdem kaum eine andere Wahl: Da man in diesen Fällen weder die bisherigen Leistung eines Kandidaten kennt noch dessen künftige Entwicklung, muss man sich in Ermangelung einer besseren Alternativ notgedrungen mit den verfügbaren Verfahren behelfen. Wenn man die tatsächliche Leistung eines Managers jedoch kennt oder kennen könnte, weil die betreffende Person schon seit Jahren im Unternehmen tätig ist, dann ist es eine merkwürdige Herangehensweise, sie über externe Interviews "prognostizieren" zu wollen. Methodisch wäre es weitaus klüger, die im Hause vorhandenen Informationen optimal auszuschöpfen, um sich ein fundiertes Bild von der Leistung der betreffenden Führungskräfte zu verschaffen.

  • Unsinnige "Prognose" vorhandenen Wissens
  • Falls die in der Personalakte enthaltenen Informationen dafür nicht ausreichen, ist es durchaus eine Option, eine systematische Evaluation ihrer Arbeit der letzten Jahre vorzunehmen, statt auf externe Interviewer zu setzen, die ungleich weniger direkte Einblicke haben. Auch das Potenzial von Führungskräften kann man entweder aus vorhandenen Informationen ermitteln, indem man etwa der Frage nachgeht, wie gut sie sich bei Sonderaufgaben und Projekten geschlagen haben, die über ihren engeren Verantwortungsbereich hinausreichten, oder, wenn solche Erfahrungen nicht vorliegen, sie durch geeignete Aufgabenstellungen verfügbar zu machen.

  • Recherchieren statt Auditieren
  • Gute Führung ist mehr als gute Figur machen

     

    Aber weshalb soll es eigentlich so schwierig sein, die Qualitäten und Potenziale von Managern durch Interviews zuverlässig zu bestimmen? Der Hauptgrund ist, dass Führung zu einem guten Teil langfristige Beziehungsarbeit ist – und das ist weit mehr als bloß in einem zweistündigen Interview eine gute Figur zu machen. Führung erfordert sowohl fachliche als auch intellektuelle als auch soziale Fähigkeiten, vor allem aber erfordert sie die Fähigkeit zu einem langfristigen Beziehungsmanagement nach allen Seiten: Sowohl nach oben als auch nach unten als auch zu den Kollegen und zu externen Partnern. Weiter erfordert sie die Fähigkeit, widersprüchliche Ziele und Interessen zu einem für alle Beteiligten annehmbaren Ausgleich zu bringen.

  • Die Grenzen von Interviews
  • Natürlich kann man versuchen, sich durch die Diskussion von Fallbeispielen (so genannten "Critical Incidents") einen Eindruck davon verschaffen, wie gut die Befragten etwa mit Beziehungsnetzwerken umgehen können, und man kann Rollenspiele machen – doch mehr als einen begründeten Anfangsverdacht, wie jemand auf lange Sicht in einem komplexen sozialen Netzwerk "performen" wird, lässt sich aus solchen Übungen nicht ableiten. Jedes Urteil, das darüber hinausgehen, ist ein typisches Beispiel für eine Kontrollillusion, das heißt eine maßlose Überschätzung dessen, was man weiß, gegenüber dem, was man nicht wirklich beurteilen kann.

  • Kontrollillusion statt Messung
  • Um zu verstehen, was der Unterschied ist, ist es nützlich, sich zu vergegenwärtigen, nach welchen Kriterien Führungskräfte von Mitarbeitern und Kollegen beurteilt werden. Da zählt nicht so sehr das Auftreten – es zählen vor allem die Erfahrungen, die man mit dem Betreffenden gemacht hat: Kann man sich auf ihn verlassen, wenn es hart auf hart geht? Verfolgt er in erster Linie die eigenen Interessen oder kämpft er fürs große Ganze? Wirkt er unter Druck eher als Stoßdämpfer oder als Stoßverstärker? Steht er zu seinem Wort oder macht er nur große Sprüche? Ist er bei aller vordergründigen Verbindlichkeit im Kern eiskalt oder steht er trotz mancher Ruppigkeit oder Ungeschicklichkeit zu seinen Mitarbeitern? Werden Menschen in Zusammenarbeit mit ihm kleiner oder größer?

  • Reale Erfahrungen zählen
  • Was für ein Charakter jemand ist, zeigt sich nicht in Interviews, sondern erst unter Druck bzw. in realen Zielkonflikten, und selbst die beste Interviewführung kann kaum herausfinden, wie sich jemand im Widerstreit konkurrierender Interessen verhalten wird. Das wird Personalberater natürlich nicht daran hindern, trotzdem unerschütterlich von ihrer Urteilsfähigkeit überzeugt zu sein – nur die Beweislage dafür ist arg dünn.

  • Verhalten unter Druck und in Zielkonflikten

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  • Buch "Change!"
  • Autoritätsbeweise statt empirischer Belege

     

    Die Anbieter von Management Audits versuchen natürlich, solche Einwände vom Tisch zu wischen, und sie tun das im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Zum einen mit der Inbrunst ihrer Überzeugung, dass ihnen ihre umfangreiche Erfahrung und intensive Schulung ein Urteilsvermögen verschaffe, welches das von Normalsterblichen bei Weitem überträfe. Weshalb sie mit ihrem Urteil auch in so gut wie allen Fällen richtig lägen. Zum anderen mit "Testimonials", also mit Zitaten ihrer Kunden, in denen sich vorzugsweise hochrangige Manager zutiefst beeindruckt geben von der Güte und Aussagekraft des Management Audits des jeweiligen Anbieters.

  • Erbitterte Gegenargumente
  • Bei beiden Argumenten handelt es sich um sogenannte "Autoritätsbeweise": Die fachliche und persönliche Autorität von Vorständen und Experten soll die aufgestellten Behauptungen glaubhaft machen. Doch Autoritätsbeweise gelten spätestens seit dem Zeitalter der Aufklärung nicht mehr als zulässiges wissenschaftliches Beweisverfahren. Im Mittelalter war es durchaus ein gültiger Beweis, Autoritäten – vorzugsweise die "Kirchenväter" – zu zitieren: "Wie schon der Heilige Augustinus sagt: …" Heute hingegen müsste eigentlich jeder, der wissenschaftlich zu denken gelernt hat, sofort nachfragen: "Und welche empirischen Belege führt der Heilige Augustinus als Beweise für seine ehrwürdige Behauptung an?"

  • Autoritätsbeweise vs. Gründe
  • Was für den Heiligen Augustinus gilt, sollte auch für die Statements von Top-Managern und Beratern gelten, selbst wenn sie in Büchern und Broschüren namhafter Executive Search-Firmen zitiert werden. Dass sich etwa Michael Dormann, ehemalige CEO und Chairman von ABB, mit der Aussage zitieren lässt, "die systematische und objektivierte Beurteilung der obersten Führungskräfte in Form von Management Appraisals [liefert] wichtige, zukunftsorientierte Entscheidungsgrundlagen", ist so lange nicht mehr als eine subjektive Einzelmeinung, wie er keine Begründung für seine sehr weitreichende Behauptung angibt.

  • Testimonials und Bekenntnisse
  • Und wenn Michael Hanisch, der vormalige Vorstandsvorsitzende der SMS Demag AG, "sich mit 90 Prozent der Ergebnisse [von Zehnder-Management Appraisals] einverstanden erklären" kann, sagt möglicherweise mehr über die heimlichen Erfolgsfaktoren von Management Audits als über deren Treffsicherheit. Denn bei genauerem Hinsehen stellt Hanischs Behauptung Management Appraisals eher in Frage. Denn nach seinen Worten ist die Übereinstimmung mit seiner eigenen Sichtweise sehr groß – was so viel heißt wie, dass ihr inkrementeller Nutzen sehr gering ist. Zugleich rückt er seine Qualitätsmaßstäbe in ein bemerkenswertes Licht, wenn er die Bestätigung seiner eigenen Sichtweise als Gütekriterium verwendet. Falls Management Audits Erkenntnisse liefern sollen, die über den vorhandenen Kenntnisstand hinausreichen, dann ist es grotesk, die 90-prozentige Übereinstimmung mit der eigenen Sichtweise als Erfolgsnachweis anzuführen.

  • Bestätigung der eigenen Sichtweise
  • Ein gültiger Nachweis der Aussagekraft sind solche Glaubensbekenntnisse jedenfalls nicht. Die Beweislast dafür, dass ihre Verfahren tatsächlich eine prognostische Validität besitzen, haben aber ihre Anbieter. Es ist nicht der Job der Skeptiker, die mangelnde Aussagekraft von Management Audits nachzuweisen, vielmehr müssen diejenigen, die eine hohe Aussagekraft für sie in Anspruch nehmen, diese ihre Behauptung belegen und vor allem diese Belege nach den geltenden Regeln der empirischen Wissenschaften offenlegen. Doch um diesen harten empirischen Nachweis machen die Anbieter nun schon seit so vielen Jahren einen so großen Bogen, dass man dies wohl als das Eingeständnis werten muss, die Probe aufs Exempel lieber nicht machen zu wollen.

  • Die Beweislast haben die Anbieter
  • Vertretbare Einsatzfelder

     

    Halten wir fest: Wem an der Loyalität und dem Commitment seiner Führungsmannschaft gelegen ist, der sollte sich hüten, ohne triftigen Grund und erkennbare Notwendigkeit einen Management Audit durchführen zu lassen. Denn der Schaden, den eine solche Prozedur anrichten kann, wenn sie von den Betroffenen als Willkürakt empfunden wird, übertrifft den dadurch erzielbaren Erkenntnisgewinn bei weitem. Zwar wird dies natürlich niemand, der bei Trost ist, gegenüber dem Top-Management offen artikulieren. Vielmehr wird man es daran spüren, dass das Verhältnis mancher engagierter Führungskräfte zum Top-Management etwas distanzierter ist als zuvor und dass viele von ihnen sich danach noch mehr wie Einzelkämpfer verhalten, die primär zu sich selbst und ihren eigenen Interessen loyal sind und dem übergeordneten Ganzen bei allen Lippenbekenntnissen mit "einer gewissen Distanz" gegenüber stehen.

  • Gefahr für Loyalität und Commitment
  • Dennoch gibt es Situationen, in denen der Einsatz eines Management Audits sinnvoll oder zumindest nachvollziehbar ist. Und zwar nicht, weil die Aussagekraft in diesen Fällen auf wundersame Weise erhöht wäre, sondern weil im konkreten Fall andere Gründe dafür sprechen können, solch ein Verfahren in Betracht zu ziehen. Ein Beispiel ist der Stellenbesetzungsprozess bei Fusionen, vor allem im Falle eines "Merger of Equals". Selbst wenn man nicht von der Aussagekraft eines Management Audits überzeugt ist, kann man doch davon ausgehen, dass er niemanden wegen seiner Herkunft begünstigt oder benachteiligt. (Jedenfalls sofern der Audit nicht von den "Hausberatern" einer der beteiligten Seiten durchgeführt wird.)

  • Fusionen und "Mergers of Equals"
  • Das entscheidende Argument, das bestimmten Fällen, etwa bei komplexen Restrukturierungen oder beim Wechsel auf eine neue Organisationsstruktur, für den Einsatz eines Management Audits sprechen kann, ist nicht dessen Treffsicherheit, sondern seine Fairness. Auch wenn seine Genauigkeit kaum größer sein dürfte als die normaler Einstellungsinterviews, ist das Verfahren doch zu allen Betroffenen gleichermaßen (un)gerecht und benachteiligt niemanden bloß deswegen, weil er aus der "falschen" Firma oder Organisationseinheit kommt. Den gleichen Effekt könnte man zwar auch durch Losentscheid erzielen, was nicht nur deutlich preisgünstiger wäre, sondern auch die Gewähr böte, bei den Auswahlentscheidungen auf keinen Fall schlechter zu sein als der Zufall. Doch für einen Losentscheid fehlt es trotz seiner offenkundigen Vorteile – neben der eingebauten Schadensbegrenzung auch absolute Unbestechlichkeit sowie höchste Kosteneffizienz und Schnelligkeit – in der Regel an der nötigen sozialen Akzeptanz.

  • Fairness und Chancengleichheit
  • Auch wenn die Zufallsauswahl bzw. ein Losentscheid in der Realität selten eine ernsthafte Option ist, ist sie doch ein legitimes Benchmark. Denn man muss sich immer darüber klar sein, dass ein jedes Auswahlverfahren nicht bloß besser sein kann als der Zufall, sondern auch schlechter – beispielsweise etwa dann, wenn es bei der Führungskräfteauswahl die Bedeutung der Fähigkeit zu einer langfristigen Beziehungsgestaltung unterschätzen sollte. Es ist nicht nur erlaubt, sondern im Sinne professioneller Sorgfalt sogar geboten, vor dem Einsatz eines jeglichen Verfahrens zu fragen: Wie sicher können wir sein, dass dieses Verfahren zumindest nicht schlechter ist als der Zufall? Welche harten Fakten – nicht bloß Autoritätsbeweise! – kann der Anbieter liefern? Und ist das Verfahren nachweislich (!) so viel besser als der Zufall, dass es den Zusatzaufwand an Geld und Kosten rechtfertigt? Der Beweis dafür dürfte in vielen Fällen nicht leicht zu erbringen sein. Aber ihn für unnötig zu erklären, kann auch nicht die Lösung sein.

  • Zufallsauswahl als Benchmark
  • Was tun im Ernstfall?

     

    Doch so gewichtig diese Einwände sind, Management Audits und Appraisals sind Teil der Management-Realität, zumindest in Großunternehmen. Damit stellt sich die Frage, wie man sich als Betroffener am klügsten verhält, wenn über dem eigenen Unternehmen ein solches Ereignis hereinbricht. Man kann das im Vorfeld durchaus kritisch hinterfragen und versuchen, den Entscheidern sachdienliche Hinweise zu geben. Wenn es aber ernst wird, hat es keinen Sinn zu bocken oder sich mit Leidensgenossen in eine trotzige Wurstigkeit hineinzusteigern. Dann gilt es, das Beste aus der Sache zu machen und die "Prüfung" zu bestehen, nach Möglichkeit mit Bravour.

  • Das Beste aus der Sache machen
  • Das beginnt damit, dass man konsequent Schluss damit macht, zu hadern, und die Herausforderung annimmt: Ob Voodoo oder nicht, es ist jetzt einfach so. Der erste wichtige Schritt ist, alle Informationen, die im Vorfeld des Audits gegeben werden, aufmerksam aufzunehmen und zu analysieren. Meist findet vor der Durchführung eines solchen Audits eine Informationsveranstaltung statt, in der das Top-Management und die beauftragten Berater das Vorgehen und den Ablauf erläutern. Wichtig ist vor allem, dabei die Inhaltsschwerpunkte des Interviews sowie die Kriterien zu verstehen, nach denen die Betroffenen beurteilt werden sollen. Beide werden häufig transparent gemacht, aber die wenigsten Führungskräfte verstehen es, etwas aus diesen Informationen zu machen.

  • Vorgehen und Kriterien verstehen
  • Unvermeidlich kommt bei diesen Informationsveranstaltungen auch die Frage, ob eine Vorbereitung erforderlich sei – und ebenso unvermeidlich kommt die Antwort, dass eine Vorbereitung nicht erforderlich sei, weil es ja um Themen gehe, "mit denen Sie als erfahrene Führungskräfte jeden Tag zu tun haben". Diese Aussage stimmt zwar, wenn man sie wörtlich nimmt, ist aber dennoch grob irreführend. Denn dass eine Vorbereitung nicht erforderlich sei, bedeutet ja weder, dass keine Vorbereitung möglich ist, noch dass sie nicht sinnvoll wäre. Im Gegenteil: Wenn zwei Kandidaten etwa gleich stark sind, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit derjenige besser abschneiden, der besser vorbereitet ist. Jedenfalls wenn er richtig vorbereitet ist.

  • Vorbereiten? Unbedingt!
  • Vorbereiten, aber wie?

     

    Aber wie kann man sich auf solch ein Interview vorbereiten? Der Schlüssel dazu ist, zu verstehen, wie es abläuft und worauf es dabei ankommt. Wie aus einem Buch von zwei Egon Zehnder-Beratern hervorgeht, bestehen solche Interview typischerweise aus fünf Teilen: (1) Beruflicher Hintergrund, (2) Bewältigung spezifischer Herausforderungen, (3) Perspektiven und Motivation, (4) Referenzen und (5) Persönlichkeitsumfeld (S. 25). Der zeitliche Schwerpunkt liegt dabei auf dem zweiten Themenfeld: Hier diskutieren die Berater "ausgewählte Herausforderungen und Ergebnisse in unterschiedlichen beruflichen Situationen sowie Stationen" mit den Kandidaten, um Hinweise auf ihre Fähigkeiten in den abzuprüfenden Kriterien zu bekommen. (Über das Vorgehen anderer Personalberatungsfirmen liegen mir keine Informationen vor; es besteht aber Grund zu der Vermutung, dass es relativ ähnlich ist, weil es um die gleichen Ziele geht – und weil bei vielen Vorgehensmodellen das Zehnder-Konzept unfreiwillig Pate gestanden hat.)

  • Fünf Schwerpunkte der Interviews
  • Welche Kriterien dabei typischerweise zugrunde gelegt werden, geht aus dem "Egon Zehnder Model of Competence" hervor, das Gerhardt und Ritter in ihrem Buch vorstellen. Das sind insgesamt zehn Kriterien, die in drei Untergruppen geordnet sind:

    "Know-how" mit den Aspekten
    (1) Fachkompetenz und
    (2) Marktexpertise;

    "Führung und Interaktion" mit den Kriterien
    (3) Teamarbeit,
    (4) Mitarbeiterführung,
    (5) Mitarbeiterentwicklung und
    (6) Interkulturelle Sensitivität, sowie

    "Unternehmertum" mit
    (7) Kundenorientierung,
    (8) Veränderungsmanagement,
    (9) Strategische Orientierung und
    (10) Ergebnisorientierung (S. 36).

  • Kompetenzmodell mit zehn Kriterien
  • In den Interviews werden die Kriterien dieses Kompetenzmodells in der Regel nicht mit hypothetischen Fragen ("Was würden Sie tun, wenn …") getestet, sondern anhand praktischer Fallbeispiele, sogenannter "Critical Incidents". Zu jedem dieser Kriterien werden Ihre Fähigkeiten auf einer siebenstufigen Skala eingestuft (S. 39).

  • Abprüfung mit Fallbeispielen
  • Das heißt praktisch, man wird Sie in zum Beispiel fragen: "Nennen Sie uns doch mal ein Beispiel aus den letzten Jahren, wo Sie vor der Aufgabe standen, Veränderungen in Ihrem Verantwortungsbereich umzusetzen! Worum ging es da, und wie sind Sie dabei vorgegangen?" Unter dem Stress der Situation ist es oftmals schwierig, jetzt ein gutes Beispiel aus dem Ärmel zu schütteln, an dem sich Ihre Fähigkeiten überzeugend illustrieren lassen. Hier zahlt sich Ihre Vorbereitung bereits aus, indem sie sicherstellt, dass Sie (fast) auf Anhieb eine gute Geschichte parat haben, statt sich später darüber zu ärgern, dass Ihnen die besten Beispiele erst hinterher eingefallen sind.

  • Gute Beispiele parat haben
  • Es lohnt sich also, sich mal einen halben Tag hinzusetzen und zu jedem dieser zehn Kriterien zu überlegen, an welchen realen (!) Beispielen aus Ihrem Werdegang sich diese Fähigkeiten überzeugend illustrieren lassen. (Nicht ratsam ist, Geschichten zu erfinden: Wenn die Interviewer den Eindruck gewinnen, dass Ihr Beispiel eher erdichtet als wahr ist, würde Ihnen das kaum Pluspunkte bringen. Dagegen darf man sehr wohl Lerneffekte einbauen, die man aus den damaligen Erfahrungen gezogen hat: "Ich habe damals wohl den Fehler gemacht, … Das würde ich heute anders machen.") Auch wenn in dem "Egon Zehnder Model of Competence" unverständlicherweise ein Kriterium wie "Selbstreflexion / Persönliche Weiterentwicklung" fehlt, darf man wohl davon ausgehen, dass viele Personalberater eine solchermaßen demonstrierte Lernfähigkeit positiv registrieren würden.

  • Beispiele und gewonnene Erkenntnisse
  • Für die eigene Vorbereitung ist es nützlich zu wissen, wie Personalberater deutsche Führungskräfte im internationalen Vergleich sehen. Gerhardt und Ritter bescheinigen ihren Landsleuten ein weit überdurchschnittliches Fachwissen und eine leicht überdurchschnittliche Ziel- und Teamorientierung, aber weit unterdurchschnittliche strategische Orientierung und interkulturelle Sensitivität sowie eine leicht unterdurchschnittliche Breite des Fachwissens, der Durchsetzungsfähigkeit und Mitarbeiterführung. Wer sich gut verkaufen möchte, sollte sich also nicht lange damit aufhalten, sein Fachwissen unter Beweis zu stellen, das die Interviewer ohnehin in überreichem Maße bei ihm vermuten, solange er dies nicht durch offenkundige fachliche Fehler widerlegt. Stattdessen sollte er seine Akzente bei den Fähigkeiten setzen, die die Personalberater bei deutschen Managern als tendenziell unterbelichtet ansehen.

  • Deutsche Führungskräfte
    im internationalen Vergleich
  • Dabei geht es nicht um Verstellung oder darum, ein ganz anderes Profil vorzuspiegeln als es den Tatsachen entspricht. Doch es ist durchaus legitim, wenn Sie den inhaltlichen Teil des Interviews dafür nutzen, Ihre Stärken aktiv zu verkaufen. Es ist daher nicht nur zulässig, sondern ausgesprochen sinnvoll, sich im Vorfeld drei Fragen zu stellen und vor allem zu beantworten: Erstens, was sind die besonderen Stärken, von denen Sie die Interviewer überzeugen wollen? Zweitens, an welchen Fakten, Belegen und Critical Incidents lässt sich dies festmachen? Und drittens: Wie können Sie Ihre Fallbeispiele so wählen, dass sie Ihre Stärken und die Belege dafür schlüssig und plausibel anbringen können?

  • Besondere Stärken aktiv verkaufen
  • Die mysteriösen "Referenzen"

     

    Eine etwas mysteriöse Rolle spielen die Referenzen, das vierte Element des Interviews. Laut Gerhardt und Ritter werden sie "auf freiwilliger Basis zu Führungskräften eingeholt, mit denen intensiv zusammengearbeitet wird", "werden absolut vertraulich behandelt und weder an Vorgesetzte noch an die betroffene Person weitergegeben." Sie seien "nicht dazu da, persönliche, wertende Meinungen oder Urteile über andere Personen abzugeben (kein Klatsch!)", sondern "stellen eine differenzierte Einschätzung der wahrgenommen Stärken und Defizite einer Person dar (keine Belanglosigkeiten)"; sie "dienen ausschließlich der Verprobung der Analyse, sie werden nicht als Fremdbild gesondert ausgewertet" und "verbleiben bei Egon Zehnder und werden im Anschluss an das Projekt vernichtet". (S. 26 f.)

  • Die offiziellen Erklärungen
  • Eine "differenzierte Einschätzung der wahrgenommen Stärken und Defizite" zu, sagen wir, fünf bis zehn Kollegen, die man aus engerer Zusammenarbeit kennt – das hört sich ziemlich zeitaufwendig an. Doch so viel Zeit steht in dem knappen Korsett des Zwei-Stunden-Interviews gar nicht zu Verfügung. Man wird also sowohl die Anzahl als auch das vollmundige "differenziert" wohl relativieren müssen: Selbst wenn man, um die Prozedur zu beschleunigen, vorgefertigte Bögen verwendete, auf denen pro Person zum Beispiel eine Einstufung zu oben genannten Untergruppen "Know-how", "Führung und Interaktion" sowie "Unternehmertum" abgefragt würde, reicht das für kaum mehr als eine stark verkürzte Charakterisierung von zwei oder drei Personen, die noch dazu in manchen Fällen diplomatisch gefiltert, in anderen kompetitiv zugespitzt und in wieder anderen von kollegialer Solidarität geprägt ist.

  • … kontrastieren mit dem überaus engen Zeitrahmen
  • Kein Wunder also, dass diese Informationen "absolut vertraulich behandelt", "nicht als Fremdbild gesondert ausgewertet", sondern "ausschließlich zur Verprobung" verwendet" werden. Denn als bedrohliches Mysterium sind diese "Referenzen" wohl tauglicher denn als Quelle belastbarer Informationen. In der Kürze der Zeit kann das kaum mehr als ein grober Check sein, ob das im Interview entstandene Bild in totalem Kontrast zur Sichtweise der Kollegen steht. (Was immerhin dem impliziten Eingeständnis gleichkommt, dass eine solche Fehleinschätzung trotz all der Unfehlbarkeit und Erfahrung der Interviewer nicht ausgeschlossen ist.) Gerhardt und Ritter räumen denn auch offen deren disziplinierende Funktion ein: "Daneben haben Referenzen einen heilsamen Effekt. Wenn (...) wir ankündigen, dass Referenzen eingeholt werden, hält dies sicher Führungskräfte von übertriebenen Darstellungen ihrer Fähigkeiten ab." (S. 27) Mit anderen Worten, sie dienen als bedrohliches Mysterium.

  • Quercheck mit disziplinierender Funktion
  • Verhalten im Interview

     

    Wenn wir von einer Interviewdauer von maximal zwei Stunden ausgehen und weiter annehmen, dass für alle übrigen Themen auch noch mindestens eine halbe, eher eine dreiviertel Stunde benötigt wird, dann bleiben pro Kriterium des Kompetenzmodells zwischen sechs und neun Minuten. Das ist sicherlich nicht genug Zeit, um jedes der zehn Kriterien mit einem eigenen "Critical Incident" abzuprüfen. Realistischer ist wohl, dass nur Zeit für zwei bis drei, maximal vier Fallbeispiele bleiben, in denen dann mehrere Kriterien abgeprüft werden (sollen). Durch die Auswahl Ihrer Beispiele haben Sie also erheblichen Einfluss auf das Resultat – im Positiven wie im Negativen: Ein "blödes" Beispiel, das nicht viel hergibt, kann unter Umständen den Gesamteindruck überschatten; gute Beispiele, die Ihre Fähigkeiten bei mehreren Kriterien glaubhaft untermauern, bringen Punkte.

  • Wenig Zeit pro Kriterium
  • Nützlich ist auch, sich bewusst zu sein, dass zwei Stunden ein eher knapper Zeitrahmen sind, um das gesamte Programm abzudecken. Ihre Interviewer stehen daher unter einem gewissen Zeitdruck – und werden daher nicht sehr begeistert von Kandidaten sein, die sich sehr weitschweifig äußern, vom Hundertsten ins Tausendste kommen oder sich in Anekdoten verlieren. Im Führungsalltag kann das auch nervig sein, aber dort ist es eher eine lästige persönliche Marotte als ein entscheidender Mangel. Im Interview hingegen kann es Ihnen schaden. Halten Sie Ihre Ausführungen daher eher etwas knapp als zu ausführlich, sowohl bei den Beispielen als auch bei dem, was Sie zu Ihrem Werdegang, zu Karriereplanung und Motivation und zu Ihrem persönlichen Umfeld sagen. Bei Bedarf werden die Interviewer nachfragen, und das ist im Zweifel besser, als wenn sie Sie immer wieder einbremsen müssen.

  • Besser relativ knapp als zu weitschweifig
  • Für Inhalt und Verlauf gilt die simple Regel: Lassen Sie die Interviewer führen, aber setzen Sie Ihre Punkte! Die Interviewer werden sich mit Sicherheit um ein angenehmes Gesprächsklima bemühen, sodass Sie weder überwach noch misstrauisch sein müssen. Lassen Sie sich indes von dem angenehmen Klima nicht einlullen: Sie stehen, ähnlich wie bei einem neuen Kunden, auf dem Prüfstand, und man will – und muss – Ihnen auf den Zahn fühlen. Indem Sie sich in den Gesprächsrhythmus der Interviewer einklinken und dort, wo es Ihnen angebracht scheint, sparsam und pointiert Ihre Akzente setzen, machen das Beste aus Ihren Möglichkeiten.

  • Setzen Sie Ihre Akzente!
  • Wer bei der Vorbereitung nicht im eigenen Saft schmoren und sich nicht alleine auf sein eigenes Urteil verlassen will, hat drei Möglichkeiten: Er kann sich, zum Beispiel durch die Kontaktaufnahme mit uns, einen professionellen Coach suchen, der mit solchen Fragestellungen vertraut ist, und/oder er kann sich mit ein paar Kollegen zusammentun, zu denen er ein Vertrauensverhältnis hat. Dann kann man sich gegenseitig seine Überlegungen vortragen, das eine oder andere Interview im Frage-Antwort-Spiel durchspielen und sich wechselseitig Feedback geben. Das hilft, im Vorfeld der "Prüfung" ein wenig Stress abzubauen und Geläufigkeit zu gewinnen. Und schließlich könnten Sie auch einen Blick in mein Buch Bleiben oder Gehen? werfen, vor allem, wenn die Situation Grundsatzfragen zu Ihrer Zukunftsplanung hat aufkommen lassen.

  • Kollegiales oder professionelles Coaching
  • Literatur:

    Gerhardt, Tilmann; Ritter, Jörg (2004): Management Appraisal – Kompetenzen von Führungskräften erkennen und Potenziale bewerten

    Schuler, Heinz (2002): Einstellungsinterviews

    Kahneman, Daniel; Klein, Gary (2009): Conditions for Intuitive Expertise – A Failure to Disagree

    Berner, Winfried (2011): Bleiben oder Gehen? Ihre persönliche Erfolgsstrategie bei Fusionen, Übernahmen und Umstrukturierungen

     


    Sie sind selbst betroffen und suchen ein persönliches Coaching? Dann sprechen Sie uns gerne an!

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    oder direkte Mail an w.berner(at)umsetzungsberatung.de

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  • Wir unterstützen Sie gern!
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